TE OGH 1967/12/14 2Ob316/67

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Veröffentlicht am 14.12.1967
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Norm

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333 (3)
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333 (4)

Kopf

SZ 40/165

Spruch

Aufseher im Betrieb ist nicht, wer einen ihm unterstellten Lehrling aus Gefälligkeit auf seinem Motorrad mit nach Hause nimmt, mag auch die Heimfahrt in die Arbeitszeit eingerechnet werden.

Entscheidung vom 14. Dezember 1967, 2 Ob 316/67.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Der in L. wohnhafte Beklagte und der in G. wohnhafte Helmut B. waren im Jahre 1963 als Monteur bzw. Lehrling beim Schlossermeister Alois R. in S. beschäftigt und ab Mai auf der Baustelle der Wassergenossenschaft Faakersee, die sich von Maria Gail bis Rosegg erstreckte, eingesetzt. Helmut B. arbeitete hier unter der Leitung des Beklagten, der für die Durchführung der Arbeiten verantwortlich und gegenüber sämtlichen dort arbeitenden Dienstnehmern des R. weisungsbefugt war. Die Arbeitszeit begann am Montag um 3 Uhr früh beim Betrieb des R. in S. und endete im allgemeinen. Wenn nicht eine Verlängerung notwendig war, Freitag um 17 Uhr. Helmut B. erhielt von Alois R. für die Fahrt von S. zur Baustelle und zurück die Fahrtkosten für den Zug bzw. Autobus vergütet, wogegen der Beklagte, von dem Alois R. wußte, daß er sein Motorrad benützte, für diese Strecke Kilometergeld erhielt. Die Fahrzeiten von S. und bis dorthin zurück, die sich aus der Fahrtdauer der öffentlichen Verkehrsmittel bzw. beim Beklagten mit dem Motorrad ergaben, wurden in die Arbeitszeit eingerechnet. Da der Wohnort des Helmut B. westlich von dem des Beklagten liegt, ergab es sich, daß der Beklagte den Helmut B. zunächst auf dessen Ersuchen und nicht regelmäßig, später regelmäßig und ohne weiteres Bitten am Montag von L. zur Baustelle und am Freitag wieder zurück bis L. oder S. mitnahm. Nur bei Schlechtwetter und wenn der Beklagte über das Wochenende in Faak blieb, benützte B. Bahn und Autobus. Der Beklagte erhielt für die Mitnahme des Helmut B. kein Entgelt. Am Freitag, den 2. August 1963, nahm der Beklagte auf der Heimfahrt wiederum Helmut B. auf dem Soziussitz seines Motorrades mit. Auf dieser Fahrt ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem Helmut B. schwer verletzt wurde. Der Beklagte wurde aus diesem Anlaß wegen Übertretung nach § 335 StG. rechtskräftig verurteilt. Die klagende Partei (Sozialversicherungsträger) hat den Unfall des Helmut B. als Arbeitsunfall anerkannt und für ihn in der Zeit vom 2. August 1963 bis 9. Oktober 1965 Leistungen in der Höhe von 36.786.46 S erbracht, wovon für 36.740.96 S ein zeitlich kongruenter Deckungsfonds vorhanden ist. Gestützt auf die Bestimmung des § 332 ASVG. begehrte sie die Zahlung des letztgenannten Betrages und die Feststellung der Regreßpflicht des Beklagten für ihre Pflichtaufwendungen nach Maßgabe des Deckungsfonds. Hilfweise grundete sie ihr Leistungssowie ein entsprechend modifiziertes Feststellungsbegehren auch auf § 334 ASVG. Hiezu brachte sie vor, der Beklagte habe den Unfall durch einen näher geschilderten Fahrfehler verursacht, der eine grobe Fahrlässigkeit darstelle.

Der Beklagte bestritt die letztere Behauptung und wendete Haftungsfreiheit zufolge seiner Eigenschaft als Aufseher im Betrieb ein. Er bestritt zunächst auch das Leistungsbegehren der Höhe nach sowie die Berechtigung des Feststellungsbegehrens.

Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt. Es kam zu dem Ergebnis, daß der Beklagte zur Unfallszeit nicht als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 (4) ASVG. anzusehen, ein Haftungsausschluß im Sinn des Abs. 1 dieser Bestimmung somit nicht gegeben sei. Es komme daher nicht darauf an, ob der Beklagte grob fahrlässig gehandelt habe.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil mit Rechtskraftvorbehalt auf. Nach Beweiswiederholung kam es zu dem Ergebnis, daß der Beklagte auch noch im Unfallszeitpunkt dem Helmut B. gegenüber Aufseher im Betrieb gewesen sei. Daher seien entgegen dem Standpunkt der klagenden Partei die Bestimmungen des § 333 (1) und (4) ASVG. anzuwenden. Vorsätzliches Handeln des Beklagten sei nicht behauptet worden. Ersatzansprüche des Helmut B. an den Beklagten seien auf die klagende Partei nicht übergegangen. Sie könne daher auch nicht gemäß § 332 ASVG. Regreß nehmen. Zur Entscheidung über das Eventualbegehren fehle es an Beweisaufnahmen und Feststellungen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht auf, über die Berufung des Beklagten neuerlich zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Berufungsgericht hatte gleich dem Erstgericht keinen Zweifel, daß der Beklagte während der Arbeit an der Baustelle Aufseher im Betrieb des Alois R. war. Zu seiner Ansicht, daß ihm diese Qualifikation auch noch im Unfallszeitpunkt zugekommen sei, gelangte es auf Grund seiner eigenen Beweisaufnahme und folgender darauf gegrundeter, über den eingangs dargestellten Sachverhalt hinausgehender Feststellungen:

Der Beklagte war berechtigt, an der Baustelle auch Arbeitsanordnungen, insbesondere auch hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit zu treffen. Er fuhr mit seinem Motorrad jeweils am Montag früh von seinem drauaufwärts gelegenen Wohnort L. zur Firma R. in S., um Aufträge zu übernehmen und um sieben Uhr weiter zu der drauabwärts unterhalb von Villach gelegenen

austelle. Am Freitag fuhr er so nach L. zurück, daß er spätestens um 17 Uhr durch S. fuhr. Die Mitnahme des Helmut B. nach L. bis zur Baustelle und zurück lag im Interesse der Arbeit und damit des Firmeninhabers Alois R., weil B. dadurch früher zur Arbeitsstelle kam, nicht vom Beklagten von der Autobushaltestelle abgeholt werden mußte und am Freitag um etwa eine Stunde länger arbeiten konnte. Helmut B. verrechnete der Firma R. zwar trotz Mitnahme durch den Beklagten die Fahrtkosten für Eisenbahn und Autobus, ersparte ihr aber einen gewissen finanziellen Aufwand für Arbeitszeit. Die Firma R. kontrollierte nicht, ob die bezahlten Massenverkehrsmittel tatsächlich in Anspruch genommen wurden. Der Beklagte hatte keinen ausdrücklichen Auftrag, Helmut B. mit dem Motorrad mitzunehmen. Alois R. hatte jedoch mehrfach am Montag Morgen die Mitnahme bemerkt und dagegen keinen Einwand erhoben. Da die Mitnahme im Interesse der Firma lag, überließ er die Entscheidung hierüber zumindest stillschweigend dem Beklagten. Dieser nahm daher an, daß die Mitnahme, mit der er allerdings auch dem Helmut B. einen Freundschaftsdienst erwies, durch R. genehmigt sei. Erst in neuerer Zeit erhalten Arbeiter, die der Beklagte nunmehr mit seinem PKW mitnimmt, keine Fahrtspesen ersetzt. Am Unfallstag fuhren der Beklagte und Helmut B. schon um etwa 15 Uhr mit dem PKW eines Baggerführers von der Arbeitsstelle nach Villach, wo der Beklagte sein dort in Reparatur befindliches Motorrad abholte. Helmut B. wünschte bis L. mitzufahren. Zwischen S. und L. ereignete sich - wie bereits geschildert - der Unfall.

