Norm
Eisenbahnverkehrsordnung §4Kopf
SZ 42/160
Spruch
Die Eisenbahn haftet für Beschädigung vor Beendigung des Verladens zur Beförderung nicht gemäß § 4 EVO., sondern für Verschulden des einweisenden Bahnbediensteten als Erfüllungsgehilfen gemäß § 1313a
ABGB.
Entscheidung vom 23. Oktober 1969, 2 Ob 123/69.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt - Wien; II. Instanz; Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Kläger begehrt von der beklagten Partei den Ersatz des Schadens von 2752.25 S samt Anhang; er hat dies damit begrundet, daß anläßlich der Auffahrt seines Personenkraftwagens mit Wohnwagen auf den Auto-Überstellzug der Österreichischen Bundesbahnen im Bahnhof B. der Tauernstrecke am 14. Juli 1966 der Wohnwagen "T." durch Anstoß an die hochstehende Bordwand des Überstellzugwaggons beschädigt worden sei; der Schaden sei durch das Verschulden eines Bahnbediensteten entstanden, weil dieser die Bordwand nicht rechtzeitig herabgelassen und dem Kläger die Weisung zum Weiterfahren gegeben habe, obwohl er erkennen hätte müssen, daß das Weiterfahren zur Kollision führen werde. Die beklagte Partei hat die Haftung abgelehnt. Im Rechtsmittelverfahren ist die Höhe des Ersatzanspruchs nicht mehr strittig.
Das Erstgericht hat die beklagte Partei zur Zahlung des Betrages von 2752.25 S samt 4% Zinsen seit 6. Oktober 1967 an den Kläger verurteilt und das Mehrbegehren von 4% Zinsen aus dem genannten Betrag vom 9. Dezember 1966 bis 5. Oktober 1967 abgewiesen (diese Abweisung ist nicht angefochten worden).
Der Berufung der beklagten Partei hat das Berufungsgericht Folge gegeben und in Abänderung des verurteilenden Ausspruchs des Erstgerichtes das noch offene Klagebegehren abgewiesen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision Folge und änderte das Berufungsurteil dahin ab, daß das Ersturteil wiederhergestellt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Mit Recht hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf die maßgeblichen Tarifbestimmungen (vgl. § 6 der diesfalls noch in Betracht kommenden Eisenbahnverkehrsordnung vom 6. Juli 1954, BGBl. Nr. 213) dargelegt - das Erstgericht hatte die Streitsache unter dem Gesichtspunkte der Güterbeförderung (§§ 55 ff. EVO.) behandelt -, daß Kraftfahrzeuge und Anhänger zur Beförderung als Reisegepäck angenommen werden, wenn sie zu den hiefür vorgesehenen Überstellzügen zwischen den Bahnhöfen Böckstein und Mallnitz aufgegeben werden. Diesbezüglich ist aus den Tarifbestimmungen festzuhalten, daß das Verladen des Kraftfahrzeugs samt Anhang dem Lenker des Kraftfahrzeugs obliegt; das Kraftfahrzeug gilt mit Beendigung des Verladens als zur Beförderung angenommen. Bei diesen Umständen trifft auch die Erwägung der Berufungsinstanz zu, daß die Haftung der beklagten Partei für den vom Kläger geltend gemachten Schaden nicht aus der Regelung des § 4 (1) EVO. abzuleiten ist, wonach die Eisenbahn für ihre Bediensteten und für andere Personen haftet, deren sie sich bei Ausführung der von ihr übernommenen Beförderung bedient. Im vorliegenden Falle hatte der Kläger als Lenker des Kraftfahrzeugs samt Anhang das Verladen zu besorgen; im Zeitpunkt der Beschädigung des Anhängers war das Verladen noch nicht beendet und somit das Reisegepäck von der beklagten Partei zur Beförderung noch nicht angenommen. Die frachtrechtliche Sondernorm des § 4 EVO. an sich kann also eine Haftung des geklagten Eisenbahn-Betriebsunternehmers nicht begrunden.
