Norm
Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung ArtXLIIIKopf
SZ 38/218
Spruch
Zum Begriff der gemeinschaftlichen Urkunde
Entscheidung vom 16. Dezember 1965, 2 Ob 317/65
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien
Text
Die klagende Partei begehrt von der Beklagten die Vorlage sämtlicher Fakturen, mit denen die klagende Partei ihre Lieferungen von Blutfällungen und Derivaten menschlichen Blutes vom 1. Juli 1959 bis zum Klagetag (20. September 1962) der beklagten Partei in Rechnung gestellt hat, weiters die Vorlage der Banküberweisungsaufträge, Verrechnungsschreiben oder sonstigen Urkunden, aus denen sich die Verrechnung oder Bezahlung der genannten Fakturen ergibt. Die beklagte Partei bestritt ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Urkundenvorlage; sie wandte noch ein, daß das Begehren zu unbestimmt sei.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin die verlangten Fakturen vorzulegen, wies aber das Mehrbegehren ab. Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, daß es der Klage zur Gänze stattgab.
Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt, auf den beide Untergerichte ihre Entscheidung stützen, fest: Die Parteien standen seit 1959 in laufender Geschäftsverbindung, in der die Klägerin an die beklagte Firma Rohfällungen menschlichen Blutes lieferte und diese Lieferungen zumeist zweifach fakturierte, wobei die offizielle Faktura mit der niedrigeren Rechnungssumme bei der Banco de Brasil angemeldet wurde, während die zweite Faktura mit dem höheren, richtigen Wert zusammen mit der offiziellen Faktura an die beklagte Partei übersandt wurde. Diese bezahlte die Rechnungssumme aus letzterer Faktura jeweils an die Banco de Brasil, die Differenz zum höheren Rechnungsbetrag auf Konten unter der Bezeichnung "H. SA" bei der Meadow Brook National Bank, New York, und der Overseas Discount Bank, Zürich, obwohl die Klägerin zumindest bei der Meadow Brook Bank keine Konten unterhalten hat. Die beklagte Partei hat darauf diese Überweisungen (der Differenzbeträge) umdisponiert, jedoch sind die Beträge der Klägerin nicht zugekommen. Der anfangs 1962 der klagenden Partei avisierte Betrag von 20.000 US-Dollar ist bei der Klägerin nicht eingegangen. Bei der Generalversammlung der klagenden Partei am 28. April 1962 hat ein Aktionär die vorgelegte Bilanz mit der Behauptung angefochten, die Klägerin habe Exportgeschäfte ohne Ausfuhrbewilligung getätigt, die einen nicht verbuchten Gewinn abgeworfen hätten. Nach dieser Generalversammlung ist ein Großteil der Geschäftsbücher der klagenden Firma verschwunden. Am 16. August 1962 leitete auf Veranlassung der beklagten Partei das Amtsgericht in Rio de Janeiro ein Verfahren zur Aufklärung der Exporte der Klägerin ein, das noch anhängig ist. Am 29. Dezember 1962 kundigte die beklagte Partei die mit der Klägerin geschlossenen Verträge auf. Eine Rekonstruktion der Buchhaltung, wozu die Klägerin die Kenntnis der begehrten Urkunden benötigt, ist auch für die Genehmigung der Konzession der klagenden Partei erforderlich.
