Norm
Ehegesetz §50Kopf
SZ 44/66
Spruch
Voraussetzungen für die Anwendung der Härteklausel des § 54 EheG
Schuldantrag des beklagten Ehegatten nach § 61 Abs 2 EheG als Rechtsmißbrauch
OGH 5. 5. 1971, 5 Ob 106/71 (OLG Linz 2 R 9/71; LG Salzburg 2 Cg 65/69)
Text
Der am 30. 1. 1930 geborene Kläger und die am 7. 9. 1923 geborene Beklagte, die beide österreichische Staatsbürger sind, schlossen am 15. 3. 1957 vor dem Standesamt Wien-Alsergrund die Ehe. Der letzte gemeinsame Aufenthaltsort der Streitteile war Salzburg. Der Ehe entstammen die am 24. 12. 1957 geborene mj Hedwig S und die am 2. 10. 1959 geborene mj Maria S.
Die Streitteile lernten einander im Jänner 1956 kennen und bezogen nach der Eheschließung (im Jahre 1958) eine Wohnung in Salzburg, die aus den Mitteln der Beklagten, die Vermögen besaß, angeschafft und eingerichtet wurde. In den Beziehungen der Streitteile stellten sich bald Schwierigkeiten ein, da der Kläger sehr pedantisch und nörglerisch war. Er nörgelte ständig am Verhalten der Beklagten und mischte sich in alle Belange der Haushaltsführung und der Kinderbetreuung ein. Er nahm seiner Frau dadurch, daß er sie nicht selbständig arbeiten ließ, die Freude an der Hausarbeit. So inspizierte der Kläger den Mülleimer und warf seiner Frau vor, daß sie die Außenblätter des grünen Salats abschneide. Als er ein zerbrochenes Fläschchen aus Jena-Glas im Mülleimer fand, führte das zu langen Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen. Er schränkte auch die Kontakte der Beklagten zu ihren Verwandten, Freunden und Bekannten ein.
Der Kläger hielt sich häufig in der Küche auf, um die Haushaltsführung seiner Frau zu überwachen. In der Küche stand auch das Kinderbett, in dem die mongoloid geborene Tochter Maria lag, da die Beklagte hoffte, daß das Kind eher sprechen lerne, wenn es viel sprechen höre. Auch die Tochter Hedwig spielte in der Küche, wodurch dort der Platz beengt war. Dennoch befolgte der Kläger den Wunsch seiner Frau, an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer zu studieren, nicht und war ungehalten, wenn sie ihn aus der Küche wies, weil er glaubte, sie habe ihn nicht gern. Andererseits wurde der Beklagten die Hausarbeit häufig zu anstrengend. Sie lehnte es ab, mit ihrem Mann in ein Kino, Konzert oder Theater zu gehen, mit der Begründung, sie sei zu müde oder zu abgespannt. Auch als sie einen halben Tag in der Woche eine Haushaltshilfe bekam, die sie aus ihren eigenen Mitteln bezahlte, wurde es nicht besser.
Nach der Geburt des zweiten (mongoloiden) Kindes begann die Beklagte übermäßig dem Alkohol zuzusprechen. Der Anlaß dafür lag zum Teil in dem Umstand, daß sie Sehnsucht nach ihren Verwandten in Wien hatte und die vom Kläger erzwungene Einsamkeit übertönen wollte, zum anderen Teil darin, daß sie der Alkohol beruhigte und daß sie dann ruhig zuhören konnte, wenn der Kläger nörgelte und ihr Dinge sagte, die ihr unangenehm waren.
1961 lernte die Beklagte den Pfarrer von A, Josef T, kennen. Zu ihm faßte sie eine tiefe Zuneigung, die sie erwidert fühlte. Sie verstand es in der Folge, jeden zweiten Tag T in A zu besuchen, wenn sie ihre Tochter Hedwig in den Pfarrkindergarten brachte. Ihr Verhalten fiel auch anderen Leuten auf, die davon dem Kläger Mitteilung machten. Dieser wurde von seiner Frau des öftern mit der Begründung abgeschoben, sie müsse Putzarbeiten verrichten. An solchen Tagen aß er mittags auswärts. Wenn der Kläger zurückkam, erfuhr er, daß die Beklagte, statt zu arbeiten, bei T gewesen war oder daß dieser seine Frau besucht hatte. Die Beklagte stand zu T auch in einem brieflichen Kontakt und wurde ungehalten, wenn ihr der Kläger untersagte, zu oft zu T zu gehen. Sie erklärte, T habe ihr gesagt, sie brauche sich das nicht bieten lassen, es sei ihre Sache, wohin sie gehe. Sie hinterbrachte dem Kläger auch Äußerungen des T, daß ein Dritter in der Ehe diese noch pikanter machen würde. Die Beklagte wollte ihre Friseurin ins Haus bringen, damit auch der Kläger eine Freundin habe, wenn sie einen Freund habe. Ihrem Mann drohte sie, daß er sie für immer verlieren werde, wenn er ihr den Umgang mit T verbiete.
