TE Vwgh Erkenntnis 2005/3/30 2005/06/0044

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Veröffentlicht am 30.03.2005
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Index

25/02 Strafvollzug;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §132b;
StVG §66 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des M V in G, vertreten durch Dr. Thomas Watzenböck, Rechtsanwalt in 4550 Kremsmünster, Hauptstraße 21, gegen den Bescheid der Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Linz vom 9. Jänner 2003, Zl. Vk 84/02 - 5, betreffend eine Angelegenheit des Strafvollzuges (Bewilligung einer "Gesundenuntersuchung"), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verbüßt in der Justizanstalt G eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Am 24. Oktober 2002 stellte er an den Anstaltsleiter das Ersuchen, ihm die Möglichkeit zu einer Vorsorge-Gesundenuntersuchung zu geben. Auch Strafgefangene hätten wie andere Personen einen Anspruch auf Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten. Sinngemäß heißt es weiter, auch solche Personen genössen grundsätzlich denselben Grad an medizinischer Versorgung wie eine in Freiheit befindliche Person. Zur Frage der Gleichstellung von Strafgefangenen und jener Personen, die sich in Freiheit befänden, sei hiebei das eine Mindestversorgung der Bevölkerung garantierende Leistungsanbot der Sozialversicherung heranzuziehen. Vorsorge-Gesundenuntersuchungen würden von allen Sozialversicherungen und Krankenkassen angeboten, daher sei auch ihm eine solche Untersuchung im Rahmen des Strafvollzuges vom Bund zu gewähren.

Dieses Ansuchen wurde vom Leiter der Justizanstalt mit Erledigung vom 20. November 2002 mit der wesentlichen Begründung abgelehnt, es liege kein Fall des § 66 StVG vor. Es mangle an einer gesetzlichen Grundlage, das ASVG sei nicht anwendbar; das Strafvollzugsgesetz sei hiezu die speziellere Norm (Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. November 1983, Zl. 83/01/0058).

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an die belangte Behörde, in welcher er unter anderem vorbrachte, nach § 66 Abs. 1 StVG seien der Gesundheitszustand der Strafgefangenen und ihr Körpergewicht zu überwachen. Daraus gehe hervor, dass sehr wohl der Gesundheitszustand zu überwachen sei. Jeder Arzt sage seinen Patienten, dass sie zu einer jährlichen Vorsorgeuntersuchung gehen sollten. Es sei wichtig, dass man Krankheiten im Frühstadium erkenne, damit erhöhe man die Heilungschance. In ganz Österreich würden Gesundheitsmessen abgehalten, und es würde von Ärzten geworben, doch zu einer Vorsorgeuntersuchung zu gehen. Im § 57 des Deutschen Strafvollzugsgesetzes seien solche Maßnahmen konkret festgeschrieben. In den letzten zwei Jahrzehnten habe sich nicht nur in der medizinischen Wissenschaft, sondern auch im Strafvollzug "sehr viel Positives verbessert". Das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes sei unzutreffend. Auch ein Strafgefangener müsste das Recht haben, auf seine Gesundheit zu achten und selbst zu entscheiden, ob er an einer Vorsorgeuntersuchung teilnehme oder nicht.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Beschwerde zurückgewiesen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass ein Anspruch des Strafgefangenen an Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten nicht bestehe. Abweichende Bestimmungen des Deutschen Strafvollzugsgesetzes begründeten kein subjektives Recht im Anwendungsbereich des (österreichischen) Strafvollzugsgesetzes. Auch die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (Hinweis auf die Punkte 29 und 30.1, wiedergegeben in Holzbauer/Brugger, Strafvollzugsgesetz, 304 ff), die nur eine alsbaldige Untersuchung nach der Aufnahme und später bei Bedarf festschrieben, führten nicht "zur Interpretation des § 66 Abs. 1 StVG im Sinne des Beschwerdeführers". Das vom Beschwerdeführer genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes stütze nicht seinen Standpunkt, darin würden die Normen des Strafvollzugsgesetzes als lex specialis zu sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen qualifiziert. Im Übrigen behauptete der Beschwerdeführer nicht, dass sein Gesundheitszustand trotz medizinischer Indikation in concreto nicht überwacht würde, welche dem Anstaltsarzt überantwortete Aufgabe der ärztlichen Betreuung ohnehin nur Gegenstand einer Aufsichtsbeschwerde nach § 122 StVG sein könnte (Hinweis auf § 120 Abs. 1 zweiter Satz StVG - Art der ärztlichen Behandlung/Überwachung). Mangels eines subjektiven Rechtes des Beschwerdeführers auf Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten sei die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im Beschwerdefall ist das Strafvollzugsgesetz (StVG), BGBl. Nr. 144/1969, in der Fassung BGBl. I Nr. 134/2002 anzuwenden. § 66 StVG lautet:

"Gesundheitspflege

§ 66. (1) Für die Erhaltung der körperlichen und geistigen Gesundheit der Strafgefangenen ist Sorge zu tragen. Der Gesundheitszustand der Strafgefangenen und ihr Körpergewicht sind zu überwachen.

(2) Die von ansteckenden Krankheiten betroffenen und von Ungeziefer befallenen Strafgefangenen sind abzusondern. Gegenstände, die von ihnen benützt worden sind, sind zu entseuchen oder zu entwesen; ist das nicht möglich oder nicht tunlich, so sind diese Gegenstände ohne Rücksicht darauf, wem sie gehören, zu vernichten. Räume, in denen sich solche Strafgefangene aufgehalten haben oder die von Ungeziefer befallen sind, sind zu entseuchen oder zu entwesen."

§ 132b ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 (diese Bestimmung im Beschwerdefall idF BGBl. I Nr. 99/2001), lautet:

"Vorsorge(Gesunden)untersuchungen

§ 132b. (1) Die Versicherten haben für sich und ihre Angehörigen (§ 123) Anspruch auf jährlich eine Vorsorge(Gesunden)untersuchung.

(2) Der Hauptverband hat die Durchführung dieser Vorsorge(Gesunden)untersuchungen durch Richtlinien zu regeln; in diesen Richtlinien sind unter Berücksichtigung des Fortschrittes der medizinischen Wissenschaft sowie der vom Bundesministerium für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz jeweils als besonders vordringlich erklärten Maßnahmen zur Erhaltung der Volksgesundheit die Untersuchungsziele und der Kreis der für die Untersuchung in Betracht kommenden Personen festzulegen. Bei der Festlegung der Untersuchungsziele ist darauf Bedacht zu nehmen, dass die Vorsorge(Gesunden)untersuchungen insbesondere der Früherkennung von Volkskrankheiten, wie Krebs, Diabetes, Herz- und Kreislaufstörungen, zu dienen haben. Für die Durchführung der Untersuchungen kommen unter Bedachtnahme auf das Untersuchungsziel insbesondere Vertragsärzte, Einrichtungen der Vertragsärzte und sonstiger Vertragspartner, Vertrags-Gruppenpraxen sowie eigene Einrichtungen in Betracht. Die Träger der Krankenversicherung können überdies dafür Vorsorge treffen, dass Vorsorge(Gesunden)untersuchungen im Einvernehmen mit dem in Betracht kommenden Dienstgeber (Träger der Ausbildungsstätte) und dem in Betracht kommenden Organ der Betriebsvertretung auch in den Arbeits- oder Ausbildungsstätten der Versicherten durchgeführt werden können.

(3) Aufgehoben.

(4) § 132a Abs. 6 gilt mit der Maßgabe, dass die Ergebnisse der Vorsorge(Gesunden)untersuchungen dem Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz sowie dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekanntzugeben sind.

(5) Die im Zusammenhang mit den Vorsorge(Gesunden)untersuchungen entstehenden Fahrtkosten sind nach Maßgabe der Bestimmungen des § 135 Abs. 4 zu ersetzen.

(6) Die Träger der Krankenversicherung haben auch für Personen, für die nicht bereits auf Grund einer Pflichtversicherung oder einer freiwilligen Versicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz ein Anspruch auf diese Leistung besteht, Vorsorge(Gesunden)untersuchungen vorzunehmen. Der Bund hat den tatsächlich entstandenen nachgewiesenen Aufwand der Träger der Krankenversicherung an derartigen Untersuchungskosten zu ersetzen und dem Hauptverband zu überweisen. Wenn dies der Verwaltungsvereinfachung dient, kann der Ersatz des Bundes durch einen Pauschbetrag abgegolten werden, der vom Bundesminister für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz unter Bedachtnahme auf die Zahl der von den einzelnen Trägern der Krankenversicherung vorzunehmenden Untersuchungen und die durchschnittlichen Kosten der Untersuchungen festzusetzen ist. Der Hauptverband hat diesen Betrag auf die von dem genannten Personenkreis in Anspruch genommenen Träger der Krankenversicherung im Verhältnis der Inanspruchnahme durch diesen Personenkreis aufzuteilen. Im Übrigen sind auf diese Vorsorge(Gesunden)untersuchungen die Bestimmungen der Abs. 2 bis 4 entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Personen, für die nicht bereits auf Grund einer Pflicht- oder freiwilligen Versicherung ein Anspruch auf diese Leistung besteht, gegenüber den untersuchenden Stellen bei der Durchführung der Vorsorge(Gesunden)untersuchungen den Versicherten bzw. ihren Angehörigen (§ 123) gleichgestellt sind."

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem gesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung bzw. Bewilligung einer "Gesunden-Vorsorge-Untersuchung" im Sinn des § 66 Abs. 1 StVG iVm § 132b ASVG verletzt.

Zu prüfen ist daher, ob § 66 Abs. 1 StVG dem Beschwerdeführer das behauptete subjektiv-öffentliche Recht auf Durchführung einer solchen Untersuchung im Sinne des § 132b ASVG vermittelt. Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings schon in dem bereits im Verwaltungsverfahren bezogenen Erkenntnis vom 9. November 1983, Zl. 83/01/0058, ein solches subjektiv-öffentliches Recht verneint und dabei auch darauf verwiesen, dass aus der Bestimmung des § 132b ASVG deshalb nichts zu gewinnen sei, weil das StVG die speziellere Norm sei. Der Strafgefangene könne sich nicht auf sozialversicherungsrechtliche Bestimmungen gleichen Rechtsquellenranges wie jene des Strafvollzugsgesetzes mit Erfolg berufen, weil er für die Dauer des Strafvollzuges einem besonderen Gewaltverhältnis unterliege (Hinweis auf Vorjudikatur). Der Beschwerdefall gibt keinen Anlass, von dieser Beurteilung abzugehen.

Die belangte Behörde hat sich weiters auf die Punkte 29 und

30.1 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze berufen. Diese lauten (zitiert nach der Wiedergabe in Holzbauer/Brugger, Strafvollzugsgesetz, S 305):

"29. Der Arzt hat jeden Gefangenen so bald wie möglich nach der Aufnahme und später nach Bedarf zu untersuchen, insbesondere zu dem Zweck, körperliche oder geistige Krankheiten festzustellen und alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, Gefangene, die ansteckender Krankheiten verdächtig sind, abzusondern, körperliche oder geistige Mängel, die einer Wiedereingliederung nach der Entlassung hinderlich sein können, zu erkennen und die Tauglichkeit eines jeden Gefangenen für die Arbeit festzustellen

30.1. Dem Arzt obliegt die Sorge für die körperliche und geistige Gesundheit der Gefangenen. Er hat nach den in Krankenhäusern geltenden Grundsätzen und in den dort üblichen Zeitabständen nach allen kranken Gefangenen zu sehen, ferner nach allen jenen, die eine Krankheit oder Verletzung melden sowie nach jenen Gefangenen, auf die seine besondere Aufmerksamkeit gelenkt wird."

Das Vorbringen in der Beschwerde, die belangte Behörde hätte im angefochtenen Bescheid die Auffassung vertreten, die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (nämlich die Punkte 29 und 30.1) würden eine Auslegung des § 66 Abs. 1 StVG im Sinne der belangten Behörde nicht zulassen, trifft nicht zu; vielmehr hat die belangte Behörde darauf verwiesen, dass die bezogenen Punkte der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze die Annahme des Beschwerdeführers, ihm stünde das behauptete Recht auf Durchführung einer solchen Gesundenuntersuchung zu, nicht stützten (was im Übrigen zutreffend ist).

Da dem Beschwerdeführer somit der behauptete Anspruch auf Vornahme einer Gesundenuntersuchung im Sinne des § 132b ASVG nicht zukommt (und nur diese Frage ist beschwerdegegenständlich), war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Die davon zu unterscheidende Frage hingegen, welches Maß an ärztlicher Betreuung und Behandlung beim Beschwerdeführer angezeigt ist (insbesondere auch im Hinblick auf die erstmals in der Beschwerde vorgetragenen Argumente, er sei zuckerkrank und leide unter Bluthochdruck), hat - schon deshalb - nicht Gegenstand dieses Erkenntnisses zu sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2004.

Wien, am 30. März 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2005060044.X00

Im RIS seit

02.05.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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