TE OGH 1963/9/5 2Ob172/63

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Veröffentlicht am 05.09.1963
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Norm

ABGB §1304
Straßenverkehrsordnung 1960 §76

Kopf

SZ 36/110

Spruch

Voraussetzungen für die Berücksichtigung des Einwandes des Mitverschuldens des Beklagten in erster Instanz und im Rechtsmittelverfahren.

Entscheidung vom 5. September 1963, 2 Ob 172/63.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Nach den Feststellungen der Untergerichte wurde der Kläger am 3. Oktober 1961 von dem Beklagten, der mit einem Motorroller fuhr, niedergestoßen und schwer verletzt, als er im Begriff war, den Hernalser Gürtel an der Kreuzung mit der Kinderspitalgasse auf dem Schutzweg bei grünem Lichtzeichen zu überschreiten. Gegen den Beklagten wurde vom Strafgericht eine Strafverfügung erlassen.

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger mit der Behauptung, daß der Unfall vom Beklagten allein verschuldet worden sei, Schadenersatz und die Feststellung der Haftung des Beklagten für zukünftige Schäden.

Der Beklagte wandte das überwiegende Mitverschulden des Klägers ein. Dieser habe völlig unerwartet zwei Schritte zurück gemacht und sei so in die Fahrlinie des Motorrollers gekommen.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil, daß der Anspruch des Klägers auf Ersatz des gesamten Schadens dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es nahm zwar an, daß der Kläger den Verkehrsunfall zu einem Fünftel mitverschuldet habe, war aber der Meinung, das Mitverschulden des Klägers nicht berücksichtigen zu dürfen, weil der Beklagte ein quotenmäßig bestimmtes Mitverschulden des Klägers nicht eingewendet habe. Das Mitverschulden des Klägers sah das Erstgericht darin, daß dieser die Straße nicht mit der erforderlichen Vorsicht und Aufmerksamkeit überquert habe, sonst hätte er den Beklagten bereits früher sehen und sich auf ihn einstellen müssen. Das Erschrecken über das plötzliche Auftauchen des Motorrollers und das sich daraus ergebende Verhalten habe der Kläger zu verantworten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Zwischenurteil dahin ab, daß es den Anspruch des Klägers dem Gründe nach zu vier Fünftel zu Recht und zu einem Fünftel nicht zu Recht bestehend erkannte. Das Berufungsgericht billigte die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldenteilung, war jedoch der Meinung, daß der Mitverschuldenseinwand des Beklagten in erster Instanz zu beachten sei. Hiefür reiche es aus, ein überwiegendes Mitverschulden zu behaupten. Eine nähere Präzisierung sei nicht erforderlich. Es war gleich dem Erstgericht der Auffassung, daß der Kläger die unrichtige Reaktion zufolge seiner mangelnden Aufmerksamkeit zu verantworten habe.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richten sich die Revisionen beider Parteien.

Der Oberste Gerichtshof stellte fest, daß der Leistungsanspruch der klagenden Partei auf Ersatz des ihr beim Unfall vom 3. Oktober 1961 entstandenen Schadens der beklagten Partei gegenüber dem Gründe nach zu Recht besteht.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Zur Revision des Beklagten:

Da der Beklagte die Entscheidungsgrundlagen bekämpft, ist sein Rechtsmittel zuerst zu behandeln. Das Erstgericht stellte fest, daß der Kläger den Beklagten erblickte, als sich dieser etwa auf der Höhe der linken Begrenzung des Schutzweges befand, daß er erschrak, eine kurze Wendung dem Beklagten zu und einen Schritt links seitwärts machte, indem er die Arme gegen den Motorroller ausstreckte.

Bei diesen Annahmen, die vom Berufungsgericht gebilligt wurden, handelt es sich um Tatsachenfeststellungen. Es kann aber den Ausführungen des Beklagten, daß diese Annahmen im Widerspruch zu den übrigen Feststellungen des Erstgerichtes stehen, weil die Untergerichte auch angenommen haben, daß der Kläger einen Schritt entgegen seiner Gehrichtung gemacht habe, nicht gefolgt werden.

Der Beklagte übersieht bei seinen Ausführungen die Feststellung der Untergerichte, daß der Kläger seinen Körper nach links gewendet und einen Schritt (60 cm) links seitwärts, also nicht zurück, sondern dem herankommenden Motorroller entgegen gemacht habe.

