TE OGH 1965/3/24 7Ob28/65

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Veröffentlicht am 24.03.1965
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zierer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Machek, Dr. Berger, Dr. Steinböck und Dr. Machowetz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Huberta Sch*****, vertreten durch Jakob C*****, Industrieller, ***** als Beistand, dieser vertreten durch Dr. Ingo Theyer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Annemarie Pf*****, Hausfrau, ***** vertreten durch Dr. Friedrich Klauss, Rechtsanwalt in Villach, wegen Nichtigerklärung eines Kaufvertrages (Streitwert S 50.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 9. Juli 1964, GZ 4 R 166/63-61, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 21. Mai 1963, GZ 13 Cg 554/59-48, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 1.162,45 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Kaufvertrag vom 6. 10. 1958 hat die Klägerin der Beklagten mehrere Grundstücke aus dem Gutsbestand der ihr gehörigen EZ 2 Kat. Gem. S***** verkauft. Sie begehrt Aufhebung des Kaufvertrages, weil sie im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses infolge Geisteskrankheit handlungsunfähig gewesen sei, weil die Beklagte unter Ausnützung dieser Geisteskrankheit einen dem wahren Wert der Grundstücke nicht entsprechenden Preis gezahlt habe und weil das Vermögen der Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unter öffentlicher Verwaltung gestanden sei, der Verwalter jedoch dem Kaufvertrag nicht zugestimmt habe.

Der Erstrichter hat im Sinne des Klagebegehrens erkannt. Nach seinen Feststellungen wurde die Klägerin mit Beschluß des Bezirksgerichtes Villach vom 21. 7. 1959 (L 24/59) wegen Geisteskrankheit beschränkt entmündigt. Sie stamme aus einer hereditär schwer belasteten Familie, sei im Jahre 1939 wegen Schizophrenie in Behandlung gestanden, es sei im September 1943 ein massiver Schub aufgetreten, der sich im Jahre 1947 in gelinderer Form wiederholt habe. Diese Schübe seien auf die gesamtgeistige Leistung der Klägerin nicht ohne Einfluß geblieben. Habe sie sich in der Zeit vor dem Vertragsabschluß bereits reichlich abnorm verhalten, so habe sich dieses Verhalten um die Zeit des Vertragsabschlusses zur Geisteskrankheit gesteigert. Die Klägerin sei im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sohin handlungsunfähig gewesen. Darauf ob das Rechtsgeschäft auch nach § 879 ABGB nichtig sei, brauche daher nicht eingegangen werden.

Infolge Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Beweise durch Vernehmung der ärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. B***** und Prim. Dr. S***** wiederholt und eine Beweisergänzung durch Vernehmung eines Sachverständigen aus dem Realitätenfache über die Angemessenheit des vereinbarten Kaufpreises durchgeführt. Da SV Prof. Dr. B***** in der Zwischenzeit verstorben war, hat es dessen in erster Instanz erstattetes Gutachten verlesen. Das Berufungsgericht hat der Berufung der Beklagten Folge gegeben und das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abgeändert. Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag wäre nur dann nichtig, wenn der Geisteszustand der Klägerin bei Vertragsabschluß (6. 10. 1958) dem eines Kindes unter 7 Jahren gleichzusetzen gewesen wäre, nicht aber schon dann, wenn ihr Zustand eine bloß beschränkte Entmündigung gerechtfertigt hätte. Die Handlungsfähigkeit habe die Klägerin zu beweisen. Diesen Nachweis habe sie jedoch nicht erbracht. Es sei zwar ein vollständiges Freisein der Klägerin von geistigen Störungen im fraglichen Zeitpunkt nicht erwiesen, ebensowenig aber auch das Vorliegen von die Handlungsfähigkeit ausschließenden Störungen. Der im Kaufvertrag von den Streitteilen vereinbarte Kaufpreis von S 30,-- pro Quadratmeter in mehr ebener Lage, von S 18,15 pro Quadratmeter in steilerer Hanglage entspreche den Preisen am damaligen Realitätenmarkt. Es sei auch dafür der Beweis nicht erbracht, daß die Klägerin von wahnhaften Ideen beherrscht, die Grundstücke verkauft habe, sie habe vielmehr einleuchtende Beweggründe für diesen Verkauf angeführt. Die Beschränkung des Verfügungsrechtes der Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses durch die bestehende öffentliche Verwaltung mache den Vertrag gleichfalls nicht anfechtbar, da der Klägerin mit Inkrafttreten des österreichisch-deutschen Vermögensvertrages (BGBl Nr 119/1958) sohin mit 16. 7. 1958 ein Anwartschaftsrecht auf ihr Eigentum zustand, sie daher grundsätzlich berechtigt war, einen Kaufvertrag abzuschließen, der erst nach Aufhebung der öffentlichen Verwaltung rechtswirksam werden sollte. Eine derartige aufschiebende Bedingung sei in dem Vertrag enthalten. Diese Bedingung sei durch die Aufhebung der öffentlichen Verwaltung eingetreten. Der Vertrag sei daher rechtswirksam.

