TE OGH 1963/7/30 4Ob79/63

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Veröffentlicht am 30.07.1963
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Norm

ABGB §1153
Angestelltengesetz §27

Kopf

SZ 36/104

Spruch

Ob einem Dienstnehmer ein zum Schadenersatz verpflichtendes Verschulden zur Last gelegt werden kann, hängt auch von den Eigenheiten und den Mängeln der konkreten Betriebsorganisation ab.

Entscheidung vom 30. Juli 1963, 4 Ob 79/63.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Beklagte war vom Jänner 1956 bis 30. September 1959 in der Rechtsanwaltskanzlei des Klägers als Kanzlei- und Schreibkraft beschäftigt. Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage von der Beklagten den Ersatz von 60.000 S s. N. Der Kläger habe im Auftrag verschiedener Mandanten Darlehen vergeben, wobei sich diese der Firma R. & K. als Vermittler bedienten. Wenn von dieser Firma ein Darlehenswerber in die Kanzlei gebracht wurde, habe die Beklagte, wenn gegen die Seriosität des Darlehenswerbers keine Bedenken bestanden, den Auftrag erhalten, einen entsprechenden Schuldschein auszufüllen und vom Schuldner unterfertigen zu lassen. Sie habe vom Kläger den erforderlichen Betrag anzufordern und dem Geschäftsführer der Firma R. & K., Anton C., für den Darlehensnehmer auszufolgen gehabt. Die Beklagte, die den Auftrag gehabt habe, ohne Zustimmung des Klägers keine Darlehen auszuzahlen, habe in seiner Abwesenheit auch eingegangene Darlehensrückzahlungen zu übernehmen und an ihn auszufolgen gehabt. Er sei hinsichtlich der eingegangenen Darlehensrückzahlungen auf die Angaben der Beklagten angewiesen gewesen. Er habe keine Ahnung gehabt, daß ihm die Beklagte den Eingang von Darlehensrückzahlungen verschwiegen habe. Als die Beklagte ihr Dienstverhältnis aufkundigte, habe sie ihm mitgeteilt, daß sie Anton C. aus zurückgezahlten, verschiedenen Darlehensbeträgen in Teilbeträgen insgesamt 60.000 S ausfolgte, weil er ihr versprochen habe, hiefür Schuldscheine zu bringen. Von C., mit welchem die Beklagte per du gewesen sei und der Unterschlagungen in der Höhe von über 150.000 S begangen habe, sei es nicht möglich, den Betrag von 60.000 S hereinzubringen. Der Kläger sei von seinen Mandanten auf Ersatz von 232.753 S geklagt worden. Dieses Verfahren ruhe, weil es ihm gelungen sei, aus seinem eigenen Vermögen einen Betrag von 60.000 S zu ersetzen. Die Beklagte weigere sich, ihm den Betrag von 60.000 S zu bezahlen, obwohl sie aus dem Titel des Schadenersatzes dazu verpflichtet sei. Die beklagte Partei wendete ein, sie sei im Zeitpunkt ihres Eintrittes beim Kläger 14 1/2 Jahre alt gewesen. Sie habe im Rahmen des Kanzleibetriebes nach einem "Schimmel" Schuldscheine schreiben und auf Weisung des Klägers die eingegangenen Beträge an die Firma R. & K. abführen müssen. Der Kläger habe sich in der Folge um die Darlehensgeschäfte nicht mehr gekümmert und alles der Firma R. & K. überlassen, gegen deren Gesellschafter N. und Anton C. nunmehr ein Strafverfahren anhängig sei. Soweit Rückzahlungen von Darlehensbeträgen in der Kanzlei erfolgten, seien sie wieder für Darlehen verwendet worden. Die Beklagte habe die Gebarung nicht überblicken können und stets nur im Auftrag des Klägers gehandelt.

