Norm
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §9 (2)Kopf
SZ 37/34
Spruch
Keine Haftung der Eisenbahn, wenn ein weiblicher Fahrgast mit Stöckelschuhen (Bleistiftabsätzen) auf einem Gitterrosttrittbrett stecken bleibt und deshalb stürzt.
Entscheidung vom 27. Februar 1964, 2 Ob 35/64. I. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Nach den Feststellungen der Untergerichte fuhr die Klägerin am 21. September 1962, um 18.05 Uhr mit dem Personenzug der österreichischen Bundesbahnen Nr. 4114 als Fahrgast von Puntigam zum Hauptbahnhof Graz. Sie war im Besitz einer gültigen Fahrkarte. Beim Aussteigen blieb die Klägerin mit dem Absatz ihres linken Stöckelschuhes am Gitterrost des Trittbrettes hängen, stürzte auf den Bahnsteig und verletzte sich.
Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin Schadenersatz in der Höhe von 8770.20 S, an Schmerzengeld, Fahrtauslagen, Sachschaden, Reinigungskosten und Kosten für die Geschäfts- und Haushaltshilfe. Sie behauptete, daß die beklagte Partei auf Grund des Beförderungsvertrages verpflichtet gewesen sei, für eine gefahrlose Reise der Klägerin zu sorgen. Die beklagte Partei hätte sich auf den modernen Reiseverkehr einstellen und dem besondern Umstande Rechnung tragen müssen, daß die Frauen derzeit Stöckelschuhe tragen. Sie hätten daher auf dem Trittbrett ein Eisengitter mit Schutzvorrichtung anbringen müssen. Die einzelnen Felder des Eisengitters seien so groß gewesen, daß ein gefahrloses Betreten mit dem Absatz eines Stöckelschuhes nicht möglich sei. Die beklagte Partei hafte für eine schuldhafte Pflichtverletzung bei der Beförderung der Klägerin. Jedenfalls hafte sie aber nach den Bestimmungen des Eisenhaftpflichtgesetzes. Mit dem Betrieb der Eisenbahn sei eine höhere Betriebsgefahr verbunden.
Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und wandte ein, daß die Ausführung der Trittbretter mit Gitterrosten der Sicherheit der Fahrgäste diene, weil dadurch das Ein- und Aussteigen bei nassem oder winterlichem Wetter erleichtert werde. Sie entsprechen den Erfordernissen des modernen Reiseverkehrs und würden auch von ausländischen Bahnverwaltungen verwendet. Eine Anpassung der Trittbretter an die jeweilige Damenschuhmode sei wegen der hohen Kosten nicht zumutbar. Die Klägerin habe den Unfall selbst verschuldet, weil sie nicht die gebotene Sorgfalt angewendet habe. Dieses alleinige Verschulden der Klägerin schließe auch eine Haftung nach den Bestimmungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes aus.
Das Erstgericht fällte ein Zwischenurteil, wonach der Schadenersatzanspruch der Klägerin dem Gründe nach zu 50% zu Recht und zu 50% nicht zu Recht bestehe. Das Erstgericht nahm einen Lokalaugenschein vor und hielt ein Verschulden der Klägerin für gegeben, weil diese das Trittbrett beim Ein- und Aussteigen nicht genau beobachtet habe. Sie hätte sonst die Gefahr, mit den Stöckelschuhen hängen zu bleiben, erkennen müssen. Ein Verschulden der beklagten Partei liege darin, daß sie unter Berücksichtigung der Nichtgenehmigung dieser Art von Trittbrettern durch das zuständige Bundesministerium es unterlassen habe, irgendeine Schutzvorrichtung anzubringen und durch einen Hinweis auf die besondere Art der Trittbretter aufmerksam zu machen. Die beklagte Partei hätte Vorkehrungen treffen müssen, daß auch Frauen mit Stöckelschuhen gefahrlos aus- und einsteigen können.
Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es war der Meinung, daß die Gitterrosttrittbretter den Erfordernissen des modernen Verkehrs entsprächen. Ihre Verwendung stelle nicht eine Verletzung der Verkehrssicherheitspflicht der beklagten Partei dar. Der Fahrgast müsse vielmehr beim Ein- und Aussteigen die entsprechende Vorsicht beobachten. Die Klägerin habe den Unfall allein verschuldet.
Der Oberste Gerichtshof bestätigte.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Es ist unerfindlich, wieso die Annahme des Berufungsgerichtes aktenwidrig sein soll, daß derartige Gitterroste auch von ausländischen Bahnverwaltungen verwendet werden. Das Erstgericht stellte beim Lokalaugenschein ausdrücklich fest, daß bei einem Schnellzugswaggon der Deutschen Bundesbahn des Schnellzuges Graz - Ostende derartige Gitterrosttrittbretter angebracht waren.
Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Kreis der weiblichen Fahrgäste, die "spitze" Absätze tragen, relativ klein sei und die Mode solcher Stöckelschuhe nur zeitbedingt und kurzlebig sei, ist ebenfalls eine nicht der Aktenlage zuwider getroffene Feststellung, sondern eine aus der Erfahrung des täglichen Lebens entnommene Ansicht des Berufungsgerichtes, die aus diesem Gründe ebenfalls nicht aktenwidrig sein kann. Ob diese Auffassung richtig ist, wird im Zusammenhang mit der Rechtsrüge zu behandeln sein.
