TE OGH 1964/7/13 6Ob201/64

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Veröffentlicht am 13.07.1964
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Norm

ABGB §1294

Kopf

SZ 37/105

Spruch

Überredung eines erkennbar Bergunerfahrenen, zu einer gefährlichen Bergtour unter wahrheitswidriger Behauptung der Ungefährlichkeit kann einen Schadenersatzanspruch begrunden.

Entscheidung vom 13. Juli 1964, 6 Ob 201/64. I. Instanz:

Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Erika W., die am 8. Juli 1940 geborene Tochter des Klägers, erstieg am 14. September 1960 anläßlich eines Urlaubsaufenthaltes in G. mit ihrer gleichaltrigen Freundin Hildegard K., über den "H.-Steig" den T. Dort kamen sie mit dem ihnen bisher unbekannten Beklagten ins Gespräch und äußerten ihre Absicht, über die M.-Alm abzusteigen. Sie entschlossen sich aber dann, mit den beiden Beklagten, die in der Naturfreundehütte Anstreicherarbeiten verrichteten und hiefür neue Farbe vom Tal holen mußten, über den "N.-Steig" abzusteigen.

Um 14 Uhr traten sie den Abstieg an, bei dem der Zweitbeklagte, der Sohn des damaligen Pächters des N.-Hauses, voranging, dann folgten Hildegard K. und Erika W. und als letzter der Erstbeklagte. Beim sogenannten H.-Graben stürzte Erika W., rollte zirka 200 m über Felsen und Geröll und blieb schließlich im Felsen hängen. Der Zweitbeklagte versuchte wohl, sie aufzufangen, erreichte sie aber nicht, stieg dann zu ihr ab und konnte nur mehr ihren Tod feststellen. Sie hatte zahlreiche Wunden und Brüche, sowie eine linksseitige Schädelzertrümmerung erlitten. Ein zu 9 Vr 733/62 des Kreisgerichtes Wels gegen beide Beklagte eingeleitetes Strafverfahren wurde gemäß § 90 StPO. eingestellt; ein Subsidiarantrag des Klägers wurde rechtskräftig abgelehnt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, mit dem der Kläger den Ersatz der ihm durch den Tod seiner Tochter erwachsenen Kosten und Auslagen verlangt, aus folgenden Erwägungen ab:

Selbst wenn man von den Klagsbehauptungen ausgehe, daß sich die beiden Mädchen zuerst weigerten, der Aufforderung, über den N.-Steig abzusteigen, Folge zu leisten, und sich erst über Drängen der beiden Beklagten dazu entschlossen, so könne dieses Drängen nur als nachteiliger Rat im Sinne des § 1300 ABGB. gewertet werden. Da der Kläger weder Entgeltlichkeit noch Vorsätzlichkeit, sondern nur grobe Fahrlässigkeit behaupte, folge daraus keine Schadenersatzpflicht. Daher sei es auch unerheblich, ob die Bekleidung der beiden Mädchen für den Abstieg über den N.-Steig geeignet war und ob die Beklagten eine allenfalls mangelnde Eignung erkannt haben.

Den Beklagten sei aber auch kein Verschulden wegen Unterlassung einer vorbeugenden Hilfeleistung anzulasten, und zwar schon deshalb nicht, weil sie weder eine gesetzliche noch eine vertragliche sondern nur eine moralische Hilfeleistungspflicht auf Grund der Bergkameradschaft getroffen habe. Als sich der Unfall ereignete, habe die Gruppe schon 2/3 des Abstiegs zurückgelegt gehabt. Der Kläger habe gar nicht behauptet, daß die Mädchen bis dahin eine Unsicherheit gezeigt hätten, die den Beklagten die Notwendigkeit einer besonderen Hilfeleistung an exponierter Stelle erkennbar gemacht hätte. Es ergebe sich aus den Klagsbehauptungen kein stichhältiger Grund dafür, daß die Beklagten hätten voraussehen können, daß die Tochter des Klägers beim Passieren des H.grabens stolpern und einer Sicherung bedürfen werde. Es sei gerichtsbekannt, daß beim Abstieg über den N.-steig die Verwendung eines Seiles nicht üblich sei. Für die Notwendigkeit einer anderen Sicherung fehle es an der Voraussehbarkeit.

