TE OGH 1965/3/4 8Ob46/65

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Veröffentlicht am 04.03.1965
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Köhler, Dr. Höltzel, Dr. Bauer und Dr. Gräf als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Valerie E*****, im Haushalt, ***** vertreten durch Dr. Erwin Aigner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Franz P*****, Anstreichergehilfe, ***** vertreten durch Dr. Jakob Lechner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 27. Oktober 1964, GZ 43 R 603/64-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 30. Juni 1964, GZ 4 C 91/64-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil zu lauten hat:

"Die Kündigung 4 K 9/64 wird aufgehoben.

Der Beklagte ist nicht schuldig, die Wohnung Nr 15 im Hause *****, bestehend aus Zimmer und Küche, von den nicht in Bestand gegebenen Gegenständen binnen 14 Tagen bei Exekution geräumt zu übergeben."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 1.387,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 673,-- bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 414,90 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat dem Beklagten am 18. 1. 1964 die aus Zimmer und Küche bestehende Wohnung in *****, Nr 15, nach § 19 Abs 2 Z 13 MietG mit der Begründung aufgekündigt, daß er diese Wohnung nicht mehr zur Befriedigung eines regelmäßigen Wohnungsbedürfnisses benötige. Er wohne bei seiner Lebensgefährtin und lasse die Wohnung, abgesehen von gelegentlichen Besuchen, leer und unbenützt stehen. Dieser Zustand bestehe seit Mai 1960. Der Beklagte habe auch den Gas- und Strombezug abgemeldet. Es fehle an einem schutzwürdigen Interesse des Beklagten. Der Beklagte hat dieses Vorbringen bestritten und eingewendet, daß er keine Lebensgefährtin habe, bei der er ständig wohne. Er sei seit April 1960 Witwer und alleinstehend und schlafe insbesondere in der kalten Jahreszeit außerhalb seiner Wohnung, um in dieser nicht heizen zu müssen. Er lasse die Wohnung regelmäßig von einer Bedienerin in Ordnung halten. Der Gas- und Strombezug sei nur einmal drei Tage lang abgesperrt gewesen, weil beim Inkasso niemand in der Wohnung anwesend gewesen sei.

Das Erstgericht hat die Kündigung für wirksam erklärt und festgestellt, daß die Gattin des Beklagten im April 1960 gestorben sei. Danach sei der Beklagte nur mehr selten im Hause anwesend gewesen. Erst wieder seit Einbringung der Kündigung werde er öfter im Hause gesehen. Seit April 1960 führe die Zeugin Grete L***** die Wirtschaft für den Beklagten in ihrer Wohnung. Dort nehme er auch das Essen ein und dort schlafe er auch meistens. In den Monaten Mai bis November verbringe der Beklagte die Wochenenden regelmäßig bei einem Freund in Eichgraben. In seiner Wohnung übernachte der Beklagte nur äußerst selten, keineswegs regelmäßig einige Male in der Woche. Er habe auch Kleider, Wäsche und Schuhe in der Wohnung der Zeugin L*****, der er für die Wirtschaftsführung S 250,-- wöchentlich bezahle. Der Beklagte habe auch die Absicht, die Zeugin L***** zu ehelichen. Dies hänge aber davon ab, ob und wann der Sohn der Zeugin L*****, der jetzt 24 Jahre alt ist, heiraten wird. Die gesamten Kosten für Gas und Strom in der Wohnung des Beklagten haben für ca vier Jahre nur S 57,27 ausgemacht.

Das Erstgericht ist aufgrund dieser Feststellungen zu der Ansicht gelangt, daß der Beklagte die aufgekündigte Wohnung zur Befriedigung eines regelmäßigen Wohnungsbedürfnisses nicht mehr benötige. Es befinde sich auch der wirtschaftliche Mittelpunkt der Lebensführung des Beklagten nicht mehr in dieser Wohnung. Auf eine ungewisse in der Zukunft liegende Möglichkeit eines Bedarfes des Beklagten könne keine Rücksicht genommen werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge, ließ aber die Revision zu.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision des Beklagten, in der er den Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO geltend macht und die Abänderung des angefochtenen Urteiles in der Richtung einer Aufhebung der Kündigung beantragt, ist zulässig und auch gerechtfertigt. Der Antrag der Klägerin, der Revision nicht Folge zu geben, ist nicht begründet.

