Norm
ZPO §225 (2)Kopf
SZ 37/11
Spruch
Die Bestimmung des § 225 (2) ZPO., daß die Gerichtsferien auf den Ablauf der Rechtsmittelfristen gegen Versäumungsurteile keinen Einfluß haben, bezieht sich nicht auf Urteile nach §§ 399, 442 (2)
ZPO.
Entscheidung vom 17. Jänner 1964, 1 Ob 199/63. I. Instanz:
Bezirksgericht Weitra; II. Instanz: Kreisgericht Krems.
Text
Die Kläger belangten im vorliegenden Prozeß die Beklagte auf Feststellung des Bestandes einer Servitut (Streitwert 6000 S), worüber beim Bezirksgericht Weitra am 14. Februar und 20. November 1962 sowie am 10. Juli 1963 Tagsatzungen zur mündlichen Streitverhandlung stattfanden. Die Beklagte war - ebenso wie die Kläger - jedesmal anwaltlich vertreten. Im Protokoll über die Tagsatzung vom 10. Juli 1963 wurden während der Vernehmung des Zeugen Johann H., des Gatten der Beklagten, folgende Vorgänge festgehalten:
"Hierauf erklärt der Beklagtenvertreter, daß er sich gegen diese Befragung der Beklagten wende, und kundigt hierauf der beklagten Partei die Vollmacht. Er erklärt nur, daß sie keine Antworten zu geben brauche.
Um 10.30 Uhr verläßt der Beklagtenvertreter den Verhandlungssaal. Während dieser Protokollierung entfernt sich die beklagte Partei und der Zeuge Johann H., sodaß weder eine Belehrung der beklagten Partei noch die Fortsetzung der Vernehmung des Zeugen möglich war.
Der Klagevertreter verzichtet auf die Vernehmung dieses Zeugen.
Der Klagevertreter beantragt hierauf Versäumungsurteil und legt Kostennote."
Daraufhin erging der Beschluß auf Ablehnung der weiteren Beweisanträge und auf Schluß der Verhandlung mit dem Beifügen, das Urteil werde schriftlich ergehen.
Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt. Er bezeichnete seine mit 29. Juli 1963 datierte Entscheidung als "Versäumungsurteil" und hielt in der Begründung fest, daß sich die beklagte Partei während der Streitverhandlungen ohne Erklärung entfernt habe, weshalb gemäß § 442 (2) ZPO. vorzugehen gewesen sei.
Dieses Urteil wurde der Beklagten am 31. Juli 1963 zugestellt.
Am 9. September 1963 gab sie unter Vorlage der Vollmacht ihres nunmehrigen Vertreters eine Berufung zur Post, welche der Erstrichter mit der Begründung zurückwies, daß die Gerichtsferien gemäß § 225 (2) ZPO. auf Eintritt und Ablauf der Berufungsfrist gegen ein Versäumungsurteil ohne Einfluß seien; die Berufungsfrist sei darum schon am 14. August 1963 abgelaufen gewesen.
Das Rekursgericht hob diesen Beschluß auf und trug dem Erstrichter die Vorlage der Berufung auf. Es vertrat den Standpunkt, daß zwar durch den Wortlaut der Vorschrift des § 225 (2) ZPO. auch der Fall des unechten Versäumungsurteiles nach § 399 ZPO. (442 (2) ZPO.) erfaßt werde, weil die Bestimmungen der §§ 396 - 403 ZPO. unter der Überschrift "Urteile in Versäumungsfällen" zusammengefaßt seien; aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 225 (2) ZPO. ergebe sich aber, daß durch sie nur der Fall des echten Versäumungsurteiles nach den §§ 396 und 398 ZPO. (§ 442 (2) ZPO. - gemeint offensichtlich § 442 (1) ZPO. -) erfaßt werden sollte; in der ursprünglichen Fassung des § 225 ZPO. sei nämlich vorgesehen gewesen, daß der Eintritt der Gerichtsferien auf Anfang und Ablauf von Notfristen, insbesondere daher alle Rechtsmittelfristen, keinen Einfluß habe; andererseits sei im § 223 ZPO. ursprünglich vorgesehen gewesen, daß während der Gerichtsferien nur in Ferialsachen Tagsatzungen abgehalten und Entscheidungen erlassen werden dürften; durch Art. VI, Z. 10 der 1. GEN. (RGBl. Nr. 118/1914) sei nun § 223 dahin geändert worden, daß in anderen als Ferialsachen erste Tagsatzungen abgehalten werden dürfen; damit im Zusammenhang sei auch die Vorschrift des § 225 ZPO. durch Art. VI, Z. 11 der 1. GEN. geändert worden; nach der Neuregelung habe der Eintritt der Gerichtsferien grundsätzlich die Wirkung, daß nunmehr auch eine Verlängerung der Notfristen eintrete; ausgenommen worden sei von dieser Neuregelung nur der Lauf von Rechtsmittelfristen wider Versäumungs- und Anerkenntnisurteile; der Grund hiefür sei darin zu suchen, daß sonst die Vorteile der Änderung des § 223 ZPO. (Zeitgewinn) verlorengingen, wobei auch auf den Erlaß des Justizministeriums vom 2. Juni 1914 zur Erläuterung der 1. GEN. (JMVBl. 