TE OGH 1969/9/25 2Ob224/69

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Veröffentlicht am 25.09.1969
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Norm

Straßenverkehrsordnung §90

Kopf

SZ 42/139

Spruch

Der Bauführer ist verpflichtet, den Bauherrn auf Gefahren, die sich aus der Durchführung der Arbeiten oder aus deren Anlaß ergeben könnten, aufmerksam zu machen und entsprechende Sicherungsmaßnahmen vorzuschlagen; dies gilt auch dann, wenn der Bauherr allfällige Gefahren auch selbst hätte erkennen können.

Entscheidung vom 25. September 1969, 2 Ob 224/69.

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Am 21. Dezember 1966 kippte ein von Josef P. gelenktes, im Eigentum der Klägerin stehendes Sonderfahrzeug für Fertigbeton bei der Durchfahrt durch die S.-Straße in G. um, während es wegen einer von der Beklagten auf der rechten Fahrbahnhälfte unterhaltenen Baustelle die linke Fahrbahnhälfte benützte.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten den Ersatz der ihr dadurch entstandenen, zuletzt mit 48.490.60 S errechneten Schäden. Hiezu brachte sie vor, daß den Schadensfall die Beklagte ausschließlich verschuldet habe, weil sie, ohne die Straße für Fahrzeuge zu sperren, vorschriftswidrige Änderungen im Straßenniveau vorgenommen habe, durch die Vertiefungen bis zu einem halben Meter entstanden seien, die weder gekennzeichnet noch erkennbar gewesen seien. Die Beklagte bestritt nach Grund und Höhe. Den Schaden der Klägerin habe ausschließlich deren Fahrer durch eine unrichtige Fahrweise verschuldet.

Das Erstgericht beschränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches und wies die Klage ab.

Infolge Berufung der Klägerin erkannte das Berufungsgericht in Abänderung des Ersturteils mit Zwischenurteil, daß die klagsgegenständlichen Schadenersatzansprüche gegenüber der Beklagten mit 50% zu Recht und mit 50% nicht zu Recht bestehen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Hingegen wurde der Revision der Klägerin teilweise Folge gegeben und das angefochtene Zwischenurteil in der Hauptsache dahin abgeändert, daß die Schadenersatzansprüche der Klägerin aus dem Urteil vom 21. Dezember 1966 der Beklagten gegenüber dem Grund nach zu zwei Dritteln zu Recht und zu einem Drittel nicht zu Recht bestehen.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest, der auch dem Berufungsurteil zu Gründe liegt:

Im Spätherbst 1966 führte das beklagte Bauunternehmen im Auftrag der Stadtgemeinde G. eine Sanierung der S.-Straße durch. Am 21. Dezember 1966 war die südliche Straßenhälfte aufgegraben. Beim Haus S.-Straße 23 wurde von Norden gegen die Straßenmitte zu ein Stichkanal gegraben. Zum Befahren verblieb die südliche asphaltierte Straßenhälfte in einer Breite von 2.50 m, gemessen vom Ende des Stichkanals bis zum südlichen Asphaltrand. Dieser fiel zirka 30 cm zum bereits entfernten Rinnsal und zum aufgegrabenen Gehsteig ab. Außerhalb der asphaltierten befahrbaren Straße befanden sich Vertiefungen durch ausgegrabene Wurzelstöcke und sonstige Unebenheiten, die durch Neuschnee und Laub nicht durchlaufend erkennbar waren und den Niveauunterschied zwischen dem schneefreien Asphaltrand und der verschneiten Abgrabung optisch verwischten. Die Begrenzung des linken Asphaltrandes war ziemlich gerade und nicht unterschiedlich weit von der Fahrbahnmitte entfernt.

Die S.-Straße - schon vor Beginn der Bauarbeiten Einbahn - wurde auch während dieser Arbeiten für den allgemeinen Verkehr offengehalten, um die Zufahrt, insbesondere zur Frauenklinik, zu ermöglichen. Am Unfallstag wurde mit Rücksicht auf den Stichkanal nur die linke Fahrbahnhälfte befahren. Diese wies an der Unfallstelle infolge der starken Bombierung ein Quergefälle von 50 cm auf. Die Baustelle war durch Hinweistafeln als solche gekennzeichnet, weitere Verkehrsbeschränkungen waren nicht verfügt. Die Baustelle wurde von verschiedenen Fahrzeugen vor und nach dem Unfall einwandfrei befahren.

