Norm
ZPO §530 (1) Z7Kopf
SZ 38/215
Spruch
Das Berufungsgericht kann ohne Beweiswiederholung von der Entscheidung des Erstgerichtes über die Eignung der neuen Tatsachen oder Beweismittel als Wiederaufnahmsgrund gemäß § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. abgehen
Entscheidung vom 14. Dezember 1965, 8 Ob 350/65
I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz
Text
Mit Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS. Graz vom 15. 12. 1964, ist der am 12. 4. 1964 verstorbene Arno D. als Vater des von Gertraud W. am 16. 5. 1963 außer der Ehe geborenen Erwin Josef W. festgestellt worden, da als erwiesen angenommen wurde, daß Arno D. in der Nacht vom 15. auf den 16. August 1962 der Gertraud W. beigewohnt habe. Die Berufung gegen dieses Urteil ist noch nicht erledigt, da das Berufungsverfahren auf Grund der vorliegenden Wiederaufnahmsklage gemäß § 545 (1) ZPO. unterbrochen wurde.
Die Wiederaufnahmsklage der Verlassenschaft nach Arno D. gegen den mj. Erwin W. wurde auf § 530 (1) Z. 7 ZPO. gestützt. Es wurde behauptet, daß sich Arno D. in der Nacht vom 15. auf den 16. August 1962 nicht in Graz, sondern in N. aufgehalten habe, er daher in dieser Nacht mit der Mutter des Minderjährigen in Graz keinen Geschlechtsverkehr haben konnte. Dieser Umstand sei der Verlassenschaftskuratorin, die an starker Schwerhörigkeit und Vergeßlichkeit leide, erst durch ein Gespräch mit ihrem Sohne Johann P. in der Zeit zwischen 8. und 15. Dezember 1964 wieder in Erinnerung gekommen.
Das Erstgericht hat die zum Beweis für die neue Tatsache namhaft gemachten Zeugen vernommen und das Klagebegehren abgewiesen. Das Wiederaufnahmsbegehren sei verspätet, da die Wiederaufnahmsklägerin, d. i. die beklagte Partei des Vorprozesses bei gehöriger Beobachtung ihrer Sorgfaltspflicht in der Lage gewesen wäre, die von ihr nunmehr geltend gemachten Beweismittel bereits im Vorprozeß anzubieten. Darüber hinaus seien die Zeugen und die Verlassenschaftskuratorin selbst, die bestätigt hätten, daß sich Arno D. in der Nacht vom 15. auf den 16. August 1962 in N. aufgehalten habe, völlig unglaubwürdig.
Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil auf und wies die Rechtssache unter Beifügung eines Rechtskraftvorbehaltes zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es führte aus, daß bei der Entscheidung über das Wiederaufnahmsbegehren nur zu prüfen sei, ob der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund die abstrakte Eignung habe, eine günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen. Diese abstrakte Eignung komme den Aussagen der vernommenen Zeugen zu. Ob der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund die konkrete Eignung habe, eine für den Wiederaufnahmswerber günstigere Entscheidung herbeizuführen, sei dem judicium rescissorium vorbehalten. Ob jene besonderen Umstände, die bei einem durch Erkrankung bedingten Vergessen das Verschulden an der verspäteten Geltendmachung ausschließen, im vorliegenden Fall gegeben sei, müsse noch geprüft werden.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach der nunmehr ständigen, von der Lehre gebilligten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sind die neuen Tatsachen und Beweismittel im Wiederaufnahmsverfahren nicht nur im Hinblick auf ihre abstrakte Eignung zu einer Änderung der im Vorprozeß erflossenen Entscheidung zu prüfen, sondern es muß gleichzeitig eine eingeschränkte Beweiswürdigung dahingehend erfolgen, ob die Nichtberücksichtigung dieser Tatsachen oder Beweismittel im Vorprozeß einen Verstoß gegen die Findung der materiellen Wahrheit und die Vollständigkeit der Urteilsgrundlage darstellt (5 Ob 196/64, Fasching, JBl. 1956 S. 250 f.). Das Erstgericht hat auf Grund seiner Beweiswürdigung diese Frage verneint. Die Wiederaufnahmsklägerin hat die erstgerichtliche Beweiswürdigung in ihrer Berufung bekämpft. Wenn das Berufungsgericht ausführt, daß bei Berücksichtigung der neu geltend gemachten Tatsachen und Beweismittel eine für die Entscheidung des Wiederaufnahmsbegehrens beachtliche Erweiterung der Entscheidungsgrundlage für den Hauptprozeß geschaffen worden sei, hat es damit zum Ausdruck gebracht, daß es die Bekämpfung der Beweiswürdigung in der Berufung für soweit gerechtfertigt erachtet, daß die Eignung des Wiederaufnahmsgrundes eine der Wiederaufnahmsklägerin günstige Entscheidung der Hauptsache herbeizuführen, nach vorläufiger, eingeschränkter Beweiswürdigung im Sinne obiger Rechtsausführungen nicht von vornherein verneint werden kann.
Ebenso hat das Berufungsgericht dem Erstgericht mit Recht aufgetragen, die Frage zu prüfen, ob die beklagte Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die neuen Tatsachen und Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz geltend zu machen. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß das Vergessen einer Tatsache oder eines Beweismittels nur in ganz besonders gelagerten Fällen ausnahmsweise nicht als Verschulden angesehen werden könne, so wenn es auf einer Krankheit beruht (EvBl. 1958 Nr. 27, 1 Ob 183/64 u. a.). Die Kuratorin, welche die beklagte Verlassenschaft im Vorprozeß von Anfang an vertreten hat, ist ebenso zu behandeln wie die Partei selbst. Ist ihr Vergessen also auf eine Krankheit zurückzuführen, fehlt es an einem Verschulden im Sinne des § 530 (2) ZPO. Die Bestimmung des § 1299 ABGB. schließt die Verneinung eines prozessualen Verschuldens nach § 530 (2) ZPO. bei einer gewissen Beeinträchtigung der Merkfähigkeit nicht schlechthin aus.
Anmerkung
Z38215Schlagworte
Merkfähigkeit, Verschulden im Sinne des § 530 (2) ZPO. bei, Beeinträchtigung der -, Wiederaufnahmsgrund nach § 530 (1) Z. 7 ZPO., Beweiswiederholung„ Verschulden nach § 530 (2) ZPO. bei Beeinträchtigung der MerkfähigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1965:0080OB00350.65.1214.000Dokumentnummer
JJT_19651214_OGH0002_0080OB00350_6500000_000