Die Frage, ob Gitterrosttrittbretter bei Eisenbahnwaggons dem Erfordernis des modernen Verkehrs entsprechen, stellt keine Tatsachenfrage dar, sondern unterliegt der rechtlichen Beurteilung des Gerichtes, so daß in einer solchen Annahme keine Aktenwidrigkeit gelegen sein kann. Ebenso stellt die Frage, welche Vorkehrungen die Klägerin hätte treffen müssen, um sicher aus dem Eisenbahnwaggon aussteigen zu können, rechtliche Erwägungen dar, die im Zusammenhang damit anzustellen sind, ob die Klägerin die erforderliche Sorgfalt angewendet hat oder nicht. Auch in dieser Hinsicht kann von einer Aktenwidrigkeit keine Rede sein.
Soweit von der Klägerin auf Ausführungen in ihrer Berufung hingewiesen wird, ist darauf keine Rücksicht zu nehmen.
Mit der Rechtsrüge macht die Klägerin geltend, daß das Berufungsgericht die Haftung der beklagten Partei nach den Bestimmungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetzes zu Unrecht verneint habe. Es liege kein unabwendbares Ereignis vor und es treffe die Klägerin auch nicht das alleinige Verschulden.
Diese Ausführungen sind nicht stichhältig. Schon allein die Feststellungen der Untergerichte, die auf Grund des Lokalaugenscheines getroffen wurden, reichen aus, um sagen zu können, daß der Unfall allein durch das Verschulden der Klägerin entstanden ist. Die beim Lokalaugenschein vorgenommenen Proben haben eindeutig ergeben, daß auch das Aussteigen mit Stöckelschuhen bei derartigen Trittbrettern gefahrlos durchgeführt werden kann, wenn vom Fahrgast die erforderliche Aufmerksamkeit angewendet wird. Die Klägerin konnte selbst beim Lokalaugenschein das Aussteigen aus dem Waggon sicher durchführen, weil sie die erforderliche Aufmerksamkeit angewendet hat. Die Klägerin gab selbst zu, daß sie bei dieser Probe deshalb mit den Stöckelschuhen nicht hängengeblieben sei, weil sie "achtgegeben" habe. Am Unfallstag sei sie nicht so aufmerksam gewesen, weil vor und hinter ihr Reisende ausgestiegen seien. Jedenfalls aber kann gesagt werden, daß bei gehöriger Aufmerksamkeit der Klägerin der Unfall nicht geschehen wäre. Daraus ergibt sich weiter, daß nicht die Verwendung von Gitterrosten auf den Trittbrettern die Ursache des Unfalles war, sondern die Unachtsamkeit der Klägerin. Es ist daher auch nicht von entscheidender Bedeutung, ob diese Art von Trittbrettern von der zuständigen Behörde besonders genehmigt hätte werden müssen. Der Hinweis der Klägerin, daß man dann, wenn man Pakete in den Händen habe und mit anderen Reisenden aus einem Eisenbahnwaggon aussteige, nicht darauf achten könne, wie und wo man seinen Fuß hinsetze, zeigt deutlich, daß sie die Sachlage verkennt. Gerade in solchen Situationen ist besondere Vorsicht am Platz. Die Klägerin mußte sich bewußt sein, daß sie Stöckelschuhe trägt, mit denen besondere Gefahren verbunden sein können, auf die bei der Erzeugung der Schuhe nicht Rücksicht genommen wurde. Man hat es eben den Trägerinnen dieses Schuhwerkes überlassen, den damit verbundenen Gefahren zu begegnen. Derartige Gitterroste werden nicht nur bei den Trittbrettern der Eisenbahn, sondern auch bei den Trittbrettern der Straßenbahnen, bei den Rolltreppen, als Schuhabstreifer und dergleichen verwendet. Jeder aufmerksame Beobachter kann täglich die Wahrnehmung machen, daß Frauen, die solche Schuhe tragen, beim Betreten von Gitterrosten besondere Vorsicht walten lassen.
Wenn auch derartige Stöckelschuhe, wie sie die Klägerin beim Unfall getragen hat, üblicherweise von den Frauen getragen werden, so besagt dies nichts gegen die Annahme, daß es sich dabei doch um eine vorübergehende Modeangelegenheit handelt. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß die Schuhmode der Frauen einem ständigen Wechsel unterworfen ist, so daß es der beklagten Partei nicht zugemutet werden kann, ihre Einrichtungen immer der jeweiligen Mode anzupassen. Dies wäre mit untragbaren Lasten für das Unternehmen und für die Allgemeinheit verbunden.
Die beklagte Partei hat somit den ihr gemäß § 9 (2) EKHG. obliegenden Beweis für die Haftungsbefreiung erbracht, weil nachgewiesen ist, daß der Unfall allein durch das Verschulden der Klägerin entstanden ist. Das Klagebegehren wurde daher mit Recht abgewiesen.
Anmerkung
Z37034Schlagworte
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ECLI:AT:OGH0002:1964:0020OB00035.64.0227.000Dokumentnummer
JJT_19640227_OGH0002_0020OB00035_6400000_000