Norm
ABGB §1325Kopf
SZ 41/159
Spruch
Schmerzengeld kann in Ausnahmefällen in Form einer angemessenen Rente zuerkannt werden. Die Bestimmung des § 406 ZPO. steht dem nicht entgegen.
Entscheidung vom 21. November 1968, 2 Ob 330/68.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Die Klägerin wurde am 28. Juni 1963 in Graz schwer verletzt, als ein von Johann P. gelenktes Motorrad, auf dessen Soziussitz sie mitfuhr, mit dem PKW des Beklagten zusammenstieß. Beide Fahrzeuglenker wurden aus diesem Anlaß wegen Übertretung nach § 335 StG. rechtskräftig verurteilt.
Mit der vorliegenden Klage machte die Klägerin Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten geltend. Sie begehrte eine teils aufgestockte, teils laufende Rente 1. als Ersatz der Auslagen für Straßenbahnfahrten zwischen ihrer Wohnung und ihrer Dienststelle, weil sie unfallsbedingt nicht mehr wie bisher ihr Fahrrad benützen könne, 2. als Ersatz der Kosten für eine Haushaltshilfe zur Besorgung der ihr selbst unfallsbedingt nicht mehr möglichen Arbeiten sowie "als Ausgleich für körperliche und seelische Unfallsfolgen". Ungeachtet der Solidarhaftung der beiden Fahrzeuglenker ihr gegenüber berechnet sie diese Leistungsansprüche auf der Grundlage eines Mitverschuldens des Beklagten im Ausmaß von zwei Drittel. Im Lauf des Verfahrens erhob sie auch ein Feststellungsbegehren, das sie abweichend davon auf die Haftung des Beklagten für alle künftigen unfallskausalen Schäden abstellte.
Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt. Es sprach der Klägerin 8040 S und eine Monatsrente von 200 S ab 1. Oktober 1967 zu. Das auf Zahlung weiterer 4130 S und einer weiteren Monatsrente von 266.66 S ab 1. September 1966 gerichtete Begehren wies es ab.
Der zuerkannte Kapitalbetrag ergibt sich aus folgender Berechnung:
Fahrspesenrente für die Zeit vom April 1964 (Arbeitsaufnahme nach
dem Unfall) bis 30. Juni 1966 ...... 3.780.- S Fahrspesenrente für
die Zeit vom 1. Juli 1966 (Tariferhöhung) bis 30. September 1967
(Schluß der Verhandlung 21. September 1967)
.......................... 2.400.- S Kosten der Haushaltshilfe von
April 1964 bis 30. September 1967
....................................... 5.800.- S ---------- Summe
12.060.- S Zwei Drittel davon 8.040.- S
Der Berechnung der Dauerrente ab 1. Oktober 1967 liegt die Annahme eines monatlichen Aufwandes für Straßenbahnfahrten von 160 S und für die Bedienerin von 140 S zugrunde, welche Beträge gleichfalls um je ein Drittel zu kürzen waren.
Die Abweisung des weiteren Ersatzanspruches als Ausgleich für Unfallsfolgen durch das Erstgericht beruht auf der Erwägung, daß es eine sogenannte abstrakte Rente zum Gegenstand habe, eine solche der Klägerin aber nicht gebühre.
Infolge Berufung beider Teile bestätigte das Berufungsgericht das in der Abweisung eines Kapitalbetrages von 1173.48 S, eines Rentenbetrages von 26.67 S ab 1. Juli 1966 und eines weiteren gleich hohen Rentenbetrages ab 1. April 1964 als nicht in Beschwerde gezogen unberührt gebliebene Ersturteil als Teilurteil im Zuspruch eines weiteren Kapitalbetrages von 3919.68 S und einer monatlichen Dauerrente von 93.33 S ab 1. Oktober 1967 sowie im Feststellungsanspruch. Hinsichtlich des Zuspruches einer monatlichen Dauerrente für Straßenbahnfahrten von 93.33 S für die Zeit vom 1. April 1964 bis 30. Juni 1966 und von 106.66 S ab 1. Juli 1966, hinsichtlich der Abweisung einer monatlichen Dauerrente zum Ausgleich für Unfallsfolgen von 213.33 S ab 1. April 1964 sowie im Kostenausspruch hob es das Ersturteil mit Rechtskraftvorbehalt auf.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Was zunächst die Straßenbahnkosten anlangt, so ist nicht mehr strittig, daß die am 30. Oktober 1916 geborene Klägerin für ihre Fahrten von der Wohnung in G. zu ihrer Dienststelle, dem Statistischen Amt des Magistrates G., und zurück infolge einer unfallskausalen Teilversteifung des linken Kniegelenks das Fahrrad nicht mehr verwenden kann, sondern die Straßenbahn benützen muß, ferner, daß die Fahrtauslagen für fünf Diensttage wöchentlich 160 S monatlich betragen. Das Erstgericht stellte ferner fest, daß die Klägerin zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter mit dem Fahrrad ins Büro gefahren sei.