Die Vornahme eines Augenscheines zwecks Feststellung, welche nach den Regeln der Bergsteigertechnik zu leistenden Hilfen und Schutzmaßnahmen die Beklagten unterlassen haben und inwieweit ihr Verhalten für den tödlichen Unfall kausal war, stelle einen in der ZPO. nicht vorgesehenen Erkundungsbeweis dar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das angefochtene Urteil auf, und verwies die Sache unter Rechtskraftvorbehalt zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es erachtete die Klagsbehauptungen zur Begründung einer Schadenersatzpflicht der Beklagten für ausreichend, weshalb es notwendig sei, die angebotenen Beweise aufzunehmen.

Nach dem Klagsvorbringen seien die Beklagten erfahrene Bergsteiger gewesen, denen erkennbar war, daß die beiden Mädchen bergunerfahren und mangelhaft ausgerüstet waren. Dennoch sollen sie sie unter der wahrheitswidrigen Zusicherung, der N.-Steig sei völlig ungefährlich, überredet, ja geradezu gedrängt haben, mit ihnen diesen in Wahrheit sehr gefährlichen Steig zu benützen. Wäre dies richtig, so ginge dies über einen nachteiligen Rat im Sinne des § 1300 ABGB. weit hinaus. Die Beklagten hätten hiedurch die beiden Mädchen in eine gefährliche Situation gebracht, die letztlich die Ursache für den Tod der Erika W. war.

Wenn sich die Beklagten der Gefährlichkeit ihres Tuns bewußt sein konnten, ja mußten, dann habe ihr Verhalten gegen § 335 StG. verstoßen, was trotz Einstellung des Strafverfahrens im Zivilverfahren zu prüfen sei.

Nach dem Grundsatz, daß jedermann die seinem Tun entspringenden nachteiligen Folgen abzuwenden habe, wären außerdem die Beklagten nicht nur moralisch sondern auch rechtlich verpflichtet gewesen, alles zu tun, um die Mädchen, falls sie sie wirklich zu diesem Abstieg überredet haben, vor Schaden zu bewahren.

In der Klage sei behauptet worden, die Unfallstelle sei die gefährlichste des ganzen Abstieges und die Beklagten hätten die notwendige Hilfe durch Anweisung, Führung und Auffangbereitschaft unterlassen. Hierin könne eine rechtswidrige Unterlassung im Sinne des § 1294 ABGB. liegen.

Es sei also zu untersuchen, ob den Beklagten ein strafrechtliches oder doch zivilrechtliches Verschulden zur Last falle, und hiezu bedürfe es der Aufnahme der angebotenen Beweise. Es treffe auch nicht zu, daß der beantragte Lokalaugenschein ein Erkundungsbeweis sei. Die Durchführung eines Augenscheines oder, falls dies zu schwierig sei, die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei zur Beurteilung der behaupteten Gefährlichkeit dieses Steiges und der notwendigen Schutzmaßnahmen wohl nicht entbehrlich.

Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wie das Berufungsgericht vollkommen zutreffend dargelegt hat, könnte der in der Klage behauptete Sachverhalt, seine Erweislichkeit vorausgesetzt, in mehrfacher Hinsicht zur Begründung einer Schadenersatzpflicht der Beklagten führen. Dies zunächst dann, wenn es richtig wäre, daß den Beklagten als bergerfahrenen Männern erkennbar war, daß die beiden Mädchen bergunerfahren und für den Abstieg über den N.-Steig ungeeignet bekleidet und ausgerüstet waren und wenn sie sie trotzdem unter der wahrheitswidrigen Behauptung, es handle sich um einen ungefährlichen Steig gedrängt, ja überredet haben, den für ihre Verhältnisse doch als gefährlich anzusehenden Steig im Abstieg zu begehen. Dem Berufungsgericht ist aber auch darin beizupflichten, daß die Einstellung des Strafverfahrens das Zivilgericht nicht der Verpflichtung enthebt, zu prüfen, ob das Verhalten der Beklagten nicht doch der Bestimmung des § 335 StG. zu unterstellen ist, oder ob es, selbst wenn dies zu verneinen wäre, nicht vielleicht aus zivilrechtlichen Erwägungen rechtswidrig und schuldhaft und daher zum Schadenersatz verpflichtend anzusehen ist.

Es könnte sich aber auch eine Schadenersatzpflicht der Beklagten aus der Unterlassung der notwendigen Unterstützung der Erika W. während des Abstiegs ergeben, da nach dem Ingerenzprinzip (vgl. Rittler[2] I S. 130, Nowakowski S. 53, SSt. XXXI 1, ÖRZ. 1961 S. 162 u. a.) für jedermann eine Rechtspflicht zu einem entsprechenden Handeln besteht, der eine verpflichtende Vorhandlung gesetzt hat. Zivilrechtlich ist darüber hinaus jede Unterlassung rechtswidrig, wenn das unterlassene Handeln geboten war. Dies ist immer dann der Fall, wenn nach vorzunehmender Interessenabwägung am Handeln ein größeres rechtliches Interesse besteht als an der Unterlassung (vgl. Wolff in Klang[2] VI S. 18), wenn somit den Beklagten eine erfolgversprechende Rettungshandlung zumutbar war. Auch in dieser Richtung liegt ein ausreichendes Klagsvorbringen vor, das, um richtig beurteilt werden zu können, einer Überprüfung an Hand der angebotenen Beweise bedarf.

Schließlich ist den Ausführungen des Berufungsgerichtes auch darin beizutreten, daß sich der Antrag auf Vornahme eines Lokalaugenscheines, nicht als ein der ZPO. fremder Erkundungsbeweis darstellt.

Dieser Antrag muß im Zusammenhalt mit dem ganzen vorangegangenen Klagsvorbringen verstanden werden, und erscheint darnach für die Beurteilung, ob die Beklagten den N.-Steig nach dem bergsteigerischen Können und der Ausrüstung der Erika W. als gefährlich ansehen mußten und ob sie alle darnach erforderlichen Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen getroffen haben, von wesentlicher Bedeutung. Richtig ist allerdings, daß dieser Beweis, falls seine Durchführung dem Erstrichter nicht zumutbar ist, durch einen Sachverständigenbeweis ersetzt werden kann.

Durch diese Darlegungen sind die Rekursausführungen der Beklagten, die im wesentlichen in der Behauptung bestehen, ein deliktisches Verhalten sowie ein rechtswidriges Unterlassen der Beklagten sei schon auf Grund des Strafaktes zu verneinen, widerlegt. Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil nach dem Grundsatz der Unmittelbarkeit die für die zivilgerichtliche Entscheidung erforderlichen Grundlagen in diesem Verfahren selbst gewonnen werden müssen. Soweit die Rekurse im übrigen die Rechtsansicht des Erstgerichtes wiedergeben, kann ihnen, wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, nach den bisherigen Verfahrensergebnissen nicht gefolgt werden.

Anmerkung

Z37105

Schlagworte

Ingerenzprinzip, Unterlassung Schadenersatzanspruch wegen - nach verpflichtender, Vorhandlung, Ingerenzprinzip, Unterlassung Schadenersatzanspruch wegen - nach verpflichtender, Vorhandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1964:0060OB00201.64.0713.000

Dokumentnummer

JJT_19640713_OGH0002_0060OB00201_6400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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