TE Vwgh Erkenntnis 2005/3/31 2003/20/0214

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Veröffentlicht am 31.03.2005
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des N in W, geboren 1973, vertreten durch Dr. Ingrid Auer, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Naglergasse 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenats vom 19. März 2003, Zl. 222.199/0-III/07/01, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 31. Oktober 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

Diesen begründete er bei seinen niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 11. Dezember 2000 und am 5. April 2001 im Wesentlichen damit, er habe am 11. Juli 1999 an Studentendemonstrationen in Teheran teilgenommen, die von der Polizei gewaltsam aufgelöst worden seien. Er sei mit einigen seiner Freunde geflohen und habe sich versteckt gehalten. Durch ein Telefonat mit seiner Mutter habe er erfahren, dass Polizisten bei ihm zuhause gewesen seien und nach ihm gefragt hätten. Die Polizei habe nämlich fast alle Demonstranten gefilmt und er sei auf Grund dieser Videoaufnahmen identifiziert worden. Am selben Tag hätten ihm Studienkollegen berichtet, dass einige Studenten in der Universität, darunter auch jener Freund, der gemeinsam mit dem Beschwerdeführer geflohen sei, von den Sicherheitsbehörden festgenommen worden seien. In weiterer Folge habe er erfahren, dass die Leute von der Hezb-e Ansar mehrmals sein Haus gestürmt und nach ihm gefragt hätten; weiters, dass einige Teilnehmer der Demonstration bereits zum Tode verurteilt und hingerichtet worden seien. Er habe sich deshalb weiter versteckt gehalten und schließlich die Flucht aus dem Iran ergriffen. Für den Fall der Rückkehr fürchte er um sein Leben, weil er sicher verhaftet und umgebracht würde, so wie "sie" es mit seinen Kollegen gemacht hätten.

Mit Bescheid vom 9. April 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG wegen mangelnder Glaubwürdigkeit seines Vorbringens ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran gemäß § 8 AsylG für zulässig.

Über die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde am 11. Februar und am 19. März 2003 Berufungsverhandlungen durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer seine Fluchtgeschichte unter anderem dahingehend ergänzte, er sei bei der Demonstration in den vorderen Reihen gestanden und habe Widerstand geleistet. Die Hezb-e Ansar habe alles fotografiert. Infolge dessen sei auch er erkannt worden. Dem Vorhalt der belangten Behörde, nach der Berichtslage bestehe eine Verfolgungsgefahr wegen der Studentenunruhen im Sommer 1999 nur für jenen Personenkreis, der bereits früher führend bei einer Oppositionsbewegung tätig gewesen sei, begegnete der Beschwerdeführer mit dem Einwand, er sei "in der ersten Reihe" gewesen und dieser Personenkreis habe normalerweise das Schlimmste zu erwarten. Das Regime kenne keinen Unterschied zwischen den Führern und denen, die nur mitgemacht hätten. Faktum sei, dass jene Personen, die demonstriert hätten, gegen das Regime aufgetreten seien. Im Übrigen habe er sich im Jahr 1993 40 Tage in Militärhaft befunden, weil er ein halbes Jahr unerlaubt vom Wehrdienst abwesend gewesen sei. Nach der Haft habe er deshalb keine Probleme mehr gehabt. Politisch sei er nicht aktiv gewesen, sondern habe lediglich an Diskussionen gegen das Regime und die politische Lage im Iran teilgenommen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die erstinstanzliche Entscheidung gemäß § 7 AsylG ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran gemäß § 8 AsylG zulässig sei. In ihrer Begründung führte die belangte Behörde - nach kurzer Darstellung des Verfahrensverlaufes und zusammengefasster Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers - aus, sie habe betreffend die Studentenunruhen im Sommer 1999 im Iran - basierend auf dem Bericht des deutschen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) vom März 2000 - bereits in einer früheren Entscheidung Folgendes festgestellt:

"Infolge der Verabschiedung eines verschärften Pressegesetzes (7.7.1999) kam es im Juli 1999 zu den schwersten Unruhen seit Bestehen der islamischen Republik Iran. Bei den darauf folgenden Massendemonstrationen wurden mehr als tausend Personen verhaftet.

Die Demonstrationen dauerten eine Woche: vom 7.7.1999 bis 14.7.1999.

Am 6.7.1999 wurden Studentensprecher festgenommen und über Nacht inhaftiert, nachdem sie die Freilassung von den Mitte Juni 1999 festgenommenen Journalisten gefordert hatten. Am 9.7.1999 versammelten sich Studenten vor den Studentenwohnheimen der Universität Teheran um gegen die Schließung der Tageszeitung Salam zu protestieren. In der Nacht darauf stürmten Sicherheitskräfte und Anhänger der Hesbollah unter Einsatz von Tränengas ein Studentenwohnheim auf dem Campus Amirabat der Universität Teheran im Norden der Stadt, wobei Betten und persönliches Eigentum der Studenten angezündet wurde, ein Besucher aus dem Fenster geworfen wurde und viele verletzt und verhaftet wurden. Am Tage darauf kam es zu Demonstrationen zehntausender Studenten auf den Straßen Teherans und weiteten sich die Demonstrationen auf andere Universitätsstädte aus. Die Regierung versucht zunächst, sich auf die Seite der Studenten zu stellen und verurteilte den Überfall auf das Studentenheim. Am 12.7.1999 kam es zu Ausschreitungen bei Demonstrationen, welche am 13.7.1999 eskalieren, wobei immer mehr 'Randalierer' sich den Studenten anschossen (gemeint: anschlossen) und die gewaltlosen Studentenführer die Kontrolle verloren. Auf der anderen Seite wurde die Aggression der Basidji und der Revolutionswächter stärker. Am 14.7.1999 fand eine Gegendemonstration der Konservativen in Teheran statt.