Dieses Urteil bekämpft die Klägerin mit Revision wegen Nichtigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Sie beantragt, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstrichters abzuändern oder es aufzuheben und die Rechtssache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Zum Revisionsgrund der Nichtigkeit führt die Klägerin aus, die Beklagte habe in ihrer Berufung gegen das Ersturteil den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung angeführt, ohne ihn auszuführen. Dem Berufungsgericht sei es daher verwehrt gewesen, die rechtliche Beurteilung des Ersturteils zu prüfen. Das Berufungsgericht habe dadurch einen zum Schutze der rechtssuchenden Partei erlassene Formvorschrift verletzt, was die Nichtigkeit seiner Entscheidung zur Folge habe.

Es erübrigt sich eine Prüfung, ob darin eine in § 477 ZPO nicht aufgezählte Nichtigkeit gelegen wäre. Die Beklagte hat nämlich in ihrer Berufung den von ihr geltendgemachten Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wohl ausgeführt. Sie hat nicht nur die Tatsachenfeststellungen des Erstrichters bekämpft, sondern auch den vom Erstgericht aus diesen Feststellungen gezogenen Schluß, daß die Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zufolge Geisteskrankheit handlungsunfähig gewesen sei. Darin ist eine Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung der Rechtssache durch den Erstrichter gelegen, sodaß das Berufungsgericht mit Recht auf die Rechtsrüge der Beklagten eingegangen ist.

