TE Vfgh Erkenntnis 2001/6/20 V143/00 ua

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.06.2001
beobachten
merken

Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
GeschwindigkeitsbeschränkungsV vom 11.07.88 für die A 10 Tauernautobahn
StVO 1960 §43 Abs2

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf der A 10 Tauernautobahn; Erforderlichkeit der Beschränkung aufgrund der ökologischen Situation; ausreichende Interessenabwägung und ausreichendes Ermittlungsverfahren

Spruch

Die Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 11. Juli 1988 idF der Verordnung vom 18. Juli 1989 und der Verordnung vom 10. November 1989 wird nicht als gesetzwidrig aufgehoben.

Die vom Unabhängigen Verwaltungssenat Salzburg gestellten Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr erließ am 11. Juli 1988, Z615.010/14-I/11-89, folgende Verordnung:

"Aufgrund des §43 Abs1 und 2 StVO wird verordnet:

Im Hinblick auf die Lage der Autobahn im 'Zederhaustal' wird zur Fernhaltung von Gefahren und Belästigungen für die Bevölkerung und die Umwelt und zur Überprüfung der Auswirkungen einer Geschwindigkeitsbeschränkung im Abschnitt zwischen dem Tauern- und dem Katschbergtunnel der Tauernautobahn A 10 in beiden Fahrtrichtungen die erlaubte Höchstgeschwindigkeit für die Zeit vom 1. August 1988 bis 31. Juli 1989 auf 100 km/h beschränkt, sofern nicht aufgrund anderer Verordnungen eine niedrigere Geschwindigkeit durch Straßenverkehrszeichen kundgemacht ist.

Diese Verordnung ist gemäß §44 StVO am 1. August 1988 durch die entsprechenden Straßenverkehrszeichen kundzumachen; diese Straßenverkehrszeichen sind mit Ablauf des 31. Juli 1989 zu entfernen.

Wien, am 11. Juli 1988

Der Bundesminister:"

1.2. Mit Verordnung vom 18. Juli 1989, Z165.010/18-I/6-1989, wurde die Geltung der Verordnung bis 30. November 1989 verlängert.

Mit Verordnung vom 10. November 1989, Z165.010/37-I/6-1989, wurde die Verordnung schließlich unbefristet in Geltung gesetzt.

2. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1034/98 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde gegen einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg vom 22. April 1998 anhängig, mit dem der Beschwerdeführer zu einer Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt wurde, weil er am 19. Juli 1996 gegen die oben genannte Verordnung verstoßen hatte.

Aus Anlaß der Beratung dieser Beschwerde beschloß der Verfassungsgerichtshof am 28. November 2000, von Amts wegen ein Verfahren gemäß Art139 Abs1 B-VG zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit dieser Verordnung einzuleiten.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken gegen die in Prüfung genommene Verordnung im Einleitungsbeschluß folgendermaßen dar:

"(...)

II.2.3. Der Verfassungsgerichtshof hegt das Bedenken, daß die Verordnung ..., mit der gemäß §43 Abs1 und Abs2 StVO 1960 im Abschnitt zwischen dem Tauern- und dem Katschbergtunnel der Tauernautobahn A 10 in beiden Fahrtrichtungen eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 100 km/h verordnet wird, nicht den Voraussetzungen entspricht, die §43 Abs1 litb Z1 und §43 Abs2 lita StVO 1960 für die Gesetzmäßigkeit einer aufgrund dieser Bestimmungen erlassenen Verordnung vorsehen.

2.4. Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und in VfSlg. 13371/1993 und 14051/1995 wiederholte, sind "bei Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO 1960 ... die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für welche die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen". Der Verfassungsgerichtshof geht sohin in ständiger Judikatur davon aus, daß die zuständige Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Geschwindigkeitsbeschränkungen durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat: Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für die eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, daß sie eine Herabsetzung der vom Gesetzgeber selbst allgemein für den Straßenverkehr in §20 Abs2 StVO 1960 festgesetzten Höchstgeschwindigkeiten rechtfertigen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Behörde vor Erlassung einer Verordnung nach §43 StVO 1960 die im einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 8086/1977, 9089/1981, 12944/1991, 13449/1993, 13482/1993). Die sohin gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl eine nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung oder Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung "der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse" durch ein entsprechendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren (vgl. VfSlg. 11943/1987, 12485/1990, 13449/1993).

