TE OGH 1966/4/19 4Ob23/66

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Veröffentlicht am 19.04.1966
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Norm

Betriebsrätegesetz §1 (2) litb

Kopf

SZ 39/70

Spruch

Eine Flughafenbetriebsgesellschaft ist keine "öffentliche Verkehrsunternehmung" im Sinne des § 1 (2) lit. b BRG.

Entscheidung vom 19. April 1966, 4 Ob 23/66

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien

Text

Der Kläger war bei der beklagten Partei, der Flughafen W. Betriebsgesellschaft m. b. H. in Sch., seit 25. Oktober 1955 als Flugleiter-Assistent beschäftigt. Er ist bei den am 26. März 1964 durchgeführten Betriebsratswahlen zum Mitglied des Betriebsrates der beklagten Partei gewählt worden. Am 30. Juli 1965 hat die beklagte Partei den Kläger fristlos entlassen. Der Kläger behauptet, die Entlassung sei grundlos erfolgt. Die beklagte Partei hat zwar mit ihrer am 31. Juli 1965 beim Einigungsamt Wien eingelangten Eingabe vom 30. Juli 1965 die Entlassung des Klägers dem Einigungsamt Wien unter Bezugnahme auf die Bestimmungen des § 18 (2) lit. e und (3) BRG. zwecks nachträglicher Einholung der Zustimmung bekanntgegeben, aber vor der auf den 1. September 1965 darüber anberaumt gewesenen Verhandlung mit Eingabe vom 26. August 1965 ihre erste Eingabe als gegenstandslos zu betrachten ersucht, weil ihr Unternehmen als öffentliche Verkehrsunternehmung gemäß § 1 (2) lit. b BRG. nicht unter die Bestimmungen dieses Gesetzes falle.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Feststellung, daß sein Dienstverhältnis zur beklagten Partei ungeachtet der am 30. Juli 1965 ausgesprochenen Entlassung über diesen Zeitpunkt hinaus aufrecht fortbestehe.

Die beklagte Partei wendete ein, die nachträgliche Zustimmung des Einigungsamtes im Sinne des § 18 (3) BRG. zur Entlassung des Klägers sei nicht erforderlich gewesen, weil die beklagte Partei eine öffentliche Verkehrsunternehmung im Sinne des § 1 (2) lit. b BRG. sei. Die Entlassung des Klägers sei rechtswirksam erfolgt und habe sein Dienstverhältnis gegenüber der beklagten Partei beendet.

Mit dem Ersturteil wurde dem Klagebegehren stattgegeben. Der Kläger sei im Zeitpunkt der Entlassung Mitglied des Betriebsrates gewesen. Eine vorherige Zustimmung des Einigungsamtes zur beabsichtigten Entlassung sei nicht eingeholt, das Ansuchen um eine nachträgliche Zustimmung aber zurückgenommen worden. Es sei weder behauptet worden noch hervorgekommen, daß die Betriebsratswahl vom 26. März 1964 als absolut nichtig anzusehen wäre. Auch eine Anfechtung dieser Wahl sei nicht erfolgt. Daraus folge, daß die Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes Anwendung zu finden hätten. Dazu komme, daß Flughafenbetriebsgesellschaften nicht als öffentliche Verkehrsunternehmungen anzusehen seien, die Bestimmung des § 1 (2) lit. b BRG. daher nicht Platz greife. Demnach sei die unter Außerachtlassung der Vorschriften des § 18 (2) und (3) BRG. vorgenommene Entlassung des Klägers rechtsunwirksam.

Das Berufungsgericht, das gemäß § 25 (1) Z. 3 ArbGerG. von neuem verhandelte, bestätigte infolge Berufung der beklagten Partei das Ersturteil und sprach gemäß § 500 (2) ZPO. aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, 15.000 S übersteige. Im Berufungsverfahren wurde außer Streit gestellt, daß bei der Wahl des Klägers zum Betriebsratsmitglied die Förmlichkeiten nach den Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes eingehalten worden sind. Dazu vertritt die beklagte Partei jedoch den Standpunkt, es habe sich nicht um die Wahl eines Betriebsrates nach dem Betriebsratsgesetz, sondern um die Wahl einer Personalvertretung eigener Art gehandelt.

