TE OGH 1962/7/27 5Ob153/62

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Veröffentlicht am 27.07.1962
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Norm

Aktiengesetz §122
Aktiengesetz §123

Kopf

SZ 35/81

Spruch

Der Umfang der Vertretungsmacht des vom Registergericht auf Verlangen der Minderheit bestellten Sondervertreters richtet sich nach dem in der Hauptversammlung gestellten Minderheitsverlangen.

Entscheidung vom 27. Juli 1962, 5 Ob 153/62.

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Nach der dem Obersten Gerichtshof nunmehr vorliegenden notariellen Beurkundung stellte in der am 22. Juni 1960 stattgefundenen außerordentlichen Hauptversammlung der Vereinigten Fettwarenindustrie Josef E., Aktiengesellschaft, der Aktionär Richard E. W., dessen Gesellschaftsanteile unbestritten den zehnten Teil des Grundkapitals übersteigen, unter Punkt 3 der Tagesordnung das Minderheitsverlangen auf Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Dr. Alfred Sch., Direktor Erich Th., Dipl.-Ing. Otto Herbert St., Dr. Erwin S., Dr. Kurt G., Dr. Emerich H., Alfred Sch. und Alfred K. wegen pflichtwidriger Ausübung ihrer Funktionen als Mitglieder des Vorstandes und Aufsichtsrates in der Zeit vom 5. Dezember 1956 bis 31. Dezember 1959 und Bestellung eines Sondervertreters zur Führung des Rechtsstreites. Er bezifferte die Ansprüche mit 22.500.000 S. Davon sei vorerst ein Teilbetrag von 5.000.000 S im Klageweg geltend zu machen und die Ausdehnung des Klagebegehrens vorzubehalten. Zur Begründung der Ansprüche gab der Aktionär eine ausführliche Sachverhaltsdarstellung (S. 8 - 15 der notariellen Beurkundung), die im wesentlichen folgende Behauptungen enthält:

Die Gesellschaft habe in den Geschäftsjahren 1956 bis 1959 erhebliche Verluste erlitten. Obwohl der Verbrauch der Bevölkerung an Fett, Waschmitteln und Seife gestiegen sei, sei der Umsatz zurückgegangen. Die Verluste und die Umsatzverringerung seien auf die pflichtwidrige Geschäftsführung der Gesellschaftsorgane zurückzuführen, wobei es sich im einzelnen um folgende Tatbestände handle. 1. Der Gesellschaft sei ein Schaden von zirka 4.5 Millionen Schilling entstanden bzw. ein Gewinn in dieser Höhe entgangen, weil die begonnene Liquidierung ihrer Auslandsengagements gestoppt wurde und eingekaufte Rohstoffe, deren Preis im Ausland stark gestiegen war, nach Österreich importiert und im Inland infolge der Preisregelung ungünstig verkauft wurden, obwohl sie im Ausland zu Weltmarktpreisen hätten verkauft werden können. 2. Der Aufsichtsrat habe ungeeignete Personen zu Vorstandsmitgliedern bestellt. Dies habe sich in folgenden, die Gesellschaft schädigenden Maßnahmen gezeigt. Der Betrieb der Extraktion, der sich zu einem gewinnbringenden Geschäftszweig zu entwickeln begonnen hatte, sei eingestellt worden. Die durchgeführte "Betriebsreorganisation" habe im Jahre 1957 einen Leistungsrückgang um rund 23% und dagegen eine Erhöhung des Angestelltenapparates um mehr als 30% mit sich gebracht. Es sei unerklärlich, daß dem Vorsitzer des Vorstandes Dr. Sch. eine 50%ige Gehaltserhöhung bewilligt wurde. Die Personalpolitik des neuen Vorsitzenden habe sich für die Gesellschaft verderblich ausgewirkt. Im Ein- und Verkauf erfahrene Kräfte seien versetzt oder gekundigt und an deren Stelle unqualifizierte Kräfte betraut worden. 3. Auch der im Oktober 1958 neu bestellte Vorstand Ing. St. habe nicht über die erforderliche kaufmännische Erfahrung verfügt. Er habe nicht fachgemäß eingekauft und einen Teil der Rohstoffe bei der Hauptkonkurrentin, der U.-AG., bezogen. Der Verkauf sei unsachgemäß geleitet worden. Die Kündigung des bewährten Leiters der Verkaufsstelle Wien habe zur Folge gehabt, daß der Umsatz zurückging, die Kosten der Verkaufsstelle anwuchsen und deren Tätigkeit reduziert wurde. Die seit Jahren eingeführte Kleinpackung in Blechdosen sei eingestellt worden, und dies sei dem Absatz der U.-Produkte zugute gekommen. Die für die Einführung der neuen Marke aufgewendeten Werbekosten von fast 2.000.000 S hätten bei Beibehaltung der früheren Dosen vermieden werden können. Die Werbung sei wegen der unzweckmäßiger Verwendung der Werbekosten mißlungen. Die Zentralregiekosten seien auf kein angemessenes Maß zurückgeführt worden. 4. Statutenwidrig und ohne sachliche Rechtfertigung sei eine Hypothek von 22.000.000 S zugunsten der Bank für Oberösterreich und Salzburg eingetragen worden.