2.5. Auch wenn §94f StVO 1960 nach seinem Wortlaut über die bei Vorliegen der Voraussetzungen obligatorische Durchführung eines Anhörungsverfahrens für Verordnungen eines Bundesministers nicht zur Anwendung kommt, hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 11. März 2000, V75/99 und V94/99, ausgesprochen, daß es im durchzuführenden Ermittlungsverfahren auch notwendig sein kann, etwa gesetzliche Interessenvertretungen, Behörden der Straßenaufsicht oder Gebietskörperschaften im Rahmen eines Anhörungsverfahrens in das Verordnungserlassungsverfahren miteinzubeziehen, um überhaupt erst die gebotene Interessenabwägung vornehmen zu können.

Der Verfassungsgerichtshof hat daher zu prüfen, ob der zuständige Bundesminister - in Anbetracht der Tatsache, daß die in Prüfung gezogene Verordnung seit 1. Dezember 1989 durch die Novelle vom 10. November 1989 ohne zeitliche Befristung in Geltung steht und damit ab diesem Zeitpunkt als Dauerverordnung konzipiert ist - die für diese Verordnung erforderliche Interessenabwägung vorgenommen hat. Voraussetzung für die gebotene Interessenabwägung - die wiederum erst die Grundlage für die Beantwortung der Frage darstellt, ob eine Verordnung erforderlich im Sinn des §43 StVO 1960 ist - ist, daß der zuständige Bundesminister alle für diese Interessenabwägung entscheidungsrelevanten Sachverhalte hinsichtlich der Gefahren oder Belästigungen, vor denen die Verordnung schützen sollte, und der sonst zu berücksichtigenden Verkehrsbeziehungen und Verkehrserfordernisse in einem entsprechenden Verfahren ausreichend ermittelt hat:

2.5.1. Im Verordnungsakt findet sich dazu lediglich folgende - undatierte - Resolution an den damaligen zuständigen Bundesminister, die an diesen im Namen eines Landesrates der Salzburger Landesregierung, eines Bauern in Zederhaus, eines Landwirtschaftsschülers aus Zederhaus, des Ortsbauernobmannes aus Flachau, eines Bauern aus Flachau/Reitdorf und des Obmannes der Waldgemeinschaft Kellau-Voregg-Moosegg in Kuchl gerichtet war:

"R E S O L U T I O N

Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Tauernautobahn

I. FORDERUNG:

Der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr wird aufgefordert, auf der gesamten Tauernautobahn umgehend eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h für Personenkraftwagen und Motorräder, von 80 km/h für Omnibusse und 60 km/h für Lastkraftwagen zu verordnen und die erforderlichen Kontrollen zu veranlassen.

II. BEGRÜNDUNG:

1. Gesetzliche Grundlage:

§43 Abs2 StVO sieht vor, daß zur Fernhaltung von Gefahren oder Belästigungen durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe die Behörde, wenn zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt erforderlich, durch Verordnung für bestimmte Gebiete, Straßen oder Straßenstrecken, für alle oder bestimmte Fahrzeugarten dauernde oder zeitweise Verkehrsbeschränkungen zu erlassen hat.

2. Dramatische Zunahme des Schadstoffausstoßes.

Der Schadstoffausstoß auf der Tauernautobahn hat seit 1976 bei den PKW um 346 %, bei den LKW und Bussen um 486 % auf insgesamt

15.500 t Kohlenmonoxide, Kohlenwasserstoffe und Stickoxide zugenommen.

3. Dramatische Waldschäden.

Diese waldgefährdenden Emissionen sind Ursache dafür, daß der Waldzustand entlang der Tauernautobahn wesentlich schlechter als im Landesdurchschnitt ist. Beispiel:

Paß Lueg 62 % geschädigt

Zederhaus 67 % geschädigt

Landesdurchschnitt 23 % geschädigt.

4. 1.500 t Schadstoffreduktion (9,5 %).

Eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h auf der Tauernautobahn bringt eine wesentliche Reduktion des Schadstoffausstoßes. 1.300 t pro Jahr bei Kohlenmonoxid, 15 t pro Jahr Kohlenwasserstoffe, 230 t pro Jahr Stickoxide. 1.545 t pro Jahr insgesamt.

