TE OGH 1963/6/12 6Ob134/63

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Veröffentlicht am 12.06.1963
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kisser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Meyer-Jodas, Dr. Hammer, Dr. Lassmann und Dr. Nedjela als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Günther D*****, vertreten durch Dr. Eduard Hammerl, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei Irmgard D*****, vertreten durch den Armenvertreter Dr. Richard Ciresa, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Ehescheidung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 12. Februar 1963, GZ R 26/63-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 26. November 1962, GZ 4 Cg 938/60-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Es werden das angefochtene Urteil und das erstgerichtliche Urteil aufgehoben und es wird die Rechtssache zur fortgesetzten Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen, das auf die Kosten des Revisionsverfahrens und des Berufungsverfahrens gleich Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung:

Der am ***** in H*****, Vorarlberg, geborene Kläger hat mit der am 1. März 1934 in P***** geborenen Beklagten am 1. August 1959 vor dem Standesamt Ulm die Ehe geschlossen, welche beiderseits die erste Ehe ist und der die am 30. August 1960 geborenen Zwillinge Klaudia und Thomas entstammen. (Die Angabe des Geburtsdatums mit 3. 8. 1960 auf Seite 1 des erstinstanzlichen Urteiles dürfte mit Rücksicht auf das Verhandlungsprotokoll vom 17. 2. 1961, ON 8, S 31, Geburt am 30. 8. 1960, und die Ausführungen auf S 8 des Urteiles auf einen Schreibfehler beruhen.) Die Beklagte hat durch die Eheschließung die österreichische Staatsbürgerschaft erlangt. Der letzte gemeinsame Wohnsitz war in H*****, Vorarlberg.