Der Lenker P. wußte, daß er eine Baustelle durchfahre, er erkannte auch die Schwierigkeiten der Durchfahrt und fuhr deshalb langsam. Während der Vorbeifahrt an dem Stichkanal ließ er sich durch einen in diesem stehenden Arbeiter der Beklagten die Entfernung vom Stichkanal anzeigen. Als sich die Hinterräder des Fahrzeuges dem Stichkanal näherte, kippte es infolge des durch die Bombierung bedingten Niveauunterschiedes und des etwa 2 m über die Fahrbahn verlagerten Schwergewichtes um. Die linken Räder lagen nach dem Umkippen noch am Asphaltrand, ohne ins Gewicht fallende Eindrücke zu hinterlassen. Das Fahrzeug war mit 4 bis 5 m3 Betonmischgut beladen. Sein Eigengewicht betrug 22 Tonnen, seine größte Breite 2.45 m, seine größte Länge 7.40 m. Es war gefedert und mit Luftreifen versehen, sodaß beim Befahren unebener Straßenstücke dynamische Stöße auftraten, die bei einem Niveauunterschied von 50 cm geeignet waren, das Fahrzeug besonders im beladenen Zustand zum Kippen zu bringen. Bei streng zentrischem Fahren wäre es dem Lenker möglich gewesen, zwischen dem Ende des Stichkanals und der südlichen Asphaltbegrenzung durchzufahren.

Das Berufungsgericht traf nach Verlesung des Bauaktes der Stadtgemeinde G. in der mündlichen Berufungsverhandlung noch die Feststellung, daß nach dem in diesem Akt liegenden Leistungsverzeichnis vom 17. Oktober 1966 die Beklagte zur Regelung des Verkehrs während der Bauarbeiten verpflichtet war.

Während das Erstgericht der Ansicht war, daß es an einem Kausalzusammenhang zwischen den von der Beklagten im Zug der Bauarbeiten gesetzten Handlungen und dem Unfall fehle, vertrat das Berufungsgericht den Standpunkt, die Beklagte habe durch die mit ihrer Bauführung verbundene Einengung der Fahrbahn eine infolge der Bombierung und des außerhalb der asphaltierten Fahrbahn bestehenden Straßenzustandes noch erhöhte Gefahrenlage geschaffen und der sie treffenden Sorgfaltspflicht durch das Aufstellen des Gefahrenzeichens "Baustelle" nicht genügt. Sie wäre zu weiteren Sicherungsvorkehrungen verpflichtet gewesen, sei es durch Veranlassung eines allgemeinen oder auf sämtliche Lastfahrzeuge oder auf solche, die ein bestimmtes Ausmaß oder Gewicht überschreiten, beschränktes Fahrverbot. Als Baufirma seien ihr die Gefahren erkennbar und es sei ihr deren tunliche Abwendung durch geeignete Maßnahmen zumutbar gewesen. Die Beklagte hafte daher nach allgemeinen Grundsätzen des Schadenersatzrechtes (§ 1295 (1) ABGB.). Aber auch den Lenker P. treffe ein Verschulden, weil er sich trotz der gegebenen Verhältnisse nicht selbst durch vorheriges Aussteigen aus dem Fahrzeug und Beurteilung der Straßen- und Verkehrsverhältnisse von der Möglichkeit einer gefahrlosen Durchfahrt überzeugt habe. Da nicht gesagt werden könne, daß das Verschulden eines Teiles erheblich überwiege, sei im Zweifel gleichteiliges Verschulden anzunehmen.

Im Vordergrund steht die Frage, ob das Berufungsgericht mit Recht ein Verschulden der Beklagten bejaht hat. Dabei kann es offen bleiben, ob es sich bei dieser um eine OHG. handelt, weil auch die letztere durch unerlaubte Handlungen verpflichtet werden kann.

