Norm
Straßenverkehrsordnung §16Kopf
SZ 42/132
Spruch
Grobe Fahrlässigkeit bei Überholen in unübersichtlicher Kurve auf nasser, belebter Straße (§ 334 ASVG.).
Entscheidung vom 18. September 1969, 2 Ob 239/69.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Am 17. Oktober 1966 gegen 8 Uhr stieß Georg P. als Lenker eines PKWs, als er in einer unübersichtlichen Kurve der Triester Bundesstraße Nr. 17 in der Nähe von Villach einen LKW-Zug überholen wollte, mit einem entgegenkommenden LKW frontal zusammen. Georg P. und zwei weitere Insassen seines PKWs (Josef G. und Andreas B.) wurden getötet, während der vierte Insasse (Reinhold W.) schwer verletzt wurde. Die mitfahrenden PKW-Insassen waren Dienstnehmer des Georg P. Sie waren bei der Erstklägerin, Andreas B. auch bei der Zweitklägerin pflichtversichert. Die klagenden Sozialversicherungsträger haben den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt. Sie begehren gemäß § 334 ASVG. von der Verlassenschaft nach Georg P. den Ersatz der an die Hinterbliebenen nach den beiden Getöteten und an Reinhold W. wegen des Unfalls erbrachten Pflichtleistungen aus der Sozialversicherung in der behaupteten Höhe von 48.465.41 S s. A. und 12.550.80 S s. A. sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Pflichtleistungen der Klägerinnen. Sie behaupten, Georg P. habe den Unfall grob fahrlässig verschuldet. Die Beklagte bestritt insbesondere, daß Georg P. grob fahrlässig gehandelt habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Auf Berufung der Beklagten bestätigte das Berufungsgericht mit Teil- und Zwischenurteil die Entscheidung über die Feststellungsbegehren und die Entscheidung über die Leistungsbegehren dem Gründe nach, hob aber das Ersturteil im übrigen auf, weil noch geprüft werden müsse, ob alle von den Klägerinnen erbrachten Leistungen Pflichtleistungen gewesen seien.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Strittig ist nur die Frage, ob Georg P. den Unfall grob fahrlässig im Sinne des § 334 ASVG. verschuldet hat. Dazu haben die Untergerichte festgestellt:
Der Unfall ereignete sich auf der Triester Bundesstraße Nr. 17 im Gemeindegebiet von Wernberg östlich von Villach. Die Straße ist dort Freilandstraße. Die Fahrbahn ist 6.30 m breit und asphaltiert. Der zur Unfallszeit 61 Jahre alte Georg P. fuhr auf der damals in beiden Richtungen stark frequentierten Straße in östlicher Richtung (von Gmund in Kärnten nach Hainburg bei Völkermarkt). Durch Regen und Dunst war die Sicht etwas beeinträchtigt; die Fahrzeuge hatten abgeblendetes Scheinwerferlicht eingeschaltet. Ab Villach fuhr er in einer aufgelockerten Kolonne mit etwa 60 bis 70 km/h. Nachdem er mehrere Fahrzeuge überholt hatte, war vor ihm ein Lastwagenzug mit einem hohen Aufbau. Dieser Lastwagenzug hatte eine Geschwindigkeit von etwa 55 km/h. Er wurde so gelenkt, daß die linken Räder etwa auf der Leitlinie, die in eine Sperrlinie überging, rollten. P. fuhr so hinter dem LKW-Zug nach, daß die linke Begrenzung seines PKWs etwa auf der Fahrbahnmitte war. Plötzlich scherte P. aus, um den LKW-Zug zu überholen. Er beschleunigte sein Fahrzeug dabei auf etwa 72 km/h. Nach etwa 30 m war er bereits zur Gänze auf der linken Fahrbahnhälfte. Die Straße macht dort eine leichte Rechtskurve. Die Sicht war P. insbesondere durch den Aufbau des vor ihm fahrenden LKW-Zuges genommen, sodaß er während des Überholens nur die (für ihn) linke Fahrbahnhälfte bis zum Scheitelpunkt der Kurve überblicken konnte. Die Überholstrecke wäre 200 m gewesen, sodaß für ein gefahrloses Überholen bei dessen Beginn eine Sicht, auf mindestens 400 m erforderlich gewesen wäre. Tatsächlich hatte P. bei Beginn des Überholens wegen der Rechtskurve nur auf 150 m Sicht. Diese Sichtweite verkürzte sich aber rasch und war vier Sekunden nach Beginn des Überholens nur mehr 39 m, als P. einen entgegenkommenden LKW, der von Walter M. gelenkt wurde, sehen konnte. Mit diesem stieß P. etwa eine Sekunde später mit den bereits erwähnten Folgen zusammen. P. hatte bei seinem Überholversuch die Sperrlinie überfahren.
Die Frage, ob ein Verhalten grob fahrlässig sei, muß nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden. Dabei kommt es auf das konkrete schädigende Verhalten an (ZVR. 1969 Nr. 94). Das Alter des P. von 61 Jahren und sein sonstiges Wohlverhalten geben zu einer besonderen Beurteilung seines fahrtechnischen Verhaltens bei der Unglücksfahrt keinen Anlaß. Bei dieser hat er aber die erforderliche Sorgfalt in einem ungewöhnlich hohen Maß verletzt. Er hat bei nasser Fahrbahn und unzureichender Sicht einen LKW-Zug zu überholen versucht und dabei sogar eine Sperrlinie unbeachtet gelassen. Er hätte für ein gefahrloses Überholen etwa 400 m gebraucht, hatte aber schon bei Beginn des Überholens nur auf etwa 150 m Sicht; er hat den Überholversuch auch noch fortgesetzt, als die Sicht schon auf etwa 40 m beschränkt war. Er hat sich damit über grundlegende und leicht erkennbare Vorschriften hinweggesetzt und ist blindlings in die Gefahr hineingefahren. Wird noch berücksichtigt, daß die Straße in beiden Fahrtrichtungen zur Unfallszeit stark frequentiert war, war der Eintritt eines Schadens so naheliegend und wahrscheinlich, daß P. auch bei einfachster Überlegung daran hätte denken müssen. Wenn auch eine einmalige Übertretung einer Schutzvorschrift nicht immer grobe Fahrlässigkeit bedeutet, so muß dies bei den gegebenen Umständen des vorliegenden Falles doch bejaht werden (ZVR. 1969 Nr. 155, ZVR. 1969 Nr. 94, ZVR. 1968 Nr. 53, ZVR. 1966 Nr. 330, ZVR. 1966 Nr. 10).
Da von den Untergerichten mit Recht angenommen wurde, daß Georg P. sen. den Verkehrsunfall durch grobe Fahrlässigkeit verschuldet habe, ist der von den Klägerinnen auf § 334 ASVG. gestützte Ersatzanspruch im Sinne der Entscheidung der Berufungsinstanz berechtigt.
Anmerkung
Z42132Schlagworte
Fahrlässigkeit, grobe - beim Überholen Grobe Fahrlässigkeit beim Überholen Kurve, grobe Fahrlässigkeit bei Überholen in unübersichtlicher - Überholen, grobe Fahrlässigkeit beim - Unübersichtliche Kurve, grobe Fahrlässigkeit bei Überholen in -European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1969:0020OB00239.69.0918.000Dokumentnummer
JJT_19690918_OGH0002_0020OB00239_6900000_000