Norm
ABGB §1165Kopf
SZ 39/80
Spruch
Beförderungsvertrag: Zur Frage der Unterbringung von Gepäck in einem Linien-Omnibus (V. BGBl. Nr. 206/1954)
(Durch das Herunterfallen des Gepäcks aus dem Gepäcksträger wurde ein Fahrgast verletzt)
Entscheidung vom 29. April 1966, 2 Ob 88/66
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz
Text
Am 2. März 1961 hat die Klägerin als Fahrgast des fahrplanmäßigen Omnibusses der von der beklagten Partei betriebenen A. Landesbahnen (Linie F.-St.) einen Unfall erlitten. Ein anderer Fahrgast, nämlich Friedrich K., hatte mit Zustimmung des Omnibuslenkers der beklagten Partei, Karl V., in der Haltestelle Bahnhof F. eine in F. gekaufte Bodenbelagsrolle im Gepäcksnetz untergebracht; während der Fahrt, ungefähr 6 km außerhalb F's., stürzte diese Rolle aus dem Gepäcksnetz und traf die darunter im Wagen sitzende Klägerin, wodurch diese verletzt wurde. Im Zusammenhang mit diesem Verkehrsunfall ist zu U .../61 des Bezirksgerichtes F. sowohl gegen den Omnibuslenker Karl V. wie gegen den Fahrgast Friedrich K. das Strafverfahren eingeleitet worden; es hat bezüglich beider Genannten mit Freispruch von der Anklage wegen Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG. gemäß § 259/3 StPO. geendet.
Nunmehr erhebt die Klägerin wegen der Folgen des bezeichneten Unfalls Schadenersatzansprüche gegen die beklagte Partei; sie begehrt die Zahlung des Betrages von 87.779.78 S samt Anhang (darunter ein Schmerzengeld von 45.000 S) sowie die Leistung einer monatlichen Rente von 1000 S ab 1. März 1964 und die Feststellung, daß die beklagte Partei der Klägerin sämtliche in Hinkunft noch erwachsenden Schäden aus dem Unfall vom 2. März 1961 zu ersetzen habe. Die beklagte Partei hat Grund und Höhe des Begehrens bestritten.
Das Erstgericht hat das Verfahren auf den Grund des Anspruchs eingeschränkt und das genannte Klagebegehren abgewiesen.
Der Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht nach teilweiser Wiederholung der Beweise und Beweisergänzung Folge gegeben, das Ersturteil aufgehoben und die Rechtssache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Zugleich hat die Berufungsinstanz ausgesprochen, daß das Verfahren in erster Instanz erst nach Rechtskraft des Aufhebungs- und Rückverweisungsbeschlusses fortzusetzen sei.
Der Oberste Gerichtshof hob den angefochtenen Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug dem Berufungsgerichte die Ergänzung der Verhandlung und die neuerliche Entscheidung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Während das Erstgericht die Annahme eines Verschuldens des Omnibuslenkers abgelehnt und die Haftung der beklagten Kraftfahrzeughalterin auch zufolge der Haftungsbefreiung nach § 9 EKHG. verneint hatte, hat die Berufungsinstanz die Verschuldenshaftung des Omnibuslenkers der beklagten Partei, wofür diese einzustehen habe, unter dem Gesichtspunkte bejaht, daß der Kraftfahrer der beklagten Partei die von Friedrich K. mitgeführte Bodenbelagsrolle entgegen den bestehenden Vorschriften im Gepäcksträger habe unterbringen lassen; daraus resultiere die Haftung gemäß § 1311 ABGB., weil das Beweisverfahren nicht ergeben habe, daß das Unterschieben einer Aktentasche durch einen unbekannten Fahrgast das Herunterfallen der Bodenbelagsrolle verursacht hätte. Selbst bei anderer Auffassung wäre aber die Haftung der beklagten Partei im Umfange der §§ 13 und 15 (1) EKHG. zu bejahen, weil der beklagten Partei die Haftungsbefreiung des § 9 EKHG. nicht zustatten komme. Ein Zwischenurteil in zweiter Instanz könne nicht gefällt werden, weil bisher offen sei, ob die geltend gemachten Schadenersatzansprüche überhaupt bestunden; das Erstgericht werde seiner Entscheidung die Verschuldenshaftung der beklagten Partei nach den Bestimmungen des ABGB. zugrunde zu legen haben.