Diese Werte wurden auf der Basis des Tauernautobahnverkehrs im Jahr 1986 errechnet. Der gesamte Schadstoffausstoß betrug 1986

15.500 t Kohlenmonoxid, Kohlenwasserstoffe und Stickoxide. Hinzu kommt eine zu erwartende Verkehrsfrequenzsteigerung um 75 % bis zum Jahr 2000.

5. 4,2 Mio. l Treibstoffersparnis.

Der Treibstoffverbrauch auf dieser Strecke würde bei Tempo 100 um 4,2 Mio. l oder 7 % sinken.

6. Größere Überlebensmöglichkeit und geringere Verletzungsgefahr bei Unfällen.

Über 50 % der Verkehrsunfälle sind auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen. Analysen von 30.000 Unfällen haben ergeben, daß tödliche Unfälle, wenn ein Sicherheitsgurt benutzt wurde, erst bei Unfallgeschwindigkeiten über 100 km/h vorkommen.

7. Spitzenfrequenz um 50 % höher als in Tirol.

Das Salzachtal und der Lungau sind aufgrund der topographischen Verhältnisse vollkommen ungeeignet, den zu erwartenden zusätzlichen Verkehr aufzunehmen. Die Spitzenbelastung auf der Tauernautobahn im Land Salzburg liegt bereits derzeit um 50 % über der Belastung auf der Brennerautobahn, weshalb auch auf der Tauernautobahn unbedingt Maßnahmen zu setzen sind.

8. Höhere Kapazität.

Die geforderte Geschwindigkeitsbegrenzung erbringt nach bekannten Studien eine Zunahme der Kapazität der Autobahn, da der größte Durchsatz einer Straße bei einer Geschwindigkeit von 50 bis 80 km/h liegt.

III. WEITERE FORDERUNGEN:

1. Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung zur Ausstattung aller Kraftfahrzeuge des sogenannten 'Altbestandes' mit einem Nachrüst- oder Dreiwegekatalysator, wenn sie technisch hiefür vorbereitet sind.

2. Gesetzliche Verpflichtung zur Ausstattung einspuriger Kraftfahrzeuge mit Katalysatoren.

3. Einführung der Geschwindigkeitsbeschränkungen von 80/100 km/h auf allen Autobahnen und Freilandstraßen für Kraftfahrzeuge ohne Katalysator und damit zusammenhängend intensive Überwachung dieser Höchstgeschwindigkeiten durch die Exekutive.

4. Einführung einer gesetzlichen Regelung zur Verminderung der Schwermetalle und des Chlors in Kfz-Schmiermitteln sowie der Benzolanteile im Treibstoff."

2.5.2. In der Folge erging - ohne jegliches Ermittlungs- bzw. Anhörungsverfahren - die Verordnung ... vom 11. Juli 1989, mit der "im Hinblick auf die Lage der Autobahn im 'Zederhaustal' zur Fernhaltung von Gefahren und Belästigungen für die Bevölkerung und die Umwelt und zur Überprüfung der Auswirkungen einer Geschwindigkeitsbeschränkung" im Abschnitt zwischen dem Tauern- und dem Katschbergtunnel der Tauernautobahn A 10 in beiden Fahrtrichtungen für die Zeit vom 1. August 1988 bis 31. Juli 1989 eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 100 km/h normiert wurde.

Nachdem mit der Novelle vom 18. Juli 1989 die Befristung der Verordnung vom 11. Juli 1988 bis 30. November 1989 verlängert worden war, wurde mit der Novelle vom 10. November 1989 die Befristung aufgehoben. Dies dürfte ebenso jeweils ohne Ermittlungs- bzw. Anhörungsverfahren erfolgt sein.

2.5.3. Daraus dürfte sich ergeben, daß der in Prüfung gezogenen Verordnung - selbst im Hinblick darauf, daß sie seit 1. Dezember 1989 als Dauerverordnung konzipiert ist - lediglich die angeführte Resolution zugrunde gelegt worden sein dürfte.