Der Oberste Gerichtshof stimmt mit dem Berufungsgericht darin überein, daß es entscheidend darauf ankommt, ob der Beklagte auch noch im Unfallszeitpunkt als Aufseher im Betrieb anzusehen ist. Dies würde voraussetzen, daß es sich bei dieser Unglücksfahrt um eine Dienstfahrt handelte. In diesem Belang hat das Berufungsgericht seiner vom Ersturteil abweichenden Feststellung, Alois R. habe von der Mitnahme des B. durch den Beklagten Kenntnis gehabt, eine Bedeutung beigemessen, die ihr im vorliegenden Fall nicht zukommt. Im Vordergrund steht doch die Tatsache, daß die Beförderung Helmut B.'s durch den Beklagten von einem Ersuchen des ersteren ihren Ausgang nahm, daß der Beklagte Helmut B. auch in der Folge aus Gefälligkeit mitnahm, wobei Helmut B. nicht nur einen materiellen Gewinn dadurch hatte, daß er die ihm vom Dienstgeber bezahlten Fahrtspesen ersparte, sondern auch den Vorteil, ohne zeitraubende und umständliche Benützung von Massenverkehrsmitteln vom Wohnort zum Arbeitsort und zurück zu gelangen. Was die konkrete Fahrt anlangt, so steht nicht einmal fest, daß Alois R. auch wußte, daß Helmut B. auch auf der Heimfahrt mit dem Beklagten auf dessen Motorrad fuhr. Schon aus diesem Grund gehen alle Überlegungen des Berufungsgerichtes über das Interesse Alois R.'s an der Beförderung Helmut B.'s durch den Beklagten und darüber, daß dieser annahm oder annehmen durfte, Alois R. habe die Mitnahme als im Interesse des Betriebes gelegen genehmigt, ins Leere. Anders als bei der Fahrt zur Arbeitsstelle, bei der der Beklagte auch zur Betriebsstätte fuhr, um Weisungen entgegenzunehmen, hatte er auf der Rückfahrt keinerlei betriebliche Aufgaben zu erfüllen. Auch die Beförderung Helmut B.'s stellte keine betriebliche Tätigkeit dar. Helmut B. hatte grundsätzlich, so wie jeder Arbeitnehmer, selbst dafür zu sorgen, auf welche Weise er zur Arbeit und wieder heimkam. Der Beklagte war nicht verpflichtet, ihn mitzunehmen. Ein Weisungsrecht kam ihm diesfalls auch dann nicht zu, wenn Helmut B. ausnahmsweise an einem Freitag bis 17 Uhr hätte arbeiten müssen und dann nicht den ersten Abendzug von Villach nach seinem Wohnort erreicht hätte, mit dem er gegen 7 Uhr bereits in S. gewesen wäre. Daß sich ein solcher Fall in der Zeit zwischen dem Arbeitsantritt Helmut B.'s im April 1963 und dem Unfallstag überhaupt jemals tatsächlich ereignet hätte, ist übrigens nicht hervorgekommen, es ist vielmehr im Gegenteil festgestellt, daß Helmut B. Überstunden, die er der Firma R. laut Lohnbuch verrechnete, am Morgen vor Beginn der offiziellen Arbeitszeit und in der Mittagspause leistete. Davon abgesehen kann aber überhaupt nur die konkrete Fahrt, auf der sich der Unfall ereignete, Gegenstand der Prüfung sein. An diesem Tag hätte Helmut B. gleichfalls gegen 15 Uhr die Arbeitsstätte verlassen müssen und dürfen, um den ersten Abendzug zu erreichen und gegen 17 Uhr in S. zu sein. Anders hat er es auch nicht gehalten, als er gemeinsam mit dem Beklagten um etwa 15 Uhr mit Hilfe eines Traktors nach Villach und von dort mit dem Motorrad nach S. gelangte, sodaß er um 16 Uhr schonjenseits von S. war. Bei diesen Umständen hat der Beklagte auf dieser Fahrt nicht im Rahmen seines betrieblichen Wirkungskreises gehandelt und keine Betriebsaufgaben erfüllt. Er war vielmehr nur mehr Lenker seines eigenen Motorrades und Helmut B. ihm in keiner Weise unterstellt.

War aber der Beklagte im Unfallszeitpunkt nicht mehr Betriebsaufseher und die Fahrt selbst keine Betriebsfahrt, dann hat sich der Unfall Helmut B.'s während seiner Teilnahme am allgemeinen Verkehr mit einem Verkehrsmittel ereignet, für dessen Betrieb auf Grund des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes eine erhöhte Haftpflicht besteht. Gemäß § 333 (3) ASVG. sind demnach die Bestimmungen der Abs. 1 und 2 nicht anwendbar und der Beklagte kann die Haftungsbeschränkung nach dieser Gesetzesstelle nicht in Anspruch nehmen. Die dem Helmut B. gegen ihn zustehenden Ersatzansprüche sind gemäß § 332 ASVG. auf die klagende Partei übergegangen.

Somit bedarf es der vom Berufungsgericht angeordneten Ergänzung des Verfahrens zur Klärung der Frage, ob der Beklagte den Unfall Helmut B.'s grob fahrlässig verursacht habe, nicht. Die Sache ist vielmehr, da das Ersturteil hinsichtlich des Deckungsfonds und seiner Höhe nicht bekämpft wurde, im Sinne der Bestätigung dieses Urteils spruchreif.

Anmerkung

Z40165

Schlagworte

Aufseher im Betrieb nach § 333 (4) ASVG., Betriebsaufseher nach § 333 (4) ASVG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1967:0020OB00316.67.1214.000

Dokumentnummer

JJT_19671214_OGH0002_0020OB00316_6700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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