Norm
Außerstreitgesetz §2 (1)Kopf
SZ 38/147
Spruch
§ 416 (2) ZPO. kann im Außerstreitverfahren nicht uneingeschränkt analog angewendet werden
Entscheidung vom 28. September 1965, 1 Ob 159/65
I. Instanz: Bezirksgericht Tulln; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten
Text
Der Kaufmann Walter B. legte am 15. März 1963 einen notariellen Vertrag vom 19. Februar 1963, mit dem er die ihm gehörige Liegenschaft EZ. 640 Gb. O. samt Haus und Inventar je zur Hälfte seiner Gattin und seinem am 29. Dezember 1962 geborenen Sohn Walter B. jun. schenkte, zur pflegschaftsbehördlichen Genehmigung vor. Für den mj. Walter hatte Leopoldine B., die im Vertrag als Kollisionskurator bezeichnet worden war, die Urkunde unterschrieben.
Über Vorladung des Erstrichters erschien Walter B. am 6. Mai 1963 beim Erstrichter und gab verschiedene Aufklärungen zu den im Grundbuch ersichtlichen Belastungen der Liegenschaft, worauf der Erstrichter am gleichen Tag den Beschluß faßte, dem Vertrag die pflegschaftsbehördliche Genehmigung zu erteilen. Am 7. Mai 1963 kam der Akt mit diesem Beschluß laut Abfertigungsvermerk in die Geschäftsabteilung. Bevor der Beschluß ausgefertigt und abgefertigt wurde, widerrief ihn der Erstrichter durch Durchstreichen. Am 8. Mai 1963 traf er weitere Verfügungen; er bestellte Leopoldine B. zum Kollisionskurator des mj. Walter und leitete Erhebungen ein, die schließlich dazu führten, daß der nunmehrige Pflegschaftsrichter mit Beschluß vom 18. November 1964 dem Schenkungsvertrag die Genehmigung mit der Begründung versagte, die dem mj. Walter geschenkte Liegenschaftshälfte sei übermäßig belastet, der Vertrag liege im Hinblick auf die zu gewärtigenden Hypothekar- und Anfechtungsklagen - über das Vermögen des Walter B. wurde das Ausgleichsverfahren eröffnet - keineswegs im Interesse des Kindes.
Über Rekurs des mj. Walter B., vertreten durch die Kollisionskuratorin, hob das Rekursgericht diesen Beschluß auf und trug dem Erstgericht auf, den Beschluß vom 6. Mai 1963 auszufertigen. Es führte aus, daß mangels einer Benennung von Nichtigkeitsgrunden im § 16 AußStrG. die Grundsätze des Streitverfahrens sinngemäß auch für das außerstreitige Verfahren heranzuziehen seien; Mängel, welche die ZPO. zu Nichtigkeitsgrunden erhoben habe, begrundeten deshalb auch im Außerstreitverfahren Nichtigkeit, soweit sie unter Bedachtnahme auf dessen andersartige Gestaltung für dieses in Betracht kämen; nun sei das Gericht gemäß § 416 (2) ZPO. an seine Entscheidung gebunden, sobald sie verkundet oder im Falle des § 415 ZPO. in schriftlicher Abfassung zur Ausfertigung abgegeben worden sei; das gelte nach der Judikatur auch für Beschlüsse nicht bloß prozeßleitender Natur; mit der Hinausgabe der Entscheidung höre die Gerichtsgewalt auf; eine Entscheidung, an die das Gericht einmal gebunden sei, werde durch die Fällung einer entgegengesetzten Entscheidung dieses Gerichtes nicht berührt; da dies auch für das Außerstreitverfahren zu gelten habe, sei der Beschluß vom 18. November 1964 als ungesetzlich aufzuheben; das Erstgericht werde den seinerzeit schon gefaßten Genehmigungsbeschluß auszufertigen haben.
