Norm
ZPO §562Kopf
SZ 38/119
Spruch
Die Unzulässigkeit des Bestandverfahrens nach §§ 560 ff. ZPO. bei Nutzungsverträgen kann nicht von Amts wegen aufgegriffen werden, sondern unterfällt der Eventualmaxime
Entscheidung vom 8. Juli 1965, 8 Ob 210/65
I. Instanz: Bezirksgericht Innsbruck; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck
Text
Die klagende Partei kundigte der Verlassenschaft nach Seraphin M. die Siedlungsstätte unter Berufung auf § 11 des mit den Ehegatten Seraphin und Elisabeth M. am 1. März 1947 abgeschlossenen Trägersiedlervertrages einmonatig zum 1. Mai 1961 gerichtlich auf, weil die Vorschrift des § 5 dieses Vertrages, wonach die Siedlungsstätte vom Vertragsgegner gärtnerisch und als Kleintierhalter zu bewirtschaften und dauernd selbst zu bewohnen sei, nicht eingehalten worden wäre. Die Siedlerräume seien vielmehr untervermietet, bzw. seien fremde Personen in Schlafstellen aufgenommen worden. Das Amt der Tiroler Landesregierung habe bereits gemäß § 11 des Trägersiedlervertrages mit dem Schiedsgutachten vom 28. November 1960 festgestellt, daß ein wichtiger Grund zur Kündigung des Vertrages vorliege.
Die beklagte Partei brachte in ihren rechtzeitigen Einwendungen vor, daß mit den Untervermietungen, von denen die Klägerin wußte, ohne Beanstandung bereits im Jahre 1950 begonnen worden sei. Die Untervermietung sei im Vertrag aber auch nicht ausdrücklich verboten worden und ein solches Verbot wäre überdies sittenwidrig. Der Verlassenschaftskurator habe keine Veranlassung gehabt, die Untermietverhältnisse aufzukundigen. Die Kündigung könne auch nicht gegen die Verlassenschaft, sondern nur gegen die Kinder der Eheleute M., die nach dem Mietengesetz als Mieter in den gegenständlichen Vertrag eingetreten seien, gerichtet werden.
Das Erstgericht hob die Kündigung auf. Es stellte fest, daß die klagende Partei einerseits und Seraphin M. sowie dessen Ehegattin Elise M. andererseits am 1. März 1947 den unter Beilage A erliegenden Vertrag abgeschlossen haben. In diesem Vertrag räumte die klagende Partei den Eheleuten M. eine Anwartschaft auf Übertragung einer Kleinsiedlung nach Maßgabe der Bestimmungen, des Reichsarbeitsministers über die Förderung der Kleinsiedlung vom 14. September 1937 und des Bewilligungsbescheides des Reichsstatthalters Tirol und Vorarlberg vom 24. September 1942, Z. IV-d 719.11 KS 12" ein, wobei vereinbart wurde, daß die Kleinsiedlung zunächst während einer Probezeit von drei Jahren vom Beginn der Tilgung des Reichsdarlehens ab mietweise überlassen und sodann bei erwiesene Eignung zu Eigentum als "Reichsheimstätte" übertragen werde solle. Gemäß § 3 des Vertrages kam das Mietverhältnis durch die Übergabe der Kleinsiedlung an die Siedler zustande. Dieses Mietverhältnis bezieht sich auf ein auf der Siedlerstelle bereits errichtetes Siedlungshaus, das Seraphin M. sofort nach Vertragserrichtung bezog.
§ 4 der Vertragsurkunde bestimmt, daß er monatliche Mietpreis für die Zeit vom 1. März 1947 bis auf weiteres 37.90 S beträgt. In § 8 des Vertrages ist die Verpflichtung der klagenden Partei beurkundet, die Kleinsiedlung den Siedlern nach Ablauf der Probezeit auf Antrag zu Eigentum als "Reichsheimstätte" zu übertragen, wenn die Siedler vom Beginn der Tilgung des "Reichsdarlehens" ab ihren Verpflichtungen drei Jahre hindurch pünktlich nachgekommen sind. § 11 der Vertragsurkunde bestimmt, daß außer in den §§ 553 und 554 BGB. genannten Fällen, die den Träger zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen, der Vertrag unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat für den Schluß eines Kalendermonates gekundigt werden kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Dieser ist vor allem nur dann gegeben, wenn die Siedler ihren Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachkommen, wenn sich die Angaben der Siedler über ihre persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse als unrichtig herausstellen, wenn die Siedler durch ihr Verhalten den Gemeinschaftsgeist der Siedlung stören oder sich als ungeeignet oder unwürdig erweisen oder wenn sonst Umstände eintreten oder bekannt werden, die ihrer Zulassung als Kleinsiedler entgegenstehen. Dies gilt auch für Tatsachen, die vor Abschluß dieses Vertrages liegen, aber erst nachträglich bekannt werden. Bei Streit darüber, ob ein wichtiger Grund vorliegt, soll ein Schiedsgutachten der für die Bewilligung von "Reichsdarlehen oder Reichsbürgschaften zuständigen Behörden" entscheidend sein. Das Schiedsgutachten ist auch für die Gerichte bindend, es sei denn, daß besondere Gründe eine abweichende Beurteilung erfordern.
In rechtlicher Hinsicht folgert das Erstgericht, daß der Vertrag vom 1. März 1947 einerseits Bestimmungen darüber, wann den Eheleuten M. auf Grund des Reichsheimstättengesetzes das Eigentum an dieser Siedlerstätte zu übertragen ist, andererseits aber auch die Vereinbarung enthalte, daß die Siedlerstätte bis zur Eigentumsübertragung an die Ehegatten in Bestand gegeben werde. Es liege daher ein Bestandsverhältnis vor, auf das die Kündigungsbeschränkungen der §§ 19 bis 23 MietG. Anwendung fänden. Die klagende Partei habe aber selbst erklärt, einen Kündigungsgrund im Sinne der §§ 19 ff. MietG. nicht gelten zu machen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil jedoch aus anderen rechtlichen Gründen und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteigt.