Das Berufungsgericht hielt das Klagebegehren für begrundet, weil im Sinne des § 304 (2) ZPO. nicht nur die Rechnungen, die eine Aussage über die hinsichtlich Ware und Preis zwischen Käufer und Verkäufer zustande gekommene Vereinbarung enthalten, sondern auch die Banküberweisungsaufträge, die auf das Rechtsverhältnis zwischen Anweisendem und Anweisungsempfänger Bezug nehmen, sowie die Verrechnungsschreiben oder sonstigen Urkunden, aus denen sich die Verrechnung oder Bezahlung der Fakturen ergibt, als zwischen den Parteien gemeinschaftliche, Urkunden anzusehen und deshalb, weil, ein rechtliches Interesse der klagenden Partei gegeben sei, auch vorzulegen seien.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die beklagte Partei stellt in der Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung die Gemeinsamkeit der vorzulegenden Urkunden in Abrede und vermeint, eine Faktura erzeuge kein Rechtsverhältnis, sondern enthalte bloß eine Mittelung des Preises für eine bestimmte Ware. Eine Urkunde ist aber nicht erst dann gemeinschaftlich, wenn sie ein Rechtsverhältnis erzeugt oder das Rechtsgeschäft selbst beurkundet, sondern schon dann, wenn sie sich rechtlich auf das fragliche gemeinsame Rechtsverhältnis bezieht (Soergel - Siebert, BGB.[9] zu § 810; Staudinger-Komm. BGB.[11] zu § 810). Es genügt, wenn die Urkunde eine rechtsgeschäftliche Feststellung bezweckt (Reichsgerichtsräte-Komm. zum BGB[11] zu § 810). Eine Rechnung nimmt auf das abgeschlossene Rechtsgeschäft Bezug, indem sie in einer zergliederten Aufstellung eine Geldforderung als Entgelt für eine Warenlieferung, oder sonstige Leistung aus einem bestimmten Rechtsgeschäft oder Rechtsverhältnis beurkundet. Sie hat daher zwischen den Vertragspartnern als gemeinschaftlich zu gelten. Aber auch Banküberweisungsaufträge, die zur Schuldtilgung für Warenlieferungen dienen, sind nicht nur zwischen Auftraggeber und Überweisungsbank (Deckungsverhältnis), sondern auch zwischen Auftraggeber und Empfänger (Valutaverhältnis) als gemeinsam zu werten. Der Empfänger erhält zwar auf Grund des Überweisungsauftrages allein grundsätzlich kein Recht gegenüber der Bank, Zahlung oder Gutschrift auf sein Konto zu verlangen, da der Überweisungsauftrag regelmäßig so lange widerruflich bleibt, bis die Gutschrift erteilt ist, doch kann zu Gunsten des Empfängers Gutschrift erst auf Grund einer rechtsgültigen die Überweisung erteilt werden. Der Anspruch auf die Gutschrift ist dadurch bedingt, daß kein Widerruf der Anweisung erfolgt (Schinnerer, Bankverträge[2] I 120 ff.; Schlegelberger HGB.[4] Anhang zu § 365 Anm. 16 ff.; Reichsgerichtsräte-Komm. BGB.[11] zu § 784 Anm. 8). Rechtsgrundlage für die Gutschrift zu Gunsten des Empfängers ist jedenfalls der Überweisungsauftrag. Es werden daher im Überweisungsauftrag, der regelmäßig auf den Rechnungsbetrag oder die der Zahlung zu Gründe liegende Rechnung und damit auch auf das Rechtsgeschäft zwischen Auftraggeber und Überweisungsempfänger Bezug nimmt, nicht bloß rechtlich erhebliche Tatsachen zwischen Auftraggeber und Überweisungsbank, wie die beklagte Partei vermeint, sondern auch Tatsachen zum Zwecke der Tilgung der Schuld an den Lieferanten, sohin rechtlich erhebliche Umstände über das Rechtsverhältnis zwischen Auftraggeber und Überweisungsempfänger und damit hinsichtlich des Valutaverhältnisses beurkundet. Die Überweisungsaufträge sind daher im vorliegenden Fall, soweit sie sich auf Lieferungen der klagenden Partei beziehen, als gemeinschaftlich zwischen den Streitteilen zu beurteilen.
Die Revisionswerberin bekämpft auch die Rechtsansicht der Untergerichte, für den Anspruch auf Urkundenvorlage sei das erforderliche rechtliche Interesse gegeben. Soweit sie in diesem Zusammenhang die Tatsachenfeststellung der Untergerichte rügt, die Klägerin benötige zur Rekonstruktion ihrer Bücher die Urkundeneinsicht, wird damit die Beweiswürdigung angefochten, die in III. Instanz nicht mehr überprüfbar ist; ebenso war unbeachtlich die Behauptung der beklagten Partei, nach den Beweisergebnissen seien die Fakturen mit den höheren Beträgen nicht von der klagenden Partei selbst, sondern von deren Direktoren ausgestellt worden. Mit diesem Einwand wird ebenfalls unzulässig die Sachverhaltsfeststellung der Untergerichte gerügt. Auszugehen war von der Tatsachenfeststellung, daß die klagende Partei ihre Lieferungen zumeist zweifach mit verschiedenen Rechnungsbeträgen fakturierte. Das rechtliche Interesse der klagenden Partei haben die Untergerichte nicht bloß mit der Notwendigkeit der Rekonstruktion der Buchführung, sondern zutreffend auch mit der Notwendigkeit der Aufklärung der doppeltem Rechnungen und deren Bezahlung sowie der Notwendigkeit der Verteidigung vor einem brasilianischen Gericht und der Genehmigung ihrer Konzession durch die brasilianische Behörde begrundet, da das rechtliche Interesse schon dann gegeben ist, wenn die Urkunde geeignet ist, denjenigen, der die Vorlage verlangt in der Verfolgung oder Verteidigung eines Rechtes zu fördern (Reichsgerichtsräte-Komm., a. a. O., zu § 810. Anm. 2).
Im Rahmen ihrer Rechtsrüge vermeint die beklagte Partei weiters, das Begehren nach Gestattung der Einsichtnahme in die Banküberweisungsaufträge, in die Verrechnungsschreiben oder sonstige Urkunden, aus denen sich die Verrechnung oder Bezahlung der genannten Fakturen ergebe, sei infolge seiner Unbestimmtheit zur Exekutionsführung nicht geeignet und deshalb abzuweisen. Sie vertritt die unrichtige Ansicht, die Exekution sei nach § 346 EO. durchzuführen. Die Vollstreckung nach dieser Gesetzesstelle dient der Befriedigung eines Herausgabeanspruches hinsichtlich beweglicher Sachen, wobei die Übergabe des Gegenstandes an die betreibende Partei durch den Vollstrecker gegen Empfangsbestätigung vorgesehen ist. Die Verpflichtung zur Vorlage von Urkunden betrifft aber die Gewährung der Einsichtnahme in die Urkunde, nicht deren Übergabe an die betreibende Partei. Die Durchsetzung dieses Anspruches kann nur in der Form des § 354 EO. vor sich gehen, da der Anspruch auf Erwirkung einer unvertretbaren Handlung gerichtet ist. Die Bestimmtheit der begehrten Leistung ist deshalb zu fordern, um dem Gegner den Umfang seiner Leistung zweifelsfrei zu umschreiben und im Falle der Leistungsverweigerung die exekutive Durchsetzung zu ermöglichen. § 7 EO. fordert daher von einem Exekutionstitel die Anführung von Gegenstand, Art und Umfang der Leistung. Der Urteilsantrag hat so konkret zu sein, daß an der geforderten Leistung kein Zweifel entstehen kann. Die klagende Partei verlangt nun die Einsicht in die Rechnungen über ihre Lieferungen innerhalb einer bestimmten Zeit. Die Bestimmtheit und Exekutionsfähigkeit dieses Teiles des Begehrens bestreitet die Beklagte Partei nicht. Aber ebenso bestimmt und für die beiden Parteien dem Inhalte und dem Umfange nach zweifelsfrei ist das weitere Begehren: Die Banküberweisungsaufträge, Verrechnungsschreiben und sonstigen Urkunden beziehen sich nämlich auf die gleichen Geschäfte bzw. auf die Verrechnung oder Bezahlung der Fakturen aus diesen Geschäften. Die beklagte Partei wird bei einer geordneten Geschäfts- und Buchführung ohne weiteres imstande sein, die Urkunden festzustellen und der Klägerin in sie Einsicht zu gewähren. Die Vollstreckbarkeit des Anspruches, den das Berufungsgericht der Klägerin zuerkannt hat, ist sohin gegeben.
Die Einsichtnahme in gemeinsame Urkunden kann nur dann verweigert werden, wenn sie gegen Treu und Glauben verstoßen würde, während die Weigerungsgrunde des § 305 ZPO. nicht anwendbar sind. Die bloße Behauptung der beklagten Partei, es sei zu befürchten, daß die Klägerin ihr nach Einsicht in die Fakturen Schwierigkeiten bereiten werde, reicht zur Begründung der Vorlageverweigerung nicht aus; sie enthält keinen Hinweis, welcher Art diese Schwierigkeiten und allfälligen Schäden sein könnten, sodaß auf diesen Einwand nicht Bedacht zu nehmen war.
Anmerkung
Z38218Schlagworte
Gemeinschaftliche Urkunde, Urkunde, gemeinschaftlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1965:0020OB00317.65.1216.000Dokumentnummer
JJT_19651216_OGH0002_0020OB00317_6500000_000