In rechtlicher Beziehung führte das Berufungsgericht aus, Voraussetzung für die Anfechtung einer Betriebsratswahl im Sinne der §§ 9 (7) BRG. und 26 BRWO. sei die Anwendbarkeit des Betriebsrätegesetzes, da sonst keine Grundlage für die Anfechtung gegeben wäre. Es könne daher der Ansicht des Erstgerichtes, wonach die Frage der Wirksamkeit der bei der beklagten Partei durchgeführten Wahl von der Frage der Anwendbarkeit des Betriebsrätegesetzes zu trennen wäre, nicht gefolgt werden. Das Erstgericht habe aber zutreffend erkannt, daß die beklagte Partei keine öffentliche Verkehrsunternehmung sei. Das Betriebsrätegesetz definiere den Begriff der öffentlichen Verkehrsunternehmung nicht näher. Es verweise in diesem Zusammenhang (§ 1 (2) lit. b) lediglich auf die Eisenbahnen, Straßenbahnen, die Schiffahrt, den Luftverkehr, Post, Telegraph und die Kraftfahrlinien. Auch die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage und der Ausschußbericht enthielten keine Anhaltspunkte für eine nähere Begriffsbestimmung. Der Begriff der öffentlichen Verkehrsunternehmung könne daher nur den für solchen Unternehmungen jeweils geltenden Vorschriften entnommen werden. Dafür, daß auch bei einer Änderung der Rechtslage für diese Begriffsbestimmung stets die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Betriebsrätegesetzes noch in Kraft gestandenen Bestimmungen heranzuziehen seien und damit gewissermaßen eine "Versteinerung" des Begriffes eingetreten sei, bestehe kein Anhaltspunkt. Der Begriff der öffentlichen Luftverkehrsunternehmung könne daher für den Bereich des Luftverkehrs nur den Bestimmungen des Luftfahrtgesetzes BGBl. Nr. 253/1957 entnommen werden. Dort würden unter dem Abschnitt "Zivilflugplätze" (§§ 63 ff.) auch die Zivilflugplatzhalter behandelt, zu denen die Flughafenhalter zählten. Gemäß § 75 (5) dieses Gesetzes dürften Halter öffentlicher Flugplätze den Flugplatzbetrieb nur mit Bewilligung der zur Erteilung der Zivilflugplatzbewilligung zuständigen Behörde einstellen. Es treffe sie daher die Betriebspflicht. Hieraus ergebe sich auch der Kontrahierungszwang. Flughäfen unterlägen der öffentlichen Aufsicht. Die Tarife richteten sich nach einer Tarifordnung. Das Merkmal der Öffentlichkeit könne daher der beklagten Partei nicht abgesprochen werden. Gemäß § 1 (2) lit. b BRG. seien aber lediglich öffentliche Verkehrsunternehmungen von den Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes ausgenommen. Es treffe wohl zu, daß ein Flughafen eine wesentliche Voraussetzung für den Flugverkehr darstelle und auch die Führung von verschiedenen Hilfsbetrieben, die dem Zivilflugplatzhalter gemäß § 75 (1) LuftFahrtG. zukomme, für den Flugverkehr von wesentlicher Bedeutung sei. Es dürfe dabei aber nicht übersehen werden, daß der Luftverkehr, nämlich die Beförderung von Personen und Gütern im Luftweg, von der beklagten Partei nicht durchgeführt werde. Dies sei Aufgabe der Luftverkehrsunternehmen, die in einem anderen Teil des Luftfahrtgesetzes (§§ 101 ff.) behandelt würden. Gemäß § 101 LuftFahrtG. seien Luftverkehrsunternehmen a) Unternehmen zur gewerbsmäßigen Beförderung von Personen und Sachen mit Luftfahrzeugen (Luftbeförderungsunternehmen) und b) Unternehmen zur gewerbsmäßigen Vermietung von Luftfahrzeugen (Luftfahrzeug-Vermietungsunternehmen). Hieraus ergebe sich, daß der Gesetzgeber unter "Luftverkehr" lediglich die Beförderung von Personen oder Sachen oder zumindest die Beistellung der zu dieser Beförderung bestimmten Fahrzeuge verstehe.