Da die Kontakte der Beklagten mit T nicht aufhörten, drohte ihr der Kläger am 20. 12. 1962, selbst zu T zu gehen und ihn wegen Ehestörung zu klagen. Die Beklagte fürchtete, daß der Kläger ihre Beziehungen zu T unterbinden werde, und verließ den Kläger daraufhin heimlich am 21. 12. 1962 mit ihrer Tochter Maria. Sie fuhr nach Wien. Der Kläger suchte seine Frau vergeblich in H, wo sie Miteigentümerin eines Gutes ist. Erst am 31. 12. 1962 wurde die Beklagte mit ihrer Tochter von einem Bekannten in die Ehewohnung zurückgebracht. Gegenüber ihrem Gatten zeigte sie sich bockig und bat auch nicht um Verzeihung, weil sie der Meinung war, im Recht zu sein. In einer Aussprache erklärte sie ihrem Gatten, sie könne von T nicht lassen. Sie besuchte T auch weiterhin bis April 1963 jeden zweiten Tag und unterhielt bis 1968 Kontakt mit ihm.
Nach Ostern 1963 fuhr die Beklagte mit ihren Kindern auf das Gut H. Weil sie in dieser Zeit sehr stark dem Alkohol zusprach, mußte sie sich vom 7. 7. 1963 bis zum 15. 8. 1963 einer Entwöhnungskur unterziehen. Nach der Kur hatte sie anfänglich kein Verlangen nach Alkohol, nahm aber übermäßig Medikamente. Im August 1963 faßte sie den Entschluß, sich vom Kläger zu trennen und mit ihrer Tochter Maria nach Wien zu ziehen. Sie bewohnte dann seit 1964 mit ihrer Tochter eine Wohnung in einem ihr gehörigen Haus im 9. Wiener Gemeindebezirk. Die zweite Tochter Hedwig ließ sie beim Kläger, der sie neben seiner beruflichen Tätigkeit betreute.
Wegen Alkohol- und Medikamentenmißbrauch befand sich die Beklagte vom 6. 12. 1963 bis 7. 2. 1964 in der Heilanstalt M. Weil sie sich in ihrer Wiener Wohnung allein fühlte, begann sie Beruhigungsmittel zu nehmen, uzw anfangs das noch rezeptfreie Seduan. Am 15. 4. 1967 mußte der Kläger seine Tochter Maria aus Wien abholen, weil die Beklagte das Kind nicht mehr betreuen konnte.
Mit Schreiben v 13. 7. 1964 untersagte der Kläger dem Pfarrer T jeden Kontakt mit seiner Frau und drohte ihm eine Ehestörungsklage an. Nachdem T der Beklagten das mit Schreiben v 17. 7. 1964 mitteilte, fuhr sie sofort zu ihm nach Salzburg. Als sie im Zuge einer Aussprache mit T merkte, daß er die Beziehungen zu ihr abbrechen wolle, fuhr sie nach Wien zurück und nahm in selbstmörderischer Absicht 100 Tabletten Cillgargon. Sie wurde im bewußtlosen Zustand aufgefunden und in die Heilanstalt Steinhof gebracht. Von dort holte sie der Kläger am 7. 9. 1964 gegen Revers ab. Er brachte sie zurück in die Ehewohnung nach Salzburg. Die Streitteile vertrugen sich aber nicht mehr. Die Beklagte suchte wieder den Pfarrer T auf, während ihr der Kläger Ausstellungen machte und sie nicht selbständig arbeiten ließ. In dieser Zeit beschimpfte er seine Frau erstmals mit den Worten "Du Trampel". Am 14. 9. 1964 erklärte die Beklagte ihrem Mann, daß sie es bei ihm nicht mehr aushalte. Der Kläger erwiderte der Beklagten, daß der Fall für ihn endgültig erledigt sei, wenn sie wieder abreise, er könne ihr Verhalten nervlich und seelisch nicht mehr ertragen. Die Beklagte erklärte jedoch, daß sie außer T nichts mehr interessiere. Sie verließ ihren Mann und ihre Kinder.