Mit Recht bekämpft der Beklagte die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß er kein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des aufgekündigten Mietverhältnisses habe. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist bei Beurteilung der vorliegenden Kündigung von folgenden Grundsätzen auszugehen. Es ist zu prüfen, ob ein dauernder Mangel eines schutzwürdigen Interesses des Gekündigten gegeben ist (MietSlg 6639, 8242, 8250, 9036, 9046). Bei der Beurteilung kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einbringung der Kündigung an. Es muß jedoch auch die Änderung der Sachlage während des Kündigungsstreites berücksichtigt werden, um feststellen zu können, ob ein dauerndes schutzwürdiges Interesse weggefallen ist (MietSlg 7444, 9731). Auf ungewisse in der Zukunft liegende Möglichkeiten eines Wohnungsbedarfes ist nicht Bedacht zu nehmen (MietSlg 9733). Schutzwürdig ist das Interesse des Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses, wenn es gegenwärtig besteht oder sein Eintritt in naher Zukunft mit Sicherheit zu erwarten ist (MietSlg 6637, 9740). Bei der Prüfung der Frage, ob die Wohnung zur Befriedigung eines regelmäßigen Wohnungsbedürfnisses verwendet wird, ist nicht starr am Wortlaut der Gesetzesbestimmung festzuhalten, sondern in jedem Fall zu untersuchen, ob ein schutzwürdiges Interesse besteht oder nicht. Selbst das Vorhandensein einer Doppelwohnung (MietSlg 9741) oder der Besitz eines Einfamilienhauses (MietSlg 15.433) müssen nicht unbedingt zur Verneinung eines schutzwürdigen Interesses führen. Das Interesse des Mieters muß dauernd und völlig mangeln. Das wird der Fall sein, wenn eine Wohnung überhaupt nicht mehr bewohnt und nur gelegentlich als Absteigquartier oder als Möbelmagazin benützt wird und das Wohnungsbedürfnis des gekündigten Mieters anderweitig voll befriedigt ist (MietSlg 5928, 6638, 15.433).