Der Aktionär war mit den von der Generalversammlung gestellten Sondervertretern nicht einverstanden, und das Registergericht bestellte mit dem Beschluß vom 14. September 1960, ONr. 341. Dr. Anton N. zum Sondervertreter der Gesellschaft zur Führung des auf Grund des Minderheitsverlangens des Aktionärs gegen die Mitglieder bzw. gewesenen Mitglieder des Vorstandes und Aufsichtsrates angestrebten Rechtsstreites. Der Beschluß erwuchs in Rechtskraft.

Der Sondervertreter brachte am 22. Dezember 1961 namens der Aktiengesellschaft beim Kreisgericht W. zu 4 Cg 666/61 eine Klage gegen Dr. Erwin S. und Dr. Erich Th. auf Zahlung von 2.000.000 S samt Nebengebühren ein. Gegenstand der Klage ist der in der außerordentlichen Hauptversammlung vom 22. Juni 1960 unter Punkt 1 behauptete Schadenersatzanspruch. Als Klagegrund wurde ausgeführt, die Beklagten haben die vom Aktionär Richard E. W. im Ausland eingegangenen Hausse-Spekulationen nicht liquidiert und den Gewinn nicht eingezogen, sondern die betreffende Ware nach Österreich importiert und mit Verlust verkauft.

Am 31. Jänner 1962 beantragte der Aktionär beim Registergericht, die Bestellung des Sondervertreters dahin zu ergänzen, daß dieser zur Geltendmachung der bei der außerordentlichen Hauptversammlung vom 22. Juni 1960 abgelehnten Ersatzansprüche der Gesellschaft, mindestens aber zur Führung des bereits eingeleiteten Rechtsstreites ermächtigt werde. Fallweise wurde beantragt, den Sondervertreter neu zu bestellen.

Das Erstgericht ergänzte den Beschluß auf Bestellung des Sondervertreters dahin, daß dieser zur Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches der Gesellschaft in der Höhe von 4.500.000 S gegen Doktor Erwin S. bestellt wird, und wies das Mehrbegehren ab. Der Antrag der Gesellschaft, die Bestellung des Sondervertreters zu widerrufen, wurde auf diese Entscheidung verwiesen. Das Erstgericht war der Ansicht, der Aktionär habe bei der außerordentlichen Hauptversammlung nur einen Schadenersatzanspruch im Betrage von 4.500.000 S derart konkretisiert, daß daraus der Rechtsgrund, die Höhe des Schadens, der Zeitpunkt des Entstehens und die Person des Schädigers. Dr. Erwin S., entnommen werden können. Insoweit könne dem Sondervertreter die Geltendmachung des Anspruches aufgetragen werden. Die übrigen laut dem Hauptversammlungsprotokoll behaupteten Ansprüche seien zu allgemein gehalten, als daß daraus schlüssig Rechtsansprüche gegen bestimmte Personen abgeleitet werden könnten. Die Bestellung des Sondervertreters könne nicht widerrufen werden, weil aus dem Hauptversammlungsprotokoll hervorgehe, es seien sich alle anwesenden Aktionäre darüber einig gewesen, daß ein Sondervertreter zur Geltendmachung der Ansprüche zu bestellen sei, lediglich über die Person des Sondervertreters sei keine Einigung zustande gekommen. Dies sei jedoch unerheblich, weil die gerichtliche Bestellung des Sondervertreters rechtskräftig geworden sei.