In ihrer Rechtsrüge behauptet die Klägerin, das Berufungsgericht habe die Grundsätze der Beweispflicht nicht beachtet. Die Klägerin habe den Beweis zu erbringen und habe diesen Beweis auch erbracht, daß sie an einer Geisteskrankheit leide, die in Phasen und Schüben verlaufe, während denen sie handlungsunfähig sei. Die Beklagte müsse daher beweisen, daß der gegenständliche Kaufvertrag in einem lucidum intervallum abgeschlossen worden sei. Bei Richtigkeit der Ansicht des Berufungsgerichtes, es sei nicht erweisbar, daß die Klägerin bei Vertragsabschluß frei von geistigen Störungen oder von Wahnvorstellungen gewesen sei, hätte sich dieser mangelnde Nachweis zum Nachteil der Beklagten auswirken müssen.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Die Beweispflicht dafür, daß eine eigenberechtigte Person handlungsunfähig ist, trifft grundsätzlich den, der den Mangel der Handlungsfähigkeit behauptet. Eine Umkehrung der Beweislast findet in analoger Anwendung des § 567 ABGB nur dann statt, wenn jemand die Verbindlichkeit rechtsgeschäftlicher Erklärung einer Person behauptet, die - ohne entmündigt zu sein - den Gebrauch des Verstandes verloren hat (vgl SZ XXIV 179). Nur dann, wenn sich die Klägerin in einem Zustand dauernden Verstandesverlustes befunden hätte, wäre von der Beklagten der Beweis dafür zu erbringen gewesen, daß die Klägerin den gegenständlichen Kaufvertrag in einem lucidum intervallum geschlossen hat. Eine derartige Feststellung hat das Berufungsgericht jedoch weder getroffen, noch vom Erstgericht übernommen; es hat vielmehr festgestellt, daß die Geisteskrankheit der Klägerin nur periodisch auftritt. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Klägerin der Beweis ihrer Handlungsunfähigkeit im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses trifft, ist daher unbedenklich. In ihren weiteren Ausführungen zur Rechtsrüge wendet sich die Klägerin in ihrer Revision gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, der Beweis dafür sei nicht erbracht, daß die Klägerin bei Vertragsabschluß handlungsunfähig gewesen und ihr Geisteszustand dem eines Kindes unter 7 Jahren gleichzustellen sei. Soweit sie hiebei die Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes angreift, sind ihre Ausführungen unbeachtlich, da die Tatsachenfeststellungen im Wege der Revision nicht mit Erfolg bekämpft werden können. Ihre Ansicht, es könne nicht auf den Geisteszustand im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (6. 10. 1958) ankommen, ist unrichtig. Die Klägerin behauptet Nichtigkeit des mit der Beklagten geschlossenen Vertrages wegen Handlungsunfähigkeit. Diese Nichtigkeit läge jedoch nur dann vor, wenn die Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, sohin am 6. 10. 1958, handlungsunfähig gewesen wäre. Diesen Beweis hat die Klägerin nicht erbracht, da die in der Revision herangezogenen Tatsachenfeststellungen, daß die Klägerin einer erheblich schwer belasteten Familie entstammt, daß sie wiederholt Schübe und Phasen hatte und sich vor Vertragsabschluß abnorm verhalten hat, sowie daß sie im Juli oder August 1958 an einer Magen- und Darmstörung litt, nicht den Schluß rechtfertigen, der Geisteszustand der Klägerin sei am 6. 10. 1958 derart gewesen, daß eine volle Entmündigung gerechtfertigt gewesen wäre. Nur in diesem Falle könnte jedoch Handlungsunfähigkeit angenommen werden. Ein Zustand, der eine bloß beschränkte Entmündigung gerechtfertigt hätte, machte an sich die Klägerin nicht handlungsunfähig (vgl SZ XXIV 140). Den Ausführungen der Revision, die Klägerin sei durch Wahnvorstellungen zum Abschluß des Vertrages bewogen worden, sind die Feststellungen des Berufungsgerichtes entgegenzuhalten, aus denen sich ergibt, daß die Klägerin auch durchaus einleuchtende Gründe für den Verkauf von Grundstücken angeführt hat.

Die Revision bekämpft schließlich unter dem Gesichtspunkt der unrichtigen rechtlichen Beurteilung noch die auf dem Gutachten des Sachverständigen B***** beruhende Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der im gegenständlichen Kaufvertrag vereinbarte Kaufpreis dem wahren Werte der Liegenschaft entspreche. Das Berufungsgericht hat das Gutachten dieses Sachverständigen als schlüssig und widerspruchsfrei gewertet. Eine Überprüfung dieser Auffassung wäre nur im Falle der Verletzung von Denkgesetzen oder bei einer Aktenwidrigkeit zulässig. Abgesehen davon, daß solche Rügen nicht erhoben wurden, liegen diese Mängel auch nicht vor.

