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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BGBlG 1996 §2 Abs2 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde der G GmbH in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilferstraße 49, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Wien des Arbeitsmarktservice vom 8. Mai 2002, Zl. 10/13117/ ABA 121 1993/2002, betreffend Verlängerung einer Praktikantenbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Antrag vom 3. April 2002 an die regionale Geschäftsstelle W des Arbeitsmarktservice begehrte die beschwerdeführende GmbH die Verlängerung der Zulassung des ungarischen Staatsbürgers I als Praktikant nach dem Praktikantenabkommen zwischen Österreich und Ungarn, BGBl. III Nr. 27/1998, und gab zur Begründung u.a. an, dass mit dem Praktikum die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Monteurs und Schweißers erworben werden sollen. Bisher sei der angeführte ungarische Staatsbürger vom 28. Mai 2001 bis zum 1. Mai 2002 bei der Beschwerdeführerin beschäftigt gewesen. Der Antrag wurde auch vom angeführten ungarischen Staatsbürger unterfertigt.
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle Wien des Arbeitsmarktservice vom 10. April 2002 wurde der Antrag gemäß Art. 2 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Ungarn über den Austausch von Arbeitnehmern zur Erweiterung der beruflichen und sprachlichen Kenntnisse (Praktikantenabkommen), BGBl. III Nr. 27/1998, abgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Überprüfung der derzeitigen Lage auf dem verfahrensgegenständlichen Arbeitsmarkt ergeben habe, dass in Wien 78 Arbeitskräfte für die berufliche Tätigkeit des Schweißers zur Verfügung stünden.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie im Wesentlichen ausführte, dass ihr hinsichtlich des Erhebungsergebnisses der Behörde erster Instanz, es stünden geeignete Ersatzkräfte zur Verfügung, kein Parteiengehör eingeräumt worden sei. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte sich herausgestellt, dass von der Beschwerdeführerin ständig Schweißer nachgefragt würden und die vermittelten Schweißer niemals das geforderte Anforderungsprofil aufgewiesen bzw. den Anforderungen der Beschwerdeführerin nicht entsprochen hätten. Herr C sei nicht nur ein ausgezeichneter Schweißer auf allen von der Beschwerdeführerin erforderlichen Gebieten (Autogen, Wig und Elektro), er sei darüber hinaus auch als Partieführer einsetzbar. Seine Qualifikationen überstiegen daher sämtliche, bis dato vermittelten Arbeitskräfte, die auch nicht einmal die oben bezeichneten Qualitäten als Schweißer hätten aufweisen können.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Landesgeschäftsstelle Wien des Arbeitsmarktservice vom 8. Mai 2002 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG i. V.m. Art. 2 Abs. 1 des angeführten Praktikantenabkommens sowie gemäß § 4 Abs. 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975 (AuslBG), keine Folge gegeben und der Bescheid der Behörde erster Instanz bestätigt. Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass gemäß Art. 2 Abs. 1 des anzuwendenden Praktikantenabkommens bei Verlängerungsanträgen die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zu prüfen sei. Die Behörde erster Instanz habe festgestellt, dass für die beantragte Tätigkeit "Monteur, Schweißer" beim Arbeitsmarktservice Wien 78 Arbeitssuchende (Ersatzkräfte) für diese Tätigkeit in Vermittlungsvormerkung stünden. Die Beschwerdeführerin habe in ihrer Berufung keine Umstände vorgebracht, die geeignet wären, eine Änderung des Sachverhaltes herbeizuführen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit erstattete ebenfalls eine Stellungnahme.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Abkommens zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Ungarn über den Austausch von Arbeitnehmern zur Erweiterung der beruflichen und sprachlichen Kenntnisse (Praktikantenabkommen), BGBl. III Nr. 27/1998, Abkommen vom 26. März 1997, lauten:
"Artikel 1
(1) Praktikanten im Sinne dieses Abkommen sind Arbeitnehmer, die
a) Staatsbürger der Republik Österreich mit Wohnsitz
in der Republik Österreich oder Staatsbürger der Republik Ungarn
mit Wohnsitz in der Republik Ungarn sind,
b) eine Berufsausbildung besitzen oder über
vergleichbare berufliche Fertigkeiten verfügen,
c) zur Vervollkommnung ihrer Berufs- und
Sprachkenntnisse eine vorübergehende Beschäftigung im anderen
Staat ausüben und
d) bei Aufnahme der Beschäftigung nicht jünger als 18
und nicht älter als 35 Jahre sind.
(2) Die zuständigen Stellen für die Durchführung dieses
Abkommens (weiter 'zuständige Stellen' genannt) sind:
a) auf ungarischer Seite:
das Arbeitsministerium der Republik Ungarn;
b) auf österreichischer Seite:
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales der Republik Österreich.
(3) Die zuständigen Stellen der Vertragsparteien können nachgeordnete Dienststellen zur Durchführung dieses Abkommens ermächtigen.
(4) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales der Republik Österreich und das Arbeitsministerium der Republik Ungarn arbeiten bei der Durchführung dieses Abkommens eng zusammen. Zur Erörterung von Fragen, die mit der Durchführung dieses Abkommens zusammenhängen, wird eine gemischte österreichisch-ungarische Kommission eingesetzt, welche aus je fünf Mitgliedern eines jeden Vertragsstaates besteht. Dieser Kommission gehören auch Vertreter der jeweiligen Interessensvertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer an. Die Kommission tritt mindestens einmal im Jahr auf Antrag einer Vertragspartei abwechselnd in der Republik Österreich und in der Republik Ungarn zusammen.
Artikel 2
(1) Die Dauer der Beschäftigung als Praktikant richtet sich nach den Erfordernissen der angestrebten Ausbildung. Sie beträgt mindestens sechs Monate und höchstens ein Jahr, kann jedoch, sofern es die jeweilige Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zulässt, bis zu insgesamt 18 Monaten verlängert werden. Die im Artikel 1 Absatz 4 genannte Kommission kann innerhalb dieses Rahmens für bestimmte Berufe eine Mindest- und Höchstdauer empfehlen.
(2) Sofern ein Beschäftigungsverhältnis vorzeitig beendet wird, bemüht sich die zuständige Stelle des Vertragsstaates, auf dessen Gebiet die Beschäftigung ausgeübt wird, den Praktikanten in ein anderes, gleichwertiges Arbeitsverhältnis zu vermitteln.
(3) Arbeitgeber, die einen Praktikanten auf Grund dieses Abkommens beschäftigen, haben der örtlich zuständigen Stelle unverzüglich Beginn und Ende der Beschäftigung sowie deren wesentliche Lohn- und Arbeitsbedingungen mit Gegenzeichnung des Praktikanten schriftlich zu melden.
Artikel 3
(1) Die Zulassung zur Beschäftigung eines Praktikanten erfolgt durch die zuständige Stelle des Vertragsstaates, in welchem die Beschäftigung ausgeübt werden soll.
(2) Die Beschäftigung eines Praktikanten wird durch einen Arbeitsvertrag gestaltet, den der Arbeitgeber mit dem Praktikanten entsprechend den anzuwendenden Vorschriften des Arbeits- und Sozialrechtes des Vertragsstaates, in dem die Beschäftigung ausgeübt werden soll, abschließt.
(3) Beschäftigungszeiten, die auf Grund einer Zulassung als Praktikant erworben werden, sind auf Beschäftigungszeiten, mit denen auf Grund sonstiger Rechtsvorschriften Berechtigungen zur Ausübung einer Beschäftigung erworben werden, nicht anrechenbar.
(4) Die Zulassung ist zu widerrufen, wenn
a) Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass keine
Beschäftigung nach Maßgabe dieses Abkommens aufgenommen werden
soll, oder
b) keine Gewähr gegeben erscheint, dass bei der
Beschäftigung des Praktikanten die am Ort der Beschäftigung anzuwendenden Lohn- und Arbeitsbedingungen einschließlich der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden.
(5) Die Rechtswirkungen des Widerrufs treten erst mit jenem Zeitpunkt ein, der sich aus den die Rechte des Praktikanten aus dem Arbeitsverhältnis sichernden gesetzlichen Bestimmungen und Normen der kollektiven Rechtsgestaltung ergibt.
Artikel 4
(1) Praktikanten, die nach diesem Abkommen zur Arbeit zugelassen werden können, richten an die für die Durchführung dieses Abkommens zuständige Stelle ihres Staates ein Vermittlungsgesuch. Die Regeln über das Verfahren im Zusammenhang mit der Ausstellung der Praktikantenbewilligungen werden von den zuständigen Stellen in einer Verfahrensordnung festgelegt und nach Bedarf periodisch überprüft.
(2) Die zuständigen Stellen der Vertragsparteien fördern den Austausch und bemühen sich, eine geeignete Beschäftigung für die Praktikanten zu finden; sie teilen die Ergebnisse ihrer Bemühungen der zuständigen Stelle der jeweils anderen Vertragspartei mit.
Artikel 5
Auf die Beschäftigung eines Praktikanten sind sämtliche Bestimmungen des Arbeitsvertragsrechtes, des Arbeitnehmerschutzrechtes einschließlich der besonderen Rechtsvorschriften über die Beschäftigung von Jugendlichen, des Arbeits- und Betriebsverfassungsrechtes sowie der kollektiven Rechtsgestaltung auf dem Gebiet des Arbeitsrechtes und sämtliche sozialversicherungsrechtliche Vorschriften des Vertragsstaates, in dem der Praktikant die Beschäftigung ausübt, anzuwenden."
Das Abkommen wurde vom Nationalrat gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG als gesetzesergänzender Staatsvertrag in die österreichische Rechtsordnung transformiert. Die angeführten Bestimmungen sind auch im Hinblick darauf, dass sie sowohl nach dem Willen der Vertragsparteien auf die Anwendung des Vertrages durch Gerichte und Verwaltungsbehörden ohne Einschaltung staatlicher Rechtsetzung gerichtet sind, als auch in objektiver Hinsicht geeignet sind, angesichts ihrer ausreichend präzisen Formulierung innerstaatlich unmittelbar angewendet zu werden, unmittelbar anzuwenden (vgl. dazu in allgemeiner Hinsicht das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. März 1990, VfSlg. 12.281). Ein Beschluss gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG wurde nicht gefasst.
Art. 3 Abs. 1 des Abkommens sieht die Zulassung zur Beschäftigung eines Praktikanten "durch die zuständige Stelle des Vertragsstaates" vor. Als "zuständige Stelle" auf österreichischer Seite ist gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. b des Abkommens "das Bundesministerium für Arbeit und Soziales der Republik Österreich" angeführt.
Voraussetzung für die Zuständigkeit der im vorliegenden Fall eingeschrittenen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice wäre eine Ermächtigung durch den angeführten Bundesminister. Da es hier um die Festsetzung von gesetzlichen Zuständigkeiten geht, hätte eine solche generelle Ermächtigung in Form einer Verordnung zu ergehen (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 11. Februar 1992, Zl. 91/11/0049, VwSlg 13.576/A, vom 21. Mai 1992, Zl. 91/09/0238, und vom 17. Juni 1998, Zl. 98/03/0018, sowie etwa Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage 1996, 334). Eine solche Verordnung wurde jedoch nicht erlassen. Zwar sieht eine - vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegte - Verfahrensordnung zur Durchführung des Abkommens in der Fassung vom 1. April 1998 (vgl. Art. 4 Abs. 1 zweiter Satz des Abkommens) in ihrem Pkt. I. 1.3. c) die Zuständigkeit der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice zur Entscheidung über Anträge als Zulassung als ungarischer Praktikant in Österreich vor. Dieser Bestimmung kann aber eine zuständigkeitsbegründende Wirkung jedenfalls mangels Kundmachung nicht beigemessen werden.
Die belangte Behörde hat somit verkannt, dass der vor ihr mit Berufung angefochtene Bescheid von einer unzuständigen Behörde erlassen war, dies belastet den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 6. April 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2002090125.X00Im RIS seit
02.05.2005Zuletzt aktualisiert am
18.12.2012