TE OGH 1971/3/11 1Ob48/71

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Veröffentlicht am 11.03.1971
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Norm

JN §45 Abs1
JN §104

Kopf

SZ 44/31

Spruch

Die Rechtsmittelbeschränkung des § 45 Abs 1 JN gilt nicht, wenn die sachliche Zuständigkeit wegen einer ihr entgegenstehenden Zuständigkeitsvereinbarung bekämpft wird

OGH 11. 3. 1971, 1 Ob 48/71 (OLG Graz 1 R 155/70; LGZ Graz 12 Cg 251/70)

Text

Am 15. 3. 1963 schlossen die Parteien einen Mietvertrag, auf Grund dessen der Kläger vom Beklagten mittels einer beim Landesgericht für ZRS Graz eingebrachten Klage die Bezahlung eines Betrages von S41.895.- sA, um den der seinerzeit vereinbarte monatliche Mietzins von S 2500.- auf Grund einer vereinbarten Wertsicherungsklausel erhöht worden sein soll, begehrt. Der Mietvertrag enthielt folgende Gerichtsstandvereinbarung: "Für den Fall von Streitigkeiten aus diesem Vertrag unterwerfen sich die Vertragsteile ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwertes dem Gerichtsstand des zuständigen Bezirksgerichtes."

Bei der ersten Tagsatzung erhob der Beklagte unter Berufung auf die zitierte Gerichtsstandvereinbarung die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des Landesgerichtes für ZRS Graz.

Das Erstgericht verwarf diese Einrede, da die Vereinbarung nach § 104 JN im Zweifel nur einen Wahlgerichtsstand begrunde; die Parteienabsicht, dem vereinbarten Gerichtsstand Ausschließlichkeit zu verleihen, müsse aus der Vereinbarung hervorgehen, was jedoch nicht der Fall sei.

Das Rekursgericht änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß es die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes zurückwies. Eine nähere Betrachtung der Gerichtsstandvereinbarung, in der die Worte "ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwertes" und "unterwerfen sich die Vertragsteile" enthalten seien, ergebe, daß jedenfalls die sachliche Zuständigkeit ausschließlich geregelt werden sollte.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Klägers Folge und änderte den zweitinstanzlichen Beschluß dahin ab, daß der erstgerichtliche Beschluß wiederhergestellt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Oberste Gerichtshof hatte sich zunächst mit der Frage zu befassen, ob das Rekursgericht überhaupt zur sachlichen Erledigung des Rekurses des Beklagten berechtigt war, da gemäß § 45 Abs 1 JN Entscheidungen eines Gerichtshofes erster Instanz über seine sachliche Zuständigkeit nicht deswegen angefochten werden können, weil für die Rechtssache die Zuständigkeit eines Bezirksgerichtes begrundet sei. Fasching I 284 Anm 3 zu § 45 JN und Neumann[4] 107 FN 2 vertreten die Auffassung, daß es hiebei gleichgültig sei, ob der seine Zuständigkeit bejahende Gerichtshof erster Instanz die Annahme seiner Zuständigkeit auf einen gesetzlichen Zuständigkeitstatbestand oder auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer Gerichtsstandvereinbarung stützt; hingegen meint Fasching aaO, die Bestimmung des § 45 Abs 1 JN sei nicht anwendbar, wenn die Zuständigkeit eines Schiedsgerichtes eingewendet worden sei. Die Rechtsprechung schwankt. Zunächst vertrat sie die Auffassung, die Bestimmung des § 45 Abs 1 JN gelte auch dann, wenn die Zuständigkeit eines von den Parteien vereinbarten Schiedsgerichtes behauptet werde, weil das Gesetz diesen Fall nicht besonders behandle, die Schiedsgerichtsbarkeit keine unheilbare Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichtes begrunde und das Motiv der Einschränkung des Rechtszuges in gleicher Weise auch in diesem Fall zutreffe (EvBl 1938 II/42; 1 Ob 279/55; 1 Ob 295/55; 1 Ob 328/55). Die neuere Rechtsprechung ist hingegen seit der eingehend begrundeten Entscheidung 3 Ob 338/57 EvBl 1957/338 gegenteilig (1 Ob 98/61; 4 Ob 517/67). Die Entscheidung EvBl 1957/338, die ebenfalls die Erledigung einer Einrede der sachlichen Unzuständigkeit wegen Vorliegens eines Schiedsvertrages betraf, begrundete dabei, wie dem Rekursgerichte beizupflichten ist, ihre Rechtsauffassung ua auch damit, daß § 45 Abs 1 JN umso weniger auf Fälle dieser Art angewendet werden könne, weil der Oberste Gerichtshof in Abgehen von einer älteren Entscheidung sogar den Standpunkt vertrete, daß § 45 Abs 1 JN sich überhaupt nur auf Fälle beziehe, in denen die gesetzliche Zuständigkeit strittig sei, nicht aber auf Fälle, in denen die Parteien ein bestimmtes Gericht ausdrücklich nach § 104 JN prorogiert haben. (Dieser Satz wurde auch unter Nr 1 zu § 45 JN von Stagel- Michlmayr in GMA ZPO[2] zitiert). Der Oberste Gerichtshof berief sich hiebei allerdings nur auf die Entscheidung 3 Ob 229/57, die einen Exekutionshemmungsbeschluß nach § 524 Abs 2 ZPO betraf. In dieser vom 29. 5. 1957 stammenden Entscheidung wurde erwähnt, daß der Entscheidung über einen im Titelverfahren ergriffenen Revisionsrekurs nicht vorgegriffen werden dürfe, da die Überlegung, daß § JN nur die gesetzlichen Bestimmungen über die sachliche Zuständigkeit und nicht die Prüfung vertraglicher Vereinbarungen über die Zuständigkeit der Gerichte gemäß § 104 JN im Auge haben dürfte, die Möglichkeit einer anderen als der von der dortigen betreibenden Partei vertretenen Auffassung ergebe. Tatsächlich hatte der Oberste Gerichtshof, nachdem das Rekursgericht eine auf eine in einem Kaufvertrag getroffene Vereinbarung der Zuständigkeit eines Bezirksgerichtes gestützte Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtshofes erster Instanz verworfen hatte, allerdings bereits zuvor (am 3. 4. 1957) über den erwähnten Revisionsrekurs zu 3 Ob 44/57 sachlich entschieden und ihm Folge gegeben, obwohl es seit dem Spruchrepertorium 265 alt ständige Rechtsprechung (so zuletzt zB SZ 40/102) ist, daß eine die Zuständigkeit des Gerichtshofes bejahende Entscheidung auch dann unanfechtbar ist, wenn sie in erster Instanz erging. Die in der Entscheidung 3 Ob 44/57 implicite erfolgte Bejahung der Anfechtbarkeit hielt der zur Entscheidung EvBl 1957/338 erkennende Senat 3 offenbar immer noch für richtig. Es kann daher gesagt werden, daß die neuere Rechtsprechung einer einschränkenden Auslegung des § 45 Abs 1 JN zuneigt. Das Wort "begrundet" im § 45 Abs 1 JN kann auch durchaus so verstanden werden, daß das Gesetz mit dieser Bestimmung nur die gesetzliche Zuständigkeit des Gerichtshofes erster Instanz im Auge hatte, es also nur seine eigene Zuständigkeitsregelung nicht für so wesentlich hielt, daß es nicht auch eine falsche Zuständigkeitsentscheidung des Gerichtshofes erster Instanz in Kauf genommen hätte. Daraus ist aber noch keineswegs zu schließen, daß das Gesetz dies auch für Parteienvereinbarungen statuieren wollte. Da eine Zuständigkeitsvereinbarung der Parteien nach § 104 JN deren Interessen in viel weitergehendem Maße berührt als die Mißachtung einer gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmung durch den Kläger - insbesondere wenn, was im vorliegenden Fall allerdings nicht zuzutreffen scheint, die Parteien Wert darauf gelegt haben sollten, allenfalls ohne Rechtsanwälte prozessieren zu können -, die Eröffnung einer Anfechtbarkeit einer bejahenden Zuständigkeitsentscheidung des Gerichtshofes erster Instanz in einem solchen Falle also durchaus nahe liegt, schließt sich der erkennende Senat der der Entscheidung 3 Ob 44/57 zugrunde liegenden und in der Entscheidung EvBl 1957/338 formulierten Rechtsansicht des Rekursgerichtes, soweit es die Entscheidung des Erstgerichtes für anfechtbar hielt, an. Die seine Zuständigkeit bejahende Entscheidung des Gerichtshofes erster Instanz über eine auf eine Gerichtsstandvereinbarung gestützte Unzuständigkeitseinrede ist dann aber auch anfechtbar, wenn es strittig ist, inwieweit eine solche Vereinbarung im konkreten Falle die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtshofes ausschließt. Dem Kläger steht dann auch das Recht zu, die abändernde Entscheidung des Rekursgerichtes anzufechten.

Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Die Untergerichte haben richtig dargelegt, daß nach herrschender Lehre und Rechtsprechung (EvBl 1970/230 und die dort zitierte weitere Judikatur und Literatur; EvBl 1968/160) eine Gerichtsstandvereinbarung, die nach den Auslegungsregeln des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches nur aus der hierüber errichteten Urkunde, nicht aber auf Grund anderer Beweismittel beurteilt werden darf (EvBl 1957/ 386 ua; Fasching I 502, Anm 7 zu § 104 JN), im Zweifel nur einen Wahlgerichtsstand schafft; einen ausschließlichen Gerichtsstand begrundet eine Vereinbarung nach § 104 JN also nur dann, wenn dies ausdrücklich so festgelegt wurde; dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn in der Vereinbarung das Wort "ausschließlich" oder zumindest das Wort "ausdrücklich" gebraucht wurde (EvBl 1960/259; vgl EvBl 1968/160). Hingegen kann eine solche Ausschließlichkeitsvereinbarung selbst dann noch nicht angenommen werden, wenn für "alle" ("jeden") aus dem Schuldverhältnis entspringenden Streitigkeiten ein bestimmtes Gericht vereinbart wurde (EvBl 1970/230; vgl RZ 1955, 127). Es genügt daher nicht, daß die Parteien verabredeten, sich der Gerichtsbarkeit eines bestimmten Gerichtes zu "unterwerfen" (EvBl 1970/230; SZ 19/228), ebensowenig aber auch, daß das Bezirksgericht "ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwertes" zuständig sein solle (SZ 19/228). Noch weniger kann schließlich, wie es das Rekursgericht ebenfalls zu meinen scheint, aus dem gemeinsamen Wohnsitz der Parteien in Graz etwas für die Annahme der Ausschließlichkeit der Gerichtsstandvereinbarung gewonnen werden. Verbleiben so aber bei Auslegung der Urkunde Zweifel über die Absicht der Parteien, kann nur ein Wahlgerichtsstand als vereinbart angesehen werden.

Richtig hat daher das Erstgericht die vom Beklagten erhobene Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des angerufenen Landesgerichtes ZRS Graz verworfen, so daß dem Revisionsrekurs dahin Folge zu geben ist, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Anmerkung

Z44031

Schlagworte

Rechtsmittelbeschränkung nach § 45 Abs 1 JN bei, Zuständigkeitsvereinbarung, Rekurs, Beschränkung nach § 45 Abs 1 JN bei Zuständigkeitsvereinbarung, Sachliche, Zuständigkeit, Rechtsmittelbeschränkung nach § 45 Abs 1 JN, bei Zuständigkeitsvereinbarung, Zuständigkeit, Rechtsmittelbeschränkung nach § 45 Abs 1 JN bei, Zuständigkeitsvereinbarung, Zuständigkeitsvereinbarung, Rechtsmittelbeschränkung nach § 45 Abs 1 JN

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1971:0010OB00048.71.0311.000

Dokumentnummer

JJT_19710311_OGH0002_0010OB00048_7100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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