1914, S. 342) zu verweisen sei; daraus ergebe sich, daß nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Änderung des § 225 (2) ZPO. nur die Fälle des echten Versäumungsurteiles nach § 396 ZPO. erfaßt werden sollten; die gleiche Wirkung gelte auch für Anerkenntnisurteile, die durch die Zulassung von ersten Tagsatzungen in Nichtferialsachen während der Gerichtsferien auf Grund von Anerkenntnissen bei Tagsatzungen erst ermöglicht worden seien; im vorliegenden Fall handle es sich aber um ein kontradiktorisches Versäumungsurteil im Sinn des § 399 ZPO., bei dem die Rechtsmittelfrist, wenn man unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte die Bestimmung des § 225 (2) ZPO. einschränkend auslege, durch die Gerichtsferien verlängert worden sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Kläger nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Dem Rekursgericht ist zunächst insofern eine Ungenauigkeit unterlaufen, als es die Überschrift vor den §§ 396 - 403 ZPO. mit "Urteil in Versäumungsfällen" statt richtig mit "Urteil in Versäumnisfällen" wiedergegeben hat. Da die Ausdrucksweise des Gesetzes nicht immer gleich ist - so findet sich z. B. wohl in den §§ 396, 398, 442 (1) der terminus technicus "Versäumungsurteil", in den §§ 399 und 442 (2) ZPO. aber nicht, während etwa § 73 (2) ZPO. von einem Versäumungsurteil auch in jenem Fall spricht, daß die beklagte arme Partei im Verfahren vor Gerichtshöfen bei der ersten zur mündlichen Streitverhandlung bestimmten Tagsatzung, also offenbar nach Erstattung der Klagebeantwortung, ohne Anwalt erscheint - hat der Oberste Gerichtshof kein Bedenken, daß das Rekursgericht zur Auslegung der Bestimmung des § 225 (2) ZPO. auf die Entstehungsgeschichte zurückgegriffen hat. Richtig sah dieses jedenfalls den Zusammenhang zwischen der durch die 1. GEN. erfolgten Novellierung des § 225 ZPO. mit jener des § 223 ZPO., doch bedürfen seine Ausführungen insofern einer Ergänzung, als die heutige Fassung des § 223 (1) ZPO. nicht ausschließlich auf die 1. GEN., sondern auch auf die 5. GEN. (BGBl. Nr. 183/1925) zurückgeht. Jedenfalls hat erst die 1. GEN. die Möglichkeit geschaffen, in anderen als Ferialsachen die erste Tagsatzung abzuhalten und die im § 239 ZPO. bezeichneten Prozeßhandlungen vorzunehmen. "Dies hat" - so hieß es im Erläuterungserlaß vom 2. Juni 1914, JMVBl. Nr. 43/1914, zu §§ 223 und 225 ZPO. - "zur Folge, daß in Hinkunft alle bezirksgerichtlichen und Gerichtshofsachen, auch ohne Erklärung zur Ferialsache, zur Enderledigung geführt werden können, wenn sie nicht streitig werden." Letzteres traf nun wohl auf die im § 396 und § 398, der ebenfalls durch die 1. GEN. geändert wurde, nicht aber auf den im § 399 ZPO. geregelten Fall zu. Die Bestimmungen im § 442 ZPO. seien hier außer Betracht gelassen, weil seine jetzige Fassung auch erst auf die 5. GEN. zurückgeht. Im Fall des § 399 ZPO. muß nämlich unter allen Umständen, was das Rekursgericht zutreffend hervorgehoben hat, ein kontradiktorisches Urteil gefällt werden. Auch ein Anerkenntnisurteil setzt naturgemäß voraus, daß eine Sache nicht streitig ist (oder nicht streitig bleibt). Gewiß hatte die 1. GEN. die Interessen der Parteien insofern vor Augen, als es bei nicht streitig gewordenen Sachen auf eine Beschleunigung der Erledigung ungeachtet der Gerichtsferien abzielte. Sie verfolgte, wie sich aus den weiteren Ausführungen in dem zitierten Erläuterungserlaß unzweideutig ergibt, aber auch die Absicht, sowohl die Gerichte und die Anwälte während der Gerichtsferien nicht zu belasten, sondern zu entlasten. Die 1. GEN. wollte also gewiß keine Mehrbelastung in Fällen einführen, in denen ungeachtet einer im späteren Prozeßverlauf eingetretenen Säumnis einer Partei ein kontradiktorisches Urteil gefällt werden und in aller Regel nach bzw. auch nach jenen Kriterien angefochten werden muß, wie jedes andere kontradiktorische Urteil auch (insbesondere auch durch Beweiswürdigung- und Verfahrensmängelrügen).