Da die Siedler durch den Vertrag nicht nur das Recht, die Heimstätte als fremde Sache für sich zu gebrauchen, sondern vor allem auch einen Anspruch darauf erworben hätten, daß ihnen diese Heimstätte in das Eigentum übertragen werde, lasse sich das Rechtsverhältnis nicht ausschließlich als Miete qualifizieren. Es liege vielmehr ein Vertrag eigener Art vor, dessen Hauptzweck in der Schaffung von Heimstätten liege. Auf dieses Rechtsverhältnis sei das MietG. nicht anzuwenden, daher unterliege die Auflösung dieses Rechtsverhältnisses auch nicht den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes, sondern sei nach dem Vertrag zu beurteilen.
Da mangels eines Bestandverhältnisses aber eine gerichtliche Aufkündigung im Sinne der §§ 560 ff. ZPO. ausgeschlossen sei, sei das erstgerichtliche Urteil zu bestätigen gewesen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge, hob die untergerichtlichen Urteile auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, daß nach den getroffenen Feststellungen das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis nicht als Mietvertrag zu qualifizieren ist und daß es sich hier um einen Vertrag sui generis, um einen Nutzungsvertrag, handelt, bei welchem dem Nutzungsberechtigten die Anwartschaft auf Erlangung des Eigentumsrechtes an der benützten Sache nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen zusteht. Derzeit ist die Klägerin Alleineigentümerin der von der beklagten Partei benützten Liegenschaft, die beklagte Partei ist Eigentumsanwärter. Auf diesen Nutzungsvertrag, der dem Bestandvertrag zwar sehr ähnlich ist, sind die Bestimmungen des Mietengesetzes nicht anwendbar (MietSlg. 7874. u. a.).
Ob und aus welchen Gründen ein solcher Vertrag aufgelöst werden kann, ist somit in erster Linie nach den Bestimmungen des Vertrages zu beurteilen, der jedenfalls ein Dauerschuldverhältnis begrundete, bei dem die Aufkündigung aus bestimmten Gründen vereinbart werden konnte.
Die vom Berufungsgericht erörterte Frage, ob die Anwendung der Vorschriften der §§ 560 ff. ZPO. auf das Bestandverhältnis beschränkt oder auch bei Nutzungsverträgen zulässig ist, welche Frage in der Rechtsprechung bisher nicht einheitlich beantwortet wurde (vgl. SZ. XXI 75, MietSlg. 4841, 4954 und JBl. 1933 S. 430), kann auf sich beruhen, weil auch dann, wenn man sie, wie es das Berufungsgericht getan hat, in ersterem Sinne beantwortet, dies im vorliegenden Fall nicht zur Bestätigung des erstgerichtlichen Urteils führen kann.
Da vom Gericht auf Grund der Aufkündigung der Klägerin an die beklagte Partei ein Auftrag gemäß §§ 562, 564 ZPO. erlassen wurde, oblag es der beklagten Partei, in ihren Einwendungen alles das vorzubringen, was der Aufkündigung im Wege steht. Die Beklagte hätte daher in den Einwendungen vorbringen müssen, daß das Bestandverfahren im Sinne der §§ 560 ff. ZPO. unzulässig sei. Dies hat sie aber unterlassen. Über diesen Mangel in den Einwendungen durfte sich das Berufungsgericht nicht hinwegsetzen und die Aufhebung der Kündigung damit begrunden, daß das vorliegende Vertragsverhältnis nicht durch gerichtliche Aufkündigung beendet werden könne. Eine amtswegige Wahrnehmung von prozeßhindernden Umständen darf nur bei Verletzung zwingender Normen gemäß § 240 (2) und (3) ZPO. (MietSlg. 13342, 7682 u. a.), etwa bei Unzulässigkeit des Rechtsweges (MietSlg. 4757) erfolgen; eine solche Verletzung kann aber in der Anwendung des Verfahrens nach den §§ 560 ff. ZPO. bei Auflösung eines einem Bestandvertrag ähnlichen, durch einen Nutzungsvertrag begrundeten Rechtsverhältnisses nicht erblickt werden (MietSlg. 4954). Die Durchführung des Verfahrens nach den §§ 560 ff. ZPO. ohne die dafür normierten Voraussetzungen begrundet keine Nichtigkeit die von Amts wegen wahrzunehmen wäre (MietSlg. 9920).
Über die Aufkündigung der Klägerin - das Vorliegen der vertraglichen Kündigungsgrunde - ist daher im Rahmen der erhobenen Einwendungen sachlich zu entscheiden. Da aber eine solche Entscheidung mangels der hiefür notwendigen Feststellungen derzeit noch nicht erfolgen kann, war der Revision stattzugeben. Die Urteile der Untergerichte waren aufzuheben und es war die Rechtssache an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.
Anmerkung
Z38119Schlagworte
Bestandverfahren, Unzulässigkeit bei Nutzungsverträgen, Eventualmaxime, Eventualmaxime, Unzulässigkeit des Bestandverfahrens bei, Nutzungsverträgen, Nutzungsvertrag, Unzulässigkeit des Bestandverfahrens, Eventualmaxime, Unzulässigkeit des Bestandverfahrens bei Nutzungsverträgen„ EventualmaximeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1965:0080OB00210.65.0708.000Dokumentnummer
JJT_19650708_OGH0002_0080OB00210_6500000_000