Ursprünglich war die Verordnung ... vom 11. Juli 1989 zunächst bis 31. Juli 1989 bzw. nach der Novelle vom 18. Juli 1989 bis 30. November 1989 "zur Überprüfung der Auswirkungen einer Geschwindigkeitsbeschränkung" zeitlich befristet. Doch auch vor dem Entfall der zeitlichen Befristung und der daraus resultierenden Konzeption dieser Geschwindigkeitsbeschränkung als nunmehrige Dauerverordnung dürfte keinerlei Verfahren stattgefunden haben, das geeignet gewesen wäre, das gesamte Spektrum der entscheidungsrelevanten Sachverhalte zu ermitteln und das der besonderen Bedeutung und Tragweite dieser verkehrslenkenden Maßnahme auf dem betroffenen Abschnitt der Tauernautobahn A 10 Rechnung getragen hätte.

2.5.4. Der zuständige Bundesminister dürfte es daher unterlassen haben, die für die gemäß §43 Abs1 und Abs2 StVO 1960 gebotene Interessenabwägung erforderlichen sachlichen Entscheidungsgrundlagen zu ermitteln. Diese Interessenabwägung stellt aber erst die Grundlage für die Beantwortung der Frage dar, ob eine Verordnung erforderlich im Sinn des §43 StVO 1960 ist.

Daran dürften jedenfalls auch die allgemeinen und erst im nachhinein getroffenen Ausführungen des zuständigen Bundesministers in seiner Stellungnahme vom 24. Juli 1998 nichts ändern."

4. Aus Anlaß fünf bei ihm anhängiger Berufungsverfahren gegen Bescheide, mit denen die Berufungswerber wegen Verstoßes gegen die in Prüfung genommene Verordnung bestraft wurden, stellte auch der Unabhängige Verwaltungssenat Salzburg - unter Bezugnahme auf den Prüfungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 2000 - gemäß Art129a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und Art139 Abs1 B-VG die Anträge, die genannte Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben. Diese Anträge wurden beim Verfassungsgerichtshof zu den Zahlen V9/01, V10/01, V17/01, V47/01 und V48/01 protokolliert. Ihnen liegen die Verwaltungsstrafverfahren mit den Geschäftszahlen UVS-3/11.974/3-2001, UVS-3/11.956/6-2001, UVS-3/11.798/4-2001, UVS-3/12.038/2-2001 und UVS-3/12.040/2-2001 zugrunde.

5. Die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie erstattete in den Verordnungsprüfungsverfahren eine Äußerung, in der sie den Antrag stellt, die vorliegende Verordnung nicht als gesetzwidrig aufzuheben. Sie begründet dies folgendermaßen:

"(...)

1.) Den Argumenten des ho. Ministeriums, 'bei dem gegenständlichen Abschnitt handle es sich um einen besonders sensiblen Bereich', wird seitens des Beschwerdeführers entgegengehalten, daß im Gebiet der Republik Österreich durchaus weitere eng alpine Tallandschaften mit hochgelegenen frequentierten Verkehrswegen existieren und sich die Tauernautobahn im Zederhaustal von diesen allen anderen Straßen nicht deutlich unterscheide.

Diese Ausführungen treffen aber nicht zu, wie ein Vergleich der Trassenführung (diese sind bereits aus einschlägigen Strassenkarten ersichtlich) eindeutig aufzeigt. Bei anderen Autobahnbauten folgte die Trassenführung den bereits bestehenden Bundesstraßen, wie z.B. im Brenner- oder im Pyhrnabschnitt; hingegen hat die Trassenführung der Tauernautobahn A 10 die bisher nicht mit Durchzugsstraßen ausgestatteten Täler des Flachau und des Zederhauses mit dem erwähnten Verkehrsaufkommen einer Autobahn mit Transitfunktion belastet. Die geschilderte Lage und Beschaffenheit der beiden Täler, die bisher nicht durch Verkehrsaufkommen geschädigte Vegetation (hoher Schutzwaldanteil) rechtfertigen daher nach ho. Ansicht ein sachlich differenziertes Vorgehen für die obgenannten Autobahnabschnitte durch Verordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung, durch die die Schädigung der dort befindlichen Wälder hintangehalten werden soll. In dem beiliegenden Band 13 der Forschungsarbeiten aus dem Verkehrswesen 'Waldschäden und Auto' wird der Zustand der österreichischen Wälder als 'in hohem Maße besorgniserregend' festgehalten.

