Norm
ABGB §862aKopf
SZ 41/64
Spruch
Unterläßt der Schuldner die Behebung eines Mahnschreibens nach § 53
(4) AO. kann er sich nicht darauf berufen, das Mahnschreiben nicht erhalten zu haben.
Entscheidung vom 22. Mai 1968, 3 Ob 53/68.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; Oberlandesgericht Wien.
Text
Über das Vermögen der Verpflichteten war das Ausgleichsverfahren anhängig. Unter PZ. 4/10 des Anmeldungsverzeichnisses wurde die in der Höhe von 3407.72 S angemeldete Forderung der betreibenden Gläubigerin mit 3133.02 S anerkannt, hinsichtlich eines weiteren Betrages von 272.70 S jedoch bestritten. Der Ausgleich, laut dem die nicht bevorrechteten Gläubiger 50%, zahlbar in 15 gleichen Monatsraten, beginnend drei Monate nach Annahme des Ausgleiches, das ist ab 6. September 1967, zu erhalten haben, wurde mit Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27. Oktober 1967 rechtskräftig bestätigt.
Die betreibende Gläubigerin beantragte, ihr zur Hereinbringung des Betrages von 3407.72 S Fahrnisexekution zu bewilligen. Sie legte diesem Antrag folgende Schriftstücke bei: Ein Schreiben ihres Vertreters mit Einschreibevermerk vom 19. Dezember 1967 an die Verpflichtete, in dem letztere wegen des Rückstandes von drei Raten zu je 113.59 S gemahnt und das Wiederaufleben angedroht wird, ferner einen Briefumschlag mit der Absenderanschrift des Vertreters der betreibenden Gläubigerin und der Empfängeranschrift der Verpflichteten, auf dem von der Post vermerkt ist, daß beim Zustellversuch am 20. Dezember 1967 niemand anzutreffen war, weiters, daß die Sendung nicht behoben und daher zurückgeleitet wurde. Angeheftet ist ein Rückschein.
Das Erstgericht wies den Exekutionsantrag ab. Es führte aus, die Mahnung gemäß § 53 (4) AO. sei eine empfangsbedürftige Warnung. Die betreibende Gläubigerin müsse beweisen, daß das Schreiben der Ausgleichsschuldnerin zugekommen sei.
Das Rekursgericht gab dem Begehren der betreibenden Gläubigerin hinsichtlich des Betrages von 1566.51 S samt Kosten des Exekutionsantrages statt. Es führte aus, der betreibende Gläubiger habe allerdings zu beweisen, daß der Schuldner die Mahnung erhalten habe, doch nur, wenn der Schuldner seiner Übernahmsverpflichtung entsprochen hat. Es könne nicht im Ermessen des Verpflichteten stehen, den Rückscheinbrief anzunehmen oder die Übernahme willkürlich abzulehnen. Da aber die Forderung zum Teil bestritten gewesen sei und auch nur wegen der Quote und nicht wegen des wiederaufgelebten Teils gemäß § 53a AO. Exekution geführt werden darf, sei dem Antrag nur im obigen Umfang stattzugeben gewesen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Verpflichteten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zunächst sei bemerkt, daß die Verpflichtete nicht, wie man nach der Rekursentscheidung annehmen könnte, die Übernahme der Sendung verweigert hat. Vielmehr konnte die Zustellung nicht bewirkt werden, weil der Briefträger keine hiezu bereite Person angetroffen hat. Die Sendung wurde beim Postamt zur Abholung bereit gehalten, aber nicht behoben. Mangels Nachweises des Gegenteils muß angenommen werden, daß hiebei die Vorschrift des § 178, Schlußsatz, PostO., BGBl. Nr. 110/1957, eingehalten, die Verpflichtete also von der Bereithaltung der Postsendung zur Abholung schriftlich benachrichtigt worden ist.
Die Verpflichtete vertritt unter Hinweis auf SZ. XV 13 die Ansicht, der Schuldner müsse zwecks Herbeiführung der Verzugsfolgen das Mahnschreiben erhalten haben. Damit ist aber nicht gesagt, daß die Wirkung der Mahnung davon abhängig wäre, daß sie dem Ausgleichsschuldner ausgehändigt wird. Die Mahnung ist eine empfangsbedürftige Erklärung, zu deren Wirksamkeit es erforderlich ist, daß sie dem Adressaten zugeht (SZ. XIII 226, RiZ. 1962 S. 254, EvBl. 1967 Nr. 390 u. a.). Es gilt also die Empfangstheorie, nach der es ausreicht daß der Brief in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, mag er ihn auch persönlich nicht erhalten haben, vielmehr genügt es, daß der Adressat die Möglichkeit hat, die Erklärung zur Kenntnis zu nehmen (Ehrenzweig, System[2] II/1, S. 134, Gschnitzer bei Klang[2] IV/1 69 ff., SZ. XXXIV 118).