Gegen die Annahme eines Verschuldens der Beklagten macht diese in ihrer Revision geltend, daß durch die Ausführung eines obrigkeitlichen Auftrages, Kanäle zu bauen und eine Straße zu sanieren, überhaupt keine Gefahrenquelle "im Sinne des Gesetzes" geschaffen werde. Da die Bauarbeiten auf einer öffentlichen Verkehrsfläche durchgeführt worden seien, sei die Beklagte nicht nur nicht zuständig gewesen, Vorkehrungen zu treffen, es sei ihr dies sogar - durch die Bestimmung des § 90 (1) StVO. 1960 - untersagt gewesen. Nicht die Baufirma, sondern der Straßenerhalter entscheide über die Notwendigkeit von Vorkehrungen bei Bauarbeiten auf öffentlichen Verkehrsflächen. Hätte die Beklagte die Straße abgesperrt, so hätte sie sich, da die Erlassung eines Fahrverbotes nur der Behörde obliege (§ 43 (7) StVO. 1960), sogar strafbar gemacht. Schließlich habe das Berufungsgericht rechtsirrig der Beklagten die Vorhersehbarkeit des eingetretenen Erfolges zugemutet.

Dieses Vorbringen ist nicht stichhältig.

Zunächst kann davon, daß die Beklagte die Sanierung der S.-Straße über behördlichen Auftrag durchführte, keine Rede sein. Die Beklagte wurde vom Stadtamt G. aufgefordert, auf Grund des von deren Tiefbauamt erstellten Leistungsverzeichnisses ein unverbindliches Anbot abzugeben, auf Grund dessen die Gemeinde G. die gegenständlichen Straßenarbeiten bestellte (vgl. die Schreiben vom 17. Oktober und vom 9. November 1966 im Bauakt der Stadtgemeinde G., der in der mündlichen Berufungsverhandlung verlesen wurde). Zwischen der Gemeinde G. und der Beklagten kam dadurch ein ausschließlich nach zivilrechtlichen Normen zu beurteilender Werkvertrag zustande. Die Gefahr an der Baustelle ergab sich aus der durch die Arbeiten bedingten Verengung der Fahrbahn und der damit für den Fahrzeugverkehr verbundenen Notwendigkeit, den äußersten, infolge der Bombierung 50 cm tiefer liegenden Fahrbahnrand zu benützen. Nun hat die Beklagte auf Grund des § 1299 ABGB. die Kenntnisse und den Fleiß zu vertreten, die der von ihr ausgeübte Beruf erfordert. Dritten Personen gegenüber besteht allerdings eine Haftung des Baumeisters als Bauführers nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen. So wurden die Hersteller von Maschinen und Geräten dritten Personen gegenüber als haftbar angesehen, wenn sie bei der Herstellung des Erzeugnisses bestehende Schutzvorschriften oder ein allgemeines Gefährdungsverbot verletzt haben, wie sich aus dem Zusammenhalt der Bestimmungen der §§ 335, 431 StG., 1293 ABGB. ergibt. Ähnliches muß auch für einen Baumeister gelten, der ein Bauwerk herstellt. Dem entspricht der weitere von der Rechtsprechung entwickelte allgemeine Rechtsgrundsatz, daß, wer eine Gefahrenquelle schafft, die notwendigen Vorkehrungen treffen muß, um Schädigungen nach Tunlichkeit abzuwenden. Der Umstand, daß in der Ausschreibung die zu vergebenden Arbeiten im einzelnen bestimmt waren, enthob zunächst im Verhältnis zur Auftraggeberin (Bauherr) die Beklagte als Bauführer nicht von ihrer sich aus § 1299 ABGB. ergebenden Pflicht, den Bauherrn auf Gefahren, die sich aus der Durchführung der Arbeiten oder aus deren Anlaß ergeben könnten, aufmerksam zu machen und entsprechende Sicherungsmaßnahmen vorzuschlagen. Dieser Warnpflicht war die Beklagte auch nicht dadurch enthoben, daß der Bauherr allfällige Gefahren etwa auch selbst hätte erkennen können. Diese Warnpflicht bestand aber auch unabhängig von dem im schon erwähnten Leistungsverzeichnis enthaltenen Hinweis, daß bei der Kalkulation auch auf Aufwendungen Bedacht zu nehmen sei, die durch die Regelung des Verkehrs entstehen würden. Kommt aber der Bauführer seiner Warnpflicht im dargestellten Sinn nicht nach, so haftet er dritten Personen gegenüber auf jeden Fall dann, wenn entweder mangels einer entsprechenden Warnung gegenüber dem Bauherrn Sicherungsmaßnahmen nicht getroffen worden sind oder der Bauführer auch ohne Warnung gegenüber dem Bauherrn schuldhafterweise zumutbare Sicherungsmaßnahmen im eigenen Wirkungsbereich nicht selbst getroffen und deshalb Dritte zu Schaden gekommen sind. Durch die bloße Aufstellung des Gefahrenzeichens nach § 50 Z. 9 StVO. 1960 wurde in keiner Weise auf die besonderen Gefahren verwiesen, die sich durch die überdurchschnittlich starke Bombierung der Fahrbahn im Zusammenhalt mit der Notwendigkeit, extrem links zu fahren, vor allem für schwerere und größere Fahrzeuge ergeben mußten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß pflichtgemäßes Handeln der Beklagten - sei es durch Warnung des Bauherrn, sei es durch Vorkehrungen - nicht unbedingt Absperrungen - in eigener Verantwortung (selbst die Beobachtung behördlicher Anordnungen schließt die Verpflichtung zu weitergehender, durch die Umstände bedingter Vorsicht nicht aus - 2 Ob 291/67) - den Schaden abgewendet hätte. Die Unterlassung der nach den gegebenen Umständen gebotenen und der Beklagten schon kraft ihrer Eigenschaft als Bauunternehmung ohne weiteres zumutbaren Vorkehrungen in der vom Berufungsgericht zutreffend angedeuteten Richtung war daher Schadensursache. Es besteht auch kein Grund, den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen der Unterlassung einer ausreichenden Kennzeichnung der Gefahrenstelle und dem eingetretenen Erfolg abzulehnen, zumal die Möglichkeit des Eintrittes dieses Erfolges für die Beklagte keineswegs unwahrscheinlich war.

