Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachout als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Pichler, Dr. Bauer, Dr. Hager und Dr. Wurzinger als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann I*****, vertreten durch Dr. Johannes Waldbauer, Rechtsanwalt in Kufstein, wider die beklagte Partei Gemeinde K*****, vertreten durch Dr. Anton Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 38.944,76 samt Anhang und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 7. Juli 1970, GZ 1 R 135/70-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. April 1970, GZ 8 Cg 817/68-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 1.426,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 24. 6. 1967 gegen 23,30 Uhr kam der Kläger mit seinem Moped auf der Gemeindestraße im Gebiet der Gemeinde K***** zum Sturz. Er begehrte aus diesem Grund von der Beklagten den Ersatz seines Schadens in Höhe von S 45.004,92 samt Anhang. Außerdem begehrte er die Feststellung, daß die Beklagte auch für seinen künftigen Schaden ersatzpflichtig sei.
Das Erstgericht sprach dem Kläger S 38.944,76 samt Anhang zu, wies das Mehrbegehren von S 6.060,16 ab und gab dem Feststellungsbegehren statt. Es stellte fest: Die asphaltierte Gemeindestraße wies am rechten Fahrbahnrand in der Fahrtrichtung des Klägers ein Schlagloch auf, das eine Ausdehnung von circa 70 cm x 70 cm und eine Tiefe von circa 8 cm hatte. Der Kläger fuhr auf der rechten Straßenseite mit eingeschaltetem Scheinwerfer und mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 30 km/h. Das Schlagloch bemerkte er erst zu einem Zeitpunkt, als es für eine zweckdienliche Reaktion bereits zu spät war. Er geriet mit dem Moped in das Schlagloch, verlor die Herrschaft über das Fahrzeug und prallte gegen eine am linken Straßenrand stehende Zaunsäule. Die Straße war asphaltiert und sonst in gutem Zustand. Sie wird von den Bewohnern von H***** stark benutzt. In der Fahrtrichtung des Klägers war eine leichte Rechtskurve. Das Schlagloch stammte noch vom Vorjahr. Es war bei der im Frühjahr durchgeführten Instandsetzung der Straße nicht ausgebessert worden, weil damals dort wegen der schattigen Lage noch Schnee und Eis lag. Die Beklagte hat insgesamt circa 60 km Gemeindestraßen- und Wege zu erhalten. Planmäßige Kontrollen werden nicht durchgeführt, doch erfolgt eine gewisse Überwachung in der Form, daß die in den verschiedenen Fraktionen der Gemeinde wohnhaften Gemeindebediensteten schadhafte Stellen melden. Die Beklagte hat einen Bauhof. Dessen Leiter und der Bürgermeister der Gemeinde befahren gelegentlich mit dem Fahrrad die Gemeindestraßen, um schadhafte Stellen festzustellen. Außerdem sind bei der Beklagten zwei Kraftfahrer beschäftigt, die mit ihren Kraftfahrzeugen hauptsächlich auf den Gemeindestraßen- und Wegen unterwegs sind und in erster Linie über schadhafte Stellen der Gemeindestraßen berichten. Das Erstgericht war der Ansicht, der Beklagten falle grobfahrlässige Vernachlässigung der ihr gemäß § 34 des Tiroler Straßengesetzes, LGBl Nr 1/1951, obliegenden Verpflichtung zur Last, die innerhalb ihres Gemeindegebietes befindlichen Gemeindestraßen entsprechend ihrer Benützungsweise und dem Verkehrsbedürfnis in einem für die Sicherheit des Verkehres gefahrlosen Zustand zu erhalten. Sie sei daher gemäß den Bestimmungen der §§ 41, 34 und 12 dieses Gesetzes dem Kläger schadenersatzpflichtig. Ein Mitverschulden des Klägers könne nicht angenommen werden. Auf Grund des Sachverständigengutachtens stehe fest, daß der Kläger bei Nacht trotz der Fahrzeugbeleuchtung das Schlagloch und insbesondere dessen ungewöhnliche Tiefe nicht rechtzeitig habe erkennen können. Hinsichtlich der Unfallsfolgen stellte das Erstgericht fest: Der Kläger erlitt einen Bruch des linken Ober- und Unterkiefers, einen Bruch des Nasenbeines und Rißquetschwunden an der Oberlippe und an der linken Wange. Er war zunächst im Krankenhaus Wörgl, von wo er am 3. 7. 1967 in die Innsbrucker Universitätsklinik überwiesen wurde. Dort befand er sich bis 21. 7. 1967 in stationärer Behandlung. Der Unterkiefer, aus dem drei Zähne ausgeschlagen wurden, wurde mit einer Drahtschlinge fixiert und am Oberkiefer befestigt, um eine richtige Einstellung der Kiefer zu bewirken. Bei einer nach Entlassung aus dem Krankenhaus am 21. 8. 1967 durchgeführten Kontrolluntersuchung wurde die Unterkieferschiene entfernt. Die ausgeschlagenen Zähne wurden durch eine Brücke ersetzt. Nach der operativen Versorgung des Nasenbeinbruches verblieb eine vom rechten Augenwinkel über den Nasensattel zum linken Augenwinkel führende Narbe. Auch die Rißquetschwunden an der Ober- und Unterlippe sind mit Narbenbildungen abgeheilt. Der Kläger hatte starke Schmerzen in der Dauer von 14 Tagen, mittelstarke Schmerzen in der Dauer von drei Wochen und leichte Schmerzen in der Dauer von drei Monaten. Er war bis 22. 10. 1967 im Krankenstand. Die Reparatur des Mopeds kostete S 3.373,60. Für die Zahnbrücke mußte der Kläger zu den Leistungen der Krankenkassa zusätzlich S 1.650,-- aus eigenem aufwenden. Der Verdienst während der Zeit des Krankenstandes hätte DM 2.222,82 netto betragen. Das Krankengeld während dieser Zeit belief sich auf DM 1.528,92, sodaß der Verdienstentgang DM 693,90, das sind S 4.440,96, ausmacht. Von diesem Betrag hat die Haushaltsersparnis von S 20,-- für die Dauer von 26 Tagen, das sind S 520,--, in Abzug zu kommen, sodaß ein zu ersetzender Verdienstentgang von S 3.920,96 verbleibt. Das Erstgericht hielt ein Schmerzengeld von S 30.000,- für angemessen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil der ersten Instanz. Das Urteil des Berufungsgerichtes bekämpft die Beklagte aus den Revisionsgründen des § 503 Z 3 und 4 ZPO. Sie stellt den Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde, oder das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht gerechtfertigt.
Die Beklagte wendet sich gegen die Ansicht der Vorinstanzen, daß ihr grobfahrlässige Vernachlässigung der Verpflichtung zur Instandhaltung der in ihrem Gemeindegebiet gelegenen Gemeindestraßen zur Last falle. Von einer ungewöhnlichen und auffallenden Sorglosigkeit, wie sie zur Annahme einer groben Fahrlässigkeit erforderlich wäre, könne nicht gesprochen werden. Sie sei um die Erhaltung der Gemeindestraßen sehr bemüht, führe laufend Kontrollen des Straßenzustandes durch und habe auch die Frühjahrsinstandsetzung sehr zeitig in Angriff genommen. Dazu komme, daß das gegenständliche Straßenstück ziemlich neu sei und noch keine Reparaturstellen aufgewiesen habe, daß dort ein Fahrverbot für Lastkraftwagen bestehe und daß auch der sonstige Fahrzeugverkehr nur gering sei. Mit einem sehr plötzlich auftretenden und sich schnell ausbreitenden Schlagloch habe sie nicht rechnen brauchen. Die Unterstellung der Beklagten, es habe sich um ein sehr plötzlich aufgetretenes und sich schnell ausbreitendes Schlagloch gehandelt, ist durch die Feststellungen der Vorinstanzen nicht gedeckt. Festgestellt wurde vielmehr, daß es sich um ein bereits aus dem Vorjahr stammendes Schlagloch handelte, das zur Zeit der im Frühjahr durchgeführten Instandsetzungsarbeiten wegen der schattigen Lage noch mit Schnee und Eis bedeckt war. Angesichts des von der Schneeschmelze bis zum Unfallstag in der letzten Juniwoche liegenden nicht unbeträchtlichen Zeitraumes kann nicht von einem plötzlichen Auftreten des Schlagloches gesprochen werden. Die Beklagte hätte sich nach dem Schmelzen des letzten Schnees um die zur Zeit der Frühjahrsinstandsetzung noch nicht schneefreien Straßenstellen besonders kümmern müssen. Daß sich ein einmal entstandenes Schlagloch im Laufe der Zeit vergrößert, ist eine Erfahrungstatsache, mit der auch die Beklagte rechnen mußte. Wenn das gegenständliche Schlagloch trotz der fallweisen Kontrollen unentdeckt bleibt, so kann dies nur damit erklärt werden, daß die Kontrollen nicht mit der erforderlichen Aufmerksamkeit durchgeführt wurden. Dadurch, daß die Straße sonst in gutem Zustand war, wurde die Gefährlichkeit der gegenständlichen Schadenstelle eher erhöht, weil in gutem Zustand befindliche Straßen auch mit einer entsprechenden Geschwindigkeit befahren werden und weil auf solchen Straßen nicht von vornherein mit gefährlichen Schadenstellen gerechnet wird. Von einem unbedeutenden Gemeindestraßenstück kann angesichts der Feststellung, daß die Straße von den Bewohnern von H***** stark befahren wird, nicht gesprochen werden. Daß ein einspuriges Kraftfahrzeug besonders in der Dunkelheit leicht in ein solches Schlagloch geraten und zu Sturz kommen kann, war ohne weiters vorauszusehen. Die rechtzeitige Behebung der Schadenstelle wäre daher im Interesse der Hintanhaltung leicht vermeidbarer Unfälle dringend geboten gewesen. Die Beklagte wäre auch bei den Möglichkeiten, die ihr nach den Feststellungen der Vorinstanzen zur Verfügung standen, ohne weiteres in der Lage gewesen, die gegenständliche Schadenstelle rechtzeitig ausfindig zu machen und zu beheben. Bei Berücksichtigung aller dieser Umstände kann die Ansicht der Vorinstanzen, die Nichtbehebung der Schadensstelle sei als grobfahrlässige Vernachlässigung der in den oben angeführten Gesetzesstellen festgelegten Verpflichtung zu beurteilen, die Gemeindestraßen in einem für die Sicherheit des Verkehrs gefahrlosen Zustand zu erhalten, nicht als rechtswidrig angesehen werden.
Den Vorinstanzen kann auch darin gefolgt werden, daß dem Kläger ein Mitverschulden nicht angelastet werden kann. Derartige unvermutet auftretende Schadensstellen auf einer sonst in gutem Zustand befindlichen Straße werden auch bei Anwendung der im Straßenverkehr gebotenen Aufmerksamkeit erfahrungsgemäß nicht rechtzeitig erkannt. Ein jähes Verreißen war jedenfalls bei einem einspurigen Kraftfahrzeug nicht zumutbar. Daß die Geschwindigkeit von 30 km/h von vornherein überhöht war, kann angesichts des Umstandes, daß die Straße sonst in gutem Zustand und der Verlauf der Kurve flach war, nicht gesagt werden.
Was die Höhe des Schadens anlangt, so versucht die Beklagte darzutun, es hätte vom Verdienstentgang eine Haushaltsersparnis für 50 Tage und nicht bloß für 28 Tage in Abzug gebracht werden müssen. Sie bezeichnet die Annahme der Vorinstanzen, die stationäre Behandlung des Klägers habe bloß 28 Tage betragen, als aktenwidrig. Tatsächlich sei der Kläger 50 Tage in stationärer Behandlung gewesen. Daß die Vorinstanzen bei der Feststellung der Dauer des Krankenhausaufenthaltes von aktenwidrigen Annahmen ausgegangen wären, kann jedoch nicht gesagt werden. Es handelt sich um die Würdigung von Beweisergebnissen, die den Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nicht herzustellen vermag.
Als aktenwidrig wird auch die Feststellung bezeichnet, der Kläger sei bis 23. 10. 1967 im Krankenstand und arbeitsunfähig gewesen. Die Beklagte wies auf einen Befund des ärztlichen Sachverständigen hin, wonach der Kläger nur bis 24. 9. 1967 arbeitsunfähig gewesen sein soll. Auch in diesem Belange handelt es sich aber nicht um eine auf aktenwidrigen Annahmen beruhende Ermittlung der Dauer der Arbeitsunfähigkeit, sondern um die Würdigung von ihrem Inhalte nach richtig dargestellten Beweisergebnissen, bei welcher Würdigung auch auf den von der Beklagten in der Revision angeführten Befund des ärztlichen Sachverständigen Bedacht genommen wurde. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Was das Schmerzengeld anlangt, so glaubt die Beklagte, daß anstelle des von den Vorinstanzen als angemessen angesehenen Betrages von S 30.000,-- nur ein Betrag von S 20.000,-- zuzusprechen gewesen wäre. Bei Bedachtnahme auf die Art der Verletzung, auf die Schwere und Dauer der damit verbundenen Schmerzen und Beschwerden und auf die in dem Verlust dreier Zähne und Verbleiben mehrerer Narben im Gesicht weiter andauernden Unfallsfolgen kann das von den Vorinstanzen festgestellte Schmerzengeld nicht als unangemessen hoch angesehen werden. Ein Anlaß zur Herabsetzung des Schmerzengeldes liegt nicht vor.
Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E73517 2Ob436.70European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1970:0020OB00436.7.1216.000Dokumentnummer
JJT_19701216_OGH0002_0020OB00436_7000000_000