TE OGH 1964/9/17 2Ob236/64

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Veröffentlicht am 17.09.1964
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Norm

ZPO §503 Z2

Kopf

SZ 37/120

Spruch

Hat das Erstgericht auf Grund unmittelbarer Beweisaufnahme Feststellungen getroffen, dann bedeutet es einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit - und damit den Revisionsgrund des § 503 Z. 2 ZPO. - wenn die Berufungsinstanz bloß auf Grund der Akten die erstinstanzlichen Feststellungen unter Hinweis auf "die Erfahrungen des täglichen Lebens" modifiziert oder ergänzt.

Entscheidung vom 17. September 1964, 2 Ob 236/64. I. Instanz:

Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Der Kläger hat als Lenker seines Personenkraftwagens am 6. September 1961 auf der Bundesstraße 17 in Edlach durch den Zusammenstoß mit dem vom Beklagten gelenkten Personenkraftwagen im Gegenverkehr einen Verkehrsunfall erlitten. Gegen beide Fahrzeuglenker ist beim Bezirksgericht das Strafverfahren eingeleitet worden; bezüglich des Klägers ist dieses Verfahren am 13. Oktober 1961 eingestellt worden; der Beklagte aber ist mit Urteil vom 24. November 1961 - rechtskräftig - schuldig erkannt worden, bei der obbezeichneten Gelegenheit als Lenker eines PKW. ... dadurch, daß er trotz schlechter Sichtverhältnisse, regennasser Straße und Gegenverkehr, aus einer Fahrzeugkolonne ausbrechend, diese zu überholen versuchte, eine Handlung begangen zu haben, von welcher er schon nach ihren natürlichen, für jedermann leicht erkennbaren Folgen vorauszusehen vermochte, daß sie eine Gefahr für das Leben von Menschen herbeizuführen geeignet sei; dadurch habe sich der aus der Gegenrichtung kommende PKW.-Fahrer ... (der Kläger) gezwungen gesehen, sein Fahrzeug abzubremsen, sei ins Schleudern gekommen und mit dem PKW. des Beklagten zusammengestoßen (Verletzungen ...; Schuldspruch wegen Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG.). Nunmehr nimmt der Kläger den Beklagten auf Ersatz seines Schadens aus dem Verkehrsunfall vom 6. September 1961 wegen Verschuldens in Anspruch. Der Beklagte hat vor dem Erstgerichte ein Eigenverschulden des Klägers in der Höhe eines Drittels geltend gemacht und eine Gegenforderung von 31.870.92 S compensando eingewendet.

Das Erstgericht hat erkannt, daß die Klagsforderung mit dem Betrage von 19.183.15 S samt Anhang zu Recht und die vom Beklagten eingewendete Gegenforderung mindestens bis zur Höhe der Klagsforderung zu Recht bestehe; daher hat es das Zahlungsbegehren pcto. 28.774.72 S samt Anhang abgewiesen. Das Erstgericht war zum Ergebnis gekommen, daß der Schaden des Klägers aus dem Unfall mit rechnungsmäßig 28.774.72 S anzunehmen sei; dieser Schaden sei im Verhältnisse von eins zu zwei zu Lasten des Beklagten aufzuteilen, so daß davon ein Drittel (9591.57 S) abzuziehen sei; der restlichen Klagsforderung von 19.183.15 S stunde ein Drittel der Gegenforderung des Beklagten in der Höhe von 95.612.77 S, das sind 31.870.92 S, gegenüber.

Der Berufung des Klägers, worin dieser den Zuspruch von 28.774.72 S samt Anhang zu erreichen gesucht hatte, hat das Berufungsgericht teilweise Folge gegeben und in Abänderung des Ersturteiles erkannt, daß die Klagsforderung mit dem Betrage von 25.177.88 S samt Anhang zu Recht, die Gegenforderung des Beklagten aber mit 11.951.59 S zu Recht bestehe; daher sei der Beklagte schuldig, dem Kläger den Betrag von 13.226.29 S samt Anhang zu bezahlen (die Abweisung des Mehrbegehrens pcto. 15.548.43 S samt Anhang ergibt sich zwar nicht aus dem Spruche des Berufungsurteils, ist aber seinen Gründen eindeutig zu entnehmen). Die ziffermäßigen Ansätze der Schadensbeträge blieben im Berufungsverfahren unverändert. Das Berufungsgericht nahm aber die Schadensaufteilung im Verhältnisse von eins zu sieben zu Lasten des Beklagten vor und gelangte damit zu den oben erwähnten Ersatzbeträgen.