Das Berufungsgericht befand das Verfahren in diesem Belang insofern ergänzungsbedürftig, als noch durch den Sachverständigen zu ermitteln sei, wie lang die Klägerin unter Bedacht auf ihre körperliche Konstitution ohne den Unfall in der Lage gewesen wäre, die Bürofahrten mit dem Fahrrad durchzuführen. Es sei ferner der Zeitpunkt des Übertrittes der Klägerin in den Ruhestand - im Hinblick auf den damit verbundenen Wegfall der in Rede stehenden Fahrtauslagen - und die Urlaubszeit, in der der Klägerin Fahrtauslagen wie begehrt nicht erwüchsen, zu erheben und als offenkundig zu berücksichtigen, daß niemand, daher auch nicht die Klägerin, täglich bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit das Fahrrad hätte benützen können. Unter Heranziehung der außer Streit gestellten Arbeits- und (jährlich) 5 Überstundentage werde sich die zeitlich richtig begrenzte Rente nach § 273 ZPO. ermitteln lassen.
Der Rekurs macht geltend, daß hinsichtlich des Zuspruches einer Monatsrente von 93.33 S für die Zeit vom 1. April 1964 bis 30. Juni 1966 bzw. - infolge der Aufstockung der monatlichen Beträge durch das Erstgericht - bis 30. September 1967 das Erstgericht den zeitlichen Umfang der beruflichen Tätigkeit der Klägerin und damit den Umfang des Bedarfes an Straßenbahnfahrten genau fixiert habe. Um den Urlaubsanspruch einer pragmatisierten Magistratsangestellten festzustellen, bedürfe es keiner zusätzlichen Beweiserhebungen. Mit der Pensionierung der Klägerin falle der Anspruch auf Ersatz der Fahrtspesen ipso facto weg.
Diesem Vorbringen kommt jedenfalls insoweit keine Berechtigung zu, als das Berufungsgericht Feststellungen darüber für erforderlich hielt, wann die Klägerin in den Ruhestand treten werde und wie lang sie vorher in der Lage gewesen wäre, das Fahrrad zu benützen. Angesichts des vom Beklagten in erster Instanz erhobenen Einwandes in der Richtung einer zeitlichen Begrenzung der Fahrtspesenrente war es nicht gerechtfertigt, der Klägerin diese Rente unbegrenzt zuzusprechen und es damit dem Beklagten aufzubürden, daß er sich darum kümmere, wann die Voraussetzungen für die Fahrtspesenrente infolge Pensionierung der Klägerin oder infolge alters- bzw. gesundheitsbedingt schon früher eintretender Unfähigkeit, das Fahrrad zu benützen, nicht mehr gegeben sind. Unberechtigt ist aber auch der Einwand, der Urlaubsanspruch der Klägerin wäre ohne Beweisergänzung festzustellen gewesen. Denn das Ausmaß des Erholungsurlaubes hängt von der Dauer des Dienstverhältnisses ab. Diesfalls fehlt es aber an Feststellungen.
Den vom Erstgericht abgewiesenen Rentenanspruch "zum Ausgleich für Unfallsfolgen" beurteilte das Berufungsgericht abweichend vom Erstgericht auf Grund der von der Klägerin bei der Berufungsverhandlung abgegebenen Erklärung als einen Anspruch auf Schmerzengeld. Ein solches zu fordern, sei die Klägerin jedenfalls berechtigt, wenn mit jenem Betrag, den sie aus diesem Rechtsgrund unbestritten bereits vor Klagserhebung erhalten habe, nur ihre diesfälligen Ansprüche bis 7. April 1964 - wie die Klägerin behauptet - und nicht zur Gänze - wie der Beklagte behauptet - abgegolten worden seien. Schmerzengeld könne jedenfalls auch in Form einer Rente zugesprochen werden, dies jedoch nur in Ausnahmefällen schwerer Körperverletzungen, die mit größter Wahrscheinlichkeit wiederholte schmerzhafte körperliche Eingriffe erforderten und mit schweren seelischen Belastungen verbunden seien, oder im Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schädigers und den Genugtuungscharakter des Schmerzengeldes. Für das Vorliegen derartiger Ausnahmen böten jedoch nicht einmal die Klagsbehauptungen Anhaltspunkte. Es bestehe daher kein Anlaß, vom Grundsatz der Globalabfertigung abzugehen. Da Rente und Kapital gleichermaßen Geldleistungen darstellten, die dem gleichen Rechtsgrund entsprängen, schließe ein Schmerzengeld - Rentenbegehren ein solches auf Kapitalabfindung in sich. Es könne daher auch bei einem Rentenbegehren eine Globalsumme zuerkannt werden, die allerdings unter Bedachtnahme auf § 405 ZPO. bemessen werden und die kapitalisierte Rente als Obergrenze haben müßte. Der von der Klägerin erhobene Schmerzengeldanspruch sei mangels jeglicher Erörterung in erster Instanz noch nicht spruchreif.