Dem Rekurs des Aktionärs wurde nicht Folge gegeben. Dem Rekurs der Aktiengesellschaft wurde Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß der Antrag des Aktionärs abgewiesen und der Sondervertreter seines Amtes enthoben wurde. Das Rekursgericht war der Ansicht, die Ansprüche der Gesellschaft, die auf Verlangen des Minderheitsaktionärs geltend gemacht werden sollen, seien nicht derart individualisiert, daß dem Sondervertreter ein bestimmter Klagsauftrag gegeben werden könnte und dieser in der Lage wäre, eine den Erfordernissen des § 226 ZPO. entsprechende Klage einzubringen. Deshalb habe auch dessen Bestellung jeden Sinn verloren, und es müsse dem Antrag der Gesellschaft, die Bestellung zu widerrufen, stattgegeben werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Aktionärs W. Folge und änderte den angefochtenen Beschluß dahin ab, daß sowohl der Antrag der Aktiengesellschaft auf Enthebung des bestellten Sondervertreters als auch die Anträge des Aktionärs Richard E. W. auf Ergänzung oder Neufassung des Bestellungsbeschlusses vom 14. September 1960 abgewiesen werden, so daß es bei diesem Beschluß zu verbleiben hat.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Zu den Minderheitsrechten der Aktionäre gehört nach § 122 AktG. unter anderem, daß Ansprüche der Gesellschaft aus der Geschäftsführung gegen die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates auch dann geltend gemacht werden müssen, wenn es nur eine Minderheit verlangt, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals erreichen. Verlangt die Minderheit die Geltendmachung des Anspruches, kann das Gericht die von ihr bezeichneten Personen als Vertreter der Gesellschaft zur Führung des Rechtsstreites bestellen. Obwohl es das Gesetz nicht ausdrücklich sagt, ist es herrschende Meinung, daß das Verlangen der Minderheit in einer Hauptversammlung gestellt werden muß. § 123 (1) zweiter Satz AktG. setzt dies offenbar voraus, und es ist auch notwendig, daß die Hauptversammlung Gelegenheit erhält, über die Geltendmachung der Ansprüche zu verhandeln und sie allenfalls selbst zu beschließen. Der von der Hauptversammlung oder auf Verlangen der Minderheit vom Gericht bestellte Sondervertreter hat eine ähnliche Stellung wie ein Kollisionskurator. Er ist hinsichtlich der von ihm zu verfolgenden Ansprüche der gesetzliche Vertreter der Aktiengesellschaft und schließt in dieser Eigenschaft alle anderen Vertreter der Gesellschaft aus. Er hat dem Prozeßgericht seine Legitimation, als Vertreter der Gesellschaft einschreiten zu können, gemäß § 123 (1) AktG. dadurch nachzuweisen, daß er mit der Klage die in der Hauptversammlung aufgenommene Niederschrift, soweit sie die Geltendmachung des Anspruches betrifft, in beglaubigter Abschrift beizuschließen hat (Gadow - Heinichen[2] I, S. 847). Aus den knappen Bestimmungen der §§ 122 und 123 AktG. geht nicht hervor, daß das Registergericht, das auf Verlangen einer Minderheit einen Sondervertreter bestellt, auch den Umfang der Vertretungsmacht zu bestimmen hat. Der Umfang der Vertretungsmacht richtet sich bei dem durch Beschluß der Hauptversammlung bestellten Sondervertreter nach diesem Beschluß und bei dem auf Verlangen der Minderheit vom Gericht bestellten Sondervertreter nach dem Minderheitsverlangen. Der Umfang der Vertretungsmacht steht daher bereits vor der gerichtlichen Bestellung durch das in der Hauptversammlung gestellte Minderheitsverlangen fest. Dem Gericht obliegt nur die Bestellung der Person des Sondervertreters, und zwar muß das Gericht nach herrschender Meinung die von der Minderheit bezeichneten Personen als Sondervertreter bestellen. Mit der in Rechtskraft erwachsenen Bestellung des Sondervertreters hat das Registergericht seine Aufgabe erfüllt. Eine Ergänzung des Bestellungsbeschlusses oder eine Neubestellung im Sinne der Anträge des Minderheitsaktionärs kommt daher nicht in Betracht, so daß es ohne Nachteil für diesen bei der die Anträge abweisenden Entscheidung des Rekursgerichtes verbleiben kann. Das Registergericht hätte auch nicht die Macht, die Vertretungsbefugnis des Sondervertreters nachträglich zu erweitern und auf Ansprüche auszudehnen, die über das in der Hauptversammlung gestellte Minderheitsverlangen hinausgehen. Ebensowenig war das Registergericht berechtigt, die Vertretungsmacht des Sondervertreters nachträglich auf einen geringeren Betrag der Ansprüche und auf deren Geltendmachung nur gegen einen Beklagten einzuschränken. Es hat daher bei dem Bestellungsbeschluß, dessen Fassung der Sach- und Rechtslage entspricht, zu verbleiben.