In rechtlicher Hinsicht kann dem Beklagten nicht gefolgt werden, daß den Kläger ein Mitverschulden zu 50% treffe. Der Oberste Gerichtshof ist vielmehr der Ansicht, daß den Kläger überhaupt kein Verschulden an dem Verkehrsunfall trifft. Diese Auffassung wird im Zusammenhang mit der Behandlung der Revision des Klägers näher begrundet werden.

II. Zur Revision des Klägers:

Der Kläger wendet sich vorerst gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Mitverschuldenseinwand des Beklagten zu beachten sei. Er ist der Meinung, daß der Einwand eines überwiegenden Mitverschuldens zur Präzisierung nicht ausreiche.

Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Es muß vielmehr als ausreichend angesehen werden, wenn in erster Instanz vom Beklagten ein überwiegendes Mitverschulden des Klägers, das ist also ein Mitverschulden von über 50%, eingewendet wird, weil es erst Aufgabe des Erstgerichtes ist, das Ausmaß des Mitverschuldens des Klägers festzustellen. Erst im Rechtsmittelverfahren ist die genaue Präzisierung des Mitverschuldens nach Quoten erforderlich, um die Rechtskraft der erstgerichtlichen Entscheidung klarzustellen. In diese Richtung gehen auch die von den Untergerichten zitierten Entscheidungen (siehe auch 2 Ob 106/59 in JBl. 1959 S. 349; 2 Ob 322/59 in JBl. 1959 S. 553).

Das Berufungsgericht hat somit den Mitverschuldenseinwand des Beklagten, der in der Berufung mit 50% genau präzisiert wurde, zu Recht berücksichtigt.

Mit Recht wendet sich aber der Kläger gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß ihn ein 20%iges Mitverschulden an dem Verkehrsunfall treffe. Der damals 64jährige Kläger überquerte die Fahrbahn auf dem für Fußgänger bestimmten durch Längsstreifen (Zebrastreifen) gekennzeichneten Schutzweg (§ 2 (1) Z. 12 StVO. 1960). Außerdem war dem Kläger durch grünes Lichtzeichen in seiner Gehrichtung die Überquerung der Fahrbahn freigegeben. Der Kläger verhielt sich somit vorschriftsmäßig im Sinne des § 76 StVO. 1960, wenn er bei dieser Situation die Fahrbahn auf dem Schutzweg überquerte. Er durfte auch darauf vertrauen, daß jeder Fahrzeugführer, der den Schutzweg überfahren wollte, ihn rechtzeitig wahrnehmen und auf ihn Rücksicht nehmen werde. Keineswegs brauchte er damit zu rechnen, daß der Beklagte mit seinem Motorroller den Schutzweg so knapp hinter ihm überfahren werde. Es kann ihm daher nicht als Verschulden angerechnet werden, daß er, durch dieses Verhalten des Beklagten erschreckt, den Versuch unternahm, durch einen Schritt links seitwärts und durch das Vorstrecken der Arme gegen den Motorroller den Unfall zu vermeiden. Es ist ihm auch nicht als Verschulden anzurechnen, wenn er den Beklagten erst wahrnahm, als sich dieser dem Schutzweg näherte. Der langsam fahrende Beklagte bedeutete erst dann eine Gefahr für den Kläger, als er begann, den Schutzweg knapp hinter ihm zu überfahren. Bei einem Fußgänger handelt es sich nicht um einen dem motorisierten Verkehrsteilnehmer gleich zu wertenden Straßenbenützer. Der Fußgänger als der ungeschütztere und schwächere Verkehrsteilnehmer hat vielmehr Anspruch auf den besonderen Schutz seitens des motorisierten Verkehrsteilnehmers. Dieser darf keine Handlung unternehmen, die geeignet ist, den Fußgänger in seiner Sicherheit zu beeinträchtigen, insbesondere wenn dieser, wie es hier der Fall war, vorschriftsmäßig auf dem Schutzweg bei grünem Lichtzeichen die Fahrbahn überschreitet. Den Unfall und die Unfallsfolgen hat daher einzig und allein der Beklagte zu verantworten, der durch seine unvorsichtige und unachtsame Fahrweise den Kläger nicht nur in seiner Fortbewegung beeinträchtigte, sondern ihn sogar auf dem Schutzweg niederstieß.

Anmerkung

Z36110

Schlagworte

Mitverschulden, Geltendmachung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1963:0020OB00172.63.0905.000

Dokumentnummer

JJT_19630905_OGH0002_0020OB00172_6300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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