Norm
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333 (4)Kopf
SZ 39/71
Spruch
Wegfall der Eigenschaft eines Aufsehers im Betrieb (§ 333 (4) ASVG.) erst mit der vollständigen Beendigung des Ladevorganges
Entscheidung vom 19. April 1966, 4 Ob 25/66
I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien
Text
Der Kläger begehrt Zuspruch eines Betrages von 21.232.56 S samt Anhang an Verdienstentgang und Schmerzengeld mit der Begründung, er sei bei einem vom Beklagten als Lenker eines LKW-Zuges verschuldeten Unfall schwer verletzt worden.
Der Beklagte beantragte Abweisung des Begehrens; das Unfallereignis sei als Arbeitsunfall anzusehen, wobei er gegenüber dem Kläger Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 (4) ASVG. gewesen sei. Er wendete außerdem Mitverschulden des Klägers ein.
Das Erstgericht schränkte die Verhandlung auf den Grund des Anspruches ein und erkannte mit seinem Zwischenurteil, daß der Anspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es ging von folgenden Tatsachenfeststellungen aus:
Beide Teile seien bei demselben Dienstgeber, Franz K., beschäftigt gewesen, der Kläger als Grubenarbeiter in der Schottergrube in M., der Beklagte als Kraftfahrer des Unternehmens. Es habe zu den Aufgaben des Klägers gehört, die in die Schottergrube einfahrenden Lastkraftwagen mit der vom jeweiligen Lenker gewünschten Materialart mittels eines Förderbandes zu beladen. Die Kraftwagenlenker hätten dabei die Materialart, die Ladeart und die Lademenge zu überwachen. Sie seien für das gleichmäßige Beladen und das Einhalten des zulässigen Ladegewichtes verantwortlich gewesen. Die Beaufsichtigung des Ladevorganges sei daher durch die Kraftwagenlenker erfolgt. In der Schottergrube selbst seien die Grubenarbeiter, also auch der Kläger, dem Grubenleiter unterstanden. Von diesem hätten sie alle Weisungen, soweit sie sich nicht auf den Beladevorgang selbst bezogen, erhalten. Der Beladevorgang sei so vor sich gegangen, daß der zu beladende LKW zu einem freien Förderband gefahren sei und der Kraftwagenlenker dem Grubenarbeiter gesagt habe, welches Ladegut er benötige. Daraufhin habe der Grubenarbeiter das hiezu notwendige Gatter herbeigetragen und auf den LKW gelegt, und zwar dorthin, wo es der Kraftwagenlenker haben wollte. Die Beladung des LKW-Zuges sei in vier Ladevorgängen erfolgt. Beim ersten Ladevorgang sei die vordere Hälfte des LKW beladen worden, beim zweiten die rückwärtige Hälfte, beim dritten die vordere Ladefläche des Anhängers und beim vierten die rückwärtige. Wenn der LKW-Zug beladen gewesen sei, habe der Grubenarbeiter auf ein Zeichen des Lenkers das Förderband abgestellt. Der Kraftwagenlenker habe dann das Gatter über die rückwärtige Bordwand des LKW bzw. des Anhängers heruntergelassen; das Gatter sei daraufhin vom Grubenarbeiter aufgenommen und weggetragen worden. Wo das Gatter hinzutragen gewesen sei, sei nicht mehr vom Kraftwagenlenker, sondern vom Grubenleiter angeordnet worden. Dieser Vorgang sei von beiden Streitteilen am 22. April 1963 eingehalten worden. Nach Beladung des Kraftwagenzuges habe der Kläger auf ein Zeichen des Beklagten das Förderband abgestellt. Der Beklagte habe daraufhin das auf dem LKW-Anhänger befindliche Gatter über die rückwärtige Bordwand desselben heruntergelassen, sodaß es, gegen diese gelehnt, am Boden stehen geblieben sei. Der Kläger habe daraufhin das Gatter genommen, fünf- bis sechsmal gegen die Bordwand des Anhängers ausgeklopft, um den noch darin befindlichen Sand auszuschütten, habe sich dann umgedreht, sodaß er nunmehr mit dem Rücken gegen den Anhänger gestanden sei, habe sich gebückt, das Gatter mit den Händen erfaßt und sei mit diesem auf dem Rücken, von der Fahrtrichtung des LKW-Zuges aus gesehen, nach rückwärts gegangen. Seitens des Grubenleiters habe die generelle Weisung bestanden, sofort vom beladenen Fahrzeug wegzugehen und das Gatter an das Förderband anzulehnen. Dieses habe sich seitlich des beladenen LKW-Zuges befunden. Der Kläger habe, da neben dem Anhänger große Steine gelegen seien, mit dem 40 kg schweren Gatter erst etwa 4 m in der dem LKW entgegengesetzten Fahrtrichtung gehen müssen, damit er dann ungehindert das Gatter zum Förderband hätte tragen können. Während der Kläger das Gatter ausgeschüttelt habe, sei der Beklagte über den beladenen Anhänger nach vorne gegangen und von diesem auf den LKW gesprungen. Von dort sei er auf den Boden gesprungen und habe sich in das Führerhaus begeben, den Motor gestartet, den Rückwärtsgang eingelegt und den Wagen zurückgeschoben. Dabei sei der das Gatter tragende Kläger vom Anhänger niedergestoßen und verletzt worden. Zwischen dem Zeitpunkt des Herablassens des Gatters vom Anhänger und dem Unfall sei ein Zeitraum von ungefähr 14 Sekunden gelegen gewesen. Unbestritten blieb, daß der Beklagte wegen dieses Unfalles wegen Übertretung nach § 335 StG. strafgerichtlich verurteilt wurde.
