Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Dinnebier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Machek, Dr. Berger, Dr. Schopf und Dr. Steinböck als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef M*****, Kaufmann, *****, vertreten durch Dr. Walter Rosna, Rechtsanwalt in Baden, wider die beklagte Partei Alwin L*****, Kaufmann, *****, Vorarlberg, vertreten durch Dr. Wilhelm Winkler, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen 603.508,48 S s.A. infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 4. Dezember 1964, GZ 2 R 286/64-8, womit der Beschluß des Kreis- als Handelsgerichtes Wr. Neustadt vom 29. Oktober 1964, GZ 1 Cg 783/64-5, infolge Rekurses der beklagten Partei abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Unbestritten ist folgender Sachverhalt: Der Beklagte wohnt in Hard in Vorarlberg. Er besitzt dort eine Fabrik, ebenso eine solche in Steinabrückl im Gerichtsbezirk Wr. Neustadt. Die Hauptniederlassung befindet sich in Hard.
Der Kläger bringt vor: Er habe für den Beklagten gegen vereinbarte Provisionen in den Jahren 1958 bis 1963 von diesem in den genannten Fabriken erzeugte Plastikartikel vertrieben. Es gebühre ihm daraus ein Betrag von 603.508,48 S. Mit Rücksicht darauf, daß der Beklagte in Steinabrückl eine Niederlassung habe, hinsichtlich derer das Verfahren zur Registrierung anhängig sei, lägen die Voraussetzungen des Gerichtsstandes nach § 87 Abs 1 JN vor. Hilfsweise stützt der Kläger die Zuständigkeit des Erstgerichtes auf den zweiten Absatz dieser Gesetzesstelle.
Der Beklagte erhebt die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit und begründet diese in nachstehender Weise: Sitz seines Unternehmens sei Hard, wo er eine Fabrik habe. Die vom Kläger vertriebenen Waren seien überwiegend dort erzeugt worden. Die Geschäfte seien über die Zentrale in Hard abgewickelt worden.
Das Erstgericht verwarf die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. Es erachtete den Gerichtsstand der Niederlassung nach § 87 Abs 1 JN für gegeben, weil der Beklagte in Steinabrückl eine Fabrik betreibt. Im Gegensatz zum Fall des § 87 Abs 2 JN sei es nicht erforderlich, daß die geltendgemachte Forderung mit diesem in einem ursächlichen wirtschaftlichen Zusammenhang stehe. Vielmehr genüge ein Zusammenhang der Klageforderung mit dem Geschäftsbetrieb des Beklagten im allgemeinen.
Das Rekursgericht gab der Einrede statt und wies die Klage zurück. Es vertrat unter Berufung auf Neumann4, I., S 209 und Fasching, I S 436, 438 (Anm 1 und 6 zu § 87 JN) die Ansicht, daß Abs 1 der genannten Bestimmung sich nur auf den Fall der Einbringung der Klage beim Gericht der einzigen oder der Hauptniederlassung beziehe. Da sich diese in Hard befinde, seien die Voraussetzungen des Abs 1 nicht gegeben. Für die Annahme des Gerichtsstandes nach Abs 2 fehle es an den entsprechenden Behauptungen des Klägers, da dieser nicht vorgebracht habe, daß sich die Rechtssache gerade auf den Fabriksbetrieb in Steinabrückl beziehe.
Gegen die Entscheidung zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, sie dahin abzuändern, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist nicht begründet.
Die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß im Fall des § 87 Abs 1 JN kein ursächlicher wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Klageforderung und dem Geschäftsbetrieb der Niederlassung bestehen müsse, ist keineswegs unbestritten (Dagegen zB Pollak2, I. S 313). Dieser Absatz wurde durch die am 1. 6. 1914 erlassene 1. GEN dem bisherigen § 87 JN, der nur aus den jetzigen Absätzen 2 und 3 bestand, vorangesetzt. Mit Unrecht beruft sich daher der Erstrichter zur Auslegung des Abs 1 auf die im Jahr 1910 ergangene Entscheidung GlUNF Nr 5059, Fasching kommt (Anm 3 zu § 87 JN), allerdings ebenfalls unrichtigerweise auf diese Entscheidung bezugnehmend, für Abs 1 zu dem Ergebnis, daß der Klageanspruch sich nur auf den Geschäftsbetrieb beziehen müsse.