Dagegen erhob der nunmehrige Pflegschaftsrichter Revisionsrekurs und verwies im Sinne des § 15 (1) AußStrG. darauf, daß dem mj. Walter durch die aufgetragene Ausfertigung des Genehmigungsbeschlusses schwerwiegende Rechtsnachteile entstehen könnten, zumal über das Vermögen des Geschenkgebers mittlerweile bereits der Anschlußkonkurs eröffnet worden sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs (Amtsrekurs) Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Rekursgericht auf, über den Rekurs des mj. Walter B. gegen den erstgerichtlichen Beschluß vom 18. November 1964 neuerlich zu entscheiden.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Daß die Bestimmung des § 416 (2) ZPO. ungeachtet des Fehlens einer diesbezüglichen ausdrücklichen Vorschrift auch für Beschlüsse im Zivilprozeß, insoweit sie nicht bloß prozeßleitender Natur sind (§ 425 (2) ZPO.), und gemäß § 78 EO. auch für derartige Beschlüsse im Exekutionsverfahren gilt, entspricht der Judikatur (vgl. die schon vom Rekursgericht zitierte Entscheidung SZ. VIII 352) und der Literatur (vgl. Pollak, Zivilprozeßrecht[2] II § 104 unter III a, S. 527). Für den Bereich des Außerstreitverfahrens ist diese Auffassung, soweit feststellbar, noch nicht vertreten worden und da es sich vom Zivilprozeß und sonstigen nach dessen Regeln durchzuführenden Verfahren wesentlich unterscheidet, kann eine analoge Anwendbarkeit des § 416 (2) ZPO. im Außerstreitverfahren jedenfalls nicht ohne weiteres bejaht werden.
Der Oberste Gerichtshof hat allerdings schon wiederholt ausgesprochen, daß auch der Außerstreitrichter an einmal gefaßte Beschlüsse, grundsätzlich gebunden ist (1 Ob 513/55, 3 Ob 582/57). Damals handelte es sich aber um Fälle, in denen der betreffende Beschluß - wenn man schon auf die Bestimmungen des § 416 ZPO. in Verbindung mit § 426 (3) ZPO. abstellt - den Parteien gegenüber durch Zustellung wirksam bzw. sogar rechtskräftig geworden war. Diese Entscheidungen enthielten zudem eine bedeutsame Einschränkung insofern, als es der Oberste Gerichtshof für zulässig erachtete, daß der Außerstreitrichter von einem einmal gefaßten Beschluß nicht nur bei einer Änderung der Verhältnisse, sondern allenfalls auch bei Aufklärung der tatsächlichen Lage abgehen könne.
Das Rekursgericht hat in Anlehnung an die Ausführungen von Petschek - Stagel (Zivilprozeß S. 35) den Standpunkt eingenommen, mit "Hinausgabe" der Entscheidung höre die Gerichtsgewalt der entscheidenden Instanz auf, doch trifft dies für das Außerstreitverfahren nicht uneingeschränkt zu. Das ergibt sich schon aus der Institution der an den Erstrichter selbst gerichteten Vorstellung und der ihm vom Gesetz eingeräumten Befugnis, auch einem Rekurs unter Umständen selbst stattzugeben (§ 9 AußStrG.). Voraussetzung für eine solche Reassumierung eines Beschlusses durch den Richter, der ihn zunächst selbst gefaßt hatte, ist freilich, daß nicht dritte Personen durch diesen Beschluß bereits Rechte erlangt haben (§ 9 (2) AußStrG.). Daran hat wohl auch das Rekursgericht gedacht, als es ausführte, durch die Übergabe des Beschlusses an die Gerichtskanzlei habe der mj. Walter B. als der aus dem Schenkungsvertrag Berechtigte bereits Rechte erworben, weshalb eine Abänderung des Genehmigungsbeschlusses durch den Erstrichter ohne Zustimmung des Berechtigten ausgeschlossen sei. Aber auch in diesem Belang vermag der Oberste Gerichtshof dem Rekursgericht nicht zu folgen. Gerade bei Heranziehung der Bestimmungen des § 416 ZPO. muß davon ausgegangen werden, daß der Beschluß den Parteien gegenüber mangels Zustellung noch gar nicht rechtswirksam wurde (vgl. dazu auch 3 Ob 143/63 = EvBl. 1964 Nr. 24). Das aus dem Gesetz selbst ableitbare Recht der Parteien auf Zustellung der gerichtlichen Entscheidungen muß von jenen Rechten, die ihnen durch die Entscheidung selbst erwachsen, unterschieden werden. Die Gerichtsgewalt des Erstrichters bestand also im Sinn des § 9 AußStrG. weiter, weil der mj. Walter B. aus einem ihm gegenüber mangels Zustellung noch nicht rechtswirksamen Beschluß noch keine Rechte erlangt haben konnte. Wäre beim Erstrichter schon vor Zustellung seines Beschlusses ein Rechtsmittel eingelangt, in dem gemäß § 10 AußStrG. zulässigerweise auch neues Tatsachenvorbringen enthalten hätte sein können, hätte er zweifellos darüber Erhebungen einleiten und den schon gefaßten, aber noch nicht den Parteien gegenüber rechtswirksam gewordenen Beschluß reassumieren können.
