TE OGH 1964/9/1 1Ob85/64

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.09.1964
beobachten
merken

Norm

Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung §4 (2)
Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung §39 (2) Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung §39 (3) Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung §41 (1) Z2

Kopf

SZ 37/111

Spruch

Jede Bestimmung des Gesellschaftsvertrages, die auf die Möglichkeit hinausläuft, einen Gesellschafter an der Ausübung des Stimmrechtes zu hindern, ist gesetzwidrig; wesentlich erscheint, daß der Gesellschafter, der sich vertreten lassen will, jedenfalls eine Person seines Vertrauens auswählen und entsenden können muß.

Entscheidung vom 1. September 1964, 1 Ob 85/64. I. Instanz:

Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Der Kläger ist Gesellschafter der beklagten Partei, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, und hat an der ordnungsgemäß einberufenen außerordentlichen Generalversammlung vom 26. Juni 1963 teilgenommen, bei welcher gegen seine Stimme beschlossen wurde, § 16 des Gesellschaftsvertrages durch nachstehende Bestimmung (Abs. 4) zu ergänzen:

"Bei der Generalversammlung ist die Vertretung von Gesellschaftern durch Bevollmächtigte nur zulässig, wenn der Bevollmächtigte selbst Gesellschafter oder Ehegatte des Gesellschafters oder ein volljähriges Kind des Gesellschafters oder ein Geschäftsführer der Gesellschaft ist". Gegen diese Beschlußfassung erhob der Kläger Widerspruch. Der Beschluß wurde am 11. Juli 1963 in das Protokollbuch der beklagten Partei eingetragen.

Im vorliegenden, seit 9. August 1963 anhängigen Prozeß belangte der Kläger die beklagte Partei zu Handen der Geschäftsführer auf Nichtigerklärung des angeführten Generalversammlungsbeschlusses, wobei er sich auf die Bestimmungen der §§ 4, 39 und 41 GesmbHG. stützte.

Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Begründung, aus § 39 (2) Schlußsatz GesmbHG. wonach jedem Gesellschafter mindestens eine Stimme zustehen müsse, ergebe sich, daß jede Beschränkung der Ausübung des Stimmrechtes, insofern sie praktisch zu einem Ausschluß desselben führen könne, verboten sei; die von der beklagten Partei ins Treffen geführte Bestimmung des § 39 (3) GesmbHG., die einerseits von der Möglichkeit einer Vertretung des Gesellschafters handle und eine solche Form der Stimmrechtsausübung für zulässig erkläre, andererseits bei gesetzlichen oder statutarischen Vertretungen nicht handlungsfähiger und juristischer Personen bestimme, daß diese zur Ausübung des Stimmrechtes zugelassen werden müsse, gehe fehl; es stehe dem Gesellschafter nämlich frei, zu entscheiden, ob er sich vertreten lassen wolle oder nicht, sofern nicht die Vertretung wegen Handlungsunfähigkeit des Gesellschafters oder weil es sich um eine juristische Person handle, nötig sei, in welchem Fall eine Vertretung naturgemäß obligatorisch sein müsse; daraus könne aber nicht ein Recht der Gesellschaft abgeleitet werden, die Befugnis des einzelnen Gesellschafters, sich vertreten zu lassen, unzulässigerweise einzuengen; bei den von der beklagten Partei herangezogenen früheren Bestimmungen des Aktienregulativs könne es sich nur um allgemeine rechtspolitische Erwägungen handeln, die im übrigen wegen der wirtschaftlichen Verschiedenheit einer Aktiengesellschaft und einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung keineswegs gleich sein könnten; das Wesen der Aktiengesellschaft bestehe in einer großen Zahl von Aktionären, sodaß auch bei einer Beschränkung der Vertretungsbefugnis auf Aktionäre der einzelne Gesellschafter keineswegs in einem irgendwie in Betracht kommenden Ausmaß in der Auswahl seines Vertreters beschränkt werde. Bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die in der Regel nur wenige Gesellschafter umfasse, könne die gleiche Beschränkung durchaus spürbar sein; im übrigen müsse in diesem Zusammenhang darauf verwiesen werden, daß zwischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaft nach österreichischem Recht ein ganz wesentlicher Unterschied insofern bestehe, als es bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung keine stimmrechtslosen Geschäftsanteile gebe, während es bei der Aktiengesellschaft - ebenso wie bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht - durchaus möglich sei, Gesellschafter vom Stimmrecht auszuschließen; aus eben diesem Grund könne aber auch nicht die deutsche Rechtslehre ohne weiteres herangezogen werden, die - wenn auch nicht ganz unbeschränkt - weitergehend als nach österreichischer Praxis eine Beschränkung des zur Vertretung eines Gesellschafters der Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Betracht kommenden Personenkreises zulasse; die österreichische Lehre vertrete überwiegend, die österreichische Praxis sogar ausschließlich den Standpunkt, daß eine Beschränkung des zur Vertretung eines Gesellschafters der Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Betracht kommenden Personenkreises jedenfalls dann ausgeschlossen sei, wenn sich damit für den Gesellschafter die Möglichkeit einer Entziehung seines Stimmrechtes ergebe; so Hämmerle

