Norm
ABGB §1168Kopf
SZ 40/37
Spruch
Die Vereinbarung, daß für den Heimaufenthalt von Kindern der Betrag für die vorgesehene Aufenthaltsdauer in Rechnung gestellt wird, wenn der Aufenthalt - aus welchem Grund immer - abgebrochen wird, unterliegt dem richterlichen Mäßigungsrecht nach § 1336 ABGB.
Entscheidung vom 15. März 1967, 6 Ob 25/67.
I. Instanz: Bezirksgericht Hernals; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Durch ein Inserat wurde der Beklagte auf das Privatferienheim der Klägerin aufmerksam. Auf Grund einer telefonischen Anfrage erhielt der Beklagte einen Prospekt des Ferienheimes und zwei Karteikarten zugestellt. Der Prospekt enthält u. a. nachstehende Bestimmungen:
"Bei Einhaltung der im Prospekt angegebenen Termine kostet ein vierwöchentlicher Aufenthalt für Klein- und Schulkinder 1800 S.
Bei Aufenthaltsverlängerung über den Turnus wird der aliquote Teil verrechnet.
Außerhalb der genannten Turnusse können Kinder nach Tunlichkeit der vorhandenen Plätze im Heim kurzfristig Aufenthalt gegen 10%igen Pensionsaufschlag nehmen.
Bei verspätetem Eintreffen oder vorzeitigem Abbruch des Aufenthaltes - aus welchem Gründe auch immer - wird der Betrag für die vorgesehene Aufenthaltsdauer in Rechnung gestellt."
Der Beklagte füllte die beiden Karteikarten mit den Daten seiner mj. Kinder Gertraude und Werner aus, in denen er zum Schluß den Satz "Gleichzeitig mit der Anmeldung werden die im Prospekt genannten Bedingungen anerkannt" mit seiner eigenhändigen Unterschrift zur Kenntnis nahm.
Am 7. August 1965 brachte der Beklagte die beiden Kinder in das Ferienheim der Klägerin, ohne dieses jemals vorher gesehen zu haben. Obwohl ihm schon bei dieser Gelegenheit der verwahrloste Zustand des Kinderheims auffiel, ließ er die Kinder in der Obhut dieses Heimes und unternahm mit seiner Gattin eine Reise nach Deutschland. Am nächsten Tag schrieb die damals 14jährige Tochter Gertraude ihren Eltern einen Brief, in dem sie sich beklagte, daß ihr langweilig sei, daß sie keine rechte Ansprache finde, daß das Essen scheußlich sei, insbesondere, daß es nicht gewürzt sei. In ihrem Bett habe sie auch den Arm eingeklemmt und sich weh getan. Auf Grund dieses Briefes holte der Beklagte am 15. August 1965 die Kinder wieder aus dem Heim der Klägerin ohne irgendwelche Beschwerden vorzubringen. Erst nachträglich erfuhren der Beklagte und seine Gattin von den Kindern von angeblichen Unzulänglichkeiten hinsichtlich der Aufsicht der Kinder im Ferienheim.
Anläßlich der Übergabe der Kinder an die Klägerin am 7. August 1965 übergab ihr der Beklagte einen Scheck über 3000 S, der sich jedoch als ungedeckt erwies. Beim Abholen der Kinder erklärte er, daß ein Mißverständnis vorliege und die Abrechnung in Wien erfolgen würde.
Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Bezahlung des noch aushaftenden Betrages für die vereinbarte Unterbringung der Kinder im Ferienheim.
Rechtlich ging das Erstgericht im wesentlichen davon aus, daß der Beklagte an die Vertragsbestimmung gebunden sei, wonach bei vorzeitigem Abbruch des Aufenthaltes - aus welchem Gründe auch immer - der Betrag für die vorgesehene Aufenthaltsdauer in Rechnung gestellt werde.
Mit dem angefochtenen Beschluß hob das Berufungsgericht infolge Berufung der Beklagten das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf, wies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück und trug diesem eine weitere Klarstellung des Sachverhaltes auf.
Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen beider Parteien nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Es ist zunächst davon auszugehen, daß der Beklagte zur Vorausleistung verpflichtet war. Wäre diese Vorausleistung nicht durch zumindest fahrlässige Hingabe eines ungedeckten Schecks vereitelt worden, müßte der Beklagte, um das bezahlte Entgelt teilweise zurückzufordern zu können, gemäß § 1435 ABGB. beweisen, daß der rechtliche Grund für die Klägerin, das Entgelt zu behalten, weggefallen sei. Da er durch die Hingabe eines ungedeckten Schecks nicht besser gestellt werden kann als im Falle der Erfüllung seiner Vorausleistungspflicht, trifft ihn die Beweislast für die dem vertragsmäßigen Anspruch der Klägerin entgegenstehenden Einwendungen.
Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß der vorliegende Vertrag zwar auch Elemente des Gastaufnahmevertrages enthält, daß er aber überwiegend solche des Werkvertrages enthält, dessen gesetzliche Bestimmungen daher anzuwenden sind. Demnach könnte die Klägerin das gesamte vereinbarte Entgelt verlangen, soferne der Beklagte nicht entweder begrundete Gewährleistungsansprüche oder die Anrechnungspflicht nach § 1168 ABGB. einwenden könnte. Diese Rechtslage hat sich durch die Vereinbarung der Vollzahlung bei vorzeitigem Abbruch des Aufenthaltes etwas verschoben, denn in dieser Vereinbarung liegt sowohl der Verzicht auf Gewährleistung im Falle eines begrundeten vorzeitigen Abbruches als auch ein Verzicht auf die Anrechnung nach § 1168 ABGB. im Falle eines unbegrundeten vorzeitigen Abbruches des Aufenthaltes.
Der Verzicht auf die Gewährleistung nach § 929 ABGB. ist grundsätzlich zulässig, doch darf die Auslegung des Vertrages und die Anwendung einer Vertragsbestimmung zu keinem sittenwidrigen Ergebnis führen. So würde ein Verzicht auf Geltendmachung solcher Mängel im voraus gegen die guten Sitten verstoßen, deren Vorliegen es den Eltern aufgenommener Kinder zur Pflicht machen würde, die Kinder vorzeitig aus dem Heim herauszunehmen; seien dies nun besonders grobe Mängel in der Ausstattung des Heimes, seien es Mängel in der Beaufsichtigung und Erziehung der Kinder. Da das Berufungsgericht als letzte Tatsacheninstanz den Sachverhalt in dieser Richtung noch als aufklärungsbedürftig beurteilt hat, kann der Oberste Gerichtshof dem nicht entgegentreten und kann vor vollständiger Feststellung des Sachverhaltes auf die behaupteten Unzukömmlichkeiten nicht eingehen.
Sollten Mängel im ausgeführten Sinn nicht festgestellt werden, dann ist die erwähnte Vertragsklausel als Ausschluß der Anrechnung nach § 1168 ABGB. wirksam. Je nach den erhobenen Umständen wird aber das Erstgericht zu prüfen haben, ob nach richterlichem Ermessen der vertragsmäßige Anspruch der Klägerin in analoger Anwendung des § 1336 ABGB. zu mäßigen sein wird (Ehrenzweig II/1 S. 186; Gschnitzer in Klang[2] IV S. 384, vgl. auch Klang[2] V S. 119). Zwar hat eine Mäßigung nicht von Amts wegen zu erfolgen (SZ. XIII 40; SZ. XVI 166) doch ist in der Geltendmachung der Sittenwidrigkeit der Vereinbarung die Geltendmachung des Mäßigungsanspruches inbegriffen (SZ. XXV 90).
Von einem konstitutiven Anerkenntnis seitens des Beklagten auf der Grundlage der vorliegenden Feststellungen kann überhaupt keine Rede sein. Den strengen Erfordernissen des § 863 ABGB. entspricht der Sachverhalt in dieser Richtung nicht. Weder kann die Übergabe eines ungedeckten Schecks bei Einlieferung der Kinder in das Ferienheim so gedeutet werden, noch die Äußerung des Beklagten anläßlich der Abholung der Kinder, es liege ein Mißverständnis vor und die Abrechnung werde in W. stattfinden.
Anmerkung
Z40037Schlagworte
Ferienheim, Vertragsstrafe bei Abbruch eines Aufenthalts im -, Kinderheim, Vertragsstrafe bei Abbruch eines Aufenthalts im -, Konventionalstrafe, abgebrochener Heimaufenthalt, Richterliches Mäßigungsrecht, abgebrochener Heimaufenthalt„ Konventionalstrafe, Vertragsstrafe, abgebrochener HeimaufenthaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1967:0060OB00025.67.0315.000Dokumentnummer
JJT_19670315_OGH0002_0060OB00025_6700000_000