Norm
Amtshaftungsgesetz §1Kopf
SZ 42/63
Spruch
Ein Schaden, der nicht als Folge der Enteignung, sondern nur als Folge der Säumnis der schulerhaltenden Gemeinde bei Auszahlung der Entschädigung auftritt, ist privatrechtlicher Natur (Vermögensschaden) und gehört auf den Rechtsweg.
Entscheidung vom 24. April 1969, 1 Ob 80/69.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Gestützt auf die Bestimmungen der §§ 28 ff. des Tiroler Schulerhaltungsgesetzes vom 25. November 1959, LGBl. Nr. 4/1959, hat die Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom 30. November 1966 zwei den beiden Klägern gehörige Grundparzellen zu Gunsten der beklagten Partei, der Gemeinde R. enteignet. Dabei wurden die von dieser als Schulerhalterin zu leistenden Entschädigungsbeträge mit 698.600 S für den Erstkläger und mit 663.250 S für den Zweitkläger festgesetzt und ausgesprochen, daß die beklagte Partei die Entschädigungsbeträge nach Bescheidzustellung zu bezahlen habe. Der Bescheid wurde den Klägern und der beklagten Partei am 6. Dezember 1966 zugestellt. Weder die Kläger noch die beklagte Partei machten von dem ihnen im § 30 (4) des Tiroler Schulerhaltungsgesetzes eingeräumten Recht Gebrauch, innerhalb von zwei Monaten nach Bescheidzustellung die Festsetzung des Entschädigungsbetrages beim Bezirksgericht zu verlangen. Dennoch hat die beklagte Partei die Entschädigungsbeträge erst am 1. November 1967 ausbezahlt.
Mit den beim Landesgericht I. eingebrachten, vom Erstrichter zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen begehrten die Kläger den Ersatz des Verzögerungsschadens, den sie durch die verspätete Auszahlung erlitten haben. Unter der Annahme, daß die Entschädigungsbeträge spätestens am 1. Jänner 1967 ("nach Bescheidzustellung") zur Zahlung fällig geworden seien, errechnete der Erstkläger den Verzögerungsschaden bei bankmäßiger Verzinsung des Kapitals bis 1. November 1967 mit 46.593.33 S, der Zweitkläger mit 44.217 S. In beiden Klagen wurde behauptet und unter Beweis gestellt, daß die Kläger die beklagte Partei in wiederholten Schreiben aufmerksam gemacht hätten, sie hätten mit der Auszahlung der Entschädigungsbeträge zum "gesetzlichen" Zahlungstermin gerechnet und dementsprechende Verfügungen getroffen; sie seien gezwungen gewesen, ein Ersatzdarlehen aufzunehmen, das sie mit 8% verzinsen müßten, die beklagte Partei werde auch dafür verantwortlich gemacht werden; sie habe jedoch keine Zahlung geleistet.
Die beklagte Partei wendete in der Klagebeantwortung u. a. Unzulässigkeit des Rechtsweges ein. Im Lauf der Verhandlung schränkte der Erstrichter bei der Tagsatzung vom 15. Jänner 1969 das Verfahren auf diese Frage ein, zu welchem Zweck er den Enteignungsakt dartat. Sohin erklärte er das gesamte Verfahren für nichtig und wies die beiden Klagen wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges kostenpflichtig zurück.
Zur Begründung seines Beschlusses führte der Erstrichter im wesentlichen aus, daß in den Fällen der beiden Kläger nach den Bestimmungen des § 83 (2) des (nunmehr geltenden) Tiroler Schulorganisationsgesetzes vom 18. Juli 1966, LGBl. Nr. 25/1966, die Verwaltungsbehörde über die Entschädigung für alle im Zusammenhang mit der Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile der Enteigneten zu erkennen gehabt habe; dazu habe auch die Entschädigung für eine verspätete Auszahlung des Entschädigungsbetrages gehört wie auch die Vollstreckung des Enteignungsbescheides Sache der Verwaltungsbehörde sei; abgesehen von diesem Grund der Unzulässigkeit des Rechtsweges handle es sich bei den Ansprüchen der Kläger um solche, die unter das Amtshaftungsgesetz fielen; es sei nämlich davon auszugehen, daß die Stellung von Enteignungsanträgen und die Durchführung der Verpflichtungen aus einem Enteignungserkenntnis seitens des Schulerhalters in Vollziehung der Gesetze erfolge; sollten daher Organe der beklagten Partei im Rahmen dieser hoheitsrechtlichen Tätigkeit den Klägern durch rechtswidriges Verhalten schuldhaft Schaden zugefügt haben, seien die Kläger verbunden, ihre Ansprüche im Sinn des Amtshaftungsgesetzes geltend zu machen und das durch §§ 8 ff. AHG. vorgeschriebene Verfahren einzuhalten.