Mit dem Ersturteil wurde das Klagebegehren abgewiesen. Das Erstgericht stellte fest, die Beklagte sei die einzige Angestellte des Klägers gewesen. Als Vorbildung habe sie den Besuch der Hauptschule und eines Stenotypiekurses aufzuweisen. Ihr seien schon nach kurzer Zeit vom Kläger fast die gesamten mit der Darlehensgewährung im Zusammenhang stehenden Arbeiten zur selbständigen Verrichtung überlassen worden. Verschiedene Mandanten des Klägers hätten sich in einem zwischen ihnen und der Firma R. & K. abgeschlossenen Vertrag verpflichtet, dieser Firma Geldbeträge für Darlehensgewährungen zur Verfügung zu stellen. Dafür hätten sie einen bestimmten Zinsfuß pro anno erhalten, ohne Rücksicht darauf, ob die Firma die ihr zur Verfügung gestellten Gelder tatsächlich zu einer Kreditgewährung benützte und welche Zinsen von den Darlehensnehmern gezahlt worden seien. Die Firma R. & K. habe den Mandanten des Klägers für das ganze Kapital gehaftet, das von ihr im Wege der Kreditgewährung an die Darlehensnehmer ausgegeben worden sei. Die Durchführung der Darlehensgeschäfte sei in der Weise erfolgt, daß Anton C., welcher zunächst Angestellter und dann Gesellschafter der Firma R. & K. gewesen sei, dem Kläger oder der Beklagten die Unterlagen für die Darlehensgewährung, insbesondere die Höhe des benötigten Geldbetrages, bekanntgegeben habe. Die Beklagte habe zuerst nach Diktat, später nach einem "Schimmel" die Schuldscheine geschrieben und die Darlehensbeträge, die sie vom Kläger erhalten habe, meistens in Abwesenheit des Klägers an Anton C. übergeben, nachdem sie von ihm die unterfertigten Schuldscheine erhalten hatte. Überdies habe Anton C. stets schriftlich den Erhalt des an den Darlehensnehmer weiterzugebenden Geldbetrages bestätigt. Die an Anton C. für die Darlehensnehmer ausgefolgten Beträge seien durch den Kläger von einem bestimmten Konto abgehoben worden, doch seien mit Bewilligung des Klägers auch in der Kanzlei eingelangte Rückzahlungsbeträge wieder für neue Darlehen verwendet worden. Rückgelangte Gelder habe die Beklagte quittiert und dem Kläger übergeben. Geldbeträge an C. seien nur im Auftrag des Klägers ausgefolgt worden. In vier Fällen habe die Beklagte von Anton C. nur die Bestätigungen über den Empfang der Beträge für die vier Darlehensnehmer, und zwar über insgesamt 60.000 S, erhalten, doch seien ihr die entsprechenden Schuldscheine nicht ausgefolgt worden. Die Beklagte sei damals mit der Arbeit nicht nachgekommen und Anton C. habe sie in Abwesenheit des Klägers überredet, ihm die Geldbeträge zu übergeben, er werde die Schuldscheine bei der Firma R. & K. schreiben lassen und sie ihr dann überbringen. Dies habe C. dann nicht getan und erklärt, die Schuldscheine seien bei der Firma R. & K. verloren gegangen. Die Beklagte sei vom Kläger nie darauf aufmerksam gemacht worden, daß sie die Gelder an C. ohne Erhalt der Schuldscheine der Darlehensnehmer nicht ausfolgen dürfe. Sie habe dem Kläger davon, daß ihr seitens des C. keine Schuldscheine übergeben wurden, hinsichtlich eines Falles sofort und von den anderen drei Fällen später Mitteilung gemacht, ohne daß ihr der Kläger daraufhin Vorwürfe gemacht hätte.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, es könne der Beklagten nicht angelastet werden, daß sie die erwähnten Beträge von zusammen 60.000 S an C. nur gegen Empfangsbestätigungen und nicht auch gegen gleichzeitige Übergabe der Schuldscheine auszahlte. Die Beklagte sei vom Kläger nie darüber belehrt worden, daß sie an C. ohne gleichzeitige Ausfolgung von Schuldscheinen kein Geld auszahlen dürfe. Auch habe ihr mit Rücksicht auf ihr jugendliches Alter - sie sei im Zeitpunkt des Vorfalls ungefähr 17 Jahre alt gewesen - und ihre geringe Vorbildung der Überblick über die rechtlichen Zusammenhänge bei Darlehensgeschäften gefehlt. Es habe daher der Erhalt der Empfangsbestätigungen des ständigen Geschäftspartners des Klägers, Anton C., von ihr als eine hinreichende Sicherung angesehen werden können. Was schließlich den vom Kläger behaupteten Schaden anlange, habe er selbst zugeben müssen, daß sich seine Schadenersatzforderung nur auf das Geständnis der Beklagten stütze, daß sie 60.000 S an C. ohne Schuldscheine ausgefolgt habe. Daß ihm durch diese Handlungsweise der Beklagten überhaupt ein Schaden entstanden sei, habe der Kläger in keiner Weise nachzuweisen vermocht, da er nach seinen eigenen Angaben keine Unterlagen im Zusammenhang mit den in seiner Kanzlei abgeschlossenen Darlehensverträgen besitze. Es sei daher durchaus möglich, daß die Beträge, die die Beklagte ohne Schuldscheine an Anton C. ausgab, von diesem an die Darlehensnehmer weitergegeben und von ihnen bereits zurückgezahlt worden seien.