II S. 744, Graschopf S. 158, ZBl. 1916 Nr. 441 und ZBl. 1930 Nr. 14 (anders, aber ohne nähere Begründung Gellis in Anm. 14 zu § 39 GesmbHG.); zutreffend habe der Erstrichter erkannt, daß durch die von der außerordentlichen Generalversammlung am 26. Juni 1963 beschlossene Regelung die Ausübung des Stimmrechtes des Klägers weitgehend beschränkt, wenn nicht sogar ausgeschlossen werden könne; gerade wenn es sich um eine Familiengesellschaft handle und der Vertretene ein Außenstehender sei, bestehe nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Wahrscheinlichkeit, daß sich bei Beschlüssen, die den Interessen der Familiengesellschafter widersprächen, keiner von diesen bereitfinden werde, die Vertretung des Klägers zu übernehmen, sodaß dieser in einem solchen Fall - sofern aus persönlichen Gründen weder er selbst noch seine eigenen Angehörigen bei der Generalversammlung erscheinen könnten - von der Ausübung des Stimmrechtes ausgeschlossen wäre; unter solchen Umständen sei es gleichgültig, aus welchen Gründen es zur strittigen Beschlußfassung gekommen sei, weil selbst dann, wenn die beklagte Partei das größte Interesse an einer Beschränkung der Vertretungsmöglichkeiten der einzelnen Gesellschafter haben sollte, diese Beschränkung doch nicht in einer Weise erfolgen dürfe, daß dadurch dem Kläger die Stimmrechtsausübung unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werde; wenn die beklagte Partei besonderen Wert darauf gelegt hätte, daß nur engste Familienangehörige Gesellschaftsrechte ausüben, dann hätte sie seinerzeit im Wege einer Satzungsbestimmung eine Übertragung des Gesellschaftsanteiles an den Kläger überhaupt verhindern müssen. Was schließlich die von der beklagten Partei ins Treffen geführte Möglichkeit anbelange, daß vom Kläger entsandte Vertreter Geschäftsgeheimnisse ausplaudern könnten, so könne auch dieser Umstand die erfolgte Beschränkung des Stimmrechtes nicht rechtfertigen, ganz abgesehen davon, daß der Kläger in einem solchen Fall verpflichtet wäre, seinem Vertreter die Geheimhaltung der bei der Generalversammlung in Erfahrung gebrachten, vertraulichen Dinge aufzutragen, und bei Verletzung dieser Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber schadenersatzpflichtig wäre; der Erstrichter habe daher mit Recht die Bestimmung des § 16 (4) des Gesellschaftsvertrages als dem Gesetz widersprechend und gemäß § 4 GesmbHG. als ohne Rechtswirkung erklärt.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Oberste Gerichtshof sieht sich nach Prüfung der von der beklagten Partei vorgetragenen Argumente nicht veranlaßt, von dem Standpunkt abzugehen, den er schon in den von den Unterinstanzen herangezogenen Entscheidungen ZBl. 1916 Nr. 441 und ZBl. 1930 Nr. 14 eingenommen hat, wonach jede Bestimmung des Gesellschaftsvertrages, die auf die Möglichkeit hinausläuft, einen Gesellschafter an der Ausübung des Stimmrechtes zu hindern, gesetzwidrig ist. Daß Gellis die gegenteilige Auffassung vertritt, fällt schon deshalb nicht sehr ins Gewicht, weil sich dieser Autor mit der von ihm selbst erwähnten Judikatur des Obersten Gerichtshofes nicht näher auseinandergesetzt hat.