Mit der am 28. Mai 1960 eingebrachten Ehescheidungsklage begehrte der Kläger die Scheidung der Ehe gemäß § 49 EheG aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten. Diese beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, ohne einen Mitschuldantrag zu stellen. Das Erstgericht hat das Scheidungsbegehren abgewiesen. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest: Der Kläger war und ist heute noch Gemeindeangestellter in H*****. Die Beklagte wohnte vor ihrer Eheschließung in P***** bei ihren Eltern und war als kaufmännische Angestellte tätig. Nach der Eheschließung erhielten die Streitteile beim Bruder des Klägers in H***** eine aus Zimmer und Küche bestehende Wohnung. Die Beklagte behielt mit Zustimmung des Klägers nach der Eheschließung ihre Arbeit in P***** bei, um für die Aussteuer noch zu verdienen. Sie kam am Weihnachtsabend 1959 nach H*****, nachdem bereits im Oktober die Möbel dorthin übersiedelt worden waren. Beide Teile verbrachten in der Zeit vom Silvester 1959 bis 13. Jänner 1960 den Urlaub bei den Eltern der Beklagten in P*****. Nach der Rückkehr nach H***** nahm die Beklagte am 15. Jänner 1960 bei der Firma K***** in Lindenau-Zech eine Stelle als Buchhalterin an, wie zwischen den Streitteilen vereinbart worden war. Der Kläger mußte mittags im Gasthaus das Essen einnehmen, da die Beklagte über Mittag nicht nach Hause kam. Diese mußte in der Früh vor dem Kläger zur Arbeit gehen, weshalb letzterer das Frühstücksgeschirr reinigte und die Betten machte. Die Beklagte mußte abends von ihrer Arbeitsstelle zu Fuß nach Hause gehen und fand eine kalte Wohnung vor. Am Abend und ebenso zum Wochenende kochte die Beklagte und machte die Aufräumearbeiten. Am 17. Jänner 1960 erkrankte sie und fuhr dann, obwohl sie vom Schwager des Klägers, der Arzt ist, betreut worden war, auf einige Tage nach Hause. Es hatten sich bei ihr auch schon Schwangerschaftsbeschwerden eingestellt, es trat Übelsein auf, sie konnte die Speisen nicht halten, die Arbeit fiel ihr schwer, sie fühlte sich krank und einsam in der neuen Umgebung. Auf die Mitteilung von der Schwangerschaft erklärte der Kläger in kränkender Weise: "Es geschieht dir recht, warum hast du nicht aufgepaßt". Da die Beklagte andere Speisen nicht vertrug, kaufte sie Obst ein und kochte auch für sich Frühstückseier. Der Kläger hielt ihr deswegen vor, daß sie doch sparen möge. Die Beklagte wiederum war erbost, daß ihr solche Dinge nicht vergönnt würden und nannte den Kläger einen Teufel in Menschengestalt. Es gab auch einige weitere Auseinandersetzungen, die besser nicht gewesen wären, wie die Beklagte einsichtig angibt. Sie hat dem Kläger in einer Erwiderung erklärt, er sei das, was er sich selbst tituliert habe, ein Waschlappen. Seine Geschwister hätten es weitergebracht. Der Kläger stammt nämlich aus der Familie eines Arztes und sein Bruder ist gleichfalls Arzt. Der Kläger hat wieder der Beklagten vorgehalten, daß sei keinen anderen Mann bekommen hätte. Anläßlich eines Besuches der Mutter des Klägers hat die Beklagte zu dieser die Äußerung gemacht, daß sie auch pädagogische Kenntnisse habe und den Sohn mit nach Hause nehmen und zu einem richtigen Ehemann erziehen solle. Entgegen den Behauptungen des Klägers hat sie ihn aber nicht wegen seiner Augenlidlähmung durch Nachäffung verspottet. Die Beklagte ist am 1. März 1960, ihrem Geburtstag, wieder nach P***** zu ihren Eltern gefahren und von dort am 6. März zurückgekehrt. Sie machte dann dem Kläger den Vorschlag, ob es nicht besser wäre, daß sie nach P***** gehe. Sie würde vorausgehen und der Kläger könne sich dann eine Stelle in P***** suchen und nachkommen. Während der Zeit der Trennung könne er sich die Sache überlegen. Der Kläger war mit der vorgeschlagenen vorübergehenden Trennung einverstanden und hat auch eine Umzugsliste unterschrieben. Die Beklagte bestellte sodann einen Möbelwagen. Der Kläger berichtigte aber kurz darauf seine Haltung und erklärte eindeutig, daß er einer Übersiedlung nicht zustimme. Die Beklagte beharrte auf der von ihm erteilten Zustimmung. Sie wollte auch die Bestellung des Möbelwagens nicht mehr rückgängig machen. Der Kläger ließ ihr daraufhin durch Dr. Walter D***** mit Schreiben vom 10. März 1960 mitteilen, daß er keine Zustimmung zur Übersiedlung gebe und daß die Beklagte die Folgen zu tragen haben werde. Er stellte in der Folge die Beklagte und verlangte von ihr die Umzugsliste zurück, wobei er äußerte, es gehöre die Beklagte ordentlich durchgehaut. Es stellte sich auch vor die Tür, worauf die Beklagte erklärte, sie gehe zum Bürgermeister und stelle sich unter polizeilichen Schutz. Sie ging auch tatsächlich zum Bürgermeister und wohnte dort einige Tage bis zum 17. März 1960. An diesem Tag kam der Möbelwagen, wobei die Verladung unter Mithilfe des Bruders der Beklagten in Abwesenheit des Klägers erfolgte. Die Beklagte fuhr gleichzeitig nach P***** zurück, ohne sich vom Kläger zu verabschieden. Ungefähr drei Wochen später teilte sie dem Kläger mit, daß sie in ärztlicher Behandlung stehe. Gleichzeitig fragte sie an, ob der Kläger sich in P***** schon um eine Arbeit umgesehen habe. Der Kläger brachte in der Folge die Scheidungsklage ein. Am 30. 8. 1960 verständigte die Beklagte telegraphisch den Kläger von der Geburt der Zwillinge, was dieser mit einem Glückwunschtelegramm beantwortete. Er kümmterte sich um den Unterhalt der Kinder zunächst nicht, jedoch wurde die Unterhaltsfrage über Einschreiten des Jugendamtes geklärt. Die Beklagte glaubt, daß die Ehe bei beiderseitigem Bemühen wieder in Ordnung gebracht werden könne und ist bereit, mit den Kindern wieder in die eheliche Gemeinschaft zurückzukehren. Hingegen hält der Kläger ein Zusammenleben mit der Beklagten nicht mehr für möglich, da eine Änderung der Beklagten nicht zu erwarten sei.

Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht dahin, daß beide Teile es an der ehelichen Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme und zu anständiger Begegnung hätten fehlen lassen und daß sie einander ungefähr gleich schwere Kränkungen zugefügt haben. Dem Kläger habe das Verständnis für den schwangeren Zustand der Beklagten gemangelt, die ihrerseits wieder grob ehewidrig mit ihrer ganzen Einrichtung gegen den schließlich erklärten Willen des Klägers nach P***** zurückgekehrt sei. Dies sei aber insoweit entschuldbar, als sich die Beklagte in den ersten Monaten der Schwangerschaft befunden habe, sich einsam und verlassen gefühlt habe und insbesondere mit Rücksicht auf die Äußerungen des Klägers anläßlich ihrer Schwangerschaft habe annehmen müssen, daß dieser ihr gegenüber gefühllos sei. Daraus erkläre sich aber auch ihre Äußerung gegenüber der Schwiegermutter, die sich gleichfalls nicht in den Zustand der Beklagten eingefühlt habe. Es liege daher auf Seite der Beklagten, deren Verhalten mehr als eine unter der physischen und psychischen Einwirkung der Schwangerschaft gesetzte unüberlegte Handlungen zu werten sei, keine schwere Eheverfehlung vor. Darüber hinaus sei aber auch keine unheilbare Zerrüttung der Ehe gegeben, was sich daraus ergebe, daß die Beklagte eine Gesundung der Ehe für möglich halte, zwei Kinder dieser Ehe entstammen und diese letztere Tatsache geeignet sei, ein bindendes Element für die Streitteile zu bilden. Es sei daher das Scheidungsbegehren abzuweisen gewesen. Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers wurde nicht Folge gegeben.

Das Berufungsgericht übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als unbedenklich und vertrat gleich diesem die Auffassung, daß eine unheilbare Zerrüttung der Ehe nicht gegeben sei. Es sei nämlich zu berücksichtigen, daß die Zeit eines Verlöbnisses oder doch einer Bekanntschaft unter ortsnahen Personen vor der Ehe ein leichteres Eingehen in die beiderseitige Eigenart und ein Abschleifen der Gegensätze mit sich bringe. Diese Möglichkeit hätten die Streitteile aber nicht gehabt, weshalb dies alles erst in der Ehe habe geschehen müssen, zu deren Beginn sich aber schon die äußeren Schwierigkeiten gehäuft hätten. Daß die Eheleute diesen Schwierigkeiten vorerst unterlagen, daß also ihre innere Gemeinschaft noch nicht sofort stark genug gewesen sei, die Hindernisse bewußt und gemeinsam zu überwinden, besage zunächst nicht, daß die Ehe schon so tief zerrüttet sei, daß die Wiederherstellung einer wahren Lebensgemeinschaft ausgeschlossen werden müsse, sondern zeige bloß, daß beide Teile jene Schwierigkeiten zuerst unterschätzt haben, der Kläger aber schließlich die Gegensätze so überschätzt habe, daß er in der Scheidungsklage das letzte Mittel gesehen habe. Die Beklagte, welche die Trennung durchgesetzt habe, obwohl der Kläger später damit nicht mehr einverstanden gewesen sei, habe inzwischen bereits eingesehen, daß bei einigem guten Willen die nun durch eine Zwillingsgeburt gesegnete Ehe doch wohl gedeihen könne. Daß der Kläger noch nicht so einsichtig sei, nehme nicht Wunder, da er sich um seine beiden Kinder von sich aus noch nicht gekümmert habe. Sowenig daher auch das Verhalten der Beklagten zu billigen sei, so sei doch davon auszugehen, daß in der vorliegenden Sache, sei es im Zusammenhang mit dem eigenen Verschulden des Klägers, sei es auch ohne einen solchen Zusammenhang, das Scheidungsbegehren des Klägers bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt sei. Der Umstand, daß die Streitteile bei ihrem Versuch, gemeinsam zu leben, gescheitert seien, vermöge nicht zu begründen, daß ihre eheliche Bindung dauernd und bis in den Kern zerstört sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit welcher er das Urteil des Berufungsgerichtes unter Anrufung des Revisionsgrundes nach § 503 Z 4 ZPO anficht und den Antrag stellt, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens (Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten) abzuändern.

Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung den geltendgemachten Revisionsgrund bekämpft und beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Es wird mit Recht gerügt, daß die Untergerichte eine unheilbare Zerrüttung der Ehe verneint haben. Das Wesen einer Zerrüttung der Ehe liegt darin, daß die geistig-seelisch-körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die sittlichen Grundlagen der Ehe objektiv und wenigstens auf einer Seite auch subjektiv zu bestehen aufgehört haben (vgl Schwind in Klang, Komm 2. Auflg 1. Bd S 764). Es ist daher eine Zerrüttung der Ehe auch dann schon gegeben, wenn ein Gattenteil an der Ehe festhält, der andere aber jede eheliche Bindung und Gesinnung verloren hat, bzw diese in ihm zerstört wurden (5 Ob 294/58 vom 24. 9. 1958, EvBl 1959, Nr 34).

