Norm
Angestelltengesetz §20Kopf
SZ 37/70
Spruch
Der vertragliche Ausschluß der freien Kundbarkeit des Dienstverhältnisses wirkt wie ein gesetzlicher Kündigungsschutz. Eine ungerechtfertigte Entlassung hebt in einem solchen Fall das Dienstverhältnis nicht auf.
Entscheidung vom 5. Mai 1964, 4 Ob 47/64. I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtsrechtssachen Wien.
Text
Der Beklagte betreibt eine Metallgießerei. Der Kläger und der Beklagte sind Brüder. Zwischen ihnen kam es zu verschiedenen Differenzen, die auch zu Rechtsstreitigkeiten führten. Schließlich wurde in einem gerichtlichen Vergleich vom 29. Juni 1956 und einem damit im Zusammenhang stehenden, durch Schriftwechsel zustandegekommenen Übereinkommen mit Ende September 1956 ein Angestelltenverhältnis des Klägers bei der beklagten Partei begrundet und dabei ausdrücklich vereinbart, "daß eine Auflösung dieses Dienstverhältnisses nur aus wichtigen Gründen möglich sei."
Am 13 Mai 1963 (Montag) wurde der Kläger unter Bezugnahme auf einen Vorfall vom 10. Mai 1963 (Freitag) entlassen. Der Kläger behauptet, er habe keinen "wichtigen Grund" im Sinne der Vereinbarung gesetzt, der eine Auflösung des Dienstverhältnisses rechtfertigen könnte, überdies sei die Entlassung nicht unverzüglich ausgesprochen worden und daher verspätet. Da es sich um ein unkundbares Dienstverhältnis handle, bestehe es aufrecht fort und habe er Anspruch auf Fortzahlung seiner Bezüge ...
Der Kläger begehrt 1. die Feststellung, daß das Dienstverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten aufrecht fortbestehe und die ausgesprochene Entlassung auf Grund des Übereinkommens vom 29. Juni 1956 rechtsunwirksam sei, 2. die Verurteilung der beklagten Partei zur Bezahlung von 27.371.89 S samt Nebengebühren. Die beklagte Partei anerkannte einen Teil des geltend gemachten Anspruchs.
Im übrigen bestritt die beklagte Partei das Klagebegehren und behauptete, daß der Kläger Entlassungsgrunde gesetzt habe.
Mit dem Ersturteil wurde der Beklagte zur Zahlung von 4.505.46 S samt 4% Zinsen seit 26. Juni 1963 an den Kläger verurteilt. Das Mehrbegehren, das heißt das Feststellungsbegehren und das Begehren auf Zahlung von weiteren 22.866.43 S samt Nebengebühren wurde abgewiesen. Der Zuspruch des Betrages von 4.505.46 S samt Nebengebühren ist in Rechtskraft erwachsen.
Das Erstgericht bejahte in seiner rechtlichen Beurteilung den Entlassungstatbestand der erheblichen Ehrverletzung gemäß § 27 Z. 6 AngG. Der zugrundeliegende Vorfall sei zugleich ein wichtiger Grund zur Auflösung des Dienstverhältnisses im Sinne des Übereinkommens vom 29. Juni 1956. Die Entlassung sei rechtzeitig, weil das Erfordernis der Sofortigkeit der Entlassung nicht überspannt werden dürfe. Damit erweise sich das Feststellungsbegehren als unbegrundet. Was das Leistungsbegehren anlange, so stehe dem Kläger über den 13. Mai 1963 (den Tag der Entlassung) hinaus kein Anspruch zu.
Das Berufungsgericht, änderte infolge Berufung des Klägers das Ersturteil dahin ab, daß es dem Feststellungsbegehren und auch dem Begehren auf Zahlung weiterer 22.886.43 S samt Nebengebühren kostenpflichtig stattgab. Das Berufungsgericht gelangte nach der von ihm gebrauchten Begründung offenbar zu denselben tatsächlichen Feststellungen wie das Erstgericht. Es nahm aber an, daß dem Kläger kein Entlassungstatbestand angelastet werden könne. Demnach liege auch kein "wichtiger Grund" im Sinne des Übereinkommens vom 29. Juni 1956 vor. Überdies sei die Entlassung verspätet erfolgt. Da aber gemäß vertraglicher Bestimmung das Dienstverhältnis nur aus "wichtigen Gründen" aufgelöst werden könne und ein "wichtiger Grund" nicht vorliege, bestehe das Dienstverhältnis aufrecht weiter. Feststellungsbegehren und restliches Leistungsbegehren seien gerechtfertigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Zutreffend hat das Berufungsgericht - dem Standpunkt des Klägers Rechnung tragend - erkannt, daß mangels Vorliegens eines "wichtigen Auflösungsgrundes" im Sinne des Dienstvertrages das Dienstverhältnis des Klägers zum Beklagten weiterhin aufrecht fortbesteht. Nun trifft es zwar nach der in der Revision ins Treffen geführten Rechtsprechung (so SZ. XIII 79 = ArbSlg. 6255 = SZ. XXVIII 169, ArbSlg. 