Norm
ZPO §66Kopf
SZ 39/154
Spruch
Faßt das Gericht eine mit Fehlern nach § 467 Z. 3 ZPO. behaftete Rechtsmittelschrift einer armen Partei als Antrag auf Bestellung eines Rechtsanwaltes zur Verfassung der Berufungsschrift auf und geht nach § 66 ZPO. vor, dann liegt für die Berechnung der Berufungsfrist ein Fall des § 464 (3) ZPO. vor
Entscheidung vom 28. September 1966, 6 Ob 291/66
I. Instanz: Bezirksgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz
Text
Mit Urteil des Erstgerichtes vom 12. April 1966 wurde der Beklagte als der Vater des klagenden Kindes festgestellt und zur Bezahlung der Prozeßkosten verurteilt. Dieses Urteil wurde dem im Genuß des Armenrechtes stehenden Beklagten in der Männerstrafanstalt Garsten, wo er sich in Haft befindet, am 18. April 1966 zugestellt. Am 21. April 1966 langte beim Erstgericht ein mit 19. April 1966 datierter, als "Nichtigkeitsbeschwerde" bezeichneter und nicht von einem Rechtsanwalt unterfertigter, sondern vom Beklagten geschriebener und unterschriebener Schriftsatz ein, mit welchem das Urteil des Erstgerichtes mit einer Reihe von Ausführungen teils rechtlicher, teils tatsächlicher Art bekämpft wird. Dieser Schriftsatz enthält aber weder konkrete Berufungsgrunde noch einen Berufungsantrag.
Das Erstgericht hat offenbar diesen Schriftsatz, der die Erfordernisse einer Berufungsschrift nicht erfüllt, als einen Antrag des im Genuß des Armenrechtes stehenden Beklagten auf Bestellung eines Armenanwaltes zwecks Erhebung der Berufung aufgefaßt, den Schriftsatz zum Akt genommen und mit Beschluß vom 3. Mai 1966, zugestellt am 5. Mai 1966, den Rechtsanwalt Dr. H. zum Armenvertreter bestellt. Dieser hat am 16. Mai 1966 eine Berufung eingebracht, mit welcher das Urteil des Erstgerichtes unter Geltendmachung der Berufungsgrunde der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung bekämpft und der Berufungsantrag auf Abänderung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens gestellt wird; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger hat eine Berufungsmitteilung erstattet und beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Das Berufungsgericht hat in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluß die mit "Nichtigkeitsbeschwerde" bezeichnete Berufung vom 19. April 1966 und den mit "Berufung" bezeichneten Schriftsatz vom 16. Mai 1966 zurückgewiesen.
Es vertrat die Auffassung, daß die Mängel des vom Beklagten eingebrachten Rechtsmittels, soweit diese im Fehlen eines Berufungsantrages und der Berufungsgrunde bestehen, keine bloß formalen, nach § 84 ZPO. behebbaren Mängel darstellen, sondern inhaltliche Mängel, welche die Verwerfung der Berufung zur Folge haben. Es sei deshalb diese vom Beklagten persönlich eingebrachte Rechtsmittelschrift zurückzuweisen gewesen. Durch ihre Einbringung habe aber der Beklagte, da das Gesetz im Berufungsverfahren sowohl dem Rechtsmittelwerber als auch seinem Gegner nicht mehr als die Überreichung eines Schriftsatzes gestatte, sein Berufungsrecht verbraucht, weshalb für die vom Armenvertreter verfaßte Berufungsschrift kein Raum mehr sei, diese sich daher als unzulässig erweise und gleichfalls zurückzuweisen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse des Beklagten Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem die sachliche Entscheidung über die Berufung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Berufungsgericht setzt sich selbst dadurch in Widerspruch, daß es einerseits der als "Nichtigkeitsbeschwerde" bezeichneten Eingabe des Beklagten die Erfordernisse einer Berufungsschrift abspricht und anderseits erklärt, es sei durch die Einbringung dieses Schriftsatzes das Berufungsrecht des Beklagten verbraucht. Bei Richtigkeit der Auffassung des Berufungsgerichtes würde eine solche Eingabe, welche nicht verbessert werden kann, stets den Verlust des Berufungsrechtes mit sich bringen und daher die Wirkung eines Rechtsmittelverzichtes haben. Es muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß in dem vom Beklagten verfaßten Schriftsatz überhaupt keine Berufung im Sinne der Bestimmungen der Zivilprozeßordnung zu erblicken war, daher eine Berufung am 21. April 1966 nicht überreicht worden ist, sondern eine für die Einleitung des Rechtsmittelverfahrens ungeeignete Eingabe, welche zurückzuweisen gewesen wäre (6 Ob 139/64 = RiZ. 1964 S. 202). Das Erstgericht hat allerdings diese innerhalb der Berufungsfrist eingelangte Eingabe nicht zurückgewiesen, sondern sie, wie sich aus den von ihm getroffenen Verfügungen ergibt, als den Antrag des das Armenrecht genießenden Beklagten auf Bestellung eines Rechtsanwaltes zum Armenvertreter zwecks Verfassung der Berufungsschrift und Vertretung im Rechtsmittelverfahren aufgefaßt und ist gemäß § 66 ZPO. vorgegangen. Damit begann gemäß § 464 (3) ZPO. die Berufungsfrist für den Beklagten erst mit der Zustellung des Beschlusses über die Beigabe und Bestellung des Armenanwaltes (5. Mai 1966) zu laufen, sodaß die vom Armenanwalt am 16. Mai 1966 zur Post gegebene Berufung rechtzeitig erhoben worden ist. Diese den gesetzlichen Erfordernissen entsprechende Berufung ist daher in ihrer Gesamtheit als eine erstmalig eingelangte Berufungsschrift zu behandeln, während der vorhergegangene, vom Beklagten persönlich eingebrachte Schriftsatz als Rechtsmittelschrift nicht mehr existent ist und daher vom Berufungsgericht nicht mehr zu berücksichtigen war (6 Ob 139/64 = RiZ. 1964 S. 202, 7 Ob 43/65).
Anmerkung
Z39154Schlagworte
Arme Partei, fehlerhafte Berufungsschrift einer - als Antrag auf, Bestellung eines Armenvertreters, Berufungsfrist, Armenvertreter, fehlerhafte Berufungsschrift einer armen Partei als, Antrag auf Bestellung eines -, Berufungsfrist, Berechnung der - bei fehlerhafter Rechtsmittelschrift„ die als Antrag auf Bestellung eines Armenvertreters angesehen wird, Berufungsschrift, fehlerhafte einer armen Partei als Antrag auf, Bestellung eines Armenvertreters, BerufungsfristEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1966:0060OB00291.66.0928.000Dokumentnummer
JJT_19660928_OGH0002_0060OB00291_6600000_000