TE OGH 1963/4/3 7Ob103/63

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Veröffentlicht am 03.04.1963
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Norm

Versicherungsvertragsgesetz §16
Versicherungsvertragsgesetz §23

Kopf

SZ 36/56

Spruch

Kein Versicherungsschutz, wenn ein Kraftfahrzeug in einem vorschriftswidrigen, nicht betriebssicheren Zustand in Betrieb genommen wird.

Entscheidung vom 3. April 1963, 7 Ob 103/63.

I. Instanz: Kreisgericht Krems; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger verursachte als Fahrer eines ihm gehörigen PKWs am 29. Juli 1961 einen schweren Verkehrsunfall. Er wurde deshalb vom Kreisgericht Krems wegen Vergehens nach §§ 335, 337a StG schuldig gesprochen, weil er als Lenker des PKWs Anglia dadurch, daß er auf der stark frequentierten Bundesstraße fuhr, während der Fahrt von Eggenburg nach Horn trotz regennasser Fahrbahn und zu geringer Fahrpraxis mit überhöhter Geschwindigkeit und mit im Mittelteil ihrer Laufflächen gänzlich abgefahrenen Hinterreifen in einer Linkskurve ins Schleudern kam, auf die linke Fahrbahnseite geriet und mit der rechten Fahrzeugseite gegen einen Baum prallte. Hiedurch erlitten H. L. und R. F. schwere Verletzungen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß die beklagte Versicherungsgesellschaft hinsichtlich der Ansprüche der aus dem Verkehrsunfall vom 29. Juli 1961 Verletzten ihm gegenüber nicht leistungsfrei sei und nicht wegen ihrer Leistungen infolge dieses Unfalles an H. L. und R. P. Regreß nehmen dürfe. Er behauptet, der Wagen sei am 5. Juli 1961 durch die Bezirkshauptmannschaft Horn überprüft und nicht beanstandet worden. Er sei in der Zwischenzeit bis zum Unfall nur wenige Kilometer gefahren. Mitursache des Verkehrsunfalles sei allerdings auch, daß die Hinterreifen stark abgefahren gewesen seien. Doch habe ihn weder der Verkäufer noch auch die Überprüfungskommission darauf aufmerksam gemacht, daß er neue Reifen kaufen solle. Ihm habe die Erfahrung gefehlt, weshalb er der Meinung gewesen sei, daß alles in Ordnung sei. Der Versicherungsvertreter, der mit ihm die Haftpflichtversicherung abgeschlossen habe, habe am 23. Juni 1962 den Wagen genau besichtigt und ihn gleichfalls nicht aufmerksam gemacht, daß er neue Reifen kaufen müsse. Der Versicherungsvertreter habe vielmehr die Mutter des Klägers überredet, dem Kaufe zuzustimmen, und behauptet, der Wagen sei wie neu, sie würde sehr zufrieden sein. Eine Gefahrenerhöhung sei nicht eingetreten, weil die Reifen beim Abschluß der Versicherung schon abgefahren gewesen seien und der Agent der beklagten Partei dies gewußt habe.

Die Beklagte erhob dagegen folgende Einwendungen: Der Kläger habe bei ihrem Vertreter R. K. am 31. Mai 1961 den Versicherungsantrag gestellt, worauf ihm eine Versicherungsbestätigung ausgestellt worden sei. Auf Grund dieser sei das Fahrzeug am 31. Mai 1961 zum Verkehr zugelassen worden. K. habe den Wagen nicht besichtigt und ihn auch nicht gegenüber der Mutter des Klägers als neuwertig bezeichnet. Dem Kläger sei der schlechte Zustand der Hinterreifen bekannt gewesen, jedoch habe er sich erst im Winter eine neue Bereifung anschaffen wollen. In der Weiterbenützung der abgefahrenen Hinterreifen liege die Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 VVG.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und bezeichnete die Behauptung des Klägers, R. K. habe den Zustand der Reifen gekannt, als nicht erwiesen. Im übrigen schloß es sich der Rechtsauffassung der Beklagten an, daß diese gemäß §§ 23 (1) und 25 (1) VVG. leistungsfrei sei.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und erachtete sich auch durch den Spruch des Strafurteiles gemäß § 268 ZPO. als gebunden, meinte aber, daß, falls die Reifen schon bei Abschluß des Versicherungsvertrages nicht mehr betriebs- und verkehrssicher gewesen sein sollten, von einer Gefahrerhöhung nicht mehr gesprochen werden könne. Es käme höchstens eine Verletzung der Anzeigepflicht gemäß §§ 16 ff. VVG. in Frage. Eine solche Einwendung habe aber die Beklagte nicht erhoben. Es sei daher festzustellen, ob und inwieweit sich der Zustand der Reifen zwischen der Stellung des Versicherungsantrages und dem Unfall geändert habe.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Frage der Abgrenzung der Fälle des § 16 von denen des § 23 VVG. ist in der deutschen Lehre bestritten. Pienitz[2] S. 86 vertritt die Ansicht, daß eine Gefahrerhöhung durch Benützung eines Kraftwagens mit abgefahrenen Reifen erst eintrete, sobald der Wagen in Betrieb genommen werde, auf den Zustand selbst komme es nicht an, ebenso Stiefel - Wussow[5] S. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung, Thees - Hagemann[2] S. 303, BGH, VersR. 1957 S. 123. Darnach liegt die Gefahrerhöhung nicht darin, daß das Kraftfahrzeug verkehrsunsicher ist, sondern, daß es trotz dieses Umstandes weiterbenützt wird. Anderer Ansicht ist Bruck - Möller[8] S. 376. Ist das Kraftfahrzeug schon bei Beginn des Versicherungsverhältnisses verkehrsuntauglich, so sei bloß § 16, nicht aber § 23 VVG. anzuwenden, da es selbstverständlich sei, daß der Wagen in Betrieb genommen werde.

Nach dem Zustand des Wagens wird im Versicherungsantrag nicht gefragt; diesbezüglich besteht auch keine Anzeigepflicht. Es kann daher § 16 VVG. nicht in Betracht kommen. Gegenstand des Versicherungsvertrages sind die Gefahren, die sich aus dem Betrieb des Kraftfahrzeuges ergeben. Ein solcher Betrieb ist nur nach den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes erlaubt. Der Wagen darf daher nur in einem vorschriftsmäßigen betriebssicheren Zustand in Betrieb genommen werden. In der Inbetriebnahme in einem vorschriftswidrigen Zustand liegt eine Gefahrerhöhung, die vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist, und zwar auch dann, wenn dieser Zustand schon im Zeitpunkt der Stellung des Versicherungsantrages bestanden hat.

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß es der vom Berufungsgericht vermißten Feststellungen nicht bedarf, die Sache vielmehr zur Entscheidung spruchreif ist.

Anmerkung

Z36056

Schlagworte

Gefahrerhöhung durch Inbetriebnahme eines Kfz. mit abgefahrenen Reifen, Haftpflichtversicherung, Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung, Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung bei Kfz.- Haftpflichtversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1963:0070OB00103.63.0403.000

Dokumentnummer

JJT_19630403_OGH0002_0070OB00103_6300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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