Das Erstgericht erachtete einen Haftungsausschluß im Sinne des § 333
(4) ASVG. nicht für gegeben, weil der Beklagte im Zeitpunkt des Unfalles gegenüber dem Kläger nicht mehr Aufseher im Betriebe gewesen sei. Ein Mitverschulden des Klägers nahm das Erstgericht nicht an.
Das Berufungsgericht wies mit Endurteil das Klagebegehren zur Gänze ab. Die Beendigung des Beladevorganges und damit der Aufsehereigenschaft des Beklagten gegenüber dem Kläger sei entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichtes nicht mit dem Herunterlassen des Gatters vom Anhänger durch den Beklagten anzunehmen, sondern erst von dem Zeitpunkt der Versorgung des Gatters und der endgültigen Abfahrt des LKW. Der Verladevorgang habe erst mit dem Abschluß der Zurückbringungsmaßnahmen hinsichtlich des Gatters sein Ende gefunden, weil ohne dieses Zurückbringen der LKW die Schottergrube nicht hätte verlassen können. Unter dem Beladevorgang sei nicht nur die reine Beladung des LKW-Zuges mit Schotter zu verstehen, sondern auch die Vorbereitungs-, Zwischen- und Nacharbeiten. Diese Nacharbeiten würden aber erst nach Wegschaffung des Gatters und dessen Lagerung am gewohnten Ort enden. Der Beklagte habe das ganze Verladegeschäft zu leiten und für das Zusammenspiel der persönlichen und technischen Kräfte zu sorgen gehabt. Der einheitliche Vorgang dürfe nicht zerlegt werden. Es sei daher die Haftungsbefreiung nach § 333 (4) ASVG. gegeben.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger bekämpft nicht die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, wonach er dem Beklagten während des Beladevorganges als Aufseher unterstellt war, er wendet sich lediglich gegen die Meinung, daß dem Beklagten diese Eigenschaft auch noch im Zeitpunkt des Unfallsereignisses zukam. Er vertritt gleich dem Erstgericht den Standpunkt, der Beladevorgang sei mit der Übernahme des herabgelassenen Gatters durch den Kläger als beendet anzusehen. Daß ihm der Beklagte die Weisung gegeben hätte, wohin er das Gatter zu tragen habe, sei nicht festgestellt worden. Im Zeitpunkt des Unfallsereignisses habe der Beklagte daher lediglich seine Lenkertätigkeit verrichtet.
Dieser Meinung kann nicht gefolgt werden. Dem Kläger mag zugegeben werden, daß der Beklagte nicht berechtigt gewesen wäre, ihn anzuweisen, wohin er das Gatter zu tragen hatte; deshalb kann der Auffassung des Berufungsurteils nicht beigetreten werden, daß die Aufsehertätigkeit erst dann beendet gewesen wäre, wenn das Gatter an seinen gewohnten Platz gekommen wäre. Auf die Lage des Aufbewahrungsortes des Gatters kommt es bei der Beurteilung der Frage nach der Beendigung der Aufseherfunktion des Beklagten nicht an. Es ist rechtlich nicht von Bedeutung, ob der Kläger das Gatter zu dem in der Nähe befindlichen Förderband oder an einen entfernteren Ort zu tragen hatte, entscheidend ist vielmehr, daß der Kläger, der auf Anordnung des Beklagten als seines Aufsehers im Betrieb das an der Bordwand des Anhängers lehnende Gatter wegtrug, bei Ausübung dieser Tätigkeit noch nicht aus dem Gefahrenbereich des von seinem Aufseher gelenkten Kraftfahrzeuges und damit aus dem Ladebereich gelangt war. Denn es gehörte zum Pflichtenkreis des Beklagten, auf den seinen Auftrag ausführenden Kläger noch so lange zu achten, bis dieser seinen Aufsichtsbereich, also den Gefahrenbereich des beladenen LKW, verlassen hatte. Bis dahin war der Beklagte für das Zusammenspiel der persönlichen und technischen Kräfte verantwortlich. Erst mit diesem Zeitpunkt wäre seine Aufseherfunktion gegenüber dem Kläger beendet gewesen, wie sie andererseits auch schon begonnen hatte, als der Beklagte vor der Beladung dem Kläger die Anweisung gab, das Gatter zum Wagen zu tragen und auf diesen zu legen, obwohl das Förderband zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingeschaltet war und der eigentliche Beladevorgang noch nicht begonnen hatte.
Entgegen der Revisionsmeinung muß daher der vorliegende Fall dieselbe rechtliche Beurteilung finden wie jener, der der vom Berufungsgericht angezogenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 16. Jänner 1962, ArbSlg. 7520, zugrundelag; auch dort befand sich der dem Lenker als Hilfskraft unterstellte Beifahrer, der im Zeitpunkt des Unfalles mit der vorgesehenen Ladetätigkeit nicht befaßt war, im Gefahrenbereich des nach rückwärts fahrenden Wagens. Die Auffassung der Revision, der Beklagte sei im Unfallszeitpunkt lediglich als Lenker tätig gewesen, trifft also nicht zu.
Gegen die rechtliche Beurteilung der Streitsache durch das Berufungsgericht bestehen somit keine Bedenken.
Anmerkung
Z39071Schlagworte
Aufseher im Betrieb (§ 333 (4) ASVG.) Dauer der Aufsehereigenschaft, Haftungsausschluß nach § 333 (4) ASVG., Dauer der Eigenschaft als, Aufseher im BetriebEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1966:0040OB00025.66.0419.000Dokumentnummer
JJT_19660419_OGH0002_0040OB00025_6600000_000