Das Berufungsgericht bestätigte infolge Berufung des Klägers das Ersturteil. Es verhandelte die Sache gemäß § 25 (1) Z. 3 ArbGerGes. von neuem und wiederholte - ohne daß etwa ein Einspruch seitens der Parteien erhoben worden wäre - die vom Erstgericht durchgeführten Beweise durch Verlesung der aufgenommenen Protokolle und durch Einsichtnahme in die vorgelegten Urkunden und Akten. Es gelangte zu den gleichen tatsächlichen Feststellungen wie das Erstgericht. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, bei dem ausgezahlten Betrag von 60.000 S handle es sich nicht um Gelder des Klägers, sondern um Gelder seiner Mandanten, sodaß dadurch, daß die Gelder lediglich gegen Bestätigung und ohne Ausfolgung von Schuldscheinen dem Anton C. ausbezahlt wurden, dem Kläger in seinem Vermögen kein Schaden entstanden sein könne. Die Mandanten des Klägers könnten von ihm nur Schadenersatz begehren, wenn durch sein Verschulden die Gelder der Mandanten nicht der Firma R. & K. - welche den Mandanten des Klägers für das ganze zur Kreditgewährung erhaltene Kapital vertraglich hafte - zugekommen wären und diese Firma sich daher weigerte, den an C. ausbezahlten Betrag den Mandanten zurückzuzahlen. In einem solchen Fall könnte sich - ein Verschulden der Beklagten vorausgesetzt - der Kläger an der Beklagten schadlos halten. Der Kläger habe aber in den Tatsacheninstanzen nicht behauptet, daß der Betrag von 60.000 S nicht der Firma R. & K. zugekommen sei, und weder behauptet noch unter Beweis gestellt, daß diese Firma den Erhalt der 60.000 S bestritten hätte und die Mandanten des Klägers (die Darlehensgeber) mit ihrer Forderung gegenüber dieser Firma aus dem Gründe nicht durchgedrungen seien, daß diese Firma den Betrag überhaupt nicht erhalten habe. Schon aus diesen Erwägungen erweise sich das Klagebegehren als unbegrundet.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Soweit in den Ausführungen der Revision auch vorgebracht wird, das Berufungsgericht habe die Streitsache gemäß § 25 (1) Z. 3 ArbGerG. neu durchgeführt, doch seien der Erinnerung des Klägers nach die Protokolle nicht verlesen worden, wird der Kläger auf § 215 (1) ZPO. und darauf verwiesen, daß nach dem Inhalt der vom Kläger persönlich gefertigten Niederschrift über die Verhandlung vor dem Berufungsgericht, die nicht gerügt wurde, die vom Erstgericht aufgenommenen Protokolle verlesen worden sind. Unter dem Gesichtspunkt des § 503 Z. 2 ZPO. aber unternimmt die Revision in Wahrheit nur den Versuch, unzulässig die Beweiswürdigung zu bekämpfen. Für diesen Revisionsgrund reicht es nicht aus, einwandfreien Schlußfolgerungen der Untergerichte andere, bloß subjektive Folgerungen des Revisionswerbers entgegenzusetzen.

Auch die Rechtsrüge ist unbegrundet. Es ist zwar richtig, daß schon die entstandene Verbindlichkeit einen Nachteil am Vermögen bedeutet und der Kläger als Treuhänder der für Darlehensgewährungen im Wege der Firma R. & K. bestimmten Gelder seiner Mandanten für eine widmungswidrige und ohne genügende Sicherheiten erfolgte Verwendung dieser Beträge ersatzpflichtig wäre. Es braucht daher auf die vom Berufungsgericht in den Vordergrund gestellte Frage, ob dem Kläger ein Schadensnachweis gelungen ist, nicht näher eingegangen zu werden.