Der Revisionswerber wendet sich aber zutreffend gegen die Ausführungen des Berufungssenates, daß das Gericht daran gebunden sei, daß der Kläger die rechtliche Qualifikation seines Begehrens im Sinne des § 4 (1) EVO. vorgenommen habe und es demnach dahingestellt bleiben müsse, ob die beklagte Partei etwa nach anderen Bestimmungen hafte. Denn die klagende Partei hat vor dem Erstgerichte die den Anspruch begrundenden Tatsachen vorgebracht und in diesem Zusammenhang zwar eine Rechtsansicht (in der Richtung der Haftung der beklagten Partei aus § 4 (1) EVO.) geäußert, aber keineswegs zum Ausdruck gebracht, daß sie die Haftung des Gegners ausschließlich unter diesem Gesichtspunkte in Anspruch nehme. In einem derartigen Falle ist das Gericht an die Rechtsansicht der Partei nicht gebunden; es hat vielmehr den Sachverhalt unter den in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten unabhängig von der durch die Parteien vorgenommenen Qualifikation zu prüfen.
Die Sache ist spruchreif; die vom Berufungsgerichte als unbedenklich übernommenen Feststellungen der ersten Instanz reichen hin, die Haftung der beklagten Partei zu begrunden, und zwar aus nachstehenden Erwägungen:
In dem die Auto-Überstellzüge durch den Tauerntunnel betreffenden Prospekt (Fassung für den den Unfallstag - 14. Juli 1966 - einschließenden Zeitraum vom 22. Mai 1966 bis 27. Mai 1967, Österreichische Verkehrswerbung Wien BB 520) haben die Österreichischen Bundesbahnen den Kraftfahrern im Punkt 4 bekanntgegeben, daß bei der Auffahrt die Weisungen des Bahnpersonals beachtet werden müssen. Nun ist festgestellt, daß ein Bahnbediensteter auf das vom Kläger gelenkte Gespann auf der Rampe zukam, um es einzuweisen. Er ging vor dem auffahrenden Gespann auf den Überstellungswaggon. Der Kläger fuhr diesem Bahnbediensteten nach. Dessen Weisung folgend, schlug der Kläger bei der Auffahrt einen weiten Bogen zur gegenüberliegenden Seite des Waggons ein und steuerte einen ihm vom Einweiser bezeichneten Punkt an der gegenüberliegenden Bordwand an. Als der Kläger mit dem PKW. bereits auf den Waggon aufgefahren war und sich der Anhänger noch auf der Rampe befand, ging der Bahnbedienstete am Fahrzeug rechts vorbei und blieb auf der Rampe etwa auf Höhe des Kofferraums stehen, von wo er einen guten Überblick über den ganzen Zug hatte. Als der PKW. fast schon in gerader Richtung fuhr, hielt ihn der Kläger an; durch das offene Dach fragte er den Bahnbediensteten, ob hinten alles in Ordnung gehe. Dieser antwortete, der Kläger möge weiterfahren, und bestärkte die Antwort durch eine Handbewegung. Darauf fuhr der Kläger rund 30 bis 50 cm; als er im Gespann einen Ruck verspürte, hielt er sofort an. Der Anhänger war gegen die rechte Bordwand gestoßen und dort verklemmt. Daß das Gespann des Klägers bei der Auffahrt die markierte Sperrlinie der Auffahrtsrampe überfahren hätte, ist nicht erwiesen.