Der Oberste Gerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Streitsache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach dem Vorbringen beider Revisionswerber steht in dritter Instanz auf der Basis der nicht mehr strittigen Beträge von 28.774.72 S bzw. 95.612.77 S zur Erörterung, ob und - bejahendenfalls - in welchem Umfang die Schadenersatzforderung des Klägers zu kürzen sei; von der Beantwortung dieser Frage hängt auch die Entscheidung über die vom Beklagten eingewendete Gegenforderung ab. Der Kläger vertritt weiterhin die Auffassung, daß ihm Ersatz ungekürzt gebühre, während der Beklagte im Revisionsverfahren den Standpunkt vertritt, daß der Schaden beider Parteien im Verhältnisse von eins zu drei zu Lasten des Beklagten aufzuteilen sei (bei der Höhe der Gegenforderung des Beklagten ergäbe sich danach die gänzliche Klagsabweisung). Die rechtliche Beurteilung dieser Umstände setzt endgültige Feststellungen voraus, so daß zunächst die von der beklagten Partei geltend gemachten Rügen in der Richtung des § 503 Z. 2 ZPO. zu erörtern sind. Diesen Rügen kommt gemäß den folgenden Ausführungen Berechtigung zu, so daß mit der Aufhebung des gesamten Berufungsurteils (auch die Erledigung der vom Kläger erhobenen Rechtsrügen setzt endgültige Feststellungen über den Unfallshergang voraus) und der Rückverweisung der Streitsache an das Berufungsgericht vorzugehen ist (dem Ermessen der Berufungsinstanz bleibt vorbehalten, die Berufungsverhandlung zu ergänzen).

Zwar ist der von der beklagten Partei gerügte Verstoß gegen die Bestimmungen des § 268 ZPO. (die diesbezüglichen Ausführungen der beklagten Partei sind unrichtigerweise in der Rechtsrüge nach § 503 Z. 4 ZPO. enthalten, welcher Revisionsgrund aber nur die materiellrechtliche Beurteilung betrifft) nicht gegeben. Denn die Bindung des Streitrichters besteht nur hinsichtlich der strafgerichtlichen Verurteilung und dem Gerichte ist es im Streitverfahren nicht verwehrt, zusätzlich zur strafgerichtlichen Verurteilung Umstände anzunehmen, die ein weiteres Verschulden des strafgerichtlich Verurteilten begrunden. Die beklagte Partei rügt aber zutreffend die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch die Berufungsinstanz. Die bisherige Berufungsverhandlung hat doch eine Erweiterung der Entscheidungsgrundlagen nicht ergeben, so daß es der Berufungsinstanz verwehrt war, von den auf Grund unmittelbarer Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen des Erstgerichtes abzugehen oder bloß auf Grund der Akten zusätzliche Feststellungen in entscheidungswichtigen Punkten zu treffen. Für die Beurteilung des Verhaltens des Klägers ist entscheidend, wann er auf das verkehrswidrige Überholen des Beklagten reagieren mußte, so daß es darauf ankommt, inwieweit der Überholvorgang abgeschlossen war, als sich der Kläger mit seinem Fahrzeug der späteren Unfallsstelle näherte; die Relation der Bewegungsvorgänge zueinander muß für die Beurteilung der Ausgleichsansprüche (§ 11 EKHG.) geklärt sein. Nun hat das Erstgericht festgestellt, daß es dem Beklagten vor dem Zusammenstoß gelungen sei, sich hinter dem Lastkraftwagen einzureihen. Die Berufungsinstanz aber hat zu diesem Punkt ausgeführt, daß "die Erfahrungen des täglichen Lebens im Zusammenhalte mit den an beiden Fahrzeugen entstandenen Schäden nur die Feststellung zuließen, daß der Beklagte gerade im Begriffe war, sich hinter dem Lastkraftwagen einzureihen, als der Zusammenstoß erfolgte". Diese Diskrepanz wird vom Beklagten mit Recht gerügt; sie betrifft, wie bemerkt, in ihrem Zusammenhange mit der nach der einen oder anderen Version verschieden zu beantwortenden Frage nach der Rechtzeitigkeit der Reaktion des Klägers einen entscheidungswichtigen Punkt, so daß die meritorische Erledigung in dritter Instanz derzeit nicht möglich ist. Das Berufungsgericht hat selbst darauf verwiesen, daß die Feststellungen des Erstgerichtes ungenau und unvollständig seien; es durfte nicht ohne Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit bloß auf Grund der Akten die erstinstanzlichen Feststellungen "unter Bedachtnahme auf seine Ausführungen" (zum Unfallshergange) ergänzen oder modifizieren.

Anmerkung

Z37120

Schlagworte

Berufungsverfahren Unmittelbarkeitsgrundsatz, Unmittelbarkeitsgrundsatz, Berufungsverfahren, Verfahrensmangel, Unmittelbarkeitsgrundsatz im Berufungsverfahren, Berufungsverfahren Unmittelbarkeitsgrundsatz, Unmittelbarkeitsgrundsatz, Berufungsverfahren, Verfahrensmangel, Unmittelbarkeitsgrundsatz im Berufungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1964:0020OB00236.64.0917.000

Dokumentnummer

JJT_19640917_OGH0002_0020OB00236_6400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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