Norm
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §332Kopf
SZ 36/15
Spruch
1. Wenn mehrere Sozialversicherungsträger Regreßansprüche gegen den Schädiger geltend machen, so kann nur in einer einzigen Entscheidung für alle Regreßansprüche verbindlich festgestellt werden, ob und in welchem Ausmaß alle Regreßansprüche zu befriedigen sind.
2. Bei gesetzlicher Erweiterung der Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers kann diesem ein zwischen dem Schädiger und dem Verletzten vorher geschlossener Abfindungsvergleich mit Erfolg entgegengehalten werden, wenn auf Grund der Gesetzesänderung dem Verletzten ganz neue Ansprüche gegen den Versicherungsträger gewährt werden, nicht aber, wenn die Leistungspflicht bereits vor dem schädigenden Ereignis gegeben war und durch das spätere Gesetz nur ausgedehnt worden ist.
Entscheidung vom 31. Jänner 1963, 2 Ob 326/62.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der bei der Klägerin pflichtversicherte Kandidus K., hat am 5. April 1957 als Motorradfahrer in Wien durch den Zusammenstoß des Motorrades mit dem vom Erstbeklagten in Diensten der zweitbeklagten Partei gelenkten Lastkraftwagenzug der zweitbeklagten Partei einen Verkehrsunfall erlitten. Die Klägerin erbringt an Kandidus K. die Pflichtleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung und macht auf Grund der Legalzession nach § 332 ASVG. Ersatzansprüche gegen die beiden Beklagten zur ungeteilten Hand geltend, und zwar gegen den Erstbeklagten wegen Verschuldens und gegen die zweitbeklagte Partei gemäß Art. IV der vorliegendenfalls noch zur Anwendung kommenden EinfV. z. KraftfVerkG. Im Verlaufe der Streitverhandlung haben sich die Parteien dahin geeinigt, daß ein 25%iges Mitverschulden des beim Unfall vom 5. April 1957 geschädigten Kandidus K. anzunehmen sei.
Das Erstgericht hat gegenüber den Beklagten festgestellt, daß diese zur ungeteilten Hand verpflichtet seien, der Klägerin im Rahmen des § 332 ASVG. alle Leistungen zu ersetzen, welche die Klägerin aus Anlaß des Unfalls des Kandidus K. vom 5. April 1957 auf Grund der jeweils in Geltung stehenden Vorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung zu erbringen habe, wobei ein Mitverschulden des Verunglückten im Ausmaß von 25% zugrunde zu legen sei. Zugleich hat das Erstgericht die beiden Beklagten zur ungeteilten Hand verurteilt, der Klägerin den Betrag von 91.183 S 55 g s. A. und ab 1. Februar 1962 den Betrag von monatlich 1490 S 60 g und am 1. Oktober 1962 und am 1. Oktober eines jeden darauffolgenden Kalenderjahres den Betrag von 1490 S 60 g als Ersatz für die Sonderzahlung (13. Monatsrente) zu bezahlen.
Die Beklagten haben das Ersturteil insoweit angefochten, als die gleichzeitige Geltendmachung der konkurrierenden Regreßansprüche der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter nicht berücksichtigt worden und trotz des Verzichtes des Verletzten im Vergleich vom 6. September 1960 der Ersatz der nach der 8. Novelle zum ASVG. erfolgten Erhöhung der Rente zugesprochen worden sei. Dieser Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht nicht Folge gegeben.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Auf der Grundlage der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen - es ist lediglich Rechtsrüge (§ 503 Z. 4 ZPO.) erhoben worden - stehen nach dem Revisionsvorbringen zwei Fragen zur Erörterung: 1. die Frage der Berücksichtigung der mit den Ansprüchen der Klägerin konkurrierenden Ersatzansprüche der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter und 2. jene nach der Bedeutung des Vergleichs vom 6. September 1960 für die Beurteilung der Ersatzansprüche der Klägerin wegen Erbringung der nach der 8. Novelle zum ASVG. erhöhten Sozialversicherungsleistungen.
Zu 1.:
Die vorliegende Klage der Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung ist am 5. Dezember 1959 erhoben worden, am 16. Februar 1962 ist die Verhandlung erster Instanz geschlossen worden. Am 21. März 1960 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter gegen die auch im vorliegenden Prozesse beklagten Parteien Klage gemäß § 332 ASVG. wegen Ersatzes ihrer dem Kandidus K. aus der Pensionsversicherung erbrachten und zu erbringenden Leistungen erhoben (auf Feststellung der Ersatzpflicht und Zahlung von 22.961 S 86 g s. A. sowie einer Monatsrente von 583 S 50 g ab 1. April 1960, 13mal jährlich). Im bezeichneten Prozesse ist das Verfahren am 31. Mai 1960 gemäß § 190 (1) ZPO. rechtskräftig unterbrochen worden. Dieses Verfahren ist bisher nicht fortgesetzt worden.
