TE OGH 1965/8/5 6Ob220/65

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Veröffentlicht am 05.08.1965
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Norm

Jugendwohlfahrtsgesetz §19

Kopf

SZ 38/125

Spruch

Wenn das Mundel gut betreut ist und seine rechtlichen Ansprüche geregelt sind, besteht keine Notwendigkeit für ein weiteres Einschreiten des Amtsvorstandes und kein Einwand gegen die Bestellung der a. e. Mutter zur Vormunderin

Entscheidung vom 5. August 1965, 6 Ob 220/65

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien

Text

Das Wiener Bezirksjugendamt für den 1., 8. und 9. Bezirk ist zufolge der Bestimmung der §§ 16 und 17 (1) JWG. gesetzlicher Amtsvormund des von Susanne K. am 10. Juni 1964 in Wien geborenen Kindes Susanne K. jun. Mit dem am 20. November 1964 gestellten Antrag begehrt die am 24. November 1927 geborene Mutter des Kindes, die Bezirksverwaltungsbehörde als Amtsvormund zu entlassen und sie zur Vormunderin ihres Kindes zu bestellen. Dieser Antrag wurde im wesentlichen damit begrundet, daß die Mutter des Kindes Maturantin eines Realgymnasiums, Absolventin der Akademie der bildenden Künste, diplomierte Bühnenbildnerin und seit acht Jahren Inhaberin des dauernd zehn Angestellte beschäftigenden Modesalons "S." Ges. m. b. H. im 1. Wiener Bezirk sei. Daraus ergebe sich, daß sie in der Lage sei, die Angelegenheiten ihrer Tochter selbst zu führen und deren Interessen zu vertreten. Es entspreche daher besser dem Wohl des Kindes, an Stelle des Amtsvormundes die leibliche Mutter zum Einzelvormund zu bestellen.

Der Amtsvormund hat sich gegen den Antrag der Kindesmutter ausgesprochen, und zwar im wesentlichen mit der Begründung, daß zwar Ing. Gottfried P. mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 13. Oktober 1964 als Vater des Kindes festgestellt und ab 9. Juli 1964 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung für das Kind in der Höhe von 800 S verpflichtet worden sei, er bereits den ganzen aufgelaufenen Rückstand an Unterhaltsbeiträgen bezahlt habe, jedoch kein zwingender Grund für die Annahme vorliege, daß durch einen Einzelvormund die Interessen des Kindes besser vertreten werden könnten als durch einen Amtsvormund.

Das Erstgericht hat im Sinne des Antrages der Kindesmutter entschieden, die Bezirksverwaltungsbehörde als Amtsvormund enthoben und die Mutter des Kindes zu dessen Vormund bestellt.

Es erachtete die Voraussetzungen des § 19 JWG. für gegeben. Die rechtlichen Ansprüche des Kindes (Feststellung der Vaterschaft und Leistung des Unterhaltes) seien in einer für das Kind durchaus zufriedenstellenden Weise geregelt. Die Mutter des Kindes habe auf das Gericht einen günstigen Eindruck gemacht und sei jedenfalls in jeder Beziehung in der Lage, ihr Kind nach besten Kräften zu erziehen, zu betreuen und zu vertreten. Unter diesen Umständen bestehe keine Notwendigkeit zu einem weiteren Einschreiten der Bezirksverwaltungsbehörde als Amtsvormund, zumal durch die Bestellung der Kindesmutter zum Vormund ein engeres, den familienrechtlichen Beziehungen besser entsprechendes und demgemäß mehr im Interesse des Kindes liegendes Verhältnis geschaffen werde, als dies bei der Weiterbelassung einer Behörde als Amtsvormund der Fall sei.

Infolge Rekurses des Amtsvormundes wurde der erstgerichtliche Beschluß im Sinne der Abweisung des Antrages der Kindesmutter abgeändert.

Das Rekursgericht vertrat die Auffassung, es sei nicht einzusehen, wieso dem Wohle des Kindes besser entsprochen sein soll, wenn kein Amtsvormund mehr bestellt sei. Entscheidend für das Wohl des Kindes sei nur, daß es in Pflege und Erziehung seiner Mutter bleibe. Daran ändere sich aber nichts, wenn der Amtsvormund enthoben und die Mutter zur Vormunderin bestellt werde, auch durch die letztgenannte Maßnahme könne die für das Kind zuträglichste Situation, nämlich seine Erziehung im Hause seiner Eltern, nicht erreicht werden. Für ein außereheliches Kind könne es nur förderlich sein, wenn eine, wie die Bezirksverwaltungsbehörde, mit entsprechenden Befugnissen ausgestattete Stelle die Rechte des Kindes wahrnehme.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurse der Mutter Folge und stellte den Beschluß des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es ist davon auszugehen, daß, wie schon aus den Erläuternden Bemerkungen zu § 15 der Regierungsvorlage - § 16 JWG. hervorgeht, die Amtsvormundschaft ihre Entstehung dem Mangel an geeigneten Einzelvormundern verdankt. Nun weisen die bereits vom Erstgericht zitierten Erläuternden Bemerkungen zu § 19 JWG. darauf hin, daß häufig die rechtlichen Ansprüche des Mundels geregelt und dieses hinsichtlich seiner Person gut betreut ist, in welchem Falle dann für ein weiteres Einschreiten der Amtsvormundschaft keine Notwendigkeit bestehe. Unter solchen Umständen werde kein Einwand bestehen, auch die Mutter selbst zur Vormunderin ihres außerehelichen Kindes zu bestellen (Fetter - Edlbacher, Verfahren außer Streitsachen, Anhang IV A 1 Anm. 1 zu § 19 JWG.). Ourednik,