Im Vordergrund steht die Frage nach dem Verschulden des Omnibuslenkers Karl V. der beklagten Partei. Nach dem beiderseitigen Prozeßvorbringen der Parteien haftet die beklagte Partei der Klägerin aus dem Beförderungsvertrag; die beklagte Unternehmerin hatte der Klägerin als ihrem Fahrgast aus diesem Vertrag die unversehrte Beförderung an das Reiseziel zu leisten und es obliegt ihr demgemäß der Beweis, an der Erfüllung der vertragsmäßigen Verbindlichkeit ohne eigenes Verschulden und ohne Verschulden ihres Erfüllungsgehilfen, des Omnibuslenkers, verhindert worden zu sein (§§ 1298, 1313a ABGB.). In diesem Zusammenhang hat die Berufungsinstanz theoretisch zutreffend auf die Folgen der Übertretung einer Schutznorm durch den Omnibuslenker der beklagten Partei gemäß § 1311 ABGB. hingewiesen. Mit Recht aber wendet sich die Rekurswerberin in ihrer Mängelrüge gegen die Annahme des Berufungssenates, daß die Unterbringung der 2 m langen und 16 kg schweren Bodenbelagsrolle von einem Durchmesser von über 15.5 cm im Gepäcksträger des Omnibus verordnungswidrig gewesen sei; diese Frage muß bei der derzeitigen Aktenlage als ungeklärt bezeichnet werden; in dieser Hinsicht trifft der Vorwurf der Rekurswerberin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens aus nachstehenden Erwägungen zu:
Das Erstgericht hatte in Durchführung seines Beweisbeschlusses über die zulässig Beförderungsart der Bodenbelagsrolle den Sachverständigen aus dem Personen- und Lastentransportwesen Franz St. und den sachverständigen Zeugen Herbert W., Zentralinspektor der Österreichischen Bundesbahnen, vernommen. Der Sachverständige und der Zeuge hatten bekundet, daß die Ablage der Rolle im Gepäcksnetz den geltenden Beförderungsbestimmungen an sich nicht widersprochen habe. Die Berufungsinstanz aber hat unter Außerachtlassung dieser Beweisergebnisse bloß zufolge der Auslegung der Bestimmungen der 1. DV. zum Kraftfahrliniengesetz 1952 (BGBl. Nr. 206/1954) in Verbindung mit den Allgemeinen Beförderungsbedingungen für Kraftfahrlinien (Beilage 3) die Auffassung vertreten, daß die Lagerung der Bodenbelagsrolle im Gepäcksträger verboten gewesen sei. Ein derartiges Verbot kann aber den bezeichneten Grundlagen nicht ohne weiteres entnommen werden. Denn § 16 der zitierten Verordnung betrifft nur die Inneneinrichtung der im Kraftfahrlinienbetrieb eingesetzten Fahrzeuge und erwähnt in diesem Zusammenhang "kleine Gepäckstücke" und in dem vom Fahrdienst handelnden § 23 der Verordnung ist zwar in Abs. 1 Z. 4 von "Handgepäck" die Rede, ohne daß aber dazu eine Begriffsbestimmung gegeben wäre; in dem von der Benützung der Fahrzeuge handelnden § 24 ist in Abs. 2 von "tarifpflichtigem Gepäck" die Rede. In den Beförderungsbedingungen (Beilage 3) aber wird in Abschnitt V zwischen Handgepäck und Reisegepäck derart unterschieden, daß bloß für Reisegepäck ein besonderes Entgelt zu entrichten ist (vorliegendenfalls hat der Fahrgast Friedrich K. Entgelt für die Beförderung seiner Rolle geleistet), über die Art der Unterbringung von Reisegepäck fehlen aber im bezeichneten Abschnitt der Beförderungsbedingungen Vorschriften, aus denen auf eine verbotswidrige Unterbringung der Bodenbelagsrolle des Friedrich K. im Gepäcksnetz eindeutig geschlossen werden könnte. Wenn daher die Berufungsinstanz einen Verstoß des Omnibuslenkers Karl V. gegen eine Schutznorm angenommen hat, dann kann dieser Auffassung bei der derzeitigen Aktenlage nicht gefolgt werden. Das Erstgericht hat die Beförderung der Rolle im Gepäcksnetz nicht beanstandet; seine Beurteilung in diesem Punkt ist durch das Sachverständigengutachten Franz St. und die Angaben des sachverständigen Zeugen Herbert W. gedeckt gewesen. Die Berufungsinstanz durfte bei der nicht eindeutigen Regelung in der bezogenen Verordnung und in den allgemeinen Beförderungsbedingungen die für die erste Instanz maßgeblichen Beweise nicht außer acht lassen. Eine Ergänzung der Berufungsverhandlung war anzuordnen, damit bei der unterschiedlichen Auffassung der Untergerichte in diesem Punkte vom Berufungssenate der Sachverständigenbeweis nach der Vorschrift des § 488 (3) ZPO. vorgenommen werde. Hinsichtlich der Berücksichtigung der Angaben des in erster Instanz bloß im Rechtshilfeweg vernommenen Zeugen Herbert W. würde die Verlesung des Zeugenprotokolls im Berufungsverfahren genügen. Vor Ergänzung des Berufungsverfahrens kann in dritter Instanz zur Frage des Verschuldens des Kraftfahrers der beklagten Partei wegen Verstoßes gegen eine Schutznorm nicht abschließend Stellung genommen werden. Aus diesen Erwägungen war wie im Spruche zu erkennen.
Anmerkung
Z39080Schlagworte
Beförderungsvertrag, Herunterfallen von Gepäck in einem Linienomnibus, Gepäck, Herunterfallen von - in einem Linienomnibus, Omnibus, Herunterfallen von GepäckEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1966:0020OB00088.66.0429.000Dokumentnummer
JJT_19660429_OGH0002_0020OB00088_6600000_000