Norm
Ehegesetz §49 Satz 2Kopf
SZ 36/8
Spruch
Anzeigen und Drohungen als Reaktionshandlung infolge der Kenntnis von einer Doppelehe des Ehegatten.
Entscheidung vom 16. Jänner 1963, 1 Ob 285/62.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger begehrte Scheidung der Ehe zunächst nach § 55 EheG., dann auch nach § 49 EheG. Die Beklagte erhob Widerspruch und beantragte Klagsabweisung, wobei sie auch in eventu einen Mitschuldantrag stellte.
Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers; es sprach ferner aus, daß der Kläger mit Christine X. die Ehe gebrochen habe. Es traf folgende Feststellungen:
Der Kläger hat im Juni 1944 Christine X. kennengelernt, und seit Weihnachten 1944 ein Verhältnis mit ihr unterhalten, in dessen Verlauf sie schwanger geworden ist. Am 17. April 1945 ist der Kläger von der deutschen Wehrmacht desertiert und hat sich mit Christine X. zunächst nach Gmunden und dann im Juli 1945 zu ihren Eltern nach Wien begeben. Am 19. Oktober 1945 ist der Sohn Bertram geboren worden; am 12. Juni 1948 hat der Kläger Christine X. standesamtlich geheiratet, nachdem er in der Aufgebotsniederschrift versichert hatte, daß er noch nicht verheiratet gewesen sei. In der Ehe ist dann am 16. Oktober 1961 ein zweites Kind, Christine, zur Welt gekommen.
Der Kläger hat nur im Jahre 1945 beim Roten Kreuz ergebnislos Erkündigungen nach der Beklagten eingezogen. Am 17. Februar 1959 ist der Kläger vom Roten Kreuz verständigt worden, daß er von der Beklagten gesucht werde. Er hat geantwortet, daß er bitte, seine Anschrift nicht in die DDR. bekanntzugeben. Davon ist die Beklagte am 9. April 1959 verständigt worden. Mit Schreiben vom 4. Juni 1959 ist ihr die Anschrift des Klägers doch mitgeteilt worden. Die Streitteile sind dann in Frankfurt am Main zusammengetroffen; hiebei hat der Kläger der Beklagten nicht versprochen, zu ihr zurückzukehren, sondern nur, ihr einen Unterhaltsbeitrag zu bezahlen. Dies hat er auch getan, und zwar hat er ab Mai 1960 400 S monatlich überwiesen.
Die Beklagte hat in der Zeit vom 31. August 1959 an mehrere Schreiben an verschiedene Behörden gerichtet, in denen sie den Kläger des Verbrechens der Bigamie und der Erschleichung der österreichischen Staatsbürgerschaft beschuldigte und energisch seine strenge Bestrafung verlangte. Diese Schreiben haben zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Kläger wegen Verbrechens nach § 205 StG. sowie zur Wiederaufnahme des Einbürgerungsverfahrens geführt. Das Strafverfahren hat zwar zufolge einer Erklärung der Staatsanwaltschaft nach § 90 StPO. mit Einstellung geendet, das Ansuchen des Klägers um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ist jedoch im wiederaufgenommenen Verfahren abgewiesen worden.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus: Dadurch, daß der Kläger seit Weihnachten 1944 mit Christine X. dauernd die Ehe gebrochen, sich vor der Eheschließung mit Christine X. nicht ernstlich um den Verbleib seiner Gattin und seiner Kinder gekümmert und am 12. Juni 1948 Christine X. geheiratet hat, habe er schwere Eheverfehlungen im Sinne der §§ 47 und 49 EheG. begangen. Die Beklagte habe ihr Scheidungsrecht zwar infolge der zehnjährigen Frist des § 57 (2) EheG. bezüglich aller vor dem 20. November 1949 gesetzten Eheverfehlungen verloren, sie könne dieses frühere Verhalten des Klägers aber bei der Abwägung des Verschulden geltend machen. Andererseits habe die Beklagte aber durch ihre Schreiben und Anzeigen vom 31. August 1959, 1. September 1959, 28. September 1959 und 29. Juli 1960 ebenfalls schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG. begangen, da aus diesen Schreiben hervorgeht, daß sie dem Kläger, der die Rückkehr zu ihr abgelehnt hatte, habe schaden und sich an ihm habe rächen wollen. Im Hinblick auf dieses Verhalten der Beklagten könne dem Scheidungsbegehren des Klägers die sittliche Rechtfertigung nicht abgesprochen werden. Sein Verschulden sei allerdings überwiegend.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge, hob die Urteile der beiden Vorinstanzen auf und verwies die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Beklagte wendet sich, gestützt auf den Revisionsgrund nach § 503 Z. 4 ZPO., dagegen, daß ihre gegen den Kläger gerichteten Anzeigen und Eingaben als schwere Eheverfehlungen beurteilt worden seien. Die Handlungen, die der Beklagten von den Untergerichten als Eheverfehlungen angelastet wurden, haben nach den untergerichtlichen Feststellungen am 31. August 1959 (dem Datum des ersten Briefes, in dem die Beklagte den Kläger des Verbrechens der Bigamie beschuldigt hat) begonnen. Dies war also nach der ergebnislosen Zusammenkunft der Streitteile in Frankfurt am Main, bei der sich der Kläger geweigert hatte, zur Beklagten zurückzukehren. Die Anzeigen und Eingaben der Beklagten sind offensichtlich durch diese Weigerung, die eine schwere Eheverfehlung des Klägers darstellt, ausgelöst worden und stehen daher mit ihr im Zusammenhang. Es muß somit gesagt werden, daß der Kläger, der in gröbster Weise gegen die einem Gatten obliegende Treuepflicht verstoßen hat, wegen der mit diesem Verschulden im Zusammenhang stehenden Eheverfehlungen der Beklagten die Scheidung nicht begehren kann, da sich sein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe als sittlich nicht gerechtfertigt erweist (§ 49 letzter Satz EheG.). Der Kläger kann daher mit seinem Scheidungsbegehren, soweit es sich auf § 49 EheG. stützt, nicht durchdringen.
Der Kläger hat aber sein Scheidungsbegehren auch auf § 55 EheG. gestützt. Darauf sind die Untergerichte, ihrer (vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten) Rechtsansicht folgend, deshalb nicht eingegangen, weil eine Scheidung wegen Verschuldens einer Scheidung nach § 55 EheG. immer vorgeht und sie das Vorliegen eines Falles des § 49 EheG. bejaht haben. Da sich jedoch nach den obigen Ausführungen das Begehren des Klägers auf Scheidung seiner Ehe aus dem Verschulden der Beklagten nicht als stichhältig erweist, werden sich die Untergerichte nunmehr mit dem weiteren Begehren des Klägers auf Scheidung der Ehe nach § 55 EheG. zu befassen haben.
Der Revision der beklagten Partei war daher Folge zu geben, wobei nicht nur das Urteil des Berufungsgerichtes, sondern auch jenes des Erstgerichtes aufzuheben und die Rechtssache an die erste Instanz zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen war.
Anmerkung
Z36008Schlagworte
Ehescheidung nach § 49 EheG., Reaktionshandlung des Ehepartners nach § 49 Satz 2 EheG.European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1963:0010OB00285.62.0116.000Dokumentnummer
JJT_19630116_OGH0002_0010OB00285_6200000_000