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, dann muß man ein schutzwürdiges Interesse des Beklagten an der Aufrechterhaltung des aufgekündigten Mietverhältnisses annehmen, weil er diese Wohnung, wenn auch nicht so sehr im Zeitpunkt der Kündigung, so doch in absehbarer Zeit, zur Befriedigung seines Wohnungsbedürfnisses benötigen wird. Die Lebensweise des Beklagten hat sich, wie feststeht, nach dem Tod seiner Gattin im April 1960 zwangsläufig völlig verändert. Der Beklagte war tagsüber beschäftigt und nahm das Mittagessen außer Haus ein. Die übrigen Mahlzeiten ließ er sich von der Zeugin Grete L***** zubereiten, die auch sonst die Wirtschaftsführung für ihn besorgte und in deren Wohnung er auch häufig nächtigte. Diese Zeugin hielt auch die aufgekündigte Wohnung in Ordnung, in der der Beklagte nur gelegentlich weilte und nächtigte. Es steht aber nicht fest, daß der Beklagte mit der Zeugin L***** eine Lebensgemeinschaft unterhält und sich daher in ihrer Wohnung als Lebensgefährte aufhält. Er hat auch nur einen Teil seiner Wäsche, Kleidung und Schuhe in ihrer Wohnung. Wenn der Beklagte angegeben hat, daß er die Absicht habe, die Zeugin L***** zu ehelichen, so ist dies nach der Aktenlage ein einseitiger Wunsch des Beklagten, zumal nicht festgestellt ist, daß auch die Zeugin L***** die Absicht zur Verehelichung mit dem Beklagten hat. Sie hat vielmehr angegeben, daß der Beklagte nicht dauernd in ihrer Wohnung wohnen könne, wenn der Sohn einmal heiraten werde. Der Beklagte könne auch dann nicht mehr in der Wohnung bleiben, wenn ihr etwas zustoße. Seit der Beklagte vom Beginn des Jahres 1964 nicht mehr arbeite, sondern "eine Rente beziehe", halte er sich nur mehr in seiner Wohnung auf. Aus diesen Umständen ergibt sich, daß der Beklagte nicht nur keinen Rechtstitel zur Benützung der Wohnung der Zeugin L***** hat, was an und für sich nicht so wesentlich wäre, sondern, daß sein Wohnungsbedürfnis in dieser Wohnung keineswegs voll befriedigt ist. Wie der Fall liegt, kann er jederzeit die Möglichkeit verlieren, sich die Wirtschaft durch die Zeugin L***** besorgen zu lassen und sich in deren Wohnung aufzuhalten, so daß er, wenn die Kündigung für rechtswirksam erklärt würde, obdachlos wäre. Es darf nicht übersehen werden, daß sich die Lebensführung des Beklagten als alleinstehender und berufstätiger Witwer wesentlich anders gestaltet hat als sein früheres Familienleben mit seiner Frau. Es ist anzunehmen, daß er zufolge seines Einkommens nicht in der Lage ist, sich eine Wirtschafterin in seine Wohnung aufzunehmen. Wenn er sich daher die Wirtschaft außerhalb seiner Wohnung durch die Zeugin L***** besorgen läßt, dann kann ihm daraus kein Nachteil entstehen. Es ist daher nicht wesentlich, daß der Gas- und Stromverbrauch des Beklagten in der Zeit nach dem Tod seiner Frau wesentlich gesunken ist. Es ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes keineswegs von untergeordneter Bedeutung, ob die Heiratsabsicht des Beklagten ernstlich besteht und ob er mit der Zeugin L***** in Lebensgemeinschaft lebt oder nicht. Diese Umstände sind deshalb wesentlich, weil, je enger die Bindungen des Beklagten an die Zeugin L***** wären, umso geringer sein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des gekündigten Mietverhältnisses anzunehmen wäre. Wie oben aber dargetan wurde, sind die Heiratsabsichten des Beklagten von ganz unbestimmten Möglichkeiten abhängig und besteht derzeit noch gar kein so inniges Verhältnis zur Zeugin L*****, wie es diese Absicht des Beklagten voraussetzen würde.

Zu all dem kommt aber noch, daß sich auch während des Kündigungsstreites die Verhältnisse wesentlich geändert haben. Der Beklagte ist seit dem Jahre 1964 in Pension und hält sich nunmehr häufiger in seiner Wohnung auf. Das Berufungsgericht meint, dieser Umstand kann für die Entscheidung nicht ausschlaggebend sein, weil aufgrund der Aussage der Zeugin L***** feststehe, daß der Beklagte sich nur deshalb mehr in seiner Wohnung aufhält, weil er Angst habe, diese zu verlieren. Dem vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu folgen. Wenn auch die Beurteilung auf den Zeitpunkt der Kündigung abzustellen ist, so sind doch auch die Änderungen im Verhältnis des Gekündigten während des Kündigungsstreites bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung maßgebend. Es ist davon auszugehen, daß der Beklagte nach seiner Pensionierung wesentlich mehr Zeit hat, sich in seiner Wohnung aufzuhalten und diese zu bewohnen und auch seine "Angst", die Wohnung zu verlieren, läßt erkennen, daß er ein wesentliches Interesse an der Wohnung besitzt. Es kann somit nicht gesagt werden, daß das Wohnungsbedürfnis des Beklagten anderweitig voll befriedigt ist und daß er daher die aufgekündigte Wohnung nicht mehr benötigt, um darin zu wohnen.

Aus den angeführten Gründen ist daher das angefochtene Urteil, wie im Tenor ersichtlich, abzuändern gewesen.

Die Entscheidung über die Prozeßkosten gründet sich auf § 41 ZPO, der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E77676 8Ob46.65

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1965:0080OB00046.65.0304.000

Dokumentnummer

JJT_19650304_OGH0002_0080OB00046_6500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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