TE OGH 1964/11/26 2Ob331/64

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Veröffentlicht am 26.11.1964
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Norm

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334

Kopf

SZ 37/172

Spruch

Grobe Fahrlässigkeit (§ 334 ASVG.) eines Tischlermeisters, der einen noch nicht 16 jährigen, im zweiten Lehrjahr stehenden Lehrling an einer Kreissäge ohne Schutzvorrichtung arbeiten läßt, wobei der Lehrling verletzt wird.

Entscheidung vom 26. November 1964, 2 Ob 331/64. I. Instanz:

Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.

Text

Der bei der klagenden Partei (Sozialversicherungsträger) pflichtversicherte Walter H. erlitt am 2. März 1960 als Lehrling im Tischlerbetrieb des Beklagten einen Unfall. Beim Schneiden von Leisten aus einem Kantholz mit einer Kreissäge geriet er mit der linken Hand an das Sägeblatt. Dabei wurden ihm drei Finger zwischen dem ersten und zweiten Glied abgetrennt. Wegen dieses Unfalles wurde der Beklagte in erster Instanz nach § 335 StG. verurteilt, in zweiter Instanz wegen Verjährung freigesprochen.

Die klagende Partei erbringt die Pflichtleistungen aus der Sozialversicherung. Mit der Behauptung, der Beklagte habe den Arbeitsunfall Walter H.'s durch grobe Fahrlässigkeit verursacht, verlangt sie gemäß § 334 ASVG. den Ersatz ihrer bisherigen Aufwendungen und der künftigen Rentenleistungen; mit dem Leistungsverbindet sie ein Feststellungsbegehren.

Das Erstgericht erkannte gemäß dem Klagebegehren.

Das Berufungsgericht wiederholte die Beweise durch Vernehmung des Walter H. als Zeugen und des Beklagten als Partei und bestätigte das Ersturteil.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der allein strittigen Frage, ob der Beklagte den Arbeitsunfall Walter H.'s durch grobe Fahrlässigkeit verursacht habe, ist von folgendem bindend festgestellten Sachverhalt auszugehen:

Walter H. war am Unfallstag noch nicht 16 Jahre alt und befand sich im zweiten Lehrjahr. An diesem Tag erhielt er vom Beklagten den Auftrag, aus Abfallholz, das neben der Kreissäge hergerichtet war, Leisten von bestimmter Stärke zu schneiden. Eine solche Arbeit wird in jeder entsprechend eingerichteten Tischlerei mit der Kreissäge verrichtet. Ein ausdrücklicher Auftrag des Beklagten, die Kreissäge zu verwenden, ist ebensowenig erwiesen wie ein Verbot dieses Inhalts. H. hat schon vor dem Unfall auf der Kreissäge Brennholz geschnitten und im Auftrag des Beklagten auf verschiedenen Holzbearbeitungsmaschinen selbständig gearbeitet. Daß er am Unfallstag die Kreissäge in Gegenwart des Beklagten in Betrieb nahm, steht nicht fest. Der Unfall ereignete sich, während der Beklagte aus der Werkstätte zum Telephon gerufen wurde und deshalb wenige Minuten abwesend war. Er kam dadurch zustande, daß, nachdem schon einige Latten abgefräst waren, das Sägeblatt einen Ast anschnitt, das Holz dabei zu vibrieren begann, weshalb H. versuchte, es mit der linken Hand anzudrücken, und dabei an das Sägeblatt geriet, als das Holzstück zurückgeschlagen wurde. Eine Schutzvorrichtung für die Kreissäge, nämlich ein Spaltkeil, war in der Werkstätte vorhanden, nicht aber an der Maschine angebracht. Bei der Arbeit wurde ein sogenanntes RS ("rückschlagsicheres") Sägeblatt verwendet. Der Beklagte hat H. nie über die Gefahren, Schutzvorrichtungen und Handhabung der Kreissäge belehrt.