Nach Ansicht des Rekurses hätte der Klägerin die aufgestockte Rente jedenfalls für den in der Klage genannten Zeitraum vom 1. April 1964 bis 31. August 1966 unter Anwendung des § 273 ZPO. zugesprochen werden müssen, weil hiefür die Beweisgrundlagen ausgereicht hätten. Die Frage der Schmerzengeldrente sei sachlich genügend geklärt. Es sei nicht gerechtfertigt, den Zuspruch einer solchen Rente auf Fälle schwerer Verletzungen und Folgen zu beschränken, weil das Ausmaß der erlittenen Unbill nur die Höhe des Anspruches beeinflussen könne, nicht aber die Form, in der er abzugelten sei. Das Berufungsgericht habe auch zu Unrecht das Vorliegen eines derartigen Ausnahmsfalles in concreto verneint. Zunächst sei bemerkt, daß der Beklagte gegen die erst in der mündlichen Berufungsverhandlung vorgenommene Klärung der Rechtsnatur des hier zur Erörterung stehenden Rentenanspruches der Klägerin als eines Schmerzengeldanspruches nicht nur keinen Einwand erhob, ihn vielmehr schon in seiner Berufungsmitteilung selbst als solchen beurteilte.
Gegen den Standpunkt des Berufungsgerichtes, daß das Schmerzengeld nicht nur als Globalsumme, sondern in Form einer Rente zuerkannt werden könne, bestehen keine rechtlichen Bedenken. Piegler bezeichnete schon in seinem Aufsatz "Die Bemessung des Schmerzengeldes" in ÖJZ. 1954 S. 506 unter Hinweis auf die deutsche Literatur diese Ansicht als auch für den österreichischen Rechtsbereich nicht abwegig. Inzwischen hat der Oberste Gerichtshof mehrfach die Zuerkennung einer Entschädigung wegen Verhinderung des besseren Fortkommens gemäß § 1326 ABGB. in Form einer Rente für zulässig erklärt (vgl. ZVR. 1968, Spruchbeilage Nr. 160 mit weiteren Zitaten). Schon vorher (E. v. 11. März 1953, 2 Ob 145/53) wurde einem durch den Verlust eines Beines entstellten Kläger, der deswegen Schadenersatz gemäß § 1326 ABGB. in Form einer Rente begehrte, die Wahl zwischen dieser und einem Kapitalbetrag eingeräumt und dabei auf die in DREvBl. 1940 Nr. 58 veröffentlichte Entscheidung des Reichsgerichtes verwiesen. Vom Gesetzeswortlaut ausgehend besteht aber kein Grund zu einer unterschiedlichen Auslegung der §§ 1325 und 1326 ABGB. in diesem Belang.
Auch die Bestimmung des § 406 ZPO. hindert einen Schmerzengeldzuspruch in Rentenform nicht. Zwar wird das dort ausgesprochene Fixierungsgebot nur zugunsten von Alimentationsansprüchen durchbrochen. In der Rechtsprechung wurden jedoch mit Rücksicht auf die Fassung des § 407 ZPO., der die Möglichkeit eröffnet, den Beklagten neben der Verurteilung zur Zahlung wiederkehrender Unterhaltsleistungen auch zur Bestellung einer Sicherheitsleistung zu verurteilen, auch andere Ansprüche den Unterhaltsansprüchen gleichgestellt (vgl. hiezu Fasching, Komm. III S. 665). Bei der allgemeinen Fassung des § 407 ZPO. ("Geldrente wegen Tötung, Körperverletzung oder Freiheitsentziehung") ist nicht einzusehen, warum neben den nach der Ansicht Faschings diesen Ansprüchen gleichzustellenden allfälligen Rentenansprüchen nach §§ 1328 und 1329 ABGB. nicht auch die Verurteilung zu einem in Rentenform erst künftig zu leistenden Schmerzengeld zulässig sein sollte. Dies umsoweniger, als auch der Anspruch auf Ersatz des Entgangenen nach § 1327 ABGB. kein Unterhalts-, sondern ein Schadenersatzanspruch ist und insoweit Bedenken in der Richtung des § 406 ZPO. schon bisher nicht bestanden.