In der Folgezeit erfuhr der Kläger über den Verbleib seiner Gattin nur noch durch Verständigungen verschiedener Heilanstalten, in denen sich die Beklagte aufhielt. Wiederholt mußte er seine Frau aus einer Heilanstalt abholen. Außerdem mußte er beträchtliche Anstaltskosten bezahlen und zur Betreuung der Kinder eine Haushaltshilfe aufnehmen. Mit Schreiben v 13. 2. 1967 drohte der Kläger seiner Frau erstmals die Scheidung an.
Solange die Beklagte mit dem Kläger im gemeinsamen Haushalt war, verabreichte er ihr Wirtschaftsgeld. Als die Beklagte aber gegen den Willen des Klägers wegzog, stellte er die Unterhaltszahlungen ein. Auf Grund eines gerichtlichen Vergleiches v 23. 1. 1970 zahlt der Kläger der Beklagten monatlich S 300.- als Unterhalt bis zum rechtskräftigen Abschluß des Ehescheidungsverfahrens.
Die Beklagte befand sich insgesamt dreizehnmal in einer Heilanstalt in Behandlung. Zuletzt hielt sie sich in einer Heilanstalt vom 22. 9. 1969 bis anfangs 1970 auf. Seit 6. 4. 1970 arbeitet sie halbtägig als Vertragsbedienstete in Salzburg.
Zum Alkoholismus wurde die Beklagte durch die ehelichen Schwierigkeiten getrieben. Seit der Geburt des zweiten Kindes trank sie etwa 2 Jahre lang täglich Rum und Cognak, uzw 7/10 Liter oder einen Liter im Tag. Nach einer Entwöhnungskur in M, die bis zum 15. 8. 1963 währte, begann sie Seduan und ähnliche Beruhigungsmittel (6 bis 8 Tabletten täglich) einzunehmen. Im Juli 1964, am 24. 7. 1966 und im Jänner 1968 unternahm sie Selbstmordversuche. Im Herbst 1964 wurde sie wegen Einnahme von Tabletten nach Steinhof gebracht, von wo sie anfangs Dezember 1964 in ihre Wiener Wohnung entlassen wurde. Wegen Medikamentenmißbrauchs wurde die Beklagte am 19. 1. 1965 neuerlich in die Heil- und Pflegeanstalt Steinhof eingewiesen. Am 15. 11. 1965 entfernte sich die Beklagte eigenmächtig aus der Klinik. Sie fuhr mit dem Taxi nach Salzburg. Sie bat den Kläger, sie aufzunehmen, doch drohte er ihr, er werde in der Heilanstalt Steinhof anrufen. Die Beklagte begab sich daraufhin zu ihrer Freundin Anna F. Von dort wurde sie am 16. 11. 1965 in die Nervenklinik S eingeliefert, wo sie eine Insulinkur absolvierte und am 8. 1. 1966 entlassen wurde. Sie wurde dort neuerlich in der Zeit vom 19. 2. 1966 bis zum 8. 4. 1966 behandelt. Anschließend trank die Beklagte wieder täglich bis zu 10 Flaschen Bier. Nach dem Selbstmordversuch vom 24. 7. 1966 wurde sie in die Heilanstalt M eingeliefert, wo sie bis zum 9. 11. 1966 behandelt wurde und 10 Elektroschocks bekam. Anschließend begab sie sich in die Behandlung der Landesnervenklinik in Salzburg, wo sie sich vom 9. 11. 1966 bis 12. 12. 1966 aufhielt. Im Anschluß daran befand sie sich bei ihrer Freundin Anna F und zwischendurch zu Weihnachten 1967 im Krankenhaus in Salzburg. Nach einem neuerlichen Selbstmordversuch am 16. 1. 1968 wurde die Beklagte wieder in die Landesnervenklinik Salzburg eingeliefert, wo sie bis zum 31. 3. 1968 verblieb. Anschließend befand sie sich durch mehrere Monate in einem Altersheim in Salzburg. Schließlich fuhr sie für zwei Wochen auf das Gut H, wo sie täglich 6 bis 8 Flaschen Bier trank. In der Folge machte sie vom 28. 5. 1968 bis zum 8. 6. 1968 eine Entwöhnungskur in der Landesnervenklinik in Salzburg durch. Dann nahm sie wieder Seduan-Tabletten ein. Vom 14. 9. 1968 bis zum 26. 9. 1968 befand sich deshalb die Beklagte in der Landesnervenklinik Salzburg. Etwa im Jänner 1969 bezog sie ihre Wohnung in Salzburg. Ab 8. 2. 1969 wohnte die Beklagte bei einer Tante in Innsbruck, wo sie jedoch Angstzustände bekam und daher wieder nach Salzburg fuhr, um die Kinder zu besuchen. Im Sommer 1969 verbrachte sie einen Urlaub in H. Sie nahm nun keinen Alkohol und keine Medikamente mehr zu sich, doch zeigte sich eine zunehmende Interesselosigkeit, und die Beklagte lag nur mehr im Bett. Am 15. 9. 1969 fuhr die Beklagte wieder nach Innsbruck, kehrte jedoch wegen der neuerlich aufgetretenen Angstzustände nach Salzburg zurück. Vom 22. 9. 1969 bis anfangs 1970 war die Beklagte zum letzten Mal in der Landesnervenklinik in Salzburg, wo sie mit Depressionsmedikamenten behandelt wurde. Noch im November 1969 hatte die Beklagte furchtbare Angstzustände und nahm Schlafmittel, um zur Ruhe zu kommen.
Die Beklagte leidet an Psychopathie. Es lagen bei ihr schon erhebliche Störungen der Anlage und der Kindheitsentwicklung vor. Die Wahl des Ehepartners muß bereits unter diesem Aspekt beurteilt werden. Die Beklagte war von Anfang an mit einer latenten Hypothek belastet und hatte wenig Aussicht auf tragende Gestaltung. In solchen Fällen muß es früher oder später zu partnerschaftlichen Katastrophen kommen. Die Unverträglichkeit der beiden Charaktere hat dann die Ebene der zunehmenden Entfremdung mehr und mehr geneigt. Aus den Klagen der Beklagten kann man wohl schließen, daß eine gewisse pedantische, nörgelndkleinliche Verhaltensweise des Klägers dazu beigetragen hat, die Entfremdung in Erscheinung treten zu lassen. In die Zeit nach der Entbindung vom zweiten Kind fällt der Beginn der Erkrankung der Beklagten. Abartiges Verhalten und übertriebener Alkoholgenuß traten 1960 in Erscheinung. Die alkoholische Süchtigkeit nahm dann bei der Beklagten katastrophale Formen an, desgleichen ihre Süchtigkeit in bezug auf Beruhigungsmedikamente. Die Anlässe zu den einzelnen Klinikaufenthalten der Beklagten waren jeweils Alkohol- oder Medikamentengenuß, einige Selbstmordversuche mit Tabletten und allgemeine Depressionszustände.
Die Beklagte leidet an einer schweren rückfallsneigenden Psychopathie. Dabei handelt es sich um anlagegemäß abnorme Persönlichkeiten. Bei der Beklagten ist eine depressive, psychopathische Persönlichkeit anzunehmen, die in Kombination mit gewissen Schwächen der Charakterstruktur zur ausgeprägten Süchtigkeit geführt hat. Es kann bei ihr auch eine Kernneurose diagnostiziert werden, jedoch liegt keine Geisteskrankheit vor. Das Ergebnis der Untersuchung im November 1969 ist eine weitgehend deformierte Persönlichkeit, wobei einzelne Elemente, wie etwa die Intelligenz, erhalten geblieben sind, andere Elemente jedoch einer erheblichen Reduktion zum Opfer gefallen sind, so die Emotionalität, Antrieb, Aktivität, Konsequenz, Vitalität. Es liegt demnach bei der Beklagten ein auf geistiger Störung beruhendes Verhalten iS des § 50 EheG vor, das wahrscheinlich bis in das Jahr 1960 zurückgreift, spätestens im Jahre 1963 evident wurde. Für eine Entmündigung der Beklagten sind aber die Voraussetzungen nicht gegeben. Die geistige Störung ist auch nicht auf ihr Verschulden zurückzuführen. Ihr Alkohol- und Medikamentenmißbrauch hat ihre geistige Störung nicht verursacht. Der Mißbrauch wurde vielmehr durch die geistige Störung verursacht. Die Psychopathie hat ihre Ursachen in der Anlagen- und Persönlichkeitsentwicklung der Beklagten. Das Gesamtverhalten des Klägers kann nicht die Ursache der Psychopathie der Beklagten sein. Gewiß mag das Verhalten des Klägers nicht zur Abschwächung oder Linderung der psychopathischen Symptome der Beklagten beigetragen haben; auch ist dem Gesamtverhalten des Klägers wahrscheinlich eine verschlimmernde Wirkung auf die psychopathischen Symptome zuzuschreiben. Dennoch kann nicht gesagt werden, daß das Gesamtverhalten des Klägers für sich allein eine latente Disposition auf der Seite der Beklagten erst zum Ausbruch gebracht hätte. Der Beklagten können im Hinblick auf die bei ihr bestehende Psychopathie die Eheverfehlungen aus den Jahren 1957 bis 1963 nicht als schuldhaft angelastet werden.
