Norm
Einführungsgesetz zur Jurisdiktionsnorm §88 (2)Kopf
SZ 36/87
Spruch
Für die Begründung des Fakturengerichtsstandes ist nicht der Zeitpunkt der Absendung, sondern das rechtzeitige Einlangen der Faktura vor oder zugleich mit der Ware entscheidend.
Die durch einen Frachtführer beförderte Ware ist dem Empfänger mit deren Anlieferung durch den Frachtführer zugekommen.
Entscheidung vom 14. Juni 1963, 5 Ob 193/63.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Nach dem Vorbringen des Klägers übernahm der Beklagte von seinem Vater Michael Sch. sen. dessen Vermögen, insbesondere dessen Brennerei in A., OÖ., und haftet dem Kläger für die zum Vermögen seines Vaters gehörigen Schulden, die sich unter Berücksichtigung von Gegenlieferungen des Beklagten auf 25.956.94 S belaufen. Auf Bezahlung dieses Betrages ist das Klagebegehren gerichtet. Die Zuständigkeit des Erstgerichtes grundete der Kläger auf den Gerichtsstand des § 88 (2) JN., weil alle Fakturen zugleich mit der Ware übersendet worden seien und den Vermerk "zahlbar und klagbar in Graz" trügen.
Der Beklagte wendete örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes ein, weil die Fakturen weder gleichzeitig mit der Ware übersendet worden seien, noch eine Vermögens- oder Geschäftsübernahme stattgefunden habe. Auch bestritt er zur Gänze das Klagebegehren.
Das Erstgericht, das die Verhandlung auf die Zuständigkeitsfrage eingeschränkt hatte, verwarf die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. Es stellte im wesentlichen folgendes fest: Der Kläger liefere aus seiner Destillerie täglich zirka 40 bis 60 Sendungen aus. Zumindest seit 15 Jahren würden die Fakturen ausnahmslos zugleich mit der Ware abgesendet. Auf jeder Faktura und auf jedem Auftragsschein befinde sich der vorgedruckte Vermerk "zahlbar und klagbar in Graz". Die Ware des Klägers werde in der Regel mit der Bahn, zum Teil auch durch eine Spedition bzw. durch firmeneigene LKW. oder durch die Post befördert. Im Falle der Bahn- und Speditionszustellung werde die Faktura am Warenabsendungstag zur Post gegeben. Bei LKW.-Zustellung übergebe der Fahrer dem Empfänger die Faktura gleichzeitig mit der Ware. Bis auf zwei der hier in Frage stehenden Posten seien alle an die Brennerei in A. übersendeten Waren per Bahn expediert und meist vom Beklagten vom Bahnhof B. abgeholt worden. Die Fakturen für diese Warensendungen seien dem Vater des Beklagten jeweils zwei bis vier Tage nach dem Einlangen der Ware am Bahnhof zugekommen. Die Post nach A. werde nur alle drei Tage, allenfalls jeden zweiten Tag, zugestellt. Entgegen der Meinung der Lehre und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes genüge zur Begründung des Fakturengerichtsstandes, daß die Faktura spätestens mit der Ware abgesendet werde, was hier zutreffe. Ob der Beklagte als Übernehmer des Vermögens seines Vaters anzusehen sei, könne erst im Hauptprozeß geklärt werden.