Es bedurfte daher - nach offensichtlicher Ansicht bei der Verordnungserlassung - keiner der vom Beschwerdeführer geforderten Beweise, um zu erkennen, daß Täler ohne Durchzugsstraßen eine ökologische Situation aufweisen, deren Beibehaltung nach Errichtung einer Transitautobahn nur durch Maßnahmen zu erreichen ist, zu denen, die Erlassung einer Geschwindigkeitsbeschränkung erforderlich ist. Diese ökologische Situation war auch durch die vor Erlassung der Verordnung stattgefundenen Ortsaugenscheine amtsbekannt und konnte durch Befragung, bzw. Aussagen von Zeugen, wie bei der im Akt ersichtlichen Bürgerversammlung, bestätigt werden.

2.) Wie bereits erwähnt, ergibt sich die besondere Lage des schützenswerten Gebietes durch die Trassenführung der Tauernautobahn. Bei den Ermittlungen dieser Trassenführung sah der Verordnungsgeber keine Notwendigkeit für ein neuerliches Ermittlungsverfahren, da diese Trasse bereits aufgrund des Bundesstraßengesetzes 1971 durch Verordnung bestimmt worden ist. Da vor Erlassung einer Verordnung aufgrund des §4 BStG 1971 umfangreiche Planunterlagen und Dokumentationen erstellt werden, ist der Trassenverlauf durch Auflage zur Einsicht, Veröffentlichung im Amtsblatt zur Wiener Zeitung und Anschlag an den Amtstafeln berührter Gemeinden kundgemacht.

Im Gegensatz zu Verordnungen, die aus Sicherheitsgründen erlassen werden und bei denen das Verkehrsgeschehen sowie der Verkehrsablauf zu ermitteln ist, kann daher bei Erlassung einer Verordnung aus Gründen der Lage der Trasse eine Befragung von Automobilclubs und Interessenvertretungen keine relevanten Aufschlüsse erbringen.

Zwar sind Geschwindigkeitsbeschränkungen, wie die mit der gegenständlichen Verordnung erlassenen, grundsätzlich geeignet, auf einer Strecke zwischen zwei Tunnel (Tauerntunnel und Katschbergtunnel) das Geschwindigkeitsniveau des Verkehrs zu reduzieren und ein Einfahren in die genannten Tunnel mit verminderter Geschwindigkeit zu bewirken, doch sind hiezu keine aktenmäßigen Ermittlungen in Evidenz.

Die geforderten Ermittlungen hinsichtlich der umweltrelevanten Lage der Autobahn hingegen hätten nichts an der durch die Verordnung gemäß StVO zu schützenden Gebiete (Wälder) und der Notwendigkeit einer geringeren Lärmentwicklung ändern können; die Begründung für die Verordnung liegt eben primär in der Trassenführung der Autobahn.

Zur Entscheidungsfindung, ob die ökologische Situation ein Handeln der Behörde erfordert, schien daher dem Verordnungsgeber die Auswertung einschlägiger Untersuchungen geeignet, um festzustellen, ob Gefahren oder Belästigungen für die Bevölkerung oder die Umwelt bestehen. Die regelmäßigen Ermittlungen des Referates für Umweltschutz im Amt der Salzburger Landesregierung sind in einem mit 1989 datierten Ergebnis der Boden und Vegetationsuntersuchung der Scheitelstrecke der A 10 zusammengefaßt worden. In dieser wird zwar nicht eine Gefährdung der Gesundheit sehr wohl aber eine Gefahr für die Vegetation festgestellt. Als rasch wirksame Maßnahmen werden Tempolimits auf 80/100 km/h empfohlen. Indem der Verordnungsgeber das höhere Tempolimit gewählt hat, hat er auch die unterschiedlichen Interessenlagen berücksichtigt und dem entsprechenden Wunsch der Verkehrsteilnehmer auf Ausnützung der gesetzlichen Obergrenze der erlaubten Geschwindigkeit einer Abwägung unterzogen."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat die Verordnungsprüfungsverfahren gemäß §35 Abs1 VerfGG 1953 iVm. §187 ZPO zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und über sie erwogen:

1. Die Verordnungsprüfungsverfahren sind zulässig.

Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die gegen die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes über die Zulässigkeit der Beschwerde und die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Verordnung sprechen würden.