Dazu kommt nun aber noch, daß die 5. GEN. den § 223 (1) ZPO. dahin faßte, daß in Nichtferialsachen nur erste Tagsatzungen abgehalten und die im § 239 bezeichneten Prozeßhandlungen vorgenommen werden dürfen; auch können Entscheidungen und Verfügungen die nicht auf Grund von Streitverhandlungen erergehen, erlassen werden. Dazu hieß es in der Begründung der Regierungsvorlage (Nr. 304 der Beilagen zu den sten. Prot. des Nationalrates, II. GP.) u. a. im Abschnitt "Gerichtsferien" wie folgt (vgl. dazu auch JABl. 1925 S. 73 ff.):
".... Die Gerichtsferien sollen dem Gerichte und den
Parteienvertretern eine Ruhepause bringen, während der insbesondere
die Urlaube anzusetzen sind ......... Endlich konnte ohne
Beeinträchtigung des Zweckes der Gerichtsferien die
Entscheidungsbefugnis des Gerichtes in Nichtferialsachen ...
erweitert werden. Den Parteien handelt es sich darum, in den
Gerichtsferien nicht zu Verhandlungen herangezogen zu werden und
nicht zur Wahrnehmung von Fristen genötigt zu sein. Soweit aber das
Gericht geneigt und in der Lage ist, auch in Nichtferialsachen
Amtshandlungen zu verrichten, die unabhängig von einer Verhandlung
sind, braucht es darin nicht weiter gehindert zu sein ......
Ausgeschlossen bleiben bloß Entscheidungen und Verfügungen, die auf
Grund von Streitverhandlungen ergehen, daher z. B. wohl die Fällung
eines Urteiles auf Grund einer nach § 193 (3) ZPO. noch vor Beginn
der Gerichtsferien geschlossenen Verhandlung, nicht aber die Fällung
eines nach § 402 Z. 1 ZPO. bei einer ersten Tagsatzung vorbehaltenen
Versäumungsurteiles ........". Ein Urteil nach § 399 ZPO., wie es
auch für das bezirksgerichtliche Verfahren im § 442 (2) ZPO.
vorgesehen ist, ergeht ungeachtet der während des Prozesses eingetretenen Säumnis der einen Partei doch immer auf Grund einer Streitverhandlung und darf demzufolge gemäß § 223 (1) ZPO. in einer Nichtferialsache nicht gefällt werden. Geschieht dies trotzdem, darf die Partei, die sich durch die Entscheidung beschwert erachtet, nicht auch noch dadurch benachteiligt werden, daß die Rechtsmittelfrist gegen die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht als von den Gerichtsferien unberührt behandelt wird.
Der Oberste Gerichtshof vermag daher in der Auffassung des Rekursgerichtes, die Bestimmung des § 225 (2) ZPO. beziehe sich nicht auf den Fall eines Urteils nach §§ 399, 442 (2) ZPO., diesbezüglich werde vielmehr die Rechtsmittelfrist durch die Gerichtsferien verlängert, keine Fehlentscheidung zu erblicken.
Anmerkung
Z37011Schlagworte
Gerichtsferien, Versäumungsurteil nach §§ 399, 442 (2) ZPO., Versäumungsurteil nach §§ 399, 442 (2) ZPO., Gerichtsferien, Gerichtsferien, Versäumungsurteil nach §§ 399, 442 (2) ZPO., Versäumungsurteil nach §§ 399, 442 (2) ZPO., GerichtsferienEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1964:0010OB00199.63.0117.000Dokumentnummer
JJT_19640117_OGH0002_0010OB00199_6300000_000