Nun ist es gewiß richtig, daß der Erstrichter nicht über eine Vorstellung oder einen Rekurs, sondern von Amts wegen schon am Tage nach der Abgabe des Beschlusses an die Kanzlei dessen Aus- und Abfertigung inhibierte und solche Erhebungen einleitete. Berücksichtigt man nun, daß gegen einen Genehmigungsbeschluß dieser Art gemeiniglich ein Rechtsmittel eines Rekurslegitimierten gar nicht zu erwarten ist, daß aber andererseits der Pflegschaftsrichter gemäß § 2 (1) AußStrG. zum Schutz der Interessen des mj. Walter sogar zu amtswegigem Einschreiten verpflichtet war, bedenkt man schließlich, daß § 84 GOG. dem Vorsitzenden eines mit einer Außerstreitsache befaßten Senates die Befugnis einräumt, in den dort bezeichneten Fällen - insbesondere also wiederum zur Vermeidung von Nachteilen für den Minderjährigen - die Ausfertigung des Senatsbeschlusses einstweilen einzustellen und die Akten dem übergeordneten Gericht zur Entscheidung vorzulegen, kommt man zum Ergebnis, daß der Erstrichter zunächst durch Verhinderung der Ausfertigung des Beschlusses jene verfahrensrechtliche Lage schaffen durfte und konnte, die im Sinn der §§ 9 und 10 AußStrG. noch seine Reassumierung ermöglichte, weiters aber auch, daß er dazu bei ihm aufkommenden Bedenken geradezu verpflichtet war. Die Bestimmung des § 2 (1) AußStrG. deckt auch sein Einschreiten ohne Vorliegen eines Rechtsmittels oder auch eines bloßen Reassumierungsantrages (vgl. dazu auch GH. 1935, S. 7) von dritter Seite, weil der aus dem Gesetz ableitbare Anspruch der Parteien auf Zustellung der Gerichtsentscheidung vor dem Anspruch des Pflegebefohlenen zurückstehen muß, daß der Pflegschaftsrichter seine Interessen soweit als nur möglich, daher auch im Rahmen des § 9 AußStrG. von Amts wegen schützt.
Nun könnte allenfalls die Meinung vertreten werden, es sei verfrüht gewesen, daß der Erstrichter den Beschluß durch Streichung sogleich reassumierte. Darauf kommt es hier aber nicht an. Das Ergebnis der von ihm zu Recht eingeleiteten Erhebungen war so, daß er nunmehr eine andere als die ursprünglich gewollte Entscheidung zum Schutz der Interessen des mj. Walter für richtig erachtete, sie deshalb faßte und den Parteien zustellen ließ; unter der Voraussetzung der Richtigkeit dieser zweiten Entscheidung war die Reassumierung des Beschlusses nunmehr jedenfalls zulässig, wobei die Frage, ob es formell nicht richtiger gewesen wäre, einen Reassumierungsbeschluß zu fassen, statt den ersten Beschluß einfach durchzustreichen, in den Hintergrund tritt. Denn wenn die Judikatur, wie eingangs hervorgehoben wurde, sogar die Zulässigkeit des Abgehens von einer den Parteien gegenüber rechtswirksam gewordenen Entscheidung für den Fall einer Aufklärung der tatsächlichen Verhältnisse in Erwägung gezogen hat, muß sie für den Fall einer derartigen Aufklärung bei einer bloß in den Akten getroffenen, den Parteien gegenüber aber noch gar nicht rechtswirksam getroffenen Entscheidung umso eher und umso mehr bejaht werden. Wird nun jener Beschluß im Rechtsmittelweg überprüft, den der Erstrichter letzten Endes nach seinen ergänzenden Erhebungen für richtig hielt, wird auch dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit voll entsprochen, von dem das Rechtsmittelverfahren in Außerstreitsachen weitgehend beherrscht wird (vgl. Sander S. 104). Die Bestimmung des § 416 (2) ZPO. kann im Außerstreitverfahren also zumindest insoweit nicht analog angewendet werden, als der entscheidende Richter einem Rechtsmittel gegen seinen Beschluß - sei es auch auf Grund neuen Tatsachenvorbringens - noch selbst stattgeben könnte, er aber zum Schutz der Interessen eines Pflegebefohlenen auch zu amtswegigem Einschreiten verpflichtet ist (§§ 9, 10 im Zusammenhalt mit § 2 (1) AußStrG.).
Das Rekursgericht wird deshalb den angefochtenen Beschluß des Pflegschaftsrichters meritorisch zu überprüfen haben.
Anmerkung
Z38147Schlagworte
Außerstreitrichter, Bindung an seinen Beschluß, Bindung des Außerstreitrichters an seinen Beschluß, Reassumierung, Beschluß des AußerstreitrichtersEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1965:0010OB00159.65.0928.000Dokumentnummer
JJT_19650928_OGH0002_0010OB00159_6500000_000