Eine Haftung der Beklagten wurde daher mit Recht angenommen.

P. lenkte ein Sonderfahrzeug von ungewöhnlicher Breite und überdurchschnittlichem Eigengewicht, bei dem überdies infolge der Ladung der Schwerpunkt 2 m über der Fahrbahn lag. Anders als eine starre folgt die flüssige Ladung nach physikalischen Gesetzen jeder durch Bodenunebenheiten ausgelösten Neigung des Fahrzeuges. Dies bedingt eine Erhöhung der Kippgefahr. All diese Umstände hätte P., der ja - wie feststeht - die Schwierigkeiten der Durchfahrt erkannte, bedenken und berücksichtigen müssen. Daß er dies unterließ, begrundet sein Verschulden. Von einer Notstandslage kann keine Rede sein.

Das Verschulden P. ist allerdings nicht dem der Beklagten gleichwertig, zumal diese durch ihre Unterlassungen die primäre Unfallsursache gesetzt hat. Eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 2 zu 1 zu ihren Lasten erscheint gerechtfertigt.

Entgegen ihrer Auffassung muß sich die Klägerin zufolge ihrer Haltereigenschaft das Verschulden ihres Lenkers in sinngemäßer Anwendung der Bestimmung des § 19 (2) anrechnen lassen. Diesfalls kann auf die in JBl. 1956 S. 621 und ZVR. 1958 Nr. 180 veröffentlichten Entscheidungen verwiesen werden.

Anmerkung

Z42139

Schlagworte

Bauführer, Warnungspflicht gegenüber dem Bauherrn, Bauherr, Warnungspflicht des Bauführers, Baumeister, Warnungspflicht gegenüber dem Bauherrn, Baustelle, Warnungspflicht des Bauführers gegenüber dem Bauherrn, Gefahr, Warnungspflicht des Bauführers gegenüber dem Bauherrn, Sicherungsmaßnahme, Warnungspflicht des Bauführers gegenüber dem, Bauherrn, Warnungspflicht des Bauführers gegenüber dem Bauherrn

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1969:0020OB00224.69.0925.000

Dokumentnummer

JJT_19690925_OGH0002_0020OB00224_6900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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