Dem Standpunkt der Revisionsgegnerin, daß mangels eines im Unfallszeitpunkt gegebenen Beförderungsvertrages die Haftung der Eisenbahn wegen Verschuldens eines Bediensteten dem Kläger gegenüber nur unter dem Gesichtspunkte des § 1315 ABGB. gegeben wäre, ist bei den dargelegten Umständen nicht zu folgen. Zwar kommt, wie bereits ausgeführt, eine Ersatzpflicht der beklagten Partei für den dem Kläger durch das sorglose Verhalten ihres Bediensteten entstandenen Schaden aus frachtrechtlichen Normen nicht in Betracht, das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis reicht aber über die Beförderung des Reisegepäcks im engeren Sinne (ab Beendigung der dem Kläger obliegenden Verladung) hinaus und insoweit ist die Haftung der beklagten Partei gegenüber dem Kläger aus der Regelung des § 1313a ABGB. für das Verschulden ihres Bediensteten als eines Erfüllungsgehilfen gegeben. Es darf doch nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Verladung des Kraftfahrzeuges samt Anhang dem Kläger nur unter Mitwirkung des einweisenden Bahnbediensteten möglich war und die Beachtung der Weisungen des Bahnpersonals bei der Auffahrt dem Kläger geradezu als Pflicht aufgetragen war. Die Beförderung des Reisegepäcks (nach Beendigung der Verladung) erforderte notwendigerweise Vorbereitungshandlungen, diese aber nicht nur auf Seite des Verladers, sondern auch auf Seite der Eisenbahn, bei dieser darin gelegen, daß sie dem Vertragspartner Weisungen für die Auffahrt auf den Auto-Überstellzug erteilte. Bei richtiger Beurteilung des Umfanges des konkreten Vertragsverhältnisses der Parteien ist also der Schadenersatzanspruch des Klägers gegenüber der beklagten Partei aus dem Verschulden des einweisenden Bahnbediensteten als eines Erfüllungsgehilfen nach § 1313a ABGB. zu bejahen. Es ist anerkannt (vgl. Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse, 1928, S. 296, zu und in Fußnote 20 b), daß Erfüllungsgehilfen im Sinne der bezogenen Vorschrift nicht nur solche Personen sind, die die eigentliche Erfüllungshandlung vollziehen, sondern auch diejenigen, welche sie vorbereiten. Danckelmann - Heinrichs (in Palandt, Beck'scher Kurz-Kommentar zum BGB.[28], S. 252) führen aus, daß die Erfüllungshandlung nicht nur die Vornahme der Leistung selbst, sondern das gesamte dem Schuldner in Ansehung der Erfüllung vertraglich obliegende Sorgfaltsverhalten sei, das auch in bloß vorbereitenden Handlungen bestehen könne. In diesem Zusammenhange wird von den genannten Autoren die auch für den jetzigen Rechtsstreit instruktive Entscheidung des Reichsgerichtes vom 5. Oktober 1903, VI 67/03 (RGZ. 55/335 ff.) zitiert. Dortselbst ist die Haftung des Eisenbahnbetriebsunternehmers gegenüber einem Reisenden für die Vernachlässigung von Vorkehrungen nach Beendigung der Beförderung aus dem Gesichtspunkte des Vertragsverhältnisses wegen Verschuldens von Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB.) ausgesprochen worden.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß das Erstgericht dem Schadenersatzbegehren des Klägers im Ergebnis zutreffend stattgegeben hat, so daß in Abänderung des Berufungsurteils wie im Spruche zu erkennen war.
Anmerkung
Z42160Schlagworte
Bahnbediensteter, Haftung der Eisenbahn für einweisenden - Bahnpersonal, Haftung der Eisenbahn für einweisendes - Beförderungsvertrag, Haftung der Eisenbahn für einweisendes Bahnpersonal Eisenbahn, Haftung für Verschulden des einweisenden Bahnbediensteten Erfüllungsgehilfe, Haftung der Eisenbahn für einweisenden Bahnbediensteten Erfüllungshandlung, Haftung der Eisenbahn für einweisendes Bahnpersonal Vorbereitungshandlung, Haftung der Eisenbahn für einweisendes Bahnpersonal Weisung, Haftung der Eisenbahn für - des BahnpersonalsEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1969:0020OB00123.69.1023.000Dokumentnummer
JJT_19691023_OGH0002_0020OB00123_6900000_000