Es ist auch nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, daß der antragstellende Unabhängige Verwaltungssenat Salzburg die vorliegende Verordnung in den bei ihm anhängigen Berufungsverfahren anzuwenden hat.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

2. Die im Prüfungsbeschluß geäußerten Bedenken treffen nicht zu.

Der Verfassungsgerichtshof hegte im Prüfungsbeschluß - angesichts der ihm damals vorliegenden Verordnungsakten - das Bedenken, daß die vorliegende Verordnung ohne jegliches Ermittlungsverfahren erlassen und ihr lediglich die oben angeführte Resolution zugrunde gelegt worden sein dürfte.

Im Verordnungsprüfungsverfahren hat die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie nunmehr ua. - aus der Reihe "Forschungsarbeiten aus dem Verkehrswesen" - eine Zusammenfassung über das am 26. November 1987 stattgefundene Symposium zum Thema "Waldschäden und Auto" und ferner eine zusammenfassende Dokumentation über die Arbeit des Verkehrs- und Umweltausschusses, Ausschuß "Umweltdaten", vorgelegt, der eine Tauerntunnel-Luftschadstoffuntersuchung 1988, eine Emissionsabschätzung für den Salzburger Teil der Tauernautobahn, eine Untersuchung über die klimatischen Verhältnisse im Lungau im Hinblick auf die Ausbreitung von Luftschadstoffen, ein hydrogeologisches Gutachten im Bezug auf Trinkwasserquellen, eine Waldzustandserhebung entlang der Tauernautobahn im Zederhaustal, eine Untersuchung über die Auswirkungen von Tunnelentlüftungssystemen auf den Schwermetallgehalt in Böden und Pflanzen, Boden- und Vegetationsuntersuchungen für die Tauernautobahn und schließlich eine Dokumentation über Luftschadstoffuntersuchungen entlang der Tauernautobahn in der Zeit von Mai 1988 bis August 1989 angeschlossen sind. Diese Unterlagen bieten hinreichend Grundlage für die gemäß §43 Abs2 StVO 1960 gebotene Interessenabwägung und rechtfertigen das Vorbringen der verordnungserlassenden Behörde, die vorliegende Verkehrsbeschränkung sei auf Grund der besonderen ökologischen Situation im Zederhaustal erforderlich. Sie vermögen zu dokumentieren, daß die verordnungserlassende Behörde vor Erlassung der Verkehrsbeschränkung - im besonderen vor Erlassung der Novelle am 10. November 1989 - die für die gebotene Interessenabwägung notwendige nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren bzw. Belästigungen für die Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, vorgenommen hat und sohin in der Lage war, die einzelnen in §43 StVO 1960 umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen.

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 11. März 2000, V75/99 und V94/99, ausgesprochen, daß es in einem solcherart durchzuführenden Ermittlungsverfahren auch notwendig sein kann, etwa auch gesetzliche Interessenvertretungen, Behörden der Straßenaufsicht oder Gebietskörperschaften im Rahmen eines Anhörungsverfahrens in das Verordnungserlassungsverfahren miteinzubeziehen. Der Verordnungsgeber hat seiner Entscheidungsfindung auch die Auswertung einschlägiger Untersuchungen des Referates für Umweltschutz am Amt der Salzburger Landesregierung zugrunde gelegt, an denen Mitarbeiter der Universitäten Wien und Salzburg, des Umweltbundesamtes Wien, der Tauernautobahn AG, der Landesumweltanwaltschaft und verschiedener Abteilungen der Salzburger Landesregierung mitgewirkt haben, sodaß das durchgeführte Ermittlungsverfahren auch im Hinblick auf die im zitierten Erkenntnis angeführten Grundsätze als ausreichend erachtet wird.

3. Der Verfassungsgerichtshof kann daher nicht finden, daß die Verordnung in einem nicht §43 Abs2 StVO 1960 entsprechenden Verfahren zustandegekommen wäre. Die verordnungserlassende Behörde hat die gebotene Interessenabwägung vorgenommen.

Die vorliegende Verordnung war daher nicht als gesetzwidrig aufzuheben.

Die Anträge des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg waren abzuweisen.

4. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Geschwindigkeitsbeschränkung, Umweltschutz, Verordnungserlassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:V143.2000

Dokumentnummer

JFT_09989380_00V00143_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten