Norm
ABGB §1301Kopf
SZ 44/48
Spruch
Kann einer von zwei Schädigern vom Geschädigten nicht in Anspruch genommen werden (§ 333 ASVG), bleibt der andere dem Geschädigten voll verantwortlich, soweit nicht besondere Ausnahmebestimmungen (zB § 1310 ABGB) Platz greifen
OGH 19. 4. 1971, 2 Ob 129/70 (verstärkter Senat) (OLG Graz 2 R 173/69; LGZRS Graz 13 Cg 117/68).
Text
Am 9. 2. 1967 stießen die vom Kläger und von Maximilian D gelenkten Kraftfahrzeuge zusammen. Dabei wurde der im PKW des D mitfahrende Gatte der Beklagten, Walter R, tödlich verletzt. Bei der Fahrt des Walter R mit D handelte es sich um eine Dienstfahrt, wobei D als Aufseher im Betrieb iS des § 333 Abs 4 ASVG anzusehen war. Beide Lenker wurden vom Strafgericht verurteilt.
Der Kläger begehrte mit der am 11. 4. 1968 eingebrachten Klage der Beklagten gegenüber die Feststellung, daß er für alle zukünftigen Schadenersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 9. 2. 1967. die durch den Tod des Walter R entstehen, dem Gründe nach nur zu 40% haftbar sei.
Beide Untergerichte wiesen das Klagebegehren ab.
Das Erstgericht war der Ansicht, daß der eine von zwei Schädigern den Schaden allein zu tragen habe, wenn die Ansprüche gegen den anderen Schädiger gemäß § 333 ASVG ausgeschlossen seien. Der Kläger hafte daher der Beklagten dem Gründe nach zur Gänze; außerdem fehle ihm das Feststellungsinteresse, weil er jedenfalls zu 100% Schadenersatz zu leisten habe.
Das Berufungsgericht meinte, es könne dahingestellt bleiben, ob das rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung gegeben sei, weil das Klagebegehren selbst bei Vorliegen dieses Interesses aus materiellrechtlichen Gründen abzuweisen sei; zunächst schon deshalb, weil ein Verschulden des getöteten Walter R nicht in Betracht komme, sodann deshalb, weil die Witwe vom Kläger den ganzen Schaden ersetzt bekommen müsse, sobald sich die Anteile an der Beschädigung nicht bestimmen ließen. Überdies sei es ständige Rechtsprechung, daß der eine von zwei Schädigern den Schaden allein zu tragen habe, wenn die Ansprüche gegen den anderen Schädiger nach § 333 ASVG ausgeschlossen seien.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Mit Rücksicht darauf, daß der OGH seit jeher erkannt hat, daß seine Judikatur zu §§ 898 f RVO bzw nunmehr § 333 ASVG unter Umständen zu unbilligen Ergebnissen führen kann (vgl zB SZ 27/76, ZVR 1957/9), gegen diese Judikatur, auf die sich das angefochtene Urteil im wesentlichen stützt, in letzter Zeit auch von der Lehre Bedenken vorgebracht wurden (vgl Steininger in der Gedenkschrift für Franz Gschnitzer, 409, insbesondere FN 39), zudem auch in der Bundesrepublik Deutschland bei vergleichbaren sozialversicherungsrechtlicher Lage (§ 636 RVO idF des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes) abweichende Auffassungen vertreten werden (vgl etwa Prölss in VersR 1967, 678; Caemmerer in ZfRV 1968, 96f; Sieg in JZ 1969, 263 f und Helle in NJW 1970, 1917 - beide bei Besprechung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofes), bestand Anlaß, die Richtigkeit der vom OGH bisher vertretenen Auffassung in einem verstärkten Senat zu überprüfen (§ 8 Abs. 1 Z 1 OGHG).
Die Problematik ist keineswegs erst durch die Bestimmungen des ASVG bzw der ihm unmittelbar vorangegangenen RVO entstanden, denn sie geht - wie Caemmerer aaO zutreffend betont - auf das Zusammentreffen zweier grundsätzlich verschiedener Unfallhaftungssysteme zurück; auf der einen Seite steht das System des Sozialversicherungsrechtes, auf der anderen Seite das System des bürgerlichen Rechtes. Diese Problematik reicht in Österreich bis auf das Arbeiterunfallversicherungsgesetz vom 28. 12. 1887, RGBl 1888/1, zurück (§§ 45 ff). Von späteren Gesetzen sind in diesem Zusammenhang besonders das Arbeiterversicherungsgesetz, BGBl 1927/125 (§§ 94 f), das Angestelltenversicherungsgesetz, vor allem seit seiner Novellierung im Jahr 1928, die zur Wiederverlautbarung als Angestelltenversicherungsgesetz 1928, BGBl 1928/232 führte (§ 88), und schließlich das Bundesgesetz betreffend die gewerbliche Sozialversicherung, BGBl 1935/107, zu nennen (§§ 74 ff). Verwiesen sei dazu auch auf die Ausführungen Lenhoffs in den JBl 1935, 265 ff ("Der Einfluß des Gesetzes über die gewerbliche Sozialversicherung auf das Schadenersatzrecht"). Es braucht hier nicht erörtert zu werden, ob und inwieweit diese älteren Vorschriften die beiden in ihren Zielsetzungen und Strukturen so verschiedenen Normenbereiche (bürgerliches Recht einerseits, Sozialversicherungsrecht anderseits) besser und vollständiger aneinanderfügten, als es später in der RVO der Fall war und nun im ASVG der Fall ist, jedenfalls bestehen heute gegen das die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen tragende Prinzip der Haftungsbefreiung des Dienstgebers gewisse Bedenken (vgl auch hiezu Steininger aaO, 394 ff), denen freilich nur der Gesetzgeber Rechnung tragen könnte. Der Rechtsprechung bleibt nur ein sehr geringer Spielraum, um Unbilligkeiten zu vermeiden, die sich aus Unzulänglichkeiten der Gesetzgebung und hier insbesondere daraus ergeben, daß die Vorschriften des Sozialversicherungsrechtes und jene des bürgerlichen Rechtes nicht fugenlos zusammenpassen. Dies folgt zwingend aus den Auslegungsvorschriften der §§ 6 f ABGB. Maßgebend muß dabei die bestmögliche Wahrung der Interessen des Geschädigten sein, der jedenfalls schon nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen (§ 7 ABGB) einen Anspruch auf Ersatz eines ihm widerrechtlich zugefügten Schadens hat, wozu auch gehört, daß ihm die Durchsetzung seines Anspruches nicht durch Aufbürdung eines über das auch in sonstigen Schadenersatzprozessen unvermeidbare Ausmaß hinausgehenden Prozeß- und Kostenrisikos erschwert wird. Es bedarf einer unzweideutigen Vorschrift, wenn dieser Anspruch beeinträchtigt werden soll.
Für den Geschädigten ist ein Fall wie der vorliegende dadurch charakterisiert, daß ihm der Schaden von zwei Schädigern zugefügt wurde. Auszugehen ist daher von der allgemeinen Regelung der §§ 1294 f, 1301 und 1302 ABGB. Die "Verantwortlichkeit" eines jeden der mehreren Teilnehmer an einer Schadenszufügung würde freilich zufolge der Vorschriften der §§ 1294 und 1295 ABGB auch dann eintreten, wenn § 1301 ABGB im Gesetz fehlte (vgl dazu Wolff in Klang[2] VI 53). Gewiß beruht die für den Geschädigten im Vordergrund stehende Bestimmung des § 1302 ABGB auf jener des § 1301, doch stellt letztere ausschließlich auf die Kausalität des rechtswidrigen Verhaltens einer Personenmehrheit ab, unabhängig davon, ob daraus gegen jeden einzelnen der Teilnehmer an der Schadenszufügung auch ein klagbarer Anspruch besteht; es handelt sich dabei im wesentlichen um eine demonstrative Aufzählung von Fällen, in denen der Schaden als (schuldhaft) mitverursacht anzusehen ist (vgl dazu schon Zeiller, Anm 1 zu § 1301 ABGB; Gschnitzer, Lehrbuch, Schuldrecht/Besonderer Teil und Schadenersatz, 165).
Der im 2. Satz des § 1302 ABGB für den Fall der Solidarhaftung mehrerer Teilnehmer normierte Rückgriffsvorbehalt stellt nach Ansicht des OGH eine Entsprechung des § 896 ABGB im Schadenersatzrecht dar, ein Gedanke, der in Lehre und Rechtsprechung bezüglich des Ausmaßes der Ausgleichspflicht der vom Geschädigten selbst nicht in Anspruch genommenen Teilnehmer an der Schadenszufügung schon wiederholt zum Ausdruck kam (vgl dazu Wolff in Klang[1], IV 55, ebenso in Klang[2] aaO 56; Weiß in JBl 1947, 529 ff ("Der Rückgriff im Schadenersatzrecht"), insbesondere 532; Ehrenzweig System[2], II/1, 104 unter III; SZ 26/18). § 896 ABGB gilt auch sonst nicht nur für vertragsmäßige, sondern auch für gesetzliche Korrealität (vgl dazu die bei Kapfer[28] zu § 896 unter Nr 5 sowie in SZ 26/18 angeführte GlUNF 1910); schon GlU 10430 hat für den Regreß eines von mehreren aus einem Delikt solidarisch Haftenden gegen die Mittäter § 896 ABGB angewendet, was offenbar auch Ehrenzweigs Ansicht entspricht, da er sich bei seinen Ausführungen gerade auf GlU 10430 stützt (aaO Anm 36). Offensichtlich entspricht dem auch die Meinung Koziols und Welsers (Grundriß, I 128 und 165).
Nun besagt § 896 ABGB aber in seinem 2. Satz ausdrücklich: "War einer aus ihnen unfähig, sich zu verpflichten, oder ..., so muß ein solcher ausfallender Anteil ebenfalls von allen Mitverpflichteten übernommen werden." Handelt es sich nur um zwei "Solidarschuldner", besagt dies, daß bei "Verpflichtungsunfähigkeit" des einen der vom Gläubiger auf die ganze Verbindlichkeit in Anspruch genommene andere diese Verbindlichkeit doch allein erfüllen muß. Es mag gerade im Vertragsrecht, auf das die Bestimmungen der §§ 888 - 896 ABGB ja an und für sich zugeschnitten sind, deren Hauptanwendungsgebiet dieses also ist (vgl dazu auch Gschnitzer, Schuldrecht/Allgemeiner Teil, 136), schwer vorstellbar sein, wie noch von zwei "Solidarschuldnern" gesprochen werden kann, wenn einer von ihnen als "unfähig, sich zu verpflichten" gilt, doch gibt das Gesetz selbst - wie Gschnitzer in Klang[2], IV/1 314 hervorhebt - im § 1352 ABGB (Bürgschaft für einen Verpflichtungsunfähigen) ein Beispiel, zumal es dort den § 896 ABGB ausdrücklich zitiert. Ob man nun in einem solchen Fall den Bürgen geradezu als "Alleinschuldner-" bezeichnet (vgl Ehrenzweig aaO 110, Wolff, Grundriß[4], 154) oder ihm "wie einen Alleinschuldner" behandelt (vgl Ohmeyer, Klang in Klang[2], VI 218), ist für die hier anzustellenden Erwägungen unerheblich.
Erkennt man nämlich, daß die Regelung des 2. Satzes des § 1302 ABGB nichts anderes als eine Entsprechung des § 896 ABGB im Schadenersatzrecht ist, muß auch der dem 2. Satz des § 896 ABGB zugrunde liegende Rechtsgedanke ins Schadenersatzrecht - mutatis mutandis - übertragen werden. Dies bedeutet, daß in einem Fall, in dem der eine von zwei wegen ihres für den Schaden kausalen rechtswidrigen Verhaltens bei Zutreffen der Voraussetzungen der §§ 1301 und 1302 ABGB an und für sich solidarisch "Verantwortlichen" vom Geschädigten nicht in Anspruch genommen werden kann, weil er als "unfähig, sich zu verpflichten" angesehen werden muß, der andere dem Geschädigten voll verantwortlich bleibt, ohne Regreß nehmen zu können, soweit nicht besondere Ausnahmebestimmungen Platz greifen. Eine solche Ausnahmeregelung ergibt sich zB aus § 1310 ABGB. Geisteskranke und Unmundige sind nach österreichischem Recht zwar nicht notwendig deliktsunfähig, doch kann ihnen unter besonderen, in dieser Gesetzesstelle normierten Voraussetzungen auch im Fall ihrer Deliktsunfähigkeit vom Richter die Verbindlichkeit zu einer Ersatzleistung an den Geschädigten auferlegt werden (vgl dazu Wolff aaO, VI 78). War für die Schädigung ein Deliktsfähiger iS des § 1301 ABGB mitverantwortlich und wurde letzterer zufolge der Bestimmungen des § 1302 ABGB vom Geschädigten in Anspruch genommen, ist auch der Deliktsunfähige so weit regreßpflichtig, als seine Haftung nach § 1310 ABGB reicht (vgl Wolff aaO, 79). Soweit es aber mangels einer derartigen Sonderregelung zufolge der sinngemäßen Anwendung des Rechtsgedankens des 2. Satzes des § 896 ABGB im Schadenersatzrecht beim Ausschluß einer Regreßmöglichkeit bleibt, kann dies nicht zu Lasten des Geschädigten gehen, wie ja auch der Gläubiger im Normalfall des § 896 ABGB voll zum Zug gekommen ist und ihm nicht zugemutet wurde, er müsse - weil der von ihm in Anspruch Genommene nicht Regreß nehmen kann - sich einen Abstrich von seiner Forderung gefallen lassen.
Die für Arbeitsunfälle geltende Bestimmung des § 333 Abs 1 RVO hat nun, soweit die "Ablösefunktion" der Unfallversicherung (vgl dazu ZVR 1964/62 und den dort zitierten Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung, 613 BlgNR 7. GP) wirksam ist und nicht vorsätzliche Verursachung des Arbeitsunfalles für den Schaden kausal war, dem Dienstnehmer den Klageweg gegen den Dienstgeber verschlossen, ohne daß sich deshalb etwas an dessen "Verantwortlichkeit" iS des § 1301 ABGB geändert hätte; auf dieser "Verantwortlichkeit" beruht naturgemäß auch dessen (übrigens nicht auf den Fall vorsätzlicher Schadenszufügung beschränkte, sondern auch den Fall grob fahrlässiger Herbeiführung des Arbeitsunfalles umfassende) Leistungsersatzpflicht gegenüber dem Sozialversicherungsträger. Ist für den Arbeitsunfall ein Außenstehender "mitverantwortlich" iS des § 1301 ABGB, dem kein Haftungsprivileg zustatten kommt, ist eine Rechtslage entstanden, die wiederum nach den Grundsätzen beurteilt werden muß, wie sie oben zu §§ 896, 2. Satz, 1302, 2. Satz ABGB entwickelt wurden. Dieser Zweitschädiger ist mangels Entstehens einer Solidarverbindlichkeit zivilrechtlich als "Alleinschuldner" des zu Schaden Gekommenen anzusehen (so schon die zu § 88 AngVersG ergangene SZ 15/232 = JBl 1923, 212, ihr folgend ZVR 1957/9, ähnlich SZ 27/76 und SZ 35/132), zumindest muß er "wie ein Alleinschuldner" behandelt werden, weil das Haftungsprivileg des Dienstgebers - solange es vom Gesetzgeber aufrecht erhalten wird - nicht dadurch umgangen werden kann, daß er - über seine Leistungsersatzpflicht dem Sozialversicherungsträger hinaus (§ 334 ASVG) - zu Leistungen im Zusammenhang mit dem betreffenden Arbeitsunfall herangezogen wird. Eine Regreßmöglichkeit des Zweitschädigers gegenüber dem Dienstgeber ist daher nicht gegeben; ersterer kann sich deshalb auch dem Geschädigten gegenüber nicht auf ein Mitverschulden des Dienstgebers berufen (vgl dazu schon Lenhoff aaO 267 unter Heranziehung von SZ 15/232). Von einer Deliktsunfähigkeit des Dienstgebers kann dabei naturgemäß keine Rede sein, weshalb die dem § 1310 ABGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken hier nicht heranziehbar sind. Eine Sondervorschrift, die zugunsten des Zweitschädigers hier im Sinn einer Haftungsabschwächung Vorsorge träfe, besteht nicht.
Der Hinweis des Klägers auf die Entscheidung SZ 23/359 ist nicht stichhältig. Auch damals hat der OGH ausgesprochen, daß der Schadenersatzanspruch aus einem Betriebsunfall dem Geschädigten gegen die anderen, privatrechtlich zum Schadenersatz verpflichteten Urheber des Unfalles, dh gegen "Verantwortliche", denen das in den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen normierte Haftungsprivileg nicht zustatten kommt, im gewöhnlichen Ausmaß zustehe. Soweit der OGH damals das Verfahren nicht nur bezüglich der Ermittlung eines Verschuldens des nicht haftungsprivilegierten Zweitbeklagten, sondern auch bezüglich des haftungsfreien Erstbeklagten ergänzungsbedürftig fand, stand dies im Zusammenhang mit der Frage der Verschuldensteilung zwischen dem Zweitbeklagten und dem Verunglückten, was sich aus der Zitierung des nur hierauf bezüglichen § 1304 ABGB eindeutig ergibt.
Auch der Hinweis des Klägers auf das Urteil des deutschen Bundesgerichtshofes vom 29. 10. 1968, VersR 1969, 34 = JZ 1969, 262, ist nicht zielführend. Daß der Dienstgeber vom Zweitschädiger nicht auf Ausgleichung in Anspruch genommen werden könne, hat der Bundesgerichtshof unter Hinweis auf einschlägige Vorentscheidungen auch damals ausdrücklich aufrecht erhalten. Im übrigen ging es um die Frage, ob der Zweitschädiger dem Sozialversicherungsträger, der ihn kraft der Legalzession - im österreichischen Recht nunmehr im § 332 ASVG verankert - belangt, ein Mitverschulden des Dienstgebers des Geschädigten an dessen Arbeitsunfall entgegenhalten kann. Diese (dort bejahte) Frage steht hier nicht zur Erörterung. Soweit der BGH in diesem Urteil unter Heranziehung der bereits einleitend erwähnten Ausführungen Caemmerers und Prölss', die Frage gestreift hat, ob der Widerstreit der Normen, der sich aus dem Zusammentreffen der Sozialversicherung mit dem deliktischen Haftungsrecht ergibt, nicht dahin zu lösen wäre, daß der Schadenersatzanspruch des Verletzten gegen den Zweitschädiger von vornherein um den Verantwortungsanteil des haftungsbegünstigten Unternehmers gekürzt wird - ein Konzept, dem der Kläger im vorliegenden Prozeß offensichtlich zu folgen versucht - und sich auch in neuesten Entscheidungen des BGH (NJW 1970, 1546 und 1844 sowie NJW 1971, 194) Erwägungen in dieser Richtung finden, muß festgehalten werden, daß die zivilrechtliche Lage nach dem deutschen BGB mit jener nach dem österreichischen ABGB nicht voll übereinstimmt. Der Ausgleichungsanspruch, den einer von mehreren für einen aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schaden Verantwortlichen gegen die Mitverantwortlichen hat (§ 840 BGB), richtet sich grundsätzlich nach § 426 I BGB. Der erste Satz dieser Gesetzesstelle "Die Gesamtschuldner sind im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist" entspricht dem ersten Satz des § 896 ABGB "Ein Mitschuldner zur ungeteilten Hand, welcher die ganze Schuld aus dem Seinigen abgetragen hat, ist berechtigt, auch ohne geschehene Rechtsabtretung, von den übrigen den Ersatz, uzw, wenn kein anderes besonderes Verhältnis unter ihnen besteht, zu gleichen Teilen zu fordern". Der zweite Satz des § 426 I BGB "Kann von einem Gesamtschuldner der auf ihn entfallende Beitrag nicht erlangt werden, so ist der Ausfall von den übrigen zur Ausgleichung verpflichteten Schuldnern zu tragen" entspricht aber nicht völlig dem 2. Satz des § 896 ABGB "War einer aus ihnen unfähig, sich zu verpflichten, oder ist er unvermögend, seiner Verpflichtung Genüge zu leisten, so muß ein solcher ausfallender Anteil ebenfalls von allen Mitverpflichteten übernommen werden", weil er den Fall, daß sich einer aus dieser Personenmehrheit gar nicht verpflichten konnte, nicht umfaßt. Damit mag auch im Zusammenhang stehen, daß das deutsche BGB keine Parallele zu § 1352 ABGB enthält (vgl dazu auch Ohmeyer, Klang in Klang[2], VI 218, FN 4). Für die deutsche Lehre und Rechtsprechung mögen sich daraus allenfalls erweiterte Auslegungsmöglichkeiten ergeben, auf die bei weiterer Untätigkeit des Gesetzgebers (vgl hiezu Helle aaO sowie die Hinweise auf einen bereits erstellten Referentenentwurf in VersR 1969, 34 = JZ 1969, 262 und den Ausführungen Siegs aaO) vielleicht zurückgegriffen werden kann, die diesbezüglichen Erwägungen sind aber nicht ohne weiteres auf den österreichischen Rechtsbereich übertragbar, weil sich aus dem Zusammenhalt der Bestimmungen der §§ 896 2. Satz und 1302 2. Satz ABGB - wie dargelegt wurde - ergibt, daß bei "Verpflichtungsunfähigkeit", dh bei Unklagbarkeit einer von zwei dem äußeren Sachverhaltsbild nach als "Solidarschuldner" in Betracht kommenden Personen, die andere den Ausfall übernehmen muß, sohin Alleinschuldner (oder doch wie ein solcher zu behandeln) ist, es sei denn, es wäre anderswo unzweideutig eine hievon abweichende Regelung getroffen. Das ist aber im ASVG nicht der Fall. Daher kann auch nicht den Vorschlag Helles (aaO) aufgegriffen werden, in der Regelung der RVO (in Österreich also in jener des § 333 Abs 1 ASVG) eine Spezialnorm zu erblicken, die den allgemeinen delikts- und haftungsrechtlichen Satz, daß jeder Mitschuldige dem Verletzten hafte, einschränke. Die schon in anderem Zusammenhang erwähnte "Ablösefunktion" der Unfallversicherung kann sich nach Entstehungsgeschichte und Zweck nur auf das Verhältnis zwischen Dienstnehmer, Dienstgeber und Sozialversicherungsträger beziehen, hebt aber, sofern ein Außenstehender den Arbeitsunfall mitverursacht hat, die daraus resultierende Einbeziehung des Dienstnehmers in den allgemeinen Rechtsbereich nicht auf. Die im § 333 ASVG normierte Regelung kann ohnehin, dh im Verhältnis zwischen Dienstnehmer und Dienstgeber zu für den ersteren unbilligen Ergebnissen führen, wobei besonders an den Verlust des Schmerzengeldanspruches gegen den Dienstgeber zu denken ist (vgl dazu etwa Gschnitzer, Schuldrecht/Besonderer Teil und Schadenersatz, 177). Allerdings stehen dem auch Vorteile für den Dienstnehmer gegenüber, so die Nichtberücksichtigung seines etwaigen Mitverschuldens am Arbeitsunfall, woraus unter Bedachtnahme auf die Gesamtheit der Arbeitnehmerschaft, der Unternehmerschaft und der Arbeitsunfälle die Berechtigung der im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz getroffenen Regelung abgeleitet wird, allerdings nicht ohne daß die moderne Lehre dagegen Bedenken erhebt (vgl dazu abermals Steininger aaO 394 ff). Schon dies nötigt dazu, die sogenannte "Ablösefunktion" der Unfallversicherung strikt auf den Bereich der Beziehungen zwischen Dienstnehmer, Dienstgeber und Sozialversicherungsträger zu beschränken. Daß diese den Absichten des Gesetzgebers entspricht, ergibt sich im übrigen daraus, daß die Legalzession der Ansprüche des Dienstnehmers (und seiner Angehörigen) "auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften" zugunsten des Sozialversicherungsträgers - § 332 Abs 1 ASVG gilt auch für die Unfallversicherung (vgl ZVR 1958/18) - nur im Rahmen seiner eigenen Pflichtleistungen und bezüglich des Schmerzengeldes überhaupt nicht eintritt. Damit bleibt aber die von einem Außenstehenden durch Mitverschulden an einem Arbeitsunfall bewirkte Einbeziehung in den allgemeinen Rechtsbereich unzweifelhaft aufrecht. Ein Verlust oder eine Beschränkung der von der Legalzession nicht erfaßten Ansprüche oder eine Möglichkeit, derartige Restansprüche durch Richterspruch (aus Billigkeitsgrunden) zu beschränken, ist nicht normiert. Da - wie aufgezeigt - der Zweitschädiger dem Dienstnehmer zufolge der Unbelangbarkeit des Dienstgebers rechtlich als (oder wie ein) Alleinschuldner gegenübersteht, können die Leistungen des Sozialversicherungsträgers, die dieser im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall erbracht hat, auch nicht etwa als ein Erfüllungsersatz angesehen werden, den ein Dritter mit (fingiertem) Einverständnis eines Mitschuldners dem Gläubiger erbracht hat (vgl dazu Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 301 f), ganz abgesehen davon, daß der Kläger selbst gar nicht den Standpunkt einnimmt, die Beklagte habe oder werde durch die Leistungen des Sozialversicherungsträgers alles erhalten, was ihr gebühre.
Sollte sich die durch die Bestimmungen des ASVG geschaffene Rechtslage dahin auswirken, daß ein Dienstnehmer (oder ein Angehöriger desselben) durch die Leistungen des Sozialversicherungsträgers und des Zweitschädigers zusammen in einzelnen Fällen zufolge Nichtberücksichtigung einer Mitverschuldensquote günstiger abschneidet, so wäre dies in der Gesamtschau den Nachteilen gegenüberzustellen, die sich in anderen Fällen aus dem Haftungsprivileg des Dienstgebers und der "Ablösefunktion" der Unfallversicherung im Verhältnis zwischen Dienstnehmer, Dienstgeber und Sozialversicherungsträger ergeben können. Im übrigen ist in diesem Zusammenhang auf die auf § 332 ASVG beruhende Besonderheit der Rechtslage zu verweisen, die darin besteht, daß der sozialversicherte Geschädigte, der von anderen Personen, zu denen in Fällen wie im vorliegenden auch der Zweitschädiger gezählt werden muß, den Ersatz seines Schadens verlangen kann, zufolge der Legalzession zugunsten des Sozialversicherungsträgers die Aktivlegitimation verliert, soweit der Sozialversicherungsträger Leistungen an ihn zu erbringen hat. Der Sozialversicherungsträger, dessen Leistungen an den Geschädigten der Grund für die Haftungsfreistellung des Dienstgebers ist, ist zugleich auch im Rahmen der von ihm zu erbringenden Leistungen Legalzessionar hinsichtlich der vom Zweitschädiger dem Geschädigten geschuldeten Ersatzleistung. Seine Leistungen treten in diesem Umfang an die Stelle der Leistungen, die der Dienstgeber ohne das Haftungsprivileg des § 333 ASVG und der Zweitschädiger ohne Legalzession nach § 332 ASVG dem Geschädigten solidarisch schulden würden. Der Eintritt der Legalzession im vorangeführten Umfang würde auch nicht durch eine Beschränkung der Haftung des Zweitschädigers dem Geschädigten gegenüber auf einen dem Verhältnis seines Mitverschuldens zu dem des Dienstgebers entsprechenden Teil des Schadens gehindert. Dem Geschädigten verbliebe nicht etwa ein dem Mitverschulden des Zweitschädigers entsprechender beschränkter Ersatzanspruch gegen den Zweitschädiger, sondern nur der von der Sozialversicherung und der Legalzession nicht betroffene Rest hievon.
Bei dieser Sachlage kann auch darin, daß der Geschädigte die Sozialversicherungsleistung auch im Falle eines mit dem Verschulden des Dienstgebers und des Zweitschädigers konkurrierenden eigenen Mitverschuldens ohne Abzug erhalten würde, keine ausreichende Rechtfertigung dafür gefunden werden, daß sich der Geschädigte bei der Geltendmachung und Ermittlung seines von der Legalzession nicht betroffenen Restanspruches gegen den Zweitschädiger eine dem - von ihm nicht immer leicht und risikolos abschätzbaren - Mitverschuldensanteil des Dienstgebers entsprechende Beschränkung der Haftung des Zweitschädigers gefallen lassen muß, der eine notwendige Bedingung zum Entstehen des anteilsmäßig nicht bestimmbaren Schadens gesetzt und daher - de lege lata - ohne Rücksicht auf das Ausmaß seines Mitverschuldens im Verhältnis zu dem des Dienstgebers für den ganzen Schaden einzustehen hat. Nur der Vollständigkeit wegen sei noch festgehalten, daß es auch sonst immer wieder Fälle gibt, in denen einer von zwei oder mehreren für einen Schaden iS des § 1301 ABGB "Verantwortlichen" diesen letzten Endes allein ersetzen muß (Deliktsunfähigkeit eines Teilnehmers, Unbekanntheit eines Teilnehmers udgl).
Der OGH kommt daher zusammenfassend erneut zum Ergebnis, daß durch § 333 ASVG die Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach dem ABGB gegen einen Zweitschädiger nicht ausgeschlossen ist, ohne daß letzterer ein Mitverschulden des Dienstgebers (oder eines Gleichgestellten) einwenden könnte. Zu einer Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof im Sinn der Anregung des Klägers sah sich der OGH nicht veranlaßt, weil der Ausschluß der Regreßmöglichkeit in derartigen Fällen aus wichtigen, sachlichen Gründen gerechtfertigt erscheint (vgl dazu auch die bei Kapfer[28] zu § 333 ASVG unter Nr 3 a angeführten Entscheidungen).
Schon aus diesen Erwägungen war der Revision ein Erfolg zu versagen, ohne daß es eines Eingehens darauf bedurft hätte, welche Bedeutung im vorliegenden Falle dem Umstand zukommt, daß in dem das Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten betreffenden Feststellungsbegehren auf die nach der Sachlage in Betracht kommende Legalzession zugunsten des Sozialversicherungsträgers nicht Bedacht genommen ist.
Anmerkung
Z44048Schlagworte
Aufseher im Betrieb, Haftungsanschluß bezüglich eines Mitschädigers, Betriebsaufseher, Haftungsausschluß bezüglich eines Mitschädigers, Gesamtschuldverhältnis, Ausschluß eines Schädigers, Haftungsausschluß, bezüglich eines Mitschädigers, Mitschädiger, Ausschluß eines -, Solidarverpflichtung, Ausschluß eines Schädigers, Sozialversicherung, Ausschluß eines MitschädigersEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1971:0020OB00129.7.0419.000Dokumentnummer
JJT_19710419_OGH0002_0020OB00129_7000000_000