Auch die Sicherung der Luftfahrt falle nicht in den Bereich der Aufgaben des Flugplatzhalters. Vielmehr obliege gemäß § 120 Luft-FahrtG. die Wahrnehmung der Flugsicherung dem Bundesamt für Zivilluftfahrt, das zum Zweck der Flugsicherung Außenstellen zu errichten habe, soweit dies zur sicheren und raschen Abwicklung des Luftverkehrs erforderlich sei (Flugsicherungsstellen). Hieraus ergebe sich, daß die beklagte Partei den Luftverkehr nicht unmittelbar durchzuführen habe, sondern nur mittelbar durch Beistellung erforderlicher Einrichtungen am Luftverkehr mitwirke. Auch aus den Bestimmungen des Luftverkehrsgesetzes DRGBl. 1936 I S. 653, ergebe sich nichts anderes. Gemäß § 11 dieses Gesetzes seien Luftfahrtunternehmen nur solche Unternehmen, die Personen oder Sachen durch Luftfahrzeuge gewerblich befördern.

Flughafenbetriebsgesellschaften seien daher keine öffentlichen Verkehrsunternehmungen im Sinne des § 1 (2) lit. b BRG. (so auch Floretta - Strasser, Kommentar zum BRG., S. 22, Pigler, Das Betriebsrätegesetz, Anm. 4 a zu § 1). Das Betriebsrätegesetz finde daher auch auf die beklagte Partei Anwendung. Die am 26. März 1964 durchgeführte Wahl, bei der die Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes eingehalten wurden, sei sohin als eine Wahl des Betriebsrates im Sinne der §§ 8ff. BRG. sowie der Bestimmungen der BRWO. anzusehen. Die Entlassung des Klägers ohne Einhaltung der Bestimmungen des § 18 BRG. sei gemäß dieser Gesetzesstelle rechtsunwirksam. Das Dienstverhältnis bestehe weiterhin aufrecht.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Daß die am 30. Juli 1965 ausgesprochene Entlassung des Klägers für den Fall, daß die beklagte Partei dem Betriebsrätegesetz unterliegt, wegen Verstoßes gegen § 18 BRG. rechtsunwirksam ist, wird von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Die beklagte Partei versucht vielmehr darzutun, daß Flughafenbetriebsgesellschaften und daher auch sie selbst als öffentliche Verkehrsunternehmungen anzusehen und demgemäß nach § 1 (2) lit. b BRG. dem Geltungsbereich dieses Gesetzes entzogen seien.