Dem Berufungsgericht ist aber auch darin beizupflichten, daß Schmerzengeld in Rentenform nur in Ausnahmefällen zuerkannt werden soll. Diese Auffassung findet ihre Stütze in dem vom Berufungsgericht allerdings nicht zitierten deutschen Schrifttum, das diesfalls mit der deutschen Rechtsprechung übereinstimmt. So ist Geigel, (Der Haftpflichtprozeß[13] 6, 9) der Meinung, daß Schmerzengeld grundsätzlich in Kapitalsform zu gewähren sei, jedoch bei dauernden schweren Körperschäden die auch in Zukunft das körperliche und seelische Wohlbefinden oder die Lebensfreude beeinträchtigen, auch in Form einer angemessenen Rente zuerkannt werden könne. Ähnlich Lieberwirth (Das Schmerzengeld[3] S. 92 f., Verlagsgesellschaft "Recht und Wirtschaft" m. b. H., Heidelberg) unter Anführung der u. a. in VersR. 1959 S. 458 f. veröffentlichten Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 13. März 1959, der - wie das Berufungsgericht - auch das weitere, vom Großen Zivilsenat erwogene Argument für die Schmerzengeldrente, nämlich ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse des Schädigers, erwähnt.
Daß ein Ausnahmefall der erwähnten Art gegenständlich nach der gegenwärtigen Aktenlage nicht vorliege, hat das Berufungsgericht gleichfalls mit Recht angenommen. Die Klägerin hat nach den insoweit unbekämpft gebliebenen, auf dem Sachverständigengutachten beruhenden Feststellungen des Erstgerichtes beim Unfall einen linksseitigen Ober- und Unterschenkelbruch erlitten. Noch am 24. März 1966 bestand eine Belastungsverminderung des linken Beines, ferner eine Behinderung der Zehenbewegungen und des Kniegelenks. Damals wurde eine 25%ige Dauerschädigung festgestellt. Auch zur Zeit der Begutachtung in diesem Verfahren konnte das linke Kniegelenk nur zwischen 180 und 150 Grad bewegt werden, das linke Sprunggelenk war um 20 Grad behindert, das untere Sprunggelenk praktisch steif, die linke Sohlenbeschwielung abgeschwächt, das linke Bein um 2 cm verkürzt. Eine gröbere Muskelschwäche bestand nicht. Die Klägerin ist nach der Aktenlage seit Beendigung des Krankenstandes (9 Monate nach dem Unfall) offenkundig imstande, ihren Beruf wie früher auszuüben, sofern sie für die Fahrten ins Büro und zurück die Straßenbahn benützt. Von einem schweren Körperschaden der oben dargestellten Art kann unter diesen Umständen nicht gesprochen werden.
Eine Schmerzengeldrente zumindest für die vom Rekurs vermeinte beschränkte Zeit hätte der Klägerin aber, auch abgesehen davon, daß nach den bisherigen Verfahrensergebnissen die Annahme eines Ausnahmsfalles im besprochenen Sinn nicht gerechtfertigt erschiene, schon deshalb nicht zugesprochen werden können, weil bei Beurteilung der Frage nach der Angemessenheit des Schmerzengeldes der Dauer und Intensität der physischen Schmerzen maßgebliche Bedeutung zukommt, hierüber aber mit Rücksicht auf die andere, rechtliche Beurteilung des gegenständlichen Anspruches durch das, Erstgericht keinerlei Feststellungen vorliegen und insbesondere auch das Sachverständigengutachten diesfalls nichts enthält.
Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Zuspruch eines globalen Schmerzengeldes an Stelle einer begehrten Schmerzengeldrente grundsätzlich keinen Verstoß gegen § 405 ZPO. (aus dem Gesichtspunkt eines "aliud") begrunde, hätte nur der Beklagte bekämpfen können. Dieser hat jedoch den Aufhebungsbeschluß nicht angefochten.
Anmerkung
Z41159Schlagworte
Rente, Schmerzengeld in Form einer, Schmerzengeld in RentenformEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1968:0020OB00330.68.1121.000Dokumentnummer
JJT_19681121_OGH0002_0020OB00330_6800000_000