Norm
Ehegesetz §2Kopf
SZ 43/14
Spruch
Text
Die Streitteile schlossen am 27. November 1965 die Ehe. Sie sind österreichische Staatsbürger. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt war Wien.
Die Beklagte stammt aus einer in psychischer Hinsicht belasteten Familie. In Anbetracht dieser erblichen Belastung gewann die bei ihr bestehende endogene Disposition im Anschluß an eine schwere somatische Krankheit langsam an Manifestation. Vor Ausbruch eines schizophrenen Schubes kommt es zu einem neurasthenischen Vorstadium, das manchmal sogar Monate hindurch andauern kann. Eine äußere Belastung, wie zum Beispiel eine Veränderung der Lebensverhältnisse, kann als auslösendes Faktum einer latenten geistigen Erkrankung wirken.
Die Streitteile verstanden einander während ihrer Verlobungszeit gut. Kurz vor der Eheschließung kam es allerdings zu Meinungsverschiedenheiten, die die Beklagte äußerst erregten und unglücklich machten. Die Hochzeit selbst erfolgte unter einem von Katharina P, der Mutter der Beklagten, auf die Willensbildung ihrer Tochter ausgeübten Druck.
Schon vor der Eheschließung brach bei der Beklagten das neurasthenische Vorstadium, das als Beginn einer Geisteskrankheit zu bezeichnen ist, im Anschluß an eine schwere Grippe aus. Es kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden, daß die Geisteskrankheit der Beklagten somit schon vor der Eheschließung auftrat und rein endogener Natur ist.
Am 10. Dezember 1965 - also dreizehn Tage nach der Eheschließung - unternahm die Beklagte einen Selbstmordversuch, der auf ihre geistige Erkrankung zurückzuführen war. An diesem Tag erfolgte ihre erste Aufnahme in fachärztliche Behandlung. Am 28. Dezember 1965 wurde sie in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien aufgenommen, wo sie unter der Diagnose "Schizophrenie" behandelt wurde.
In dem Zeitraum Verlobungszeit - Brautzeit - Eheschließung kam es bei der Beklagten - gewissermaßen in einem Längsschnitt gesehen - langsam zu einer zunehmenden Symptomverdichtung. Das im Zeitpunkt der Eheschließung bei der Beklagten bestehende neurasthenische Vorstadium hatte aber eine absolute Handlungs- und Geschäftsunfähigkeit nicht zur Folge. Es bestand jedenfalls keine solche Störung der Geistestätigkeit, daß die Beklagte etwa den Vorgang der Eheschließung an sich gar nicht hätte erfassen können. Die Beklagte wußte sehr wohl, daß sie die Ehe mit dem Kläger eingehen sollte. Gerade dieser Umstand, und zwar im Zusammenhang mit der von ihrer Mutter ausgehenden Beugung und Beeinflussung ihres Willens, hat das schizophrene Krankheitsbild der Beklagten ab dem Zeitpunkt der Eheschließung manifestiert. Das zur Zeit der Eheschließung bei der Beklagten bestehende neurasthenische Vorstadium einer Geisteskrankheit ist auch keine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit.
Das Erstgericht wies die Klage auf Nichtigerklärung der Ehe ab.
Es kam zu dem Ergebnis, daß die Voraussetzungen einer Ehenichtigkeit nach § 22 EheG nicht vorliegen, weil die Beklagte im Zeitpunkt der Eheschließung weder geschäftsunfähig noch im Zustand der Bewußtlosigkeit oder einer vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit war.
Die vom Kläger erhobene Berufung blieb erfolglos. Das Berufungsgericht teilte die Rechtsmeinung des Erstgerichtes, daß eine Geisteskrankheit nur dann den Nichtigkeitsgrund nach § 22 EheG bildet, wenn sie nicht bloß eine Beschränkung der Geschäftsfähigkeit, sondern wenn sie Geschäftsunfähigkeit i S des § 2 EheG bewirkt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Rechtsrüge wird in der Revision im wesentlichen wie in der Berufung ausgeführt. Sie geht davon aus, daß jede im Zeitpunkt der Eheschließung vorhandene Geisteskrankheit eines Ehegatten die Geschäftsunfähigkeit desselben i S des § 2 des EheG zur Folge habe und Nichtigkeit der Ehe nach § 22 EheG bewirke; zur Eingehung einer Ehe sei die volle Geschäftsfähigkeit erforderlich; die Ehe der Streitteile wäre also auch dann nichtig, wenn die Beklagte zur Zeit der Eheschließung in ihrer Geschäftsfähigkeit auch nur beschränkt gewesen sein sollte.
Demgegenüber hat schon das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß eine geistige Erkrankung je nach ihrem Grad Anlaß zu einer vollen oder einer beschränkten Entmündigung geben kann und daher nicht unbedingt Geschäftsunfähigkeit des Geisteskranken zur Folge haben muß, sondern auch zu einer beschränkten Geschäftsfähigkeit führen kann. Es hat sich zur Stütze seiner Ansicht insbesondere darauf berufen, daß das Ehegesetz in den Voraussetzungen zur Schließung einer Ehe und in den Auswirkungen auf diese ausdrücklich zwischen der Geschäftsunfähigkeit nach § 2 und der beschränkten Geschäftsfähigkeit nach § 3 unterscheidet und daß ein Verstoß gegen das Eheverbot des § 3 nur einen Eheaufhebungsgrund nach § 35 darstellt, wogegen die Nichtbeachtung des § 2 Nichtigkeit der Ehe nach § 22 nach sich zieht.
Diesen Ausführungen kann die Revision nichts Stichhaltiges entgegensetzen.