In absehbarer Zeit ist keine Heilung oder wesentliche Besserung des derzeitigen Zustandes der Beklagten zu erwarten. Selbst wenn sich durch eine Scheidung an den bestehenden faktischen Verhältnissen nichts ändert, würde doch die Beklagte eine Scheidung als Cäsur empfinden. Sie würde sich nicht positiv auf ihren Gesundheitszustand auswirken. Auch in ihrem jetzigen Zustand würde die Beklagte eine Scheidung als äußerst hart empfinden. Auf Grund ihrer abgestumpften Emotionalität würde die Beklagte allerdings eine Scheidung nicht so schmerzlich empfinden, wie dies bei einer gesunden Person der Fall wäre; doch ist ihre Emotionalität nicht so weitgehend abgestumpft, daß sie eine Scheidung nicht mehr als Härte empfinden würde.
Die häusliche Gemeinschaft zwischen den Streitteilen ist seit 11. 9. 1964 aufgehoben.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Scheidung seiner mit der Beklagten geschlossenen Ehe aus dem Scheidungsgrund des § 50 EheG.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Scheidungsbegehrens, in eventu ein Verschulden des Klägers auszusprechen.
Das Erstgericht schied die zwischen den Streitteilen am 15. 3. 1957 geschlossene Ehe (ohne Verschuldensausspruch). Das Prozeßgericht ging davon aus, daß durch das auf der geistigen Störung des Beklagten beruhende Verhalten, wie das wiederholte Verlassen des Klägers, ihre fortgesetzten ehewidrigen Beziehungen zu T, die Vernachlässigung der Sorge für ihre Kinder und den übermäßigen Alkohol- und Medikamentengenuß im Zusammenhalt mit den wiederholten Selbstmordversuchen, die Ehe so tief zerrüttet worden sei, daß eine Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten sei. Da der Kläger keineswegs überwiegend an der Zerrüttung der Ehe mitgewirkt habe und die Verfehlungen beider Streitteile in einem engen Zusammenhang stunden, sei der Beklagten ein Schuldantrag nach § 61 Abs 2 EheG verwehrt. Ein solcher Schuldantrag würde sich als Rechtsmißbrauch darstellen, weil das Verhalten der Beklagten wesentlich mehr zur Zerrüttung beigetragen habe, als das Verhalten des Klägers. Es wäre daher eine einseitige Schuldfeststellung gegen den Kläger sittlich nicht gerechtfertigt und würde der Billigkeit grob widersprechen. Es sei demgemäß ein Verschulden des Klägers nicht anzunehmen. Der Beklagten komme aber auch die Härteklausel des § 54 EheG nicht zustatten, weil sie die Scheidung nicht außergewöhnlich hart treffe und dem Scheidungsbegehren des Klägers die sittliche Rechtfertigung nicht mangle.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Prozeßgerichtes. Es übernahm im Wesen die erstgerichtlichen Feststellungen und billigte die vom Prozeßgericht vertretene Rechtsauffassung.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß die Erfordernisse des § 50 EheG vorliegen. Nach der angeführten Gesetzesstelle kann ein Ehegatte die Scheidung begehren, wenn die Ehe infolge eines Verhaltens des anderen Ehegatten, das nur deshalb nicht als Eheverfehlung betrachtet werden kann, weil es auf einer geistigen Störung beruht, so tief zerrüttet ist, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann. Die Beklagte hat durch schweren Alkohol- und Medikamentenabusus und durch die damit im Zusammenhang stehenden Vernachlässigung der Familie, durch das wiederholte eigenmächtige Verlassen des Klägers und die ehewidrigen Beziehungen zu T schwere Eheverfehlungen begangen, wodurch die Ehe der Streitteile tief und unheilbar zerrüttet wurde. Ihr Verhalten war dabei auf eine geistige Störung, nämlich auf eine schwere, rückfallsneigende Psychopathie, zurückzuführen, die ihre Ursache in der Anlage und in der Persönlichkeitsentwicklung der Beklagten hat. Ihre psychologische Verantwortlichkeit war krankheitsbedingt gemindert. Das vermag die Beklagte in ihren Revisionsausführungen nicht mehr in Abrede zu stellen.