Es muß von dem im Motivenbericht und den weiteren Materialien in diesem Zusammenhang nicht näher erläuterten Gesetzestext des § 1 (2) lit. b BRG. ausgegangen werden, wonach unter die Bestimmungen dieses Gesetzes nicht fallen "... die öffentlichen Verkehrsunternehmungen (Eisenbahn, Straßenbahnen, Schiffahrt, Luftverkehr, Post und Telegraph und Kraftfahrlinien)". Nach der gebrauchten Formulierung muß es sich also um Verkehrsunternehmungen handeln und diese müssen das Kriterium der Öffentlichkeit aufweisen. In welchen einzelnen Sparten des Verkehrs dabei öffentliche Verkehrsunternehmungen (= Verkehrsunternehmen) in Betracht kommen, ist im Gesetzestext in Klammer angeführt. Steht daher Luftverkehr in Frage, muß es sich um eine Luftverkehrsunternehmung handeln, die das Kriterium der Öffentlichkeit aufweist. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, muß im einzelnen Fall auf den Zeitpunkt abgestellt werden, der rechtlich von kausaler Bedeutung dafür ist, ob das Betriebsrätegesetz anzuwenden ist oder nicht. Die beklagte Partei meint, der Begriff der öffentlichen Verkehrsunternehmungen (§ 1 (2) lit. b BRG.) könne nur nach der Rechtslage beurteilt werden, die gegolten habe, als das Betriebsrätegesetz in Kraft gesetzt worden sei. Dem Gesetz kann aber eine solche Begriffsumschreibung nicht entnommen werden. Das Gesetz überläßt vielmehr die Bestimmung des Umfanges des Begriffes der öffentlichen Verkehrsunternehmungen der jeweiligen Rechtslage, also den jeweils geltenden einschlägigen Gesetzen. Es kommt daher im konkreten Fall auf die Rechtslage im Zeitpunkt der in Frage stehenden Betriebsratswahl an. Maßgebend ist, was in jenem Zeitpunkte als öffentliche Verkehrsunternehmung im Luftverkehr anzusehen war und ob Flughafenbetriebsgesellschaften dazu gehören. Dies aber ist nach den zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Urteil nicht der Fall.

Im VII. Teil des LuftFahrtG. BGBl. Nr. 253/1957 werden Luftverkehrsunternehmungen behandelt, im IV. Teil dieses Gesetzes Flugplätze und Flughäfen und ihr Betrieb. Nach der Systematik des Gesetzes zählt der Gesetzgeber Flugplätze und Flughäfen und deren Betrieb nicht zu den Luftverkehrsunternehmen. Daß ein Flughafen gemäß § 64 LuftFahrtG. "ein öffentlicher Flugplatz ist, der für den internationalen Luftverkehr bestimmt ist und über die hiefür erforderlichen Einrichtungen verfügt" und daß er die Kriterien der Öffentlichkeit, nämlich Betriebspflicht und Kontrahierungszwang aufweist (vgl. auch Halbmayer - Wiesenwasser, Das österreichische Luftfahrtrecht, S. 102), vermag nichts daran zu ändern, daß ein Flughafen kein Luftverkehrsunternehmen im Sinne des LuftFahrtG. ist. Die Begriffsbestimmung dafür, was ein Luftverkehrsunternehmen ist, gibt § 101 LuftFahrtG. Es gehören dazu: a) Unternehmen zur gewerbsmäßigen Beförderung von Personen und Sachen mit Luftfahrzeugen (Luftbeförderungsunternehmen) und b) Unternehmen zur gewerbsmäßigen Vermietung von Luftfahrzeugen (Luftfahrzeug - Vermietungsunternehmen). Die von der beklagten Partei bekämpfte Auffassung von Floretta - Strasser, komm. zum BRG., S. 22, und von Pigler, Das BetriebsräteGes., Anm. 4 a zu § 1, Flughafenbetriebsgesellschaften seien keine öffentlichen Verkehrsunternehmungen im Sinne des § 1 (2) lit. b BRG., findet daher im Luftfahrtgesetz hinreichende rechtliche Deckung.

Anmerkung

Z39070

Schlagworte

Betriebsrätegesetz, Anwendung auf Flughafenbetriebsgesellschaften, Flughafenbetriebsgesellschaft als öffentliche Verkehrsunternehmung im, Sinne des BRG., Öffentliche Verkehrsunternehmung im Sinne des BRG.„ Flughafenbetriebsgesellschaft, Verkehrsunternehmung, Flughafenbetriebsgesellschaft als öffentliche -, im Sinne des BRG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1966:0040OB00023.66.0419.000

Dokumentnummer

JJT_19660419_OGH0002_0040OB00023_6600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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