Norm
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334 (1)Kopf
SZ 40/26
Spruch
Der Grundsatz, wonach grobe Fahrlässigkeit dann vorliegt, wenn jene Aufmerksamkeit außer acht gelassen wird, die in einem Betrieb der in Betracht kommenden Art im Interesse der Unfallverhütung erwartet werden muß, gilt auch für das ASVG.
Auch eine einmalige Zuwiderhandlung gegen Dienstnehmerschutzvorschriften kann grobe Fahrlässigkeit begrunden.
Entscheidung vom 23. Februar 1967, 2 Ob 40/67.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Am 3. Oktober 1963 erlitt der im Betrieb der Firma L. AG., Steinzeug- und Schamottefabrik, beschäftigte Otto V. während der Arbeit an einer Ziegelpresse eine schwere Verletzung mehrerer Finger, die eine Teilamputation zur Folge hatte. Die Klägerin hat den Unfall ihres Versicherungsnehmers Otto V. als Arbeitsunfall anerkannt und erbringt Pflichtleistungen an den Verletzten. Unter Bezugnahme auf die §§ 334, 333 (4) ASVG. begehrt sie vom Beklagten, der seit 15. September 1963 Betriebsleiter war, Ersatz der bisher erbrachten, der Höhe nach nicht mehr bestrittenen Leistungen und die Feststellung seiner Ersatzpflicht hinsichtlich der weiteren Pflichtaufwendungen.
Das Erstgericht gab der Klage statt und ging bei der Entscheidung der allein revisionsverfangenen Frage, ob der Beklagte durch grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334 (1) ASVG. den Unfall verursacht habe, von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:
Der Unfall ereignete sich an einer Riemenzugpresse, Baujahr 1961, die im Jahre 1961 angeschafft worden war. Die Maschine, die mit einem Elektromotor betrieben wird, funktioniert in der Weise, daß der Preßvorgang durch einen Zug an einem Bügelhandgriff, der mit einer Hand betätigt werden kann, ausgelöst wird. Zum Pressen des Werkstückes bewegt sich der Preßtisch mit den Formplatten zirka 30 cm aufwärts und wird gegen den Preßstempel gepreßt. Der Preßdruck kann mit Hilfe des Bügelhandgriffes geregelt werden. Es ist auch möglich, durch einen zweiten kurz nachfolgenden nochmaligen Zug einen weiteren Preßvorgang einzuleiten. Die Presse wies keine Schutzvorrichtung gegen das Hineinlangen in den Keilriemenantrieb, in die Bewegungsbahn der Gegengewichte und in den Stempelweg während des Stempelniederganges auf. Die Firma wurde am 9. März 1962 durch das Arbeitsinspektorat kontrolliert. Die bei dieser Kontrolle festgestellten Mängel wurden ihr mit Schreiben vom 20. März 1962 mitgeteilt. Dabei wurde auch bezüglich der gegenständlichen Riemenzugpresse das Fehlen der bereits angeführten Schutzvorrichtungen beanständet. Die Firma unternahm nichts, um diese Mängel zu beheben. Der Beklagte war seit 10. Juni 1963 Stellvertreter des damals vor dem Übertritt in den Ruhestand stehenden Betriebsleiters Ing. G. Er kam aus der Porzellanbranche, unterrichtete sich aber vor Übernahme seiner Stellung über die Dienstnehmerschutzvorschriften. Er sah sich im Betrieb oft um, um sich einzuarbeiten. Dabei sah er die Riemenzugpresse mehrmals in Tätigkeit und nahm wahr, daß mehrere Leute gleichzeitig an der Presse arbeiten. Durch Ing. G. erfuhr er auch, was das Arbeitsinspektorat an der Presse alles beanständet hatte. Am 3. Oktober 1963 waren Otto V. und Josef R. an der Presse beschäftigt. R. legte das Preßgut ein und betätigte den Riemenzug, V. nahm die gepreßten Schamotteziegel aus der Presse. Zur Verletzung V.s kam es dadurch, daß er den "Achtung"-Ruf des R., der einen nicht ganz ausgepreßten Ziegel nachpressen wollte, überhörte und bereits nach dem Ziegel griff, als R. die Presse wieder in Bewegung setzte. V. war es nicht mehr möglich, die Hände ganz zurückzuziehen. Er wurde durch den zuschlagenden Stempel an der linken Hand verletzt. Nach dem Unfall ordnete der Beklagte an, daß an der Presse jeweils nur ein Mann arbeiten dürfe. Der Riemenzug wurde in der Weise geändert, daß er nur mit beiden Händen betätigt werden kann. Dadurch ist ein Hineinlangen in den Stempelweg während des Pressens durch den an der Presse beschäftigten Arbeiter nicht mehr möglich.