Das Rekursgericht hob den erstgerichtlichen Beschluß unter Rechtskraftvorbehalt auf und trug dem Erstgericht nach Verfahrensergänzung eine neuerliche Entscheidung über die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit auf. Entgegen der Meinung des Erstgerichtes sei für die Begründung des Fakturengerichtsstandes das rechtzeitige Einlangen der Faktura vor oder zugleich mit der Ware beim Empfänger entscheidend. Komme die Faktura erst nach Einlangen der Ware dem Empfänger zu, sei der Fakturengerichtsstand nicht anwendbar. Von dieser Rechtsansicht ausgehend, sei die Sache noch nicht spruchreif. Es sei nicht geprüft worden, an welchen Tagen die Post und damit die Fakturen dem Vater des Beklagten zugestellt worden seien und wann er die Ware vom Bahnhof abgeholt habe. Würde sich herausstellen, daß zumindest eine Faktura spätestens zugleich mit der Ware beim Empfänger eingelangt sei, bedürfte es auch Feststellungen in der Richtung, ob eine länger dauernde Geschäftsverbindung vorliege, bei welcher unter Bedachtnahme auf § 863 ABGB. und § 346 HGB. angenommen werden müsse, daß der Empfänger in voller Kenntnis des einmal begrundeten Fakturengerichtsstandes auch für die künftigen Warenlieferungen den Fakturengerichtsstand genehmigt habe, selbst wenn die weiteren Fakturen erst nach Einlangen der Ware dem Empfänger zugekommen sein sollten. Auch die Frage der vom Beklagten bestrittenen Vermögensübernahme müsse als Vorfrage im Zuständigkeitsstreit geprüft werden.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurse des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Soweit sich der Kläger in seinem Revisionsrekurs gegen die Auffassung des Rekursgerichtes wendet, daß nicht der Zeitpunkt der Absendung, sondern das rechtzeitige Einlangen der Faktura vor oder zugleich mit der Ware für die Begründung des Fakturengerichtsstandes entscheidend sei, genügt es, auf die zutreffende Begründung des Rekursgerichtes, die mit der Lehre und Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, von der abzugehen kein Anlaß besteht, übereinstimmt, zu verweisen (vgl. auch Fasching, Komm. zu den ZP.-Gesetzen, I. Band, zu § 88 JN., S. 449, Neumann, Komm. zu den ZP.-Gesetzen[4], I. Band, zu § 88 JN., S. 220, RSpr. 1923, S. 277, ZBl. 1927, Nr. 216, u. a. m.). Nur muß, wenn die Ware und die Faktura gleichzeitig abgesendet wurden, der Empfänger nachweisen, daß die Faktura nach der Ware eingelangt ist (RSpr. 1928, Nr. 221). Zutreffend ging das Rekursgericht davon aus, daß in dieser Hinsicht das erstgerichtliche Verfahren mangelhaft geblieben ist. Es fehlen jegliche Feststellungen darüber, wann die einzelnen Warensendungen beim Vater des Beklagten eingelangt sind. Im Sinne des § 88 (2) JN. ist die Ware, falls diese durch einen Frachtführer befördert wird, beim Empfänger dann eingelangt, wenn der Frachtführer das Gut dem Empfänger ausgeliefert hat (§ 435 HGB.), was hier deshalb von Bedeutung ist, weil nach den Feststellungen der Untergerichte alle Warenposten mit Ausnahme von zwei Fällen durch die Bahn befördert wurden. Es muß demnach auch festgestellt werden, auf welche Weise die zwei anderen Warensendungen dem Vater des Beklagten zugekommen sind. Der Oberste Gerichtshof billigt auch die Ansicht des Rekursgerichtes, daß der Zeitpunkt des Einlangens der Faktura beim Vater des Beklagten hinsichtlich jeder einzelnen Warensendung festgestellt werden muß. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren auch zur Frage der Vermögensübernahme durch den Beklagten als Vorfrage Stellung zu nehmen haben, wobei auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Beschlusses verwiesen wird.
Insoweit erweist sich die Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses als erforderlich. Allerdings bedarf es entgegen der Meinung des Rekursgerichtes nicht der Feststellung, ob eine länger andauernde Geschäftsverbindung bestanden hat. Das Rekursgericht geht davon aus, daß der Fakturengerichtsstand durch die anstandslose Annahme einer erst nach Einlangen der Ware zugekommenen Faktura im Falle länger andauernder Geschäftsverbindung, sofern der Empfänger die verspätete Annahme der Faktura in früheren Fällen nicht gerügt hat, begrundet werden kann. Der Oberste Gerichtshof kann sich dieser Ansicht schon deshalb nicht anschließen, weil es auch zu den gesetzlichen Voraussetzungen des Fakturengerichtsstandes gehört, daß die Faktura spätestens mit der Ware einlangt (§ 88 (2) JN.:
"zugleich", "schon vor ihrem Einlangen"). Das Zutreffen dieser Voraussetzungen ist ohne Rücksicht darauf, ob deren Nichtvorliegen gerügt wurde oder nicht, im Falle des Bestreitens des Fakturengerichtsstandes zu prüfen. Daher ist es auch bei länger andauernder Geschäftsverbindung belanglos, ob der Empfänger die verspätete Ankunft der Faktura beanstandet hat.
Anmerkung
Z36087Schlagworte
Fakturengerichtsstand, Begründung, Gerichtsstand der Faktura, BegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1963:0050OB00193.63.0614.000Dokumentnummer
JJT_19630614_OGH0002_0050OB00193_6300000_000