TE OGH 1966/1/25 8Ob9/66f

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Veröffentlicht am 25.01.1966
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Norm

Jugendwohlfahrtsgesetz §31 (2)

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SZ 39/11

Spruch

Zur Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung gemäß § 31 (2) JWG. genügt nicht die bloße Glaubhaftmachung der Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle

Entscheidung vom 25. Jänner 1966, 8 Ob 9/66

I. Instanz: Jugendgerichtshof Wien; II. Instanz: Jugendgerichtshof Wien

Text

Das Erstgericht hat auf Grund eines Antrages des Bezirksjugendamtes für den 10. Bezirk in Wien bezüglich des mj. Wolfgang K. die vorläufige Fürsorgeerziehung zur Prüfung der Erfolgsaussicht gemäß § 31 (2) JWG. angeordnet, da das Vorliegen der Voraussetzungen hiefür glaubhaft gemacht worden sei. Der Minderjährige, der nach Scheidung der Ehe seiner Eltern im Jahre 1960 dem Vater zur Pflege und Erziehung überlassen worden sei, habe schon als Schulkind Schwierigkeiten bereitet, sei von der ersten Klasse Realgymnasium in den B-Zug der Hauptschule umgeschult, dann allerdings wieder in den A-Zug versetzt worden und habe im Jahre 1963 mit durchschnittlichem Erfolg die Hauptschule beendet. Nach dreimonatigem Besuch der Bundesgewerbeschule habe er die Schule eigenmächtig verlassen und sei wegen seiner Arbeitsunlust und seiner negativen Lebenseinstellung bzw. der Beeinflussung durch andere Lehrlinge aus zwei Lehrstellen nach kurzer Zeit entlassen worden. Verschiedene Hilfsarbeiterstellen habe er ebenfalls nach kürzester Zeit aufgegeben. Er weigere sich prinzipiell gegen jede Arbeitsleistung, sei keinen Vernunftsgrunden zugänglich, anerkenne keine Autorität, bezeichne sich als Sonderling und Einzelgänger und steigere sich bewußt in die Rolle eines Psychopathen. Der Minderjährige bewohne in demselben Hause, in dem sein Vater mit der zweiten Frau wohne, eine eigene Wohnung. Der Vater kümmere sich zwar sehr um den Minderjährigen, überprüfe dessen Nachhausekommen und überhaupt dessen Lebensweise, aber der Minderjährige lehne ab, daß die Stiefmutter seinen Haushalt versorge, weil er kein Kostgeld hergeben wolle. Er führe ein sehr selbständiges Leben, besuche Gast- und Kaffeehäuser und komme abend spät heim.

Das Rekursgericht hat dem Rekurs der Mutter des Minderjährigen Folge gegeben. Es hat in rechtlicher Hinsicht ausgeführt, daß bei Anordnung einer vorläufigen Fürsorgeerziehung zur Prüfung der Erfolgsaussicht gemäß § 31 (2) JWG. das Vorliegen der Voraussetzungen der Fürsorgeerziehung feststehen müsse und, daß in diesem Falle die bloße Glaubhaftmachung der Voraussetzungen nicht genüge.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Amtes der Wiener Landesregierung nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

§ 29 JWG. regelt die Anordnung der Fürsorgeerziehung, wenn diese zur Beseitigung geistiger, seelischer oder sittlicher Verwahrlosung des Minderjährigen notwendig und die Entfernung des Minderjährigen aus seiner bisherigen Umgebung, insbesondere wegen des verderblichen Einflusses der Erziehungsberechtigten oder wegen unzulänglicher oder verfehlter Erziehung erforderlich ist.

Gemäß § 31 JWG. kann in zwei Fällen die vorläufige Fürsorgeerziehung angeordnet werden; nämlich bei Gefahr im Verzug (§ 31 (1) JWG.) oder zur Prüfung, ob die Fürsorgeerziehung Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 31 (2) JWG.). Der Revisionsrekurs meint nun, "der Komplex der vorläufigen Fürsorgeerziehung" sei als eine Einheit zu betrachten und daraus ergebe sich der zwingende Schluß, daß auch für die Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung zur Prüfung der Erfolgsaussicht die Glaubhaftmachung der Voraussetzungen der Fürsorgeerziehung ausreiche. Die beiden Fälle, in denen die vorläufige Fürsorgeerziehung angeordnet werden kann, sind jedoch ihrem Wesen nach verschieden. Nur im ersten Fall, bei Gefahr im Verzug, sagt das Gesetz ausdrücklich, daß die Voraussetzungen für die Fürsorgeerziehung bloß glaubhaft gemacht werden müssen. Es geht daher nicht an, diese Bestimmungen auch auf den anderen Fall anzuwenden. Dieser Ansicht sind auch die Erläuternden Bemerkungen zu § 30 der Regierungsvorlage gewesen, der dem § 31 des späteren Gesetzes entsprochen hat (Nr. 140 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates VII. GP.). Dort heißt es ausdrücklich, daß im ersten Fall (Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung bei Gefahr in Verzug) die Anordnung an den Anfang des Verfahrens gesetzt wird und sich das Gericht daher mit der Glaubhaftmachung der Voraussetzungen begnügen müsse, die vorläufige Fürsorgeerziehung nach einem ordnungsgemäß durchgeführten Verfahren aber auch dann angeordnet werden könne, wenn erst geprüft werden solle, ob Aussicht auf Erfolg bestehe. Daraus ergibt sich, daß auch der Gesetzgeber nicht daran gedacht hat, für den Fall der Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung zur Prüfung der Erfolgsaussicht sei die Glaubhaftmachung der Voraussetzungen der Fürsorgeerziehung ausreichend.

Der Oberste Gerichtshof hat sich bisher, soweit ersichtlich, mit der Frage, ob auch im Falle des § 31 (2) JWG. die Glaubhaftmachung der Voraussetzungen der Fürsorgeerziehung ausreiche, nicht befaßt. Die vom Revisionsrekurs angeführten Entscheidungen betreffen ausschließlich die vorläufige Fürsorgeerziehung bei Gefahr in Verzug nach § 31 (1) JWG. Es ist daher nicht richtig, wenn der Revisionsrekurs behauptet, daß die angefochtene Entscheidung im Widerspruch zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes stehe.

Dem Revisionsrekurs war daher nicht Folge zu geben.

Anmerkung

Z39011

Schlagworte

Fürsorgeerziehung, vorläufige, nach § 31 (2) JWG., Glaubhaftmachung, nicht ausreichend, Glaubhaftmachen der Voraussetzungen bei vorläufiger Fürsorgeerziehung, nach § 31 (2) JWG. nicht ausreichend, Vorläufige Fürsorgeerziehung nach § 31 (2) JWG., Glaubhaftmachung nicht, ausreichend

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1966:0080OB00009.66.0125.000

Dokumentnummer

JJT_19660125_OGH0002_0080OB00009_6600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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