6596, EvBl. 1959 Nr. 319, SZ. XXXI 105) zu, daß auch eine ungerechtfertigte Entlassung das Dienstverhältnis beendet, sofern nicht ein besonderer gesetzlicher Kündigungs- oder Entlassungsschutz (wie etwa nach dem Mutterschutz-G., InvalideneinstellungsG. oder BetriebsräteG.) besteht. Doch beruht diese Judikatur darauf, daß die Entlassung im Normalfall in eine nach § 20 AngG. jederzeit zulässige Kündigung umgedeutet werden kann. Der § 29 AngG. sieht für diesen Fall vor, daß der Dienstnehmer seine Entgeltansprüche bis zum Ablauf der bestimmten Vertragszeit oder der Kündigungsfrist behält. Ist aber eine Kündigung wegen eines gesetzlichen Kündigungsschutzes nicht möglich, so löst die ungerechtfertigte Entlassung das Dienstverhältnis nicht, weil dann die Umdeutung in eine Kündigung nicht möglich ist. Eine konsequente Anwendung dieses Grundsatzes muß dazu führen, daß beim vertraglichen Ausschluß freier Kundbarkeit, der dem Dienstnehmer ähnliche Rechte einräumt, wie eine gesetzliche Kündigungserschwerung, die gleichen Maßstäbe angewendet werden. Wenn Entscheidungen (so SZ. XXVIII 169, SZ. XXXI 105) ohne nähere Begründung ausgesprochen haben, daß die ungerechtfertigte Entlassung das Dienstverhältnis auch dann beende, wenn dem Angestellten vertraglich Unkundbarkeit zugesichert worden war, so treffen die Voraussetzungen dieser Entscheidungen auf den vorliegenden Fall nicht voll zu. Die Bestimmungen der §§ 29 (1) ("unbeschadet weitergehenden Schadenersatzes"), 31 (1) ("allfällige weitere Schadenersatzansprüche") und 34 (1) AngG. ("Ersatzansprüche im Sinne der §§ 28 und 29, ferner ... im Sinne des § 31") lassen allerdings die Auslegung zu, daß die im § 29 (1) AngG. gewährten Ansprüche auf das Entgelt für den Zeitraum einerseits, "der bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch Ablauf der bestimmten Vertragszeit" oder andererseits, "der durch ordnungsmäßige Kündigung durch den Dienstgeber" hätte verstreichen müssen, Schadenersatzansprüche sind. In den im § 29 (1) AngG. geregelten beiden Fällen (Auflösung eines auf bestimmte Zeit geschlossenen und eines durch normale ordnungsmäßige Kündigung lösbaren Dienstverhältnisses ohne Zeitbestimmung) könnte bei dieser Auslegung daher nicht geltend gemacht werden, daß das zu Unrecht gelöste Dienstverhältnis weiterbestehe. Diese beiden Fälle entsprechen den im Angestelltengesetz (§§ 19 (1) und 20 (1)) enthaltenen normalen Gründen für die Beendigung eines Dienstverhältnisses.
Die im § 29 (1) AngG. enthaltenen Rechtsfolgen für bestimmte Fälle können jedoch auf andere rechtliche Gestaltungen nicht bezogen werden. Mangels Zutreffens der beiden im § 29 (1) AngG. geregelten Fälle hat es nämlich beim Grundsatz zu verbleiben, daß eine als unzulässig anzusehende Rechtshandlung wirkungslos ist und das Rechtsverhältnis, das durch die wirkungslose Rechtshandlung (hier Entlassungserklärung) beendet werden soll, weiterbesteht.
Daher vertritt die neuere Rechtsprechung den Grundsatz, daß eine einem gesetzlichen Verbot zuwiderlaufende Beendigungserklärung das Dienstverhältnis trotz der Bestimmungen der §§ 29 (1), 31 (1) und 34
(1) AngG. nicht auflöst. Beim Vorliegen eines gesetzlichen Kündigungsschutzes, der die Möglichkeit normaler "ordnungsmäßiger Kündigung durch den Dienstgeber" (§ 29 (1) AngG.) ausschließt, ist die Lösung des Dienstverhältnisses unwirksam und die arbeitsrechtlichen Beziehungen bestehen weiter.
Es liegt kein Grund vor, gleichartige vertragliche Abmachungen, mit denen die Möglichkeit normaler Vertragslösung ausgeschlossen wird, anders zu behandeln. Denn derartige vertragliche Vereinbarungen haben keine geringere rechtliche Bedeutung als gesetzliche Anordnungen dieser Art und gleichartige Ansprüche, sei es auf Grund Gesetzes, sei es aus einem Vertrag, bedürfen desselben Schutzes.
Wollte man hinsichtlich einer vertraglich eingeräumten Kündigungsbeschränkung einen anderen Maßstab als bei derartigen Ansprüchen auf Grund eines Gesetzes anlegen und den Dienstnehmer bei einer vertragswidrigen Lösung derartiger Dienstverhältnisse bloß auf Entschädigungsansprüche nach § 29 AngG. verweisen, wäre überdies willkürlichen Vertragsbrüchen des Dienstgebers Vorschub geleistet.
Anmerkung
Z37070Schlagworte
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ECLI:AT:OGH0002:1964:0040OB00047.64.0505.000Dokumentnummer
JJT_19640505_OGH0002_0040OB00047_6400000_000