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und bestätigte.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision meint, daß der in der Rechtsprechung wiederholt ausgesprochene Grundsatz, wonach grobe Fahrlässigkeit vorliege, wenn jene Aufmerksamkeit außer acht gelassen werde, die in einem Betrieb der in Betracht kommenden Art im Interesse der Unfallverhütung erwartet werden müsse, nur für die "qualifizierte Fahrlässigkeit" im Sinn der Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung gegolten habe. Darauf ist zu erwidern, daß der Oberste Gerichtshof den gleichen Grundsatz auch im zeitlichen Geltungsbereich des ASVG. aufrechterhalten hat (z. B. 2 Ob 245/61, nicht veröffentlicht) und sich nicht veranlaßt sieht, von dieser Ansicht abzugehen. Ebensowenig trifft es zu, daß nur mehrfache Zuwiderhandlungen gegen Dienstnehmervorschriften geeignet wären, grobe Fahrlässigkeit zu begrunden (EvBl. 1962 Nr. 15). Wenn die Revision meint, es könne auch von einem - von der Rechtsprechung geforderten - beharrlichen Zuwiderhandeln des Beklagten als Voraussetzung für die Beurteilung seines Verhaltens als grob fahrlässig nicht gesprochen werden, weil er erst seit 15. September 1963, also insgesamt nur 13 Werktage vor dem Unfall als Betriebsleiter tätig gewesen sei, kann ihr auch darin nicht gefolgt werden. Das Verschulden der zeitlich vor dem Beklagten Verantwortlichen ist hier nicht zu beurteilen. Erwägungen in der Richtung, daß der Beklagte das Mißfallen seines Dienstgebers erregt und mit Auswirkungen auf sein Arbeitsverhältnis hätte rechnen müssen, wenn er sofort nach Übernahme der Verantwortlichkeit die Abstellung von Mißständen verlangt hätte, die ihm schon längere Zeit bekannt waren und von denen er auch schon früher wußte, daß sie vom Arbeitsinspektorat beanständet wurden, können ihn gleichfalls nicht entlasten. Wenn er aus Überlegungen dieser Art nichts übernommen haben sollte, müßte ihm dies als noch schwererwiegend angelastet werden. Auch ist die Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften nicht davon abhängig, ob die damit verbundenen Kosten den Unternehmer mehr oder minder finanziell schwer belasten. Es hätte auch einer Einstellung des Betriebes der Presse gar nicht bedurft, da der Unfall schon dadurch hätte verhindert werden können, daß der Beklagte verfügt hätte, die Presse dürfe nur von einem Mann bedient werden. Den dadurch entstehenden Produktionsausfall hätte er im Interesse der Sicherheit der Arbeiter unbedingt in Kauf nehmen müssen und auch verantworten können.
Der Oberste Gerichtshof hat keine Bedenken gegen die Beurteilung der völligen Untätigkeit des Beklagten ungeachtet seiner Kenntnis der Umstände als grob fahrlässig.
Anmerkung
Z40026Schlagworte
Dienstnehmerschutz, Zuwiderhandlung als grobe Fahrlässigkeit, Fahrlässigkeit, mangelhafte Unfallsverhütung als grobe -, Fahrlässigkeit, Zuwiderhandlung gegen Dienstnehmerschutzvorschriften, Grobe Fahrlässigkeit, Unfallsverhütung, Grobe Fahrlässigkeit, Zuwiderhandlung gegen, Dienstnehmerschutzvorschriften, Unfallverhütung, grobe FahrlässigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1967:0020OB00040.67.0223.000Dokumentnummer
JJT_19670223_OGH0002_0020OB00040_6700000_000