Der Rekurs ist auch insoweit begrundet, als er sich gegen die Enthebung des Sondervertreters richtet. Die Ansicht, das in der Hauptversammlung gestellte Minderheitsverlangen müsse bereits eine vollständige Information für die Klage enthalten, geht zu weit. Daß das Minderheitsverlangen in der Niederschrift über die Hauptversammlung aufzunehmen ist, ergibt sich aus § 123 (1) AktG. und entspricht auch der Praxis der Notare. Dem Minderheitsverlangen muß nach dem Willen des Gesetzes entsprochen werden. Es wäre nicht gerechtfertigt, die Durchsetzung des Minderheitsrechtes überflüssig zu erschweren. Als Mindesterfordernis der Klarheit und Bestimmtheit des Minderheitsverlangens wird von der Lehre angesehen, daß aus ihm die Tatbestände, aus denen die Ansprüche abgeleitet werden, die Personen der Schuldner und die Höhe der Ansprüche entnommen werden können (Gadow - Heinichen, S. 841, Anm. 5). Diesen Erfordernissen ist in der Niederschrift über die Hauptversammlung vom 22. Juni 1960 Genüge getan, denn sie enthält Behauptungen über Vorgänge und Tatbestände, aus denen Schadenersatzansprüche abgeleitet werden, es sind die Personen angegeben, gegen die sie geltend gemacht werden sollen und es wurde auch die Höhe der Ansprüche bezeichnet. Bei Bedachtnahme auf den Inhalt dieser Niederschrift entspricht der Bestellungsbeschluß durchaus dem Gesetz. Die Aussichten des beabsichtigten Rechtsstreites hat das Gericht, das die Sondervertreter bestellt, nicht zu prüfen. Die Ansprüche sind auch geltend zu machen, wenn sie offenbar unbegrundet sind. Der Rechtsstreit geht ja auf Gefahr und Kosten der Minderheit (Gadow - Heinichen, S. 844, Godin - Wilhelmini, S.553). Bei der Auslegung des Minderheitsverlangens muß kein strenger Maßstab angelegt werden, weil die Gefahr, daß sich bei derartigen Ansprüchen die Vertretungsmacht des Sondervertreters mit der der ordentlichen Organe überschneiden könnte, nicht sehr wahrscheinlich ist. Auch darf die Aufgabe des Sondervertreters, der ja bei sonstiger Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft und der Minderheit die Ansprüche geltend machen muß und dabei keineswegs nur die Weisungen der Minderheit zu befolgen, sondern auch nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen zu handeln hat, nicht unnötig erschwert werden. Es ist gewiß richtig, daß ohne Vorliegen eines geeigneten Minderheitsverlangens kein Sondervertreter bestellt werden kann und eine dennoch vorgenommene Bestellung widerrufen werden müßte. Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor. Die Entscheidung, ob in dem vom Sondervertreter anhängig gemachten Rechtsstreit der Mangel der gesetzlichen Vertretung vorliegt oder ob der Sondervertreter seine Vertretungsmacht überschritten hat (§ 6 ZPO.), obliegt nicht mehr dem Registergericht, sondern dem Prozeßgericht. Der Antrag der Aktiengesellschaft auf Enthebung des Sondervertreters ist daher vom Erstgericht mit Recht abgewiesen worden.

Anmerkung

Z35081

Schlagworte

Aktiengesellschaft, Minderheitsrechte, Bestellung eines Sondervertreters, Minderheitsrechte der Aktionäre, Sondervertreter nach § 122 AktG., Registergericht, Bestellung eines Sondervertreters nach § 122 AktG., Sondervertreter nach § 122 AktG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1962:0050OB00153.62.0727.000

Dokumentnummer

JJT_19620727_OGH0002_0050OB00153_6200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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