Das Rekursgericht ist Neumann (aaO) und Fasching gefolgt, daß unter Niederlassung oder Betriebsstätte im Sinne des Abs 1 nur die Hauptniederlassung oder die einzige Niederlassung zu verstehen ist. Folgt man der dem widersprechenden Ansicht des Erstgerichtes, so würde Abs 1 auch alle Fälle des Abs 2 umfassen. Dieser Absatz mit seinem Erfordernis des ursächlichen wirtschaftlichen Zusammenhanges hätte gar keine Bedeutung mehr. Dann bliebe es aber unverständlich, warum der neue Absatz durch die 1. GEN vorangestellt wurde, statt, daß dieser den damaligen Abs 1 ersetzt hätte. Es wäre sinnlos, im Abs 2 den Zusammenhang zu fordern, wenn unter den gleichen betrieblichen Verhältnissen die Voraussetzungen nach Abs 1 nicht notwendig wäre. Daraus folgt, daß im Abs 1 zu dem Begriff der Niederlassung eine weitere Voraussetzung kommen muß. Da im Abs 1 im Gegensatz zu Abs 2 die Einzahl gebraucht wird, ist zu schließen, daß es sich um die einzige Niederlassung handeln muß. Grund für die Novellierung war, abgesehen von einer Erweiterung des Kreises der Niederlassungen auf solche nicht gewerblicher Art, der Umstand, daß der Wortlaut des bisherigen Abs 1 und jetzigen Abs 2 immerhin die Deutung zuließ, daß, wer außerhalb seines Wohnsitzes nur eine einzige Niederlassung betreibt, bei dem dafür zuständigen Gericht nicht geklagt werden könne (Beil. zu den Stenogr. Prot. d. Abgeordnetenhauses, XXI, 1911, Nr 537 S 39, 40). Das besondere Merkmal, das Abs 1 von Abs 2 unterscheidet, ist also, daß die Klage nicht bei Vorhandensein mehrerer Niederlassungen beim Gericht einer Zweigniederlassung angebracht werden kann, das Gesetz vielmehr davon ausgeht, daß es sich um den einzigen Betrieb handelt. Bei einem solchen fällt der Begriff der "streitigen Rechtssachen, die sich auf ihre geschäftliche oder berufliche Tätigkeit beziehen", im Sinne des Abs 1 mit denen "die sich auf die Niederlassung beziehen" naturgemäß zusammen. Denn wenn der Beklagte nur eine einzige Niederlassung hat, muß für Rechtssachen, die sich auf den Geschäftsbetrieb des Beklagten beziehen, dasselbe für die Niederlassung gelten.
Ob auch die Ansicht Faschings und Neumanns zutreffend ist, daß § 87 Abs 1 sich ebenso auf Klagen beim Gericht der Hauptniederlassung beziehe, braucht nicht erörtert zu werden, weil die des Beklagten sich nicht im Sprengel des Erstgerichtes befindet.
Mit Unrecht beruft sich der Kläger auf den Gerichtsstand des § 87 Abs 2 JN. Aus seinem Vorbringen, daß er für die Fabriken des Beklagten Geschäfte vermittelt habe, läßt sich allerdings die weitere Behauptung ableiten, die Geschäfte bezögen sich auf beide Fabriken, also auch auf die in Steinabrückl. Der Beklagte hat dies, wie erwähnt, bestritten. Jedenfalls ist der Gerichtsstand nach Abs 2 nur für diejenigen Provisionsforderungen begründet, die aus Verkäufen der in der Steinabrückler Fabrik erzeugten Waren, oder aus solchen entstanden sind, die über die betreffende Niederlassung abgewickelt worden sein sollten (s Sperl S 118). Der Kläger hat es jedoch unterlassen, die betreffenden Forderungen genau zu bezeichnen, so daß selbst bei Richtigkeit seines Vorbringens nicht beurteilt werden könnte, inwieweit der Gerichtsstand nach § 87 Abs 2 JN gegeben ist. Es ist Sache des Klägers, alle zur Begründung der Zuständigkeit maßgeblichen Tatsachen zu behaupten.
Das Rekursgericht hat also mit Recht das Erstgericht für unzuständig erachtet und mangels eines Überweisungsantrages die Klage zurückgewiesen. Das unbegründete Rechtsmittel mußte daher erfolglos bleiben.
Der Kostenausspruch beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E77643 7Ob25.65European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1965:0070OB00025.65.0203.000Dokumentnummer
JJT_19650203_OGH0002_0070OB00025_6500000_000