Die Frage, ob man diese Auffassung auch dann vertreten kann, wenn der Empfänger nicht angetroffen und der Brief unter Zurücklassung einer Nachricht bei der Post hinterlegt, aber nicht behoben wird, ist im deutschen Schrifttum strittig (im bejahenden Sinn Hueck - Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechtes[7] I. Fußnote 1 auf S. 543;
s. aber die dort angeführten gegenteiligen Belegstellen). In der österreichischen Rechtsprechung wurde die Frage lediglich in der Entscheidung VersR. 1959 S. 114 behandelt und (mit zustimmender Besprechung von Wahle) verneint, wobei ausgeführt wurde, daß das bei der Post liegende Stück sich nicht im Machtbereich des Adressaten befinde (es handelte sich damals um die Kündigung eines Versicherungsverhältnisses) und daß im allgemeinen niemand verpflichtet sei, dafür zu sorgen, daß ihm empfangsbedürftige Erklärungen, die er nicht erwarten mußte, rechtzeitig erreichen.
Die deutsche Lehre und Rechtsprechung, für die nach § 130 BGB. die gleiche Rechtslage besteht, wie in Österreich, weil § 862a ABGB. dieser Bestimmung durch die III. TN. nachgebildet worden ist, nimmt jedoch an, daß in gewissen Fällen eine Verpflichtung zur Empfangsbereitschaft besteht (Brändl - Coing bei Staudinger[11] I. S. 735 ff., Anm. 21, 22 zu § 130 BGB.; Hefermehl bei Soergel - Siebert[01] I. S 532, Anm. 22 zu § 130 BGB.; Enneccerus - Nipperdey[15] I/2 S. 980; vgl. SZ. XXXVI 118 = EvBl. 1964 Nr. 66 = ArbSlg. 7874). Danach kann sich der Empfänger in solchen Fällen, wenn ihm die Erklärung durch sein Verschulden nicht zugegangen ist, darauf nicht berufen.
Wenn nun auch der gerichtliche Ausgleich ein Geschäft öffentlichen Rechts ist, so muß er doch in sinngemäßer Anwendung des § 914 ABGB. nach der Übung des redlichen Verkehrs dahin ausgelegt werden, daß der im Verzug befindliche Ausgleichsschuldner dafür zu sorgen hat, daß ihm ein richtig adressiertes Mahnschreiben zukommt und Zustellversuche nicht vereitelt werden. Hat er dies verabsäumt, so muß von ihm erwartet werden, daß er von der Möglichkeit, das Schreiben zu erhalten, Gebrauch macht. Ein anderes Verhalten würde mit dem gerichtlichen Ausgleich in dem sich der Schuldner den Folgen des § 53 (4) AO. unterwirft, in Widerspruch stehen, weil der Gläubiger deren Eintritt sonst nur sehr schwer erreichen könnte.
Im vorliegenden Fall hat die Verpflichtete durch Nichtbehebung der ihr avisierten Sendung verhindert, daß ihr das richtig adressierte Mahnschreiben zugekommen ist. Sie kann sich daher nicht darauf berufen, daß das Erfordernis des Eintrittes des Terminsverlustes nicht erfüllt worden sei. Mit Recht verweist Gschnitzer (a. a. O. 70) darauf, daß bei Vereitlung des Zugangs der Erklärung der Adressat wider Treu und Glauben den Eintritt der zu seinem Nachteil wirkenden Bedingungen verhindert, weshalb die Erfüllungsfiktion einzutreten hat (SprR. Nr. 234 - GlUNF. 6838).
Der Entscheidung des Rekursgerichtes ist daher im Ergebnis zuzustimmen.
Sollten Tatsachen vorliegen, denen zufolge Terminsverlust nicht eingetreten wäre, so kann die Verpflichtete dies mit Klage nach § 36 EO. geltend machen.
Bemerkt sei, daß der Beschluß erster Instanz schon deshalb verfehlt ist, weil, auch wenn man von seiner Rechtsauffassung ausgeht, dem Exekutionsantrag jedenfalls hinsichtlich der zur Zeit seiner Erlassung bereits fälligen sechs Raten stattzugeben gewesen wäre.
Anmerkung
Z41064Schlagworte
Ausgleich, Nichtbehebung eines Mahnschreibens nach § 53 (4) AO., Ausgleichsschuldner, Nichtbehebung eines Mahnschreibens nach § 53 (4), AO., Hinterlegung eines Mahnschreibens nach § 53 (4) AO., Mahnschreiben, Nichtbehebung eines - nach § 53 (4) AO., Zustellung, Nichtbehebung eines Mahnschreibens nach § 53 (4) AO.European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1968:0030OB00053.68.0522.000Dokumentnummer
JJT_19680522_OGH0002_0030OB00053_6800000_000