TE OGH 1964/4/30 2Ob121/64

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Veröffentlicht am 30.04.1964
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Norm

Straßenverkehrsordnung 1960 §19 (6)

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SZ 37/69

Spruch

Im fließenden Verkehr im Sinne des § 19 (6) StVO. 1960 befindet sich auch ein Kraftwagen, der von der Hauptfahrbahn abbiegend, die Nebenfahrbahn überquert.

Entscheidung vom 30. April 1964, 2 Ob 121/64. I. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Am 7. Juni 1961 fuhr der Kläger mit seinem Motorfahrrad in Wien vom Franz Josefs-Kai her auf der rechten Nebenfahrbahn des Schottenrings in Richtung Deutschmeisterplatz. Die Beklagte war mit ihrem Personenkraftwagen von der Hauptfahrbahn des Schottenrings nach links in der Absicht eingebogen, zum Deutschmeisterplatz zu fahren. Beim Überqueren der Nebenfahrbahn stieß ihr Wagen mit dem Motorfahrrad des Klägers zusammen. Der Kläger wurde verletzt und erlitt Sachschaden.

Mit der vorliegenden Klage begehrt er 15.000 S Schmerzengeld, weiter Ersatz des Sachschadens sowie des bisher entstandenen und künftig entstehenden Verdienstentganges, ferner die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige unfallskausale Schäden. Hiezu brachte er vor, daß die Beklagte den ihm zukommenden Vorrang verletzt habe und deshalb wegen Verschuldens hafte, daß er jedoch hilfsweise auch die Haftung nach den Bestimmungen des EKHG. geltend mache.

Die Beklagte wandte Alleinverschulden des Klägers ein und bestritt die Ansprüche auch der Höhe nach.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Beklagte sei gegenüber dem Kläger gemäß § 19 (6) StVO. 1960 im Vorrang gewesen. Der Kläger habe den Unfall selbst verschuldet. Einen anderen Haftungsgrund außer Verschulden habe er nicht geltend gemacht.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil als Teilurteil in der Abweisung des für Schmerzengeld begehrten Betrages von 15.000 S. Im übrigen hob es das Ersturteil ohne Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück. Es billigte die Ansicht des Erstgerichtes, daß der Kläger den Vorrang der Beklagten mißachtet habe und daher am Unfall allein schuldtragend sei, weshalb ein Anspruch auf Schmerzengeld nicht bestehe. Ob die Beklagte nach Haftpflichtrecht ersatzpflichtig sei, bedürfe noch der Prüfung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Prozeßentscheidend ist die Auslegung der Vorschrift des § 19 (6) StVO. 1960. Sie bestimmt, daß Fahrzeuge im fließenden Verkehr den Vorrang gegenüber Fahrzeugen haben, die aus Nebenfahrbahnen, von Parkplätzen, von Haus- und Grundstückseinfahrten, von Feldwegen, von Tankstellen od. dgl. kommen. Die Unklarheit dieser Bestimmung, soweit sie sich auf Nebenfahrbahnen bezieht, wurde im Schrifttum mit widersprechendem Ergebnis mehrfach erörtert (Tschulik, Zur Frage des Vorranges gegenüber dem Verkehr aus Nebenfahrbahnen, ZVR. 1962 S. 29 ff.; Steininger, Nochmals: Zur Frage des Vorranges gegenüber dem Verkehr aus Nebenfahrbahnen, ZVR. 1962 S. 57 ff.; Benesch, Kein Vorrang für Nebenfahrbahnen, Kraftfahrjurist 1962 S. 24 ff.). Das Berufungsgericht hat, im wesentlichen der Ansicht Steiningers a. a.

O. folgend, den Standpunkt vertreten, daß die Bestimmung des sechsten Absatzes des § 19 StVO. 1960 eine der Ausnahmen von dem im ersten Absatz dieser Gesetzesstelle verankerten Grundsatz darstelle, demzufolge Fahrzeuge, die von rechts kommen, den Vorrang haben, nicht aber eine Ausnahme von der Bestimmung des § 19 (5) StVO. 1960, nach der Fahrzeuge, die ihre Richtung beibehalten oder nach rechts einbiegen, sofern sich aus Abs. 4 nichts anderes ergibt, den Vorrang gegenüber entgegenkommenden, nach links einbiegenden Fahrzeugen haben. Es mache keinen Unterschied, ob das aus der Nebenfahrbahn kommende Fahrzeug die Fahrt über die Kreuzung hinweg in der Nebenfahrbahn fortsetzen wolle oder nicht, zumal bei der Beurteilung des Vorranges maßgebend sei, woher das Fahrzeug komme und nicht, wohin es fahre. Die Beklagte habe ihr Abbiegemanöver von der Hauptfahrbahn beendet gehabt, als sie diese überquert und verlassen habe. Von da an habe sie sich zu dem Motorfahrrad des Klägers zwar im Querverkehr von links, diesem gegenüber jedoch im fließenden Verkehr befunden, weil sie nach Beendigung des Abbiegemanövers, d.