Bei diesen Umständen haben beide Vorinstanzen eine Minderung der Klagsansprüche wegen der etwa bestehenden Ersatzansprüche der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter abgelehnt; das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt, daß einer verhältnismäßigen Minderung nur in einer gemeinsam ergehenden gerichtlichen Entscheidung über die Ansprüche beider Sozialversicherungsträger Rechnung getragen werden könne; nur eine einzige Entscheidung könne mit verbindlicher Wirkung mehrere konkurrierende Ansprüche von Sozialversicherungsträgern zueinander ins Verhältnis setzen und auf Grund ihrer für alle Regreßansprüche verbindlich getroffenen Feststellungen entscheiden, ob und welches Ausmaß der Befriedigung alle Regreßansprüche zu erfahren hätten.
Diese Beurteilung der Untergerichte entspricht der Lehre (vgl. Geigel, Haftpflichtprozeß[10], S. 709) sowie der ständigen Rechtsprechung des Revisionsgerichtes (vgl. etwa SZ. XXIX 28). Die Revisionsausführungen geben nicht Anlaß, von dieser Auffassung abzugehen. Die Bestimmungen des § 336 ASVG. betreffen bloß die Befriedigung von Ersatzansprüchen verschiedener Versicherungsträger aus einer zur Verfügung stehenden Haftpflicht-Versicherungssumme unter den in § 336 ASVG. normierten Voraussetzungen und den Vorrang eines gerichtlich festgestellten Schmerzengeldanspruches gegenüber den Ersatzansprüchen der Versicherungsträger, wenn die Versicherungssumme nicht alle Ansprüche zu decken vermag; diese Normen sind auf das vorliegende Problem nicht anwendbar. Das Feststellungserkenntnis der Vorinstanzen hat durch den Hinweis auf den Rahmen des § 332 ASVG. eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß Leistungen der Beklagten an die Klägerin als Legalzessionarin nur insoweit zu erbringen sein werden, als ein Deckungsfonds vorhanden ist. Entscheidend ist, daß durch die Nichtberücksichtigung der mit den Ansprüchen der Klägerin konkurrierenden Ersatzansprüche der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter Rechte der Beklagten nicht beeinträchtigt werden. Denn ihre Gesamthaftung ist immer durch den Deckungsfonds begrenzt und darüber hinaus haben sie keinem Versicherungsträger Leistungen zu erbringen: gegenüber weiteren Versicherungsträgern, die sich auf die Legalzession des § 332 ASVG. berufen, werden daher die Beklagten einwenden können, daß der Deckungsfonds infolge der Leistungen an die Klägerin gemindert oder weggefallen sei. Bei diesen Umständen ist ein Rechtsirrtum der Vorinstanzen zu diesem Punkte nicht zu erkennen.
Zu 2:
Beide Untergerichte sind zum Ergebnis gekommen, daß der zwischen Kandidus K. und den Beklagten am 6. September 1960 geschlossene Vergleich dem Begehren der Klägerin auf Ersatz wegen Erbringung der nach der 8. Novelle zum ASVG. erhöhten Sozialversicherungsleistungen nicht entgegenstehe. Dagegen machen die Revisionswerber in der Rechtsrüge geltend, daß ein Ersatzanspruch auf den Sozialversicherungsträger nicht übergehe, wenn dem Versicherten auf Grund der Änderung der Sozialgesetzgebung neue oder erhöhte Ansprüche gegen den Sozialversicherungsträger gewährt würden. In diesem Zusammenhange verweisen die Revisionswerber auch auf die Bestimmungen des § 332 (2) ASVG.
Der von der Revision gerügte Rechtsirrtum (§ 503 Z. 4 ZPO.) liegt nicht vor.
Bei der Beurteilung ist mit Lehre (vgl. Geigel, a. a. O., S. 716) und Rechtsprechung (vgl. z. B. SZ. XXVIII 177) davon auszugehen, daß der Sozialversicherungsträger die Zahlung oder den Vergleich des Ersatzpflichtigen an den bzw. mit dem Verletzten gegen sich gelten lassen muß, soweit der Ersatzpflichtige guten Glaubens war, also den Rechtsübergang bei der Zahlung oder bei Abschluß des Vergleichs nicht kennen konnte. Umgekehrt ausgedrückt, kann sich der Ersatzpflichtige gegenüber dem Sozialversicherungsträger auf eine derartige Zahlung - bzw. einen solchen Vergleich - nicht berufen, wenn er bei Zahlung oder Vergleichsabschluß wissen mußte, daß der Anspruch auf den Versicherungsträger übergegangen sei. Der Auffassung der Revisionswerber, daß die Rentenerhöhung auf Grund der 8. Novelle zum ASVG. zufolge des zwischen ihnen und Kandidus K. abgeschlossenen Vergleiches vom 6. September 1960 der Klägerin als Legalzessionarin gemäß § 332 ASVG. von ihnen nicht zu ersetzen sei, steht schon die vorinstanzliche Feststellung entgegen, daß sowohl der Verletzte wie auch die Ersatzpflichtigen bzw. deren Machthaber bei Abschluß des Vergleiches mit der Möglichkeit der Rentenerhöhung gerechnet haben.