Von einer Behinderung der Stimmrechtsausübung kann wohl nicht schlechthin in jedem Fall einer Festlegung von Voraussetzungen für die als Bevollmächtigte zugelassenen Personen gesprochen werden; es ist auch zuzugeben, daß die Gesellschaft als solche ein berechtigtes Interesse an ihrer besonderen Qualifizierung haben kann. Es gilt die Grenze zu finden, welche die Gesellschaft nicht überschreiten darf, wenn die vom Gesetz geschützten Interessen der einzelnen Gesellschafter nicht in unerträglichem Ausmaß beeinträchtigt werden sollen. Wesentlich erscheint dabei, daß der Gesellschafter, der sich vertreten lassen will bzw. aus persönlichen Gründen vertreten lassen muß, jedenfalls eine Person seines Vertrauens auswählen und entsenden können muß. Bei den zwischen den Gesellschaftern bzw. zwischen ihnen und den Geschäftsführern oft genug auftretenden Meinungsverschiedenheiten und Spannungen stellt eine Beschränkung des für eine Bevollmächtigung zugelassenen Personenkreises auf die Gesellschafter, ihre allernächsten Angehörigen und auf die Geschäftsführer eine unzumutbare Beschränkung jener Gesellschafter dar, die auf eine Bevollmächtigung angewiesen sind oder von ihr Gebrauch machen wollen. Auch wenn die Geschäftsanteile alle oder zum größten Teil in Familienbesitz sind, ändert sich daran nichts, weil Meinungsverschiedenheiten und Spannungen gerade in bezug auf geschäftliche Interessen auch zwischen Familienangehörigen auftreten können und gar nicht selten auftreten. Es muß darum den Unterinstanzen beigepflichtet werden, daß die von der Generalversammlung beschlossene Änderung des Gesellschaftsvertrages auf eine effektive Behinderung eines Gesellschafters an der Stimmrechtsausübung hinauslaufen kann.

Die im deutschen Rechtsbereich zu diesem Fragenkomplex herrschenden Auffassung ist, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, wegen der abweichenden Stimmrechtsregelung im deutschen Recht fehlt die Bestimmung, daß jeder Gesellschafter mindestens eine Stimme haben muß - nicht unmittelbar vergleichbar. Es ist aber festzuhalten, daß auch im deutschen Rechtsbereich Bevollmächtigungsbeschränkungen nicht gelten dürfen, wenn sie zu einer unzumutbaren Härte für den auf die Bevollmächtigung angewiesenen Gesellschafter führen oder geradezu in der Absicht einer Stimmrechtsausschließung getroffen wurden (vgl. hiezu Scholz[5] Anm. 13 zu § 47, Hachenburg - Schmidt Anm. 16 zu § 47).

Dem Argument der beklagten Partei, sie müsse sich vor der Gefahr einer Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen schützen können, ist eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen. Darum erachtet auch der Oberste Gerichtshof die Aufstellung gewisser Qualifikationsvoraussetzungen für die als Vollmachtsträger berufbaren Personen nicht schlechthin für unzulässig. Wie sie formuliert werden müßten, kann diesmal unerörtert bleiben, weil die Beschlußfassung vom 26. Juni 1963 jedenfalls zu engherzig erfolgte. Maßgebend bleibt jedenfalls, daß der Gesellschafter, dem das Gesetz das Recht einräumt, sich eines Bevollmächtigten zu bedienen, die Möglichkeit haben muß, aus einem Kreis von Personen, bei denen unter Anlegung eines objektiven Maßstabes keine Interessenkollision zu befürchten ist, eine Person seines Vertrauens als Bevollmächtigten auswählen zu können.

Aus diesen Erwägungen kann in der Stattgebung des Klagebegehrens keine Fehlentscheidung erblickt werden.

Anmerkung

Z37111

Schlagworte

Gesellschaft Gesellschaftsvertrag, Hinderung eines Gesellschafters an, der Ausübung seines Stimmrechtes durch -, Stimmrecht, Hinderung eines Gesellschafters an der Ausübung seines -, durch Gesellschaftsvertrag (GesmbH.), Gesellschaft mbH. Gesellschaftsvertrag, Hinderung eines Gesellschafters, an der Ausübung seines Stimmrechtes durch -, Stimmrecht, Hinderung eines Gesellschafters an der Ausübung seines -, durch Gesellschaftsvertrag (GesmbH.)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1964:0010OB00085.64.0901.000

Dokumentnummer

JJT_19640901_OGH0002_0010OB00085_6400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten