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77 Kunst Kultur;Norm
DMSG 1923 §1 Abs1 idF 1999/I/170;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde der Österreichischen Bundesbahnen, vertreten durch Dr. Klaus Fattinger, Rechtsanwalt in 9500 Villach, Ringmauergasse 8, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom 20. August 2002, Zl. 11.014/2- IV/3/2002, betreffend Unterschutzstellung nach dem Denkmalschutzgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 14. Juni 2002 hat das Bundesdenkmalamt wie folgt entschieden:
"Es wird festgestellt, dass die Erhaltung der Abrücke der Tauernbahn in H, Ger. Bez. G, pol.Bez. S, Gdst.Nr. ..., KG ... V, EZ ... des GB ... E, gemäß §§ 1 und 3 des Bundesgesetzes vom 25. September 1923, BGBl. Nr. 533/23 (Denkmalschutzgesetz), in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 170/1999, im öffentlichen Interesse gelegen ist."
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20. August 2002 hat die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den genannten Bescheid des Bundesdenkmalamtes keine Folge gegeben und damit den erstinstanzlichen Bescheid bestätigt.
Zur Begründung führte die belangte Behörde - nach Darstellung des Verfahrensverlaufes - im Wesentlichen aus, das Bundesdenkmalamt habe mit einem Bescheid vom 11. Jänner 1995 gemäß § 5 DMSG eine Bewilligung zur Veränderung der gegenständlichen Brücke erteilt, um den zweigleisigen Ausbau der Tauernbahn zu ermöglichen. Im Beschwerdefall sei auf Grund des Amtsachverständigengutachtens als erwiesen anzusehen, dass es sich bei der gegenständlichen Brücke "um ein Dokument der Entwicklung des Eisenbahn- und Eisenbahnbrückenbaues handelt, dem als technisch wie ästhetisch anspruchvollem Werk auch Bedeutung als Dokument der Ingenieurkunst zukommt". Der Entwicklung des Eisenbahnwesens im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert "komme eine außerordentlich bedeutende Stellung in der kulturellen und wirtschafts- und technikgeschichtlichen Entwicklung zu". Aus diesem Grund werde angenommen, dass die Erhaltung von Zeugnissen dieser Entwicklung als "Repräsentanten" gemäß § 1 Abs. 2 DMSG im öffentlichen Interesse gelegen sei. Der zu § 1 Abs. 10 DMSG erstatteten Argumentation der Beschwerdeführerin könne sich die belangte Behörde nicht anschließen. Aus dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten "Sachverständigengutachten" ergebe sich nicht, dass die Brücke sich in einem Zustand befinde, "der seine Erhaltung ausschließt". Vielmehr würden "künftige Nutzungsansprüche mit der Erhaltung der Brücke im Widerspruch stehen". Es bestehe kein statischer oder substanzieller Mangel der Brücke im Sinne des § 1 Abs. 10 DMSG, sondern "eine gleichsam von außen an das Objekt herangetragene Nutzungsanforderung, die ausschließlich in einem Verfahren gemäß § 5 DMSG (Verfahren zur Veränderung oder Zerstörung eines Denkmals) zu beachten wäre". Nach Ansicht der belangten Behörde sei es im Unterschutzstellungsverfahren nicht relevant, "ob andere öffentliche Interessen gegen die Erhaltung eines Denkmal streiten". Ob öffentliche oder sonstige Interessen an der Errichtung eines Hochleistungsstreckennetzes schwerer wiegen würden, als das öffentliche Interesse an der Erhaltung, sei dem Verfahren gemäß § 5 DMSG vorbehalten. Ziel des Unterschutzstellungsverfahrens sei es nämlich, die Zerstörung von Denkmalen ohne das in den §§ 4 und 5 DMSG vorgesehene Verfahren zu unterbinden. Die im Jahr 1995 durch das Bundesdenkmalamt bewilligte Veränderung der Brücke gemäß § 5 DMSG sei nicht relevant; diese Bewilligung sei zudem gemäß § 5 Abs. 6 DMSG bereits erloschen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Denkmalschutzgesetzes (DMSG), BGBl. Nr. 533/1923, in der Fassung BGBl. I Nr. 170/1999, lauten:
§ 1. (1) Die in diesem Bundesgesetz enthaltenen Bestimmungen finden auf von Menschen geschaffene unbewegliche und bewegliche Gegenstände (einschließlich Überresten und Spuren gestaltender menschlicher Bearbeitung sowie künstlich errichteter oder gestalteter Bodenformationen) von geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger kultureller Bedeutung ('Denkmale') Anwendung, wenn ihre Erhaltung dieser Bedeutung wegen im öffentlichen Interesse gelegen ist. Diese Bedeutung kann den Gegenständen für sich allein zukommen, aber auch aus der Beziehung oder Lage zu anderen Gegenständen entstehen. 'Erhaltung' bedeutet Bewahrung vor Zerstörung, Veränderung oder Verbringung ins Ausland.
(2) Die Erhaltung liegt dann im öffentlichen Interesse, wenn es sich bei dem Denkmal aus überregionaler oder vorerst auch nur regionaler (lokaler) Sicht um Kulturgut handelt, dessen Verlust eine Beeinträchtigung des österreichischen Kulturgutbestandes in seiner Gesamtsicht hinsichtlich Qualität sowie ausreichender Vielzahl, Vielfalt und Verteilung bedeuten würde. Wesentlich ist auch, ob und in welchem Umfang durch die Erhaltung des Denkmals eine geschichtliche Dokumentation erreicht werden kann.
...
(4) Das öffentliche Interesse an der Erhaltung im Sinne des Abs. 1 (Unterschutzstellung) wird wirksam kraft gesetzlicher Vermutung (§ 2) oder durch Verordnung des Bundesdenkmalamtes (§ 2a) oder durch Bescheid des Bundesdenkmalamtes (§ 3) oder durch Verordnung des Österreichischen Staatsarchivs (§ 25a). Bei Ensembles und Sammlungen kann das öffentliche Interesse an der Erhaltung als Einheit nur durch Bescheid des Bundesdenkmalamtes wirksam werden.
(5) Ob ein öffentliches Interesse an der Erhaltung eines Einzeldenkmals, eines Ensembles oder einer Sammlung besteht sowie ob oder wie weit es sich (auch) um eine Einheit handelt, die als einheitliches Ganzes zu erhalten ist, ist vom Bundesdenkmalamt unter Bedachtnahme auf diesbezügliche wissenschaftliche Forschungsergebnisse zu entscheiden. Bei der Auswahl der Objekte, die unter Denkmalschutz gestellt werden, ist die Bewertung in den vom Bundesdenkmalamt geführten bzw. verfassten Denkmalverzeichnissen zu berücksichtigen. Allgemein anerkannte internationale Bewertungskriterien können in die Beurteilungen mit einbezogen werden. Wenn eine ausreichende Erforschung von Denkmalen - wie insbesondere bei nicht ausgegrabenen Bodendenkmalen - noch nicht abgeschlossen ist, ist die Feststellung des öffentlichen Interesses an der Erhaltung der Denkmale nur dann zulässig, wenn die für die Unterschutzstellung erforderlichen Fakten auf Grund des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes wenigstens wahrscheinlich sind und die unversehrte Erhaltung der Denkmale andernfalls gefährdet wäre; eine solche Unterschutzstellung kann auch zeitmäßig begrenzt erfolgen.
(6) Die Feststellung des öffentlichen Interesses an der Erhaltung eines Denkmals erfolgt stets in jenem Zustand, in dem es sich im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Unterschutzstellung befindet.
...
(9) Durch die Unterschutzstellung eines Denkmals werden auch alle seine Bestandteile und das Zubehör sowie alle übrigen mit dem Denkmal verbundenen, sein überliefertes oder gewachsenes Erscheinungsbild im Inneren oder Äußeren mitprägenden oder den Bestand (die Substanz) berührenden Teile mit einbezogen. Dazu zählt auch die auf einen besonderen spezifischen Verwendungszweck des Denkmals ausgerichtete Ausstattung oder Einrichtung, soweit sie auf Dauer eingebracht wurde.
(10) Die Erhaltung kann nicht im öffentlichen Interesse gelegen sein, wenn sich das Denkmal im Zeitpunkt der Unterschutzstellung in einem derartigen statischen oder sonstigen substanziellen (physischen) Zustand befindet, dass eine Instandsetzung entweder überhaupt nicht mehr möglich ist oder mit so großen Veränderungen in der Substanz verbunden wäre, dass dem Denkmal nach seiner Instandsetzung Dokumentationswert und damit Bedeutung als Denkmal nicht mehr in ausreichendem Maße zugesprochen werden könnte. Ausgenommen sind Denkmale, denen auch als Ruinen Bedeutung im obigen Sinn zukommt.
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§ 3. (1) Bei Denkmalen, die nicht bloß kraft gesetzlicher Vermutung oder durch Verordnung unter Denkmalschutz stehen, gilt ein öffentliches Interesse an ihrer Erhaltung erst dann als gegeben, wenn sein Vorhandensein vom Bundesdenkmalamt durch Bescheid festgestellt worden ist (Unterschutzstellung durch Bescheid)."
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die erfolgte Unterschutzstellung der (von ihr betriebenen) Eisenbahnanlage bzw. Brücke sei unnötig und nicht im öffentlichen Interesse gelegen. Die belangte Behörde habe weder das fehlende öffentliche Interesse an der Erhaltung der Brücke im Sinne des § 1 Abs. 2 DMSG noch den Erhaltungszustand der Brücke im Sinne des § 1 Abs. 10 DMSG berücksichtigt. Die Brücke entspreche nicht mehr dem Stand der Technik des Eisenbahnwesens; sie sei am Ende ihrer technischen Nutzungsdauer angelangt, weil sie nach 100 Jahren den Grenzwert der Ermüdung erreicht habe. Nach einer (gebotenen) Instandsetzung der Brücke könne ihr eine Bedeutung als Denkmal nicht mehr zugesprochen werden. Entlang der Tauernbahn seien Brückentragwerke in ausreichender Vielzahl und gleicher Qualität vorhanden, zumal die Brücken in Serienfertigung erzeugt worden seien; der Verlust der Abrücke könne daher keine Beeinträchtigung des österreichischen Kulturgutbestandes darstellen.
Entscheidend (und strittig) ist im Beschwerdefall daher, ob die Erhaltung der Abrücke im öffentlichen Interesse gelegen ist. Zu dieser selbstständig zu prüfenden Voraussetzung einer Unterschutzstellung enthält der angefochtene Bescheid keine hinreichende und fallbezogene Begründung.
Die belangte Behörde hat dazu ausgeführt, die Abrücke sei ein "Dokument" der Entwicklung des Eisenbahnbrückenbaues und ein technisch wie ästhetisch anspruchvolles Werk bzw. "Dokument der Ingenieurkunst". Diese allgemeinen Formulierungen enthalten keine Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung der Abrücke im Sinne des § 1 Abs. 2 DMSG; die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes finden zufolge Abs. 1 erster Satz leg. cit. aber auf "Denkmale" nur Anwendung, wenn ihre Erhaltung dieser Bedeutung wegen im öffentlichen Interesse gelegen ist. Der Hinweis im angefochtenen Bescheid auf die allgemeine Bedeutung der Entwicklung des Eisenbahnwesens vermag dazu nichts Entscheidendes beizutragen bzw. blieb derart unbegründet, warum an einer Erhaltung von "Zeugnissen dieser Entwicklung" schlechterdings öffentliches Interesse bestehen soll, und im Besonderen die Abrücke "als Repräsentant" angesehen wird.
Die Beschwerdeführerin hat konkret vorgebracht, entlang der Tauernbahn seien Brücken in ausreichender Vielzahl und gleicher Qualität vorhanden, weil diese Brücken in Serienfertigung erzeugt worden seien. Der angefochtene Bescheid enthält dazu keine Feststellungen. In ihrer Gegenschrift ist die belangte Behörde diesem Argument mit der Behauptung entgegengetreten, es sei das öffentliche Interesse an der Erhaltung der Brücke "keineswegs deshalb angenommen worden, weil es sich um die 'einzige' oder 'letzte' Eisenfachwerkbrücke in Österreich oder an der gegenständlichen Strecke handle".
Damit hat die belangte Behörde zu erkennen gegeben, dass ihre Argumentation, die Abrücke sei als "Repräsentant" anzusehen, sachverhaltsmäßig nicht zutrifft und nicht aufrecht erhalten wird. Der angefochtene Bescheid enthält keine ausreichende Begründung bzw. ist die belangte Behörde nicht konkret darauf eingegangen, warum die Erhaltung der Abrücke im öffentlichen Interesse gelegen ist.
Das DMSG in der hier anzuwendenden Fassung enthält allerdings in § 1 Abs. 2 (wie den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, im Bestreben, eine als "nicht befriedigend" angesehene Rechtslage zu verbessern) nunmehr eine Umschreibung der Kriterien, bei deren Vorliegen die Erhaltung als im öffentlichen Interesse gelegen festgestellt werden kann. Hiezu gehören die Einmaligkeit oder Seltenheit genauso wie der Umstand, dass ein Denkmal über ähnliche Objekte seiner Bedeutung deutlich hinausragt oder ein besonderes oder gut erhaltenes Beispiel einer Art darstellt (vgl. die Erläuterungen der Regierungsvorlage zur DMSG-Novelle 1999, 1769 BlgNR 20.GP, 35). Welche derartige Umstände für ein öffentliches Interesse an der Erhaltung der Abrücke wichtig (maßgebend) sind, hätte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid näher begründen und fallbezogen darlegen müssen (vgl. zu konkreten Auseinandersetzungen mit dem öffentlichen Interesse etwa die hg. Erkenntnisse vom 15. September 2004, Zl. 2001/09/0126, und vom 3. Juni 2004, Zl. 2002/09/0134)
Der angefochtene Bescheid war daher schon aus den dargelegten Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der gemäß § 49 Abs. 1 VwGG festgesetzte Pauschbetrag die von der Beschwerdeführerin zu Unrecht verzeichnete Umsatzsteuer deckt.
Wien, am 6. April 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2002090160.X00Im RIS seit
10.05.2005