Das Rekursgericht "änderte ab" und zwar dahin, daß nur die Streitverhandlung vom 15. Jänner 1969 für nichtig erklärt werde; im übrigen hob es den Beschluß des Erstrichters unter Rechtskraftvorbehalt auf und wies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens in Senatsbesetzung an die erste Instanz zurück. Die Begründung seines Beschlusses läßt sich wie folgt zusammenfassen: Es sei zwar richtig, daß die §§ 28 - 33 des Tiroler Schulerhaltungsgesetzes, LGBl. Nr. 4/1959, und im wesentlichen gleichlautend die §§ 81 - 86 des am 15. August 1966 in Kraft getretenen Tiroler Schulorganisationsgesetzes, LGBl. Nr. 25/1966, die Entscheidungen über die Zulässigkeit der Enteignung und die Höhe der Enteignungsentschädigung - letztere allerdings nur, wenn nicht das Gericht gegen die Festsetzung angerufen werde - ausschließlich in die Hand der Tiroler Landesregierung legten; es sei auch richtig, daß die gemäß § 30 des Schulerhaltungsgesetzes bzw. § 83 des Schulorganisationsgesetzes dem Enteigneten gebührende Entschädigung die volle Schadloshaltung (§ 1323 ABGB.) für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile umfasse, wobei nur der Wert der besonderen Vorliebe außer Betracht zu bleiben habe; mit der Enteignungsentschädigung könnten aber nur jene Nachteile abgegolten werden, die im Verlauf des Enteignungsverfahrens feststellbar seien; wenn unvorhersehbare Nachteile erst nach der rechtskräftigen Beendigung des Enteignungsverfahrens auftreten, müßten die Bestimmungen der genannten Gesetze über die Festsetzung der Entschädigung versagen;
sie sähen nämlich eine nachträgliche Erhöhung oder Verminderung einer bereits rechtskräftig zuerkannten Entschädigung nicht vor;
darum müsse der Enteignete, den später solche Nachteile treffen, zur Erlangung der Schadloshaltung einen außerhalb des Enteignungsverfahrens gelegenen Weg suchen; Anknüpfungspunkt für die Lösung der Frage, welcher Weg zu beschreiten sei, sei die Rechtsnatur einer rechtskräftig zuerkannten Enteignungsentschädigung; es handle sich dabei nach Lehre und Rechtsprechung um einen im öffentlichen Recht gegrundeten privatrechtlichen Anspruch, der auch verjähren könnte, allerdings nach der längeren Frist; daraus ergebe sich, daß dem Enteigneten, der sich durch die verspätete Auszahlung einer Entschädigung beschwert erachte, der ordentliche Rechtsweg offen stehen müsse; daß die Vollstreckung des Enteignungsbescheides Sache der Verwaltungsbehörde sei, stehe dem nicht entgegen; die Frage, ob den Klägern der behauptete Verzögerungsschaden zustehe, müsse erst dem Grund und der Höhe nach in einem neuen Erkenntnisverfahren geklärt werden; dem Erstrichter sei nun darin beizupflichten, daß dieses neue Erkenntnisverfahren als Verfahren nach dem Amtshaftungsgesetz zu gelten habe; die beklagte Partei sei nämlich als Schulerhalterin in bezug auf die ihr durch das Tiroler Schulerhaltungsgesetz und das Tiroler Schulorganisationsgesetz zugewiesenen Aufgaben auf dem Gebiet der Hoheitsverwaltung in Vollziehung der Gesetze tätig; darum könne eine von Gemeindeorganen in diesem Zusammenhang schuldhaft und rechtswidrig verursachte Schadenszufügung keinen allgemeinen Schadenersatztatbestand nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, sondern nur den besonderen Schadenersatztatbestand nach § 1 AHG. verwirklichen; die Kläger könnten deshalb den Ersatz ihres Schadens nur unter Beachtung der Förmlichkeiten nach §§ 8 und 9 AHG. begehren; was nun die obligatorische Mahnung betreffe, seien in den beiden Klagen Prozeßbehauptungen enthalten, die darauf schließen ließen, daß die beklagte Partei von den Klägern schriftlich aufgefordert wurde, auch die Kosten eines von ihnen aufzunehmenden Zwischenkredites zu ersetzen; es könne auch nicht von der Hand gewiesen werden, daß zwischen dieser Aufforderung und der Einbringung der Klage mehr als die im § 8 AHG. geforderten drei Monate verstrichen seien; erst nach Einsichtnahme in die von den Klägern als Beweismittel angebotene Korrespondenz werde beurteilt werden können, ob sie die im § 8 AHG. für die Zulässigkeit des Rechtsweges normierten Voraussetzungen, insbesondere auch was die Substantiierung des Anspruches anlange, erfüllt haben; bei Bejahung müßte das Erstgericht auf die Klagen meritorisch eingehen, da es gemäß § 9 AHG. sachlich und örtlich zuständig sei, allerdings müsse es in Senatsbesetzung judizieren; daraus ergebe sich, was "in Abänderung des erstrichterlichen Beschlusses" festzuhalten sei, daß die in Einzelrichterbesetzung durchgeführte Streitverhandlung vom 15. Jänner 1969 jedenfalls nichtig gewesen sei; im übrigen sei aber die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges nicht spruchreif.
Der Oberste Gerichtshof wies die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Es ist der beklagten Partei zuzugeben, daß es zu dem von den Klägern geltend gemachten Vermögensschäden nicht gekommen wäre, wenn die Grundstücke nicht enteignet worden wären. Dieser natürliche Zusammenhang zwischen der Enteignung und dem geltend gemachten Schaden reicht aber noch nicht aus, um den letzteren auch im besonderen Rechtssinn des § 83 des Tiroler Schulorganisationsgesetzes als "durch die Enteignung verursacht" anzusehen, zumal im Gesetz alle Anhaltspunkte fehlen, dieser Begriff sei etwa in erweiterndem Sinn auszulegen. Damit stimmt auch überein, daß die hier maßgebende Landesgesetzgebung für eine Regelung derartiger nachträglicher, ungewöhnlicher und unvorhersehbarer Fernwirkungen einer Enteignung keine Vorsorge getroffen hat; sie hat nur Vorsorge für den Fall getroffen, daß die schulerhaltende Gemeinde binnen drei Jahren nach Rechtskraft des Enteignungsbescheides mit der Ausführung des Bauvorhabens nicht begonnen haben sollte (Rückübereignung, wiederum gegen angemessene Entschädigung - § 33 des Schulerhaltungsgesetzes bzw. nunmehr § 86 des Schulorganisationsgesetzes). Ein Schaden, wie ihn die Kläger geltend machen, ist im Rechtssinn des § 831 eg. cit. also nicht eine Folge der Enteignung, sondern nur eine Folge der Säumnis der schulerhaltenden Gemeinde bei Auszahlung der Entschädigung. Daß der Anspruch hierauf privatrechtlicher Natur ist, hat das Rekursgericht zutreffend dargelegt und wird von der beklagten Partei in ihrem Revisionsrekurs gar nicht bestritten. Dasselbe gilt umso mehr für den hier geltend gemachten Anspruch auf Ersatz des Schadens, der durch die Verzögerung der Entschädigungsauszahlung entstanden ist, Mangels einer Verweisung desselben auf den Verwaltungsweg ist die Zuständigkeit der Gerichte gegeben (§ 1 JN.). Darin ist dem Rekursgericht zu folgen.
Der Auffassung der Unterinstanzen, die beiden Klagen seien nach dem Amtshaftungsgesetz zu beurteilen, vermag der Oberste Gerichtshof hingegen nicht beizutreten. Voraussetzung dafür wäre, daß die schulerhaltende Gemeinde bei Auszahlung der Entschädigungsbeträge in Vollziehung der Gesetze handelte. Dies ist aber nicht der Fall, denn sie hat dabei selbst einem obrigkeitlichen Auftrag nachzukommen, der ihr in einem Verfahren erteilt wurde, in dem sie ebenso Parteistellung hatte wie die Enteigneten. Die von ihr zu erbringende Leistung hat die Funktion eines Preises, bezüglich dessen Bezahlung die schulerhaltende Gemeinde den Enteigneten keinesfalls im Verhältnis von Über- und Unterordnung gegenübersteht, sie hat ihnen gegenüber hier weder Befehls- noch Zwangsbefugnisse. Die Erfüllung der ihr selbst von der Obrigkeit bescheidmäßig auferlegten Leistungspflicht muß deshalb als Akt der Wirtschaftsverwaltung angesehen werden (vgl. dazu auch SZ. XXXVIII 107. EvBl. 1968 Nr. 87 und die dort zitierte Judikatur und Literatur).
Anmerkung
Z42063Schlagworte
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ECLI:AT:OGH0002:1969:0010OB00080.69.0424.000Dokumentnummer
JJT_19690424_OGH0002_0010OB00080_6900000_000