Die Vorinstanzen haben den Begriff der Geschäftsunfähigkeit nach § 2 EheG richtig ausgelegt. Die Begriffe der Geschäftsunfähigkeit nach § 2 EheG und der beschränkten Geschäftsfähigkeit nach § 3 EheG waren der österreichischen Gesetzessprache an sich fremd. Deshalb hat es der Gesetzgeber des Ehegesetzes für erforderlich gehalten, zur Erläuterung der in den §§ 2 und 3 verwendeten Ausdrücke im § 102 eine Legaldefinition zu geben, die an den Sprachgebrauch des ABGB (vgl §§ 21, 157, 176, 310, 567 und 865) anschließt (Wentzel in Klang[2] I/1 442). Darnach sind unter Geschäftsunfähigen Kinder, die nicht das siebente Lebensjahr vollendet haben, ferner Personen zu verstehen, die wegen Geisteskrankheit oder aus einem anderen Grund des Gebrauches der Vernunft beraubt sind, solange dieser Zustand dauert, oder die voll entmundigt sind. Unter beschränkt Geschäftsfähigen sind Minderjährige, ferner Personen, die unter verlängerter Gewalt oder Vormundschaft stehen, beschränkt Entmundigte sowie Personen, für die ein vorläufiger Beistand bestellt ist, zu verstehen. Für die Beklagte, die zur Zeit der Eheschließung unbestrittenermaßen großjährig und nicht entmundigt war, käme als Grund einer Geschäftsunfähigkeit somit nur der fehlende Gebrauch der Vernunft in Betracht. Ihre mit dem Kläger geschlossene Ehe wäre nach § 22 EheG, da Geschäftsunfähigkeit wegen Bewußtlosigkeit oder einer nur vorübergehenden Störung ihrer Geistestätigkeit der Sachlage nach nicht in Betracht kommt, also dann nichtig, wenn die Beklagte im Zeitpunkt der Eheschließung des Gebrauches der Vernunft beraubt gewesen wäre. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hatte das bei der Beklagten zur Zeit der Eheschließung bestehende neurasthenische Vorstadium, das schon als Beginn einer Geisteskrankheit anzusehen ist, absolute Handlungs- und Geschäftsfähigkeit nicht zur Folge, was offensichtlich besagen soll, daß der Geisteszustand der Beklagten damals dem eines Kindes unter sieben Jahren nicht gleichzusetzen war, daß aber eine Geistesstörung minderen Grades doch gegeben war. Die Frage, ob bei einer Geistesstörung minderen Grades bis zum allfälligen Ausspruch der beschränkten Entmündigung volle Handlungsfähigkeit besteht oder ob die Grenzen der Handlungsfähigkeit der nicht entmundigten Geisteskranken von Fall zu Fall geprüft werden müssen, wird im Schrifttum und in der Rechtsprechung kontrovers entschieden (siehe die Zitate in MietSlg 6979, ferner JBl 1960, 558 und MietSlg 9357). Auf sie braucht aber nicht eingegangen werden, weil für den Kläger auch dann nichts gewonnen wäre, wenn man sich der letzteren Ansicht anschlösse. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen bestand bei der Beklagten zur Zeit der Eheschließung jedenfalls keine solche Störung der Geistestätigkeit, daß sie deswegen den Vorgang der Eheschließung nicht erfassen konnte. Es kann also nicht davon die Rede sein, daß die Beklagte wegen der zur Zeit der Eheschließung bereits bestandenen Geisteskrankheit in bezug auf die Eheschließung geschäftsunfähig gewesen wäre.
Die von der Revision vertretene Ansicht, daß jede Geisteskrankheit Geschäftsunfähigkeit i S des § 2 EheG bewirke, ist, wie schon oben ausgeführt wurde, mit der Gesetzeslage nicht in Einklang zu bringen. Sie könnte sich allerdings auf Schwind, Eherecht, 67, berufen, der Geisteskranke den des Gebrauches der Vernunft aus anderen Gründen beraubten Personen gegenüberstellt und sie schlechthin als geschäftsunfähig i S des § 2 EheG bezeichnet. Berücksichtigt man aber, daß es in Österreich auch eine beschränkte Entmündigung wegen Geisteskrankheit gibt, worauf Volkmar - Antoni, Eherecht, 337, 338 verweisen, und daß der wegen Geisteskrankheit (minderen Grades) beschränkt Entmundigte beschränkt handlungsfähig bzw beschränkt geschäftsfähig i S des § 3 EheG ist, dann würde die oben erwähnte Ansicht zu der offensichtlich nicht zu billigenden Folgerung führen, daß die Geschäftsfähigkeit eines nicht entmundigten Geisteskranken durch die wegen der Geisteskrankheit ausgesprochene beschränkte Entmündigung insoferne erweitert wird, als der Geschäftsunfähige dadurch beschränkte Geschäftsfähigkeit erlangen würde.
Anmerkung
Z43014Schlagworte
Ehenichtigkeit, Geisteskrankheit, Ehenichtigkeit, Geschäftsunfähigkeit, Eheschließung, Geisteskrankheit, Eheschließung, Geschäftsunfähigkeit, Geisteskrankheit, Eherecht, Geisteskrankheit, Geschäftsfähigkeit im Eherecht, Geisteskrankheit, Nichtigkeit im Eherecht, Geschäftsfähigkeit, Eherecht, Geschäftsfähigkeit, Geisteskrankheit, Nichtigkeit, Geschäftsunfähigkeit eines EhegattenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1970:0060OB00004.7.0121.000Dokumentnummer
JJT_19700121_OGH0002_0060OB00004_7000000_000