Das Wiener Jugendwohlfahrtsrecht, S. 103/104, vertritt die Auffassung, daß das Institut der Amtsvormundschaft gegenüber der Einzelvormundschaft eine Reihe von Vorteilen besitzt, die dort voll zur Geltung kommen, wo rechtsfürsorgerische Maßnahmen im Vordergrund stehen. Seien aber derartige Maßnahmen nicht oder nicht mehr erforderlich und könnte nach der Lage des Einzelfalles die persönliche Fürsorge wirksamer durch einen geeigneten Einzelvormund durchgeführt werden, dann solle auch die Amtsvormundschaft in eine Einzelvormundschaft umgewandelt werden können, wobei aber immer das Wohl des Kindes maßgebend sei. Es sei daher auch dann, wenn etwa die Unterhaltssicherung noch nicht durchgeführt sei, eine Umwandlung möglich, wenn der in Aussicht genommene Einzelvormund Gewähr dafür biete, daß er imstande sei, diese rechtsfürsorgerischen Maßnahmen ohne Nachteil für das Mundel durchführen zu können. Erst wenn diese Gewißheit bestehe und auch die erzieherischen Belange des Mundels besser durch den Einzelvormund wahrgenommen werden könnten, werde eine ausreichende Rechtfertigung für die Umwandlung der Amtsvormundschaft in eine Einzelvormundschaft gegeben sein.

Wird unter diesen Gesichtspunkten der vorliegende Sachverhalt geprüft, dann ergibt sich, daß die besonderen Vorteile der Amtsvormundschaft, welche unter anderem dann gegeben sind, wenn rechtsfürsorgerische Maßnahmen im Vordergrund stehen, im gegenständlichen Fall nicht mehr gegeben sind, weil die rechtlichen Ansprüche des Kindes, die Feststellung der außerehelichen Vaterschaft und die Regelung des Unterhaltes, bereits in einem für das Kind zufriedenstellenden Sinn geregelt sind. Dazu kommt, daß die fast 38 Jahre alte Mutter des Kindes auf Grund ihrer Vorbildung sowie der Tatsache, daß sie selbständige Geschäftsfrau und alleinige Gesellschafterin einer Ges. m. b. H. mit einem Geschäftskapital von mindestens 100.000 S ist, und des vom Gericht von ihr gewonnenen persönlichen Eindruckes die Annahme rechtfertigt, daß sie imstande ist, allfällige, in Zukunft notwendig werdende rechtsfürsorgerische Maßnahmen ohne Nachteil für das Kind durchzuführen. Wird ferner berücksichtigt, daß hinsichtlich des in Pflege und Erziehung der Mutter bzw. der mütterlichen Großeltern befindlichen Kindes keinerlei Umstände vorgekommen und auch der ganzen Sachlage nach nicht anzunehmen sind, daß das Kind hinsichtlich seiner Person nicht gut betreut werde - die Amtsvormundschaft erklärt in ihrem Rekurs, daß der Mutter in keiner Weise die Fähigkeit abgesprochen werde, das Kind zu erziehen und zu betreuen -, so erscheint es zweckmäßig und im Interesse des Kindes gelegen, daß die Vormundschaft jener Person übertragen wird, die schon bisher die erzieherischen und pflegerischen Belange des Kindes wahrgenommen hat. Es darf nicht übersehen werden, daß auf jeden Fall unter den gegebenen Umständen die dem Vormund obliegende persönliche Fürsorge für das Kind (§§ 188, 205, 216 ABGB.) wirksamer durch die Mutter als Einzelvormund als durch eine Amtsvormundschaft durchgeführt werden kann. Mit Rücksicht auf alle diese besonderen Umstände des Falles liegt die von der Kindesmutter beantragte Maßnahme im Interesse des Kindes, weshalb eine ausreichende Rechtfertigung für die Umwandlung der Amtsvormundschaft in eine Einzelvormundschaft und die Bestellung der außerehelichen Mutter zum Vormund ihres Kindes gegeben ist.

Anmerkung

Z38125

Schlagworte

Amtsvormundschaft, Entlassung nach § 19 JWG., Entlassung des Amtsvormundes nach § 19 JWG., Kindesmutter; Bestellung der ae. - zum Vormund nach § 19 JWG., Vormundbestellung nach § 19 JWG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1965:0060OB00220.65.0805.000

Dokumentnummer

JJT_19650805_OGH0002_0060OB00220_6500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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