Norm
ABGB §1330 (2)Kopf
SZ 35/113
Spruch
§ 1330 (2) ABGB. Behauptung von Tatsachen oder Werturteil. Entscheidung vom 14. November 1962, 7 Ob 283/62.
I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Die fünf Beklagten verfaßten ein mit 26. März 1960 bzw. 11. April 1960 datiertes, an alle Buchhandlungen, Zeitschriftenvertriebe, Trafiken und sonstige Zeitschriftenverschleißstellen im Verwaltungsbezirk Wels gerichtetes Rundschreiben, in welchem die Adressaten aufgefordert werden, der gefährdeten Jugend dadurch zu helfen, daß sie minderwertige Lektüre wie "B.-Hefte. C.-strips, A.- Hefte u. dgl." nicht öffentlich auflegen und an Jugendliche nicht abgeben. Wegen Verfassung und Verbreitung dieses Rundschreibens begehrt die klagende Partei als Herausgeberin und Verlegerin der Wochenzeitschrift "B." die Verurteilung der fünf Beklagten zum Widerruf der im Rundschreiben enthaltenen Behauptung und zur Veröffentlichung des Widerrufs. Sie stützt ihre Klage auf die Bestimmung des § 1330 (2) ABGB. Die Beklagten beantragten Klagsabweisung und wendeten ein, daß der Tatbestand des § 1330 (2) ABGB. nicht gegeben sei, der Zweitbeklagte überdies passiv nicht legitimiert sei, weil er das Rundschreiben nicht als Privatperson, sondern als Bürgermeisterstellvertreter unterschrieben habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, daß das Rundschreiben keine Tatsachenbehauptungen enthalte, sondern ein Werturteil darstelle. Es sei daher auch ohne Bedeutung, ob die im Rundschreiben enthaltenen Behauptungen wahr oder unwahr seien.
Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Das Rundschreiben, führte das Berufungsgericht aus, müsse in seiner Gänze betrachtet und gewürdigt werden. Die Verfasser desselben, die als für die Jugenderziehung verantwortlich zeichnen, rufen alle Inhaber der Zeitungsverschleißstellen auf, für eine gesunde Entwicklung der Jugend einzutreten und deshalb minderwertiges, die geistige und sittliche Entwicklung der Jugend gefährdendes Schrifttum wie Hefte usw. nicht öffentlich aufzulegen und an Jugendliche abzugeben. Dieser Aufruf enthalte, in seiner Gesamtheit betrachtet, nicht ein unüberprüfbares abfälliges Werturteil über die B.-Hefte, sondern ganz klare und auf ihre Richtigkeit ohneweiters überprüfbare Tatsachenbehauptungen. Die in dem Rundschreiben enthaltene Behauptung, daß die B.-Hefte eine minderwertige, die Jugend gefährdende Lektüre darstellen, sei eine überprüfbare Tatsachenbehauptung. Dies ergebe sich schon daraus, daß vor dem erfolgten Richterwechsel zur Frage der Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Behauptung ein umfangreiches Sachverständigengutachten erstattet wurde. Das Erstgericht werde daher den Inhalt der B.-Hefte zu überprüfen und einen Sachverständigenbeweis zuzulassen haben.
Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen der Beklagten Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Entscheidend ist in erster Linie, wie die Untergerichte richtig erkannt haben, die Frage, ob die in dem Rundschreiben aufgestellten Behauptungen als Tatsachen anzusehen sind oder ob es sich um ein bloßes Werturteil handelt. Die Unterscheidung ist oft schwierig, sie kann u. a. darnach getroffen werden, ob die Behauptung bewiesen werden kann oder ob es sich um eine unüberprüfbare Meinungskundgebung handelt (vgl. Klang[2] VI S. 162). Zur Beurteilung muß der gesamte Inhalt des Rundschreibens herangezogen werden. Daraus ergibt sich aber, daß es den Verfassern im wesentlichen darauf ankam, ein Werturteil auszusprechen, wogegen das Tatsachenvorbringen, soweit von einem solchen überhaupt gesprochen werden kann, dabei in den Hintergrund tritt. Bei einer Vermengung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen ist aber immer das Überwiegen dafür entscheidend, ob die Gesamtäußerung noch als Werturteil oder ob sie als Tatsachenvorbringen angesehen werden muß. Das abgegebene Werturteil, wonach B.-Hefte neben anderen Druckerzeugnissen als minderwertig anzusehen sind, wird nur damit begrundet, daß viele Jugendgerichts- und Fürsorgefälle sowie Schulberichte erkennen lassen, daß die Lektüre von minderwertigem Schrifttum (Verbrecherstories, Comicstrips, seichte Liebesromane usw.) die Jugendlichen verroht und zu strafbaren Handlungen anregt. Es handelt sich dabei um das Urteil von Erziehern bzw. von Personen, die nach ihrer Tätigkeit sich für die Jugenderziehung verantwortlich fühlen. Das Urteil, daß es sich um "minderwertige" Erzeugnisse handelt, ist hier nur so zu verstehen, daß diese Erzeugnisse für die Jugenderziehung minder brauchbar bzw. unbrauchbar sind. Es wird damit kein allgemeingültiges Urteil über den literarischen Wert dieser Erzeugnisse abgegeben. Ob eine Maßnahme vom Standpunkt der Pädagogik abzulehnen ist oder nicht, ist eine Frage dieser Wissenschaft. Solche gutachtliche Äußerungen wissenschaftlichen Charakters einschließlich ihrer Schlußfolgerungen haben nur relative Bedeutung und sind einem Wahrheitsbeweis daher nicht zugänglich. Es handelt sich dabei um die Kritik von Leistungen, die ausschließlich in das Gebiet der Werturteile gehört. Das Erstgericht hat daher mit Recht den Tatbestand des § 1330 ABGB. schon aus diesem Gründe als nicht gegeben erachtet. Die Rechtssache ist daher spruchreif im Sinne der Klagsabweisung. Aus diesem Gründe muß auf die weiteren Erörterungen zum Tatbestand des § 1330 (2) ABGB., die das Berufungsgericht angestellt hat, nicht weiter eingegangen werden.
Anmerkung
Z35113Schlagworte
Kreditgefährdende Äußerungen, Tatsachen oder Werturteil?, Zeitschriften, Kreditgefährdung, WerturteilEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1962:0070OB00283.62.1114.000Dokumentnummer
JJT_19621114_OGH0002_0070OB00283_6200000_000