Der Kläger grundet die vorliegende Klage und damit die Ersatzpflicht der Beklagten auf die Behauptung, die Beklagte habe bei Auszahlung des Betrages von 60.000 S weisungswidrig gehandelt. Der Dienstgeber ist nun nicht etwa verpflichtet, Beträge, die sein Angestellter auftragswidrig verwendet und ihm dadurch entzieht oder vorenthält, vorerst bei dem Dritten einzutreiben, für dessen Zwecke sie etwa aufgewendet wurden, sondern kann den Dienstnehmer in einem solchen Fall primär zum Ersatz heranziehen. Doch ist damit für den Kläger nach dem festgestellten Sachverhalt nichts gewonnen. Nach den Beweisergebnissen steht fest, daß die Beklagte in Durchführung der in der Rechtsanwaltskanzlei des Klägers vorgenommenen Darlehenstransaktionen an den Gesellschafter der Firma R. & K., Anton C., Geldbeträge überhaupt nur im Auftrage des Klägers ausgezahlt hat und daß auch die Auszahlung der hier in Betracht kommenden für vier Darlehensnehmer bestimmten Beträge von zusammen 60.000 S nicht etwa entgegen einem Auftrag des Klägers erfolgte. Es steht ferner fest, daß der Kläger der Beklagten niemals einen Auftrag erteilt hat, Auszahlungen an C. ohne gleichzeitige Ausfolgung der entsprechenden Schuldscheine der Darlehensnehmer zu unterlassen. Wenn die Beklagte daher den Betrag von zusammen 60.000 S an C. bloß gegen Empfangsbestätigungen ausfolgte, kann von einem auftragswidrigen Handeln der Dienstnehmerin nicht die Rede sein. Dazu kommt, daß der Kläger nach den Beweisergebnissen die Mitteilungen der Beklagten, sie habe in den in Betracht kommenden vier Fällen die Auszahlungen an C. bloß gegen Empfangsbestätigungen vorgenommen, ohne Vorwürfe quittierte, was die Folgerung rechtfertigt, daß der Dienstgeber in dem von der Dienstnehmerin geschilderten Vorgang im Zeitpunkt der Mitteilungen keinen Anlaß zu Beanständigungen gefunden hat.

Aber auch wenn die Nichterfüllung vertragsmäßiger Verpflichtungen durch die Beklagte angenommen werden könnte, wäre das rechtliche Ergebnis nicht anders. Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (4 Ob 30/50 = Soz. I A e, S. 107, Arb. 7519 u. a.), kann vom Dienstnehmer nur Leistung der Dienste gemäß der Organisation und den Gegebenheiten des Betriebes verlangt werden. Ob dem Dienstnehmer ein Verschulden zur Last gelegt werden kann, läßt sich nur nach den Verhältnissen des Einzelfalles beurteilen. Es geht nicht an, unter Außerachtlassung der Eigenheiten und vielleicht auch der Mängel der konkreten Betriebsorganisation, in der die Dienste geleistet werden, Ideal- oder auch nur Durchschnittsmaßstäbe anzuwenden. Wendet man diesen Rechtssatz auf den konkreten Fall an, so kann von der Beklagten, die bloß Hauptschulbildung und Stenotypiekenntnisse hatte und im Zeitpunkt der Auszahlung der Beträge von zusammen 60.000 S erst ungefähr 17 Jahre alt war, mangels einer ausdrücklichen Weisung des Dienstgebers, die jeweils an den Geschäftsführer C. der Firma R. & K. in Abwicklung der Darlehenstransaktionen auszuzahlenden Beträge nur gegen gleichzeitige Übergabe der entsprechenden Schuldscheine auszuhändigen, mit Rücksicht auf die Gepflogenheit im Betrieb, ständig mit Anton C. Geschäfte abzuwickeln, nicht der Weitblick verlangt werden, daß eine Empfangsbestätigung des Anton C. keine ausreichende Sicherung für die Darlehensgeber darstelle. Von einem zum Schadenersatz verpflichtenden Verschulden der Beklagten kann daher nicht gesprochen werden.

Anmerkung

Z36104

Schlagworte

Dienstnehmer, Haftung für im Betrieb angerichteten Schaden, Schadenersatz Haftung des Dienstnehmers

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1963:0040OB00079.63.0730.000

Dokumentnummer

JJT_19630730_OGH0002_0040OB00079_6300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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