Als mangelhaft rügt schließlich die Revision das Berufungsverfahren, weil verschiedene weitere Zeugen, insbesondere der Beistand der Klägerin, Jakob C***** nicht vernommen wurden. Das Erstgericht habe die Vernehmung des Zeugen Jakob C*****, der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wiederholt mit der Klägerin zusammengekommen sei und daher über deren Geisteszustand hätte Auskunft geben können, als unerheblich abgelehnt, weil es schon aufgrund der übrigen Beweisergebnisse zu einen die Handlungsfähigkeit der Klägerin verneinenden Schluß gekommen sei. Das Berufungsgericht, welches diese Ansicht des Erstgerichtes bedenklich gefunden habe, hätte daher diese weiteren Beweise durchführen müssen.

Das Berufungsgericht hat diese Beweise als unerheblich erachtet, weil sie nicht in der Lage gewesen wären, das Gesamtbild über den Geisteszustand der Klägerin zu verändern. Es ist hiezu darauf zu verweisen, daß die Sachverständigen Dr. Otto S***** und Prof. Dr. B***** vor Erstattung ihrer Gutachten erklärt haben (S 221), sie hätten sich ein ausreichendes Beweismaterial für die Beurteilung des Geisteszustandes der Klägerin gesammelt.

Das berufungsgerichtliche Verfahren ist auch dadurch nicht mangelhaft geblieben, daß nicht noch ein weiterer Sachverständiger aus dem Gebiete der Psychiatrie vernommen wurde. Richtig ist, daß der Sachverständige Prof. Dr. B***** in seinem Gutachten darauf verwiesen hat, daß sich der Geisteszustand der Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nur aus den vorliegenden Zeugenaussagen beurteilen läßt, deren Wertung der richterlichen Beweiswürdigung unterliege (S 267). Er ist jedoch in der zusammenfassenden Stellungnahme zur Frage der Handlungsfähigkeit der Klägerin bei Vertragsabschluß zu dem Ergebnis gekommen, daß das völlige Freisein der Klägerin von geistigen Störungen zur Zeit des Vertragsabschlusses nicht mit Sicherheit bewiesen sei, daß die Möglichkeit bestehe, daß eine pathologische Phase vorgelegen habe. Es könne die ablehnende Einstellung der Klägerin gegen ihre Familie, mit einer gewissen Neigung zur Boshaftigkeit, impulsivartigen Charakter gehabt haben, der sie den Verkauf entgegen kritischer Überlegungen tätigen ließ. Der Sachverständige Prof. Dr. B***** kommt sohin in seinem Gutachten nicht zu dem Schluß, die Klägerin sei bei Vertragsabschluß handlungsunfähig gewesen, sondern er stellt es nur als möglich hin, daß sich die Klägerin in einer Phase ihrer Geisteskrankehit befunden habe. Zu dem gleichen Ergebnis kommt der Sachverständige Dr. S*****, nach dessen Gutachten nicht mit Sicherheit angenommen werden kann, daß bei Vertragsabschluß eine akute Geisteskrankheit bestanden hat und daß kein Motiv gefunden werden konnte, welches für einen Verkauf aufgrund wahnhafter Vorstellungen sprechen würde. Es bestand daher kein Anlaß zur Beiziehung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigen.

Da sohin die Klägerin den ihr obliegenden Beweis weder für ihre Behauptung, sie sei bei Vertragsabschluß handlungsunfähig gewesen, noch dafür, daß das Geschäft nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB nichtig sei, erbracht hat, hat das Berufungsgericht das Ersturteil mit Recht im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abgeändert. Die mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 13. 7. 1960 (3 Ob 262/60) in Einklang stehende Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß der gegenständliche Kaufvertrag auch deshalb nicht nichtig sei, weil er - ohne Zustimmung des öffentlichen Verwalters - zu einer Zeit geschlossen wurde, als das Eigentum der Klägerin noch unter öffentlicher Verwaltung stand, wird in der Revison nicht bekämpft. Es genügt daher der Hinweis auf die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichtes.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E77646 7Ob28.65

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1965:0070OB00028.65.0324.000

Dokumentnummer

JJT_19650324_OGH0002_0070OB00028_6500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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