Zum weiteren Revisionsvorbringen ist mit der Revisionsgegnerin grundsätzlich festzuhalten, daß es sich beim Rechtsübergang nach § 332 ASVG. um einen solchen dem Gründe nach handelt; die Kenntnis des Schädigers kann sich deshalb niemals - ohne Rücksicht auf die Frage der Gutgläubigkeit im oben bezogenen Sinne - darauf erstrecken, in welcher Höhe der Anspruch übergeht, weil dies von der weiteren Entwicklung abhängt (vgl. dazu und zu den folgenden Ausführungen: Wussow. Unfallhaftpflichtrecht[7], S. 655 und 669); daraus ist dem Schädiger im allgemeinen zuzumuten, sich dessen bewußt zu sein, daß sich die Grenze zwischen dem nach der Legalzession des § 332 ASVG. (§ 1542 RVO.) auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Forderungsteil und dem Restanspruch des Verletzten dauernd verschieben kann; in dieser Hinsicht können auch Gesetzesänderungen bezüglich der Sozialversicherung, ihres Umfanges und ihrer Leistungen, Bedeutung erlangen. Zu dieser Frage hat die Revisionsgegnerin zutreffend auf Lehre und Rechtsprechung im Geltungsbereiche der RVO. hingewiesen, weil die Rechtslage in Österreich (nach dem ASVG.) damit im wesentlichen übereinstimmt. Nach deutscher Lehre und Rechtsprechung (vgl. z. B. Wussow, a. a. O., S. 669 BGH. vom 12. Juli 1960, VI ZR 122/59, VersR 1960, S. 830 f., BGH. vom 20. Februar 1962, VI ZR 120/61, VersR 1962, S. 467 f.) kommt es bei gesetzlicher Erweiterung der Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers für die Frage nach dem Umfange des Rechtsüberganges darauf an, ob dem Verletzten auf Grund der Gesetzesänderung ganz neue Ansprüche gegen den Versicherungsträger gewährt werden (z. B. durch Einbeziehung neuer Personengruppen in die Sozialversicherung) oder ob eine Leistungspflicht bereits vor dem schädigenden Ereignisse gegeben war und diese durch das spätere Gesetz nur ausgedehnt worden ist; im ersteren Fall kann dem Sozialversicherungsträger ein zwischen dem Schädiger und dem Verletzten abgeschlossener Abfindungsvergleich mit Erfolg entgegengehalten werden, nicht aber im letzteren Falle, in dem bloß "eine veränderte Konkretisierung des Rechtsüberganges", der sich dem Gründe nach bereits im Unfallszeitpunkte vollzogen hatte, anzunehmen ist.
Bei der zur Erörterung stehenden Rentenerhöhung aus der 8. Novelle zum ASVG. handelt es sich um den zweiten Fall, so daß die Beklagten der Klägerin nicht den bezogenen Abfindungsvergleich mit dem Verletzten vom 6. September 1960 mit Erfolg einwenden können, zumal nach den obigen Ausführungen für die Beurteilung der Rechtsrüge bindend festgestellt ist, daß sowohl der Verletzte Kandidus K. bzw. sein Machthaber wie auch die ersatzpflichtigen Beklagten bzw. deren Machthaber bei Abschluß des Vergleiches vom 6. September 1960 mit der Möglichkeit der Rentenerhöhung aus der Sozialversicherung gerechnet haben.
Auch der Hinweis der Revisionswerber auf die Bestimmungen des § 332
(2) ASVG. vermag ihren Standpunkt nicht zu rechtfertigen. Denn der Versicherungsträger kann nach dieser Vorschrift nur solche Ersatzbeträge auf die dem Versicherten nach dem ASVG. zustehenden Ansprüche - ganz oder zum Teil - anrechnen, die der Ersatzpflichtige dem Versicherten (Geschädigten) in Unkenntnis des Überganges des Anspruches geleistet hat, und nur nach Maßgabe der Anrechnung der Ersatzbeträge in diesem Sinne erlischt der nach der Legalzession des § 332 (1) ASVG. auf den Versicherungsträger übergegangene Ersatzanspruch gegen den Ersatzpflichtigen; nach den obigen Ausführungen ist aber die Voraussetzung der Unkenntnis des Anspruchsüberganges zu verneinen.
Aus diesen Erwägungen ist ein Rechtsirrtum der Vorinstanzen (§ 503 Z. 4 ZPO.) nicht zu erkennen, so daß der Revision der Erfolg versagt bleiben muß.
Anmerkung
Z36015Schlagworte
Abfindungsvergleich gesetzliche Erweiterung der Leistungspflicht eines, Sozialversicherungsträgers, Regreßansprüche mehrerer Sozialversicherungsträger, Abfindungsvergleich, Sozialversicherungsträger, Regreßansprüche mehrerer -„ AbfindungsvergleichEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1963:0020OB00326.62.0131.000Dokumentnummer
JJT_19630131_OGH0002_0020OB00326_6200000_000