h. nach Überqueren der Hauptfahrbahn, schon vor dem Erreichen der Einmundung der Nebenfahrbahn, auf der sich der Kläger mit seinem Motorfahrrad genähert habe, eine Fahrtrichtung gewählt habe, und unter deren Beibehaltung im Begriff gewesen sei, die Nebenfahrbahn zu passieren.

Die Revision wendet sich lediglich gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, das Fahrzeug der Beklagten habe sich im fließenden Verkehr befunden. Ihre Ausführungen sind jedoch nicht geeignet, diese Annahme des Berufungsgerichtes zu widerlegen. Zutreffend wird sowohl in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Teilurteils wie in den zitierten Aufsätzen darauf hingewiesen, daß die Straßenverkehrsordnung 1960 keine Begriffsbestimmung des "fließenden Verkehrs" enthält. Keineswegs kann jedoch - wie die Revision vermeint - gesagt werden, daß in bezug auf das Fahrzeug der Klägerin von einem fließenden Verkehr deshalb nicht gesprochen werden könne, weil es von der Hauptfahrbahn abgebogen sei. Als Fahrzeug im fließenden Verkehr ist jedes Fahrzeug zu beurteilen, das weder hält (§ 2 (1) Z. 27 StVO. 1960), noch parkt (§ 2 (1) Z. 28 StVO. 1960), noch sich nach einem Halten oder Parken in den entsprechenden Fahrbahnteil einordnet, noch aus einer der im § 19

(6) StVO. 1960 beispielsweise aufgezählten Verkehrsflächen kommt. Der Standpunkt Geusaus ("Die Benützung der Nebenfahrbahnen", Kraftfahrjurist 1961 S. 55 f.), der die Beantwortung der Frage, ob sich ein einzelnes Fahrzeug im fließenden Verkehr befinde, von der leichten Wahrnehmbarkeit einer merkbaren Geschwindigkeitsherabsetzung abhängig machen will, vermag nicht zu überzeugen. Wenn die Revision weiter meint, daß gerade der Motorfahrradverkehr vom verkehrstechnischen Standpunkt aus als fließend bezeichnet werden müsse, so wird diese Auffassung schon durch den Wortlaut des Gesetzes im § 19 (6) StVO. 1960 widerlegt, da es dem fließenden Verkehr die - u. a. - aus Nebenfahrbahnen kommenden Fahrzeuge ausdrücklich gegenüberstellt. Aber auch der Hinweis darauf, daß die hier vertretene Auslegung der in Rede stehenden Gesetzesbestimmung mit den Bedürfnissen der Leichtigkeit, Schnelligkeit und Sicherheit des Verkehrs nicht in Einklang zu bringen sei, ist nicht zwingend. Es darf nicht übersehen werden, daß § 8 (1) StVO. 1960 vorwiegend solche Fahrzeuge auf die Benützung der vorhandenen Nebenfahrbahnen verweist, die sich - gemessen an den sonst im städtischen Straßenverkehr zulässigen und üblichen Geschwindigkeiten - verhältnismäßig langsam fortbewegen. Der Umstand, daß dies für Motorfahrräder nicht im gleichen Maß zutrifft, kann de lege lata an der gegebenen Situation nichts ändern.

Anmerkung

Z37069

Schlagworte

Fließender Verkehr nach § 19 (6) StVO. 1960, Nebenfahrbahn, Vorrang gegenüber dem Verkehr auf einer -, Verkehr, fließender nach § 19 (6) StVO 1960, Vorrang gegenüber dem Verkehr auf Nebenfahrbahnen, Fließender Verkehr nach § 19 (6) StVO. 1960, Nebenfahrbahn, Vorrang gegenüber dem Verkehr auf einer -, Verkehr, fließender nach § 19 (6) StVO 1960, Vorrang gegenüber dem Verkehr auf Nebenfahrbahnen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1964:0020OB00121.64.0430.000

Dokumentnummer

JJT_19640430_OGH0002_0020OB00121_6400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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