TE OGH 1963/10/23 7Ob265/63

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Veröffentlicht am 23.10.1963
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Norm

Außerstreitgesetz §40
Außerstreitgesetz §98
Staatsgrundgesetz Art10

Kopf

SZ 36/135

Spruch

Wenn der Erblasser einen verschlossenen Brief hinterlassen hat, der nach seiner Anordnung ungeöffnet einer bestimmten Person übergeben werden soll, so darf dieser Brief nicht im Verlassenschaftsverfahren geöffnet werden.

Entscheidung vom 23. Oktober 1963, 7 Ob 265/63.

I. Instanz: Bezirksgericht Waidhofen a. d. Th.; II. Instanz:

Kreisgericht Krems.

Text

Der Gerichtskommissär im Verlassenschaftsverfahren nach A. H. hat am 3. April 1963 in der Wohnung der J. K. einen verschlossenen und versiegelten Briefumschlag in treuhändige Verwahrung übernommen, der folgendermaßen beschriftet war: "Nach meinem Ableben ungeöffnet an H. A. C. in M. zu übergeben."

Auf Antrag der Testamentserbin L. T. hat der Erstrichter den Gerichtskommissär ermächtigt, diesen Briefumschlag in Gegenwart des Adressaten A. C. und der Testamentserbin L. T. zu öffnen und, falls amtlicher Gebrauch dies erfordert, eine beglaubigte Abschrift des Briefes zum Verlassenschaftsakt zu nehmen und das Original an A. C. auszufolgen.

Infolge Rekurses des A. C. hat das Rekursgericht diesen Beschluß des Erstrichters im Sinne der Abweisung des Antrages der Testamentserbin abgeändert. Es führt aus, daß das an C. gerichtete Schreiben als Brief im Sinne des Gesetzes vom 6. April 1870, RGBl. Nr. 42, zum Schutze des Brief- und Schriftengeheimnisses zu werten sei, dessen Eröffnung nur im Strafverfahren auf Befehl des Untersuchungsrichters möglich wäre. Einen derartigen Befehl könne jedoch der Außerstreitrichter nicht erlassen. Die dem Gerichtskommissär nach § 39 Z. 7 AußStrG. obliegende Nachforschungspflicht gehe nicht so weit, daß dieser, auf richterlichen Auftrag, einen verschlossenen, an einen Dritten gerichteten Brief der Erblasserin öffnen könne.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Testamentserbin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Brief- und Schriftengeheimnis beruht auf Art. 10 des in Art. 149

(1) B.-VG. als Verfassungsgesetz angeführten Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867. Nach diesem Gesetz darf das Briefgeheimnis nicht verletzt und die Beschlagnahme von Briefen außer im Falle einer gesetzlichen Verhaftung oder Hausdurchsuchung, nur in Kriegsfällen oder auf Grund eines richterlichen Befehles in Gemäßheit bestehender Gesetze vorgenommen werden. Es sind sohin die Fälle der Zulässigkeit der Beschlagnahme eines Briefes, der die Eröffnung des Briefes gleichzusetzen ist, taxativ angeführt.

Die drei erstangegebenen Fälle (Verhaftung, Hausdurchsuchung oder Krieg) kommen hier nicht in Betracht, sodaß zu prüfen bleibt, ob eine gesetzliche Bestimmung den Verlassenschaftsrichter ermächtigt, unter den gegebenen Umständen die Öffnung des fraglichen Briefumschlages vorzunehmen oder anzuordnen.

Die Testamentserbin L. T. vermeint, daß aus den §§ 40, 98 AußStrG. eine derartige Ermächtigung abzuleiten sei. Dieser Ansicht kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil in keiner der beiden Gesetzesstellen die Eröffnung verschlossener Briefe oder Schriften erwähnt ist. Nach § 40 AußStrG. ist der Gerichtsabgeordnete im Falle der Notwendigkeit ermächtigt, Schränke und Behältnisse des Erblassers, in welchen eine letztwillige Anordnung oder andere für die Verlassenschaft wichtige Papiere verwahrt sein können, zu eröffnen oder zu besichtigen. Nach § 98 AußStrG. hat der Gerichtsabgeordnete die Aufgabe, sich zum Zwecke der Inventarserrichtung über den Zustand des Vermögens durch Untersuchung der Verlassenschaftsschriften oder der vorhandenen Urkunden ... vollständige Klarheit zu verschaffen. In keinem dieseBefugnis der Eröffnung eines verschlossenen Schriftstückes angeführt, wie dies beispielsweise in § 77 (2) KO. der Fall ist, wonach der Masseverwalter das Recht auf Ausfolgung der für den Gemeinschuldner bestimmten Post hat, und demgemäß diese Post auch öffnen und in sie Einsicht nehmen kann. Eine Auslegung der Bestimmungen der §§ 40, 98 AußStrG. dahin, daß unter der Befugnis, Behältnisse zu öffnen bzw. in Verlassenschaftsschriften Einsicht zu nehmen, auch die Befugnis zur Öffnung verschlossener, an eine bestimmte Person gerichteter Briefe der Erblasserin, zu verstehen ist, wobei die Erblasserin noch ausdrücklich verfügt hat, daß dieser Brief nach ihrem Tode uneröffnet dieser Person auszufolgen ist, ist abzulehnen.

Es fehlt sohin die gesetzliche Bestimmung, auf Grund deren der Verlassenschaftsrichter die Eröffnung des gegenständlichen Umschlages vornehmen oder anordnen könnte.

Anmerkung

Z36135

Schlagworte

BriefgeheimnisschutzG. § 1, Brieföffnung, Verlassenschaftsverfahren, Verlassenschaftsverfahren, Brieföffnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1963:0070OB00265.63.1023.000

Dokumentnummer

JJT_19631023_OGH0002_0070OB00265_6300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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