Soweit die Revision darzutun versucht, daß der Beklagte überhaupt nicht gegen die von den Vorinstanzen angezogenen Schutzbestimmungen, nämlich das Bundesgesetz vom 1. Juli 1948, BGBl. Nr. 146/1948, über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen, und die Verordnung vom 10. November 1951, BGBl. Nr. 266/1951 (Maschinen-Schutzvorrichtungsverordnung) verstoßen habe, genügt es, auf den Wortlaut der in Betracht kommenden Vorschriften zu verweisen:

Nach § 23 (2) des genannten Gesetzes dürfen Jugendliche u. a. zu den im Anhang zu diesem Bundesgesetz angeführten Arbeiten nicht verwendet werden. Als "verbotene Arbeiten" im Sinn des Abschnittes II dieses Anhanges in der Fassung der Verordnung vom 25. Oktober 1954, BGBl. Nr. 258/1954, sind unter Punkt 21 u. a. angeführt: "Die selbständige Bedienung und Wartung von Holzspaltmaschinen, Hobelmaschinen, Fräsmaschinen, Oberfräsmaschinen, Kreis- und Bandsägen sowie Bandschleifmaschinen für Jugendliche bis zum vollendeten 17. Lebensjahr ...; erlaubt ist die Beschäftigung Jugendlicher nach vollendetem 16. Lebensjahr, wenn sie im letzten Lehrjahr stehen, unter Aufsicht". Fest steht, daß H. schon früher im Auftrag des Beklagten an verschiedenen Holzbearbeitungsmaschinen selbständig gearbeitet und auf der gegenständlichen Kreissäge für den Beklagten Brennholz geschnitten hat. Bei dieser Sachlage mußte der Beklagte damit rechnen, daß H. die ihm aufgetragene Arbeit an den nächst der Kreissäge vorbereiteten Hölzern in der Weise ausführen werde, die der Einrichtung des Betriebes und dem üblichen Arbeitsvorgang entsprach. Daß der Beklagte ihm dies ausdrücklich erlaubte, war zur Annahme eines Verstoßes gegen die Vorschrift nicht erforderlich.

Nach § 10 der Maschinen-Schutzvorrichtungsverordnung müssen Kreissägen so eingerichtet sein, daß der zum Schneiden jeweils nicht benützte Teil des Zahnkranzes ... verdeckt ist (Abs. 1), es müssen Langschnittkreissägen überdies so ausgerüstet sein, daß ein Rückschlagen des Werkstückes verhindert wird, wobei nähere Anordnungen für den Fall der Verwendung eines Spaltkeils als Rückschlagsicherung getroffen werden (Abs. 2). Daß das rückschlagsichere Sägeblatt einen Unfall nicht zu verhindern vermochte, ergibt sich aus der Tatsache des Unfalles. Daß aber die für Kreissägen vorgeschriebene Schutzvorrichtung erst bei Inbetriebnahme anzuwenden sei, kann der Vorschrift ("müssen eingerichtet sein", "müssen ausgerüstet sein") nicht entnommen werden.

Die Verletzung von Schutzvorschriften steht somit eindeutig fest. Nun hat allerdings der Oberste Gerichtshof mehrfach ausgesprochen, daß die Nichtbeachtung einer Unfallverhütungsvorschrift allein im Einzelfall noch nicht auf grober Fahrlässigkeit beruhen müsse. Dies besagt jedoch nicht, daß eine solche Nichtbeachtung bedeutungslos sei. Die von den Vorinstanzen angezogenen Vorschriften dienen einerseits dem Zweck, Beschädigungen zu verhüten, die unter bestimmten Verhältnissen erfahrungsgemäß leicht auftreten, aber vermieden werden können, wenn die Vorschriften strikte eingehalten werden, andererseits bezwecken sie den besonderen Schutz jugendlicher Arbeiter. Der Beklagte hat mehrfache Verstöße gegen diese Schutzbestimmungen zu verantworten. Daß er einen seiner Aufsicht anvertrauten Jugendlichen ohne jede Belehrung an einer gefährlichen Maschine arbeiten ließ, fällt besonders schwer ins Gewicht. Er ließ es als Unternehmer und Lehrherr an jener Aufmerksamkeit fehlen, die von ihm im Interesse der Unfallverhütung erwartet werden mußte. Es bestehen daher gegen die Beurteilung des Gesamtverhaltens des Beklagten als grob fahrlässig keine rechtlichen Bedenken.

Anmerkung

Z37172

Schlagworte

Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit, Lehrling arbeitet mit, ungeschützter Kreissäge, Kreissäge, grobe Fahrlässigkeit, Lehrling arbeitet mit ungeschützter -, Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit, Lehrling arbeitet mit, ungeschützter Kreissäge, Kreissäge, grobe Fahrlässigkeit, Lehrling arbeitet mit ungeschützter -

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1964:0020OB00331.64.1126.000

Dokumentnummer

JJT_19641126_OGH0002_0020OB00331_6400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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