In den nächsten Wochen erfolgten gezielte Verhaftungen von Studentenführern und verdächtigen Oppositionellen,

z. B. Kommunisten und Angehörige anderer linker Gruppierungen sowie anderer Oppositionsparteien wie der Nationalen Front. Am 12.9.1999 werden vier Anführer der Studentenproteste durch das Revolutionsgericht zum Tode verurteilt; diese Todesurteile wurden jedoch nie bestätigt und anderen Meldungen zu Folge in 13 Jahren Haft umgewandelt. Im November 1999 sollen sich nach Informationen des niederländischen Außenministeriums von 1.500 Festgenommen noch 200 in Haft befunden haben, darunter vor allem führende Mitglieder oppositioneller Bewegungen.

Amnesty International geht davon aus, dass alle Personen, die sich gegen die iranische Regierungspolitik wenden oder ehemals oppositionspolitisch aktiv waren, im Zusammenhang mit dem strengen Vorgehen gegen die Demonstrationsteilnehmer im Juli 1999 (erneut) politischer Verfolgung ausgesetzt sein könnten. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes hingegen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass nach den Studentenunruhen schärfer gegen Rückkehrer aus dem Exil bei der Einreise vorgegangen wird."

Rechtlich folgerte die belangte Behörde aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Demonstrationsteilnahme und dem Umstand, dass er sich sonst an keinerlei politischen Tätigkeiten beteiligt habe, dass der Beschwerdeführer vor dem Hintergrund der sich aus dem Bericht des BAFL ergebenden Feststellungen nicht Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei. Die prominentesten Anführer der Studentenunruhen seien zu langjährigen Haftstrafen verurteilt und die ursprünglich angeblich ausgesprochene Todesstrafe sei jedenfalls nicht vollstreckt worden. Daher erscheine es wenig wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer, der jedenfalls kein prominenter Anführer einer oppositionellen Gruppierung gewesen sei (dieser Personenkreis sei offenbar im Zusammenhang mit den Studentenunruhen länger inhaftiert worden bzw. könne ehemals oppositionspolitisch Aktiven gemäß einer Prognose von Amnesty International erneut politische Verfolgung drohen) zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt werden könnte. Vielmehr seien die meisten aktiven Teilnehmer an den Studentenunruhen nach wenigen Tagen bzw. Wochen Anhaltung wieder freigelassen worden. Zusammenfassend sei daher festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Iran aus der Sicht der belangten Behörde nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in seine zu schützende persönliche Sphäre drohe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Anders als das Bundesasylamt hat sich die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht auseinandergesetzt, sondern ist - bei Wahrunterstellung der von ihm angegebenen Teilnahme an den Studentenunruhen im Sommer 1999 - davon ausgegangen, dass dem Beschwerdeführer ungeachtet dessen im Falle seiner Rückkehr in den Iran nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung drohe. Dabei hat die belangte Behörde aus den über die prominentesten Anführer der Studentenunruhen verhängten langjährigen Haftstrafen den Schluss gezogen, es erscheine ihr wenig wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer, der kein prominenter Anführer einer oppositionellen Gruppierung gewesen sei, ebenfalls eine solche langjährige Haftstrafe zu erwarten habe. Dieser Begründungsteil des angefochtenen Bescheides impliziert - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in einem ähnlich gelagerten Fall erkannt hat - die unzutreffende Rechtsansicht der belangten Behörde, die Asylgewährung bzw. die Gewährung von Refoulementschutz komme bei unberechtigt drohender (nicht "länger" andauender) Inhaftierung des Beschwerdeführers unter den Verhältnissen im Iran von vornherein nicht in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2004, Zl. 2001/20/0690).

Selbst wenn die Ausführungen der belangten Behörde jedoch dahingehend verstanden würden, dass dem Beschwerdeführer nach Auffassung der Behörde bei Rückkehr in den Iran wegen seiner Teilnahme an der Studentendemonstration im Juli 1999 überhaupt keine Verfolgung mehr drohe, ließe sich diese Annahme aus dem von der belangten Behörde herangezogenen Berichtsmaterial nicht schlüssig ableiten. Dass über vier Anführer der Studentenproteste durch das Revolutionsgericht langjährige Haftstrafen verhängt wurden und im November 1999 von 1.000 Festgenommenen (nur) noch 200 - darunter "vor allem" führende Mitglieder oppositioneller Bewegungen - in Haft befindlich waren, lässt nicht erkennen, welchen weiteren Verlauf die gegen die inhaftierten (und zumindest im November 1999 nur zum Teil freigelassenen) Demonstrationsteilnehmer eingeleiteten Verfahren genommen haben. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass der Beschwerdeführer, der - nach eigenen Angaben - auf Seiten der Studenten "in erster Reihe" an den Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften teilgenommen haben will und dessen die iranischen Sicherheitsbehörden bislang nicht habhaft geworden sind, im Falle seiner Rückkehr in den Iran keiner weiteren (asylrelevanten)Verfolgung unterliegen würde. Ohne nachvollziehbare Feststellungen zu dieser Frage lässt sich eine solche daher nicht ausschließen (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 6. Mai 2004, Zl. 2002/20/0156).

Da die belangte Behörde dem angefochtenen Bescheid auch eine verfehlte Rechtsansicht zu Grunde gelegt hat, war dieser vorrangig gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 31. März 2005

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003200214.X00

Im RIS seit

29.04.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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