Unheilbar ist eine Zerrüttung der Ehe dann, wenn nach menschlichem Ermessen nicht mehr damit zu rechnen ist, daß die Ehegatten wieder eine wirkliche eheliche Gemeinschaft aufnehmen werden, wobei allerdings Überempfindlichkeit und trotzige Unnachgiebigkeit nicht genügen, um eine unheilbare Zerrüttung der Ehe annehmen zu können (Schwind Eherecht S 191 oben). Es läßt sich überhaupt die Zerrüttung einer Ehe erst nach einer gewissen Zeit feststellen, weil erst dann feststeht, ob nicht eine zunächst noch so schwer erscheinende Erschütterung der ehelichen Gemeinschaft doch noch überwunden wird. Erst wenn sich die heilende Kraft der Zeit als unwirksam erwiesen hat, kann von einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe gesprochen werden. Aus diesem Grunde können auch für die Lösung der Frage, ob eine unheilbare Zerrüttung der Ehe vorliegt, noch die Ereignisse während des Scheidungsstreites herangezogen werden (Schwind aaO S 764, 765). Ob nun im vorliegenden Rechtsstreit keine derartige unheilbare Zerrüttung vorliegt oder nicht, wird erst dann beurteilt werden können, wenn entsprechende Feststellungen darüber vorliegen wieweit die im Zuge dieses Rechtsstreites von der Beklagten bzw deren Vertreter abgegebenen Erklärungen bezüglich der Bereitschaft zur Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft ernst gemeint sind oder nicht. Es brachte nämlich der Beklagtenvertreter in der Verhandlungstagsatzung vom 17. 2. 1961 ON 8, S 31 vor, daß die Beklagte jederzeit bereit sei, zum Kläger zurückzukehren, sobald dieser ihr eine selbständige Wohnung bieten könne, nachdem sie nun aus dem "Klagsvorbringen" entnehmen habe müssen, daß der Kläger nicht mehr damit einverstanden sei, daß sie in P***** wohne. Die Beklagte sagte ferner in ihrer Parteienaussage vom 17. 4. 1961 aus, daß sie dafür halte, daß die Ehe nicht unheilbar zerrüttet sei, sie vielmehr glaube, daß sie schon wieder zusammenkommen könnten, wenn jeder Teil sich bemühen wolle. Es wird zu prüfen sein, ob bei der Beklagten tatsächlich noch ein echter Ehewille vorhanden ist und ob ihre Weigerung, dem Kläger in seinen Wohnsitz zu folgen, stichhältig ist (vgl hiezu etwa ÖRiZtg 1959, S 53).

Ebenso wird aber die Ernsthaftigkeit der Angaben des Klägers in seiner Parteienaussage zu prüfen sein, wonach er sich nicht mehr in der Lage sehe, mit der Beklagten, von der nicht zu erwarten sei, daß sie sich ändere, zusammenzuleben. Diese Erklärung nimmt in keiner Weise darauf Bezug, daß im Laufe des Scheidungsstreites von der Beklagten Zwillinge zur Welt gebracht wurden, sohin ein Ereignis eingetreten ist, das gemeiniglich die Ehegatten enger aneinander bindet, daß die Beklagte nach ihren Angaben ihre Gesinnung geändert und nunmehr zum Zusammenleben mit dem Kläger in Österreich bereit ist, daß die Ehe bis zur Auflösung der häuslichen Gemeinschaft erst 8 1/2 Monate bestanden hat, daß während dieser Zeit die Eheleute nur rund 4 Monate gemeinsam lebten und wirtschafteten, weshalb Schwierigkeiten im Aneinandergewöhnen verständlich sind und von verständigen Eheleuten auch nicht überbewertet werden. Es wäre daher möglich und denkbar, daß im Falle, als der Kläger nicht ausreichend die von ihm empfundene Zerrüttung der Ehe aufzuklären vermag, diese auf seiner Seite nur auf Überempfindlichkeit und trotziger Unnachgiebigkeit beruht, was aber für die Annahme einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe nicht genügen würde.

In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, daß zwischen dem Schluß der Verhandlung in erster Instanz (17. 4. 1961) und der Urteilsfällung (26. 11. 1962) mehr als 1 1/2 Jahre verstrichen sind, während welchem Zeitraum entweder die Zeit eine heilende Wirkung auf die Erschütterung der Ehe ausgeübt haben kann oder die Entfremdung zwischen den Ehegatten größer geworden sein kann.

Es wird aber auch der weitere Verlauf der Ehe zu erforschen und in diesem Zusammenhang die Beklagte wegen allfälliger Stellung eines Mitschuldantrages zu belehren sein.

Sollte sich eine unheilbare Zerrüttung der Ehe ergeben, dann muß diese durch schuldhafte Handlungen oder Unterlassungen des beklagten Gattenteiles herbeigeführt worden sein. Um nun aber beurteilen zu können, ob schwere Eheverfehlungen vorliegen, ist es notwendig, daß genauere Feststellungen darüber getroffen werden, aus welchen Gründen es zu dem vom Erstgericht festgestellten Verhalten der Streitteile zueinander gekommen ist, in welchem zeitlichen Ablauf die einander zugefügten Lieblosigkeiten und Kränkungen stehen, von welcher Seite erstmalig ein solcher Tatbestand gesetzt wurde, und wie darauf der andere Teil reagiert hat, wann erstmals die Beklagte die Mitteilung von ihrer Schwangerschaft gemacht und wie sich die Schwangerschaft auf das körperliche und geistige Empfinden der Beklagten ausgewirkt hat. Es wird auch eingehender der Inhalt der Unterredung zwischen den Streitteilen zu klären sein, die nach der am 6. 3. 1960 erfolgten Rückkehr der Beklagten nach H***** stattgefunden hat und bei welcher sie meinte, ob es nicht besser sei, wenn sie nach P***** gehe; sie gehe voraus, der Kläger könne sich dann eine Stelle in P***** suchen und nachkommen.

Es ist überhaupt der gesamte Verlauf der Ehe viel genauer zu erforschen, als dies bisher geschehen ist.

Sicherlich fällt der Umstand, daß die Beklagte gegen den schließlich erklärten Willen des Klägers den gemeinsamen Wohnsitz verlassen hat und unter Mitnahme ihrer Fahrnisse nach P***** übersiedelt ist, sehr ins Gewicht, und kann eine gewisse Entschuldigung nur in dem durch die Schwangerschaft bedingten Zustand der Beklagten und der anfänglich erteilten Zustimmung zur Übersiedlung durch den Kläger finden.

Soweit in der Revision unter Zitierung von Schwind die Auffassung vertreten wird, daß zur Rechtfertigung eines ehewidrigen Verhaltens geradezu ein Schuldausschließungsgrund vorliegen müsse, so ist dem entgegen zu halten, daß es im vorliegenden Falle nicht darum geht, daß infolge der Schwangerschaft der Beklagten auf ihrer Seite ein Schuldausschließungsgrund vorliegt, sondern darum, daß infolge der Schwangerschaft das Verhalten der Beklagten eine gewisse mildere Beurteilung erfährt (1 Ob 125/57 vom 6. 3. 1957).

Es fehlen schließlich auch Feststellungen darüber, wie jeder der Streitteile jedes einzelne und das gesamte vom anderen Gattenteil ihm gegenüber gesetzte ehewidrige Verhalten empfunden hat, denn es ist eine Eheverfehlung nur dann eine schwere, wenn dadurch dem anderen Gatten eine von ihm als solche empfundene schwere Kränkung, ein wirklicher Schmerz zugefügt wurde (Schwind Eherecht S 193, Punkt II 5 und Schwind in Klang Komm 2. Auflg 1. Band, S 783 ff Punkt V). Erst wenn dies alles ergänzend festgestellt wurde, wird beurteilt werden können, ob eine unheilbare Zerrüttung der Ehe vorliegt, ob und von welchem der Streitteile schwere Eheverfehlungen begangen wurden und ob ein Zusammenhang zwischen den Eheverfehlungen des einen Gattenteiles mit jenen des anderen besteht (§ 49, 2. Satz EheG). Da die Urteile der Untergerichte ausreichende Feststellungen in der aufgezeigten Richtung nicht enthalten, liegen Feststellungsmängel vor, weshalb in Stattgebung der den Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO geltend machenden Revision, die Urteile der Untergerichte aufzuheben waren und die Rechtssache zur fortgesetzten Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückzuverweisen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens und des Berufungsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E76838 6Ob134.63

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1963:0060OB00134.63.0612.000

Dokumentnummer

JJT_19630612_OGH0002_0060OB00134_6300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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