Aber auch die Voraussetzungen der Härteklausel nach § 54 EheG sind entgegen den Ausführungen der Revisionswerberin nicht gegeben. Nach der angeführten Gesetzesstelle darf in den Fällen der §§ 50 bis 52 EheG die Ehe nicht geschieden werden, wenn das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt ist. Das ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die Auflösung der Ehe den anderen Ehegatten außergewöhnlich hart treffen würde. Schon auf Grund der Gesetzestexte der §§ 50 bis 52 EheG und des § 54 EheG ergibt sich, daß der Anspruch des gesunden Ehepartners auf Scheidung der Ehe in der Regel zu bejahen ist. §§ 50 bis 52 EheG geben nämlich dem gesunden Ehegatten bei Vorliegen der dort angeführten Scheidungsgrunde grundsätzlich einen Anspruch, die Scheidung der Ehe zu begehren. Die Bestimmung des § 54 EheG ordnet an, daß die Ehe lediglich dann nicht geschieden werden darf, wenn das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt ist.
Die Auffassung, daß § 50 EheG dem gesunden Ehegatten grundsätzlich ein Recht auf Scheidung der Ehe einräumt und die Anwendung der Härteklausel des § 54 EheG nicht als die Regel, sondern als eine einschränkend auszulegende Ausnahme anzusehen ist, weil eine Ehe mit einer nach menschlichem Ermessen voraussichtlich dauernd aufgehobenen geistigen Gemeinschaft oder Lebensgemeinschaft als ihres sittlichen Gehaltes beraubt erscheint, vertritt auch in Übereinstimmung mit dem Schrifttum (Volkmar - Antoni, Komm 201) der OGH in ständiger Rechtsprechung (EFSlg 8564; 5 Ob 2/70 uva).
Bei der Beurteilung, ob die Scheidung der Ehe den anderen Ehegatten außergewöhnlich hart trifft, ist das gesamte Verhalten der beiden Ehegatten in seinen Wechselwirkungen zueinander zu berücksichtigen (Schwind in Klang[2] I/1, 804; 5 Ob 2/70). Im vorliegenden xxxxxxxxxxx lage und in der Persönlichkeitsentwicklung der Beklagten. Wenngleich dem nörgelnden Verhalten des Klägers eine verschlimmernde Wirkung auf die psychopathischen Symptome zukommen kann, so hat es doch keine latente Disposition auf der Seite der Beklagten zum Ausdruck gebracht. Psychopathische Persönlichkeiten kommen nach den Feststellungen der Vorinstanzen in jeder Lebenssituation und unter allen Verhältnissen zu inneren oder äußeren Konflikten. Dem Kläger kann demgemäß nicht nur Last gelegt werden, daß er durch schwere Eheverfehlungen die Krankheit der Beklagten verursacht oder mitverursacht hätte.
Es trifft zu, daß sich eine Scheidung nicht positiv auf den Gesundheitszustand der Beklagten auswirkt. Sie würde auch in ihrem Zustand die Scheidung hart empfinden. Sie würde allerdings auf Grund ihrer abgestumpften Emotionalität eine Scheidung nicht so schmerzlich empfinden wie eine gesunde Person. Doch muß, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, eine solche Auswirkung der Ehescheidung, sofern nicht aus konkreten Gründen eine besonders ungünstige Auswirkung zu befürchten ist, außer Betracht bleiben (vgl EFSlg 2325). Da aber Gründe für eine besonders ungünstige Auswirkung der Scheidung auf die Beklagte nicht gegeben sind und die Beklagte eine Scheidung nicht so schmerzlich empfindet wie eine gesunde Ehefrau, haben die Vorinstanzen auch aus diesem Grund zutreffend die Härteklausel nicht angewendet.
Es darf aber auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Beklagte seit Jahren nicht nur ehewidrige Beziehungen unterhielt, sondern auch den Kläger und die Kinder wiederholt ohne triftige Gründe verließ und dadurch sowie durch die mißbräuchliche Einnahme von Alkohol und Medikamenten ihre Beistandspflicht gegenüber dem Kläger und ihre Sorgepflicht gegenüber den Kindern verletzte.
Wenngleich der Kläger der Beklagten am 21. 12. 1964 einen bösen Brief schrieb, so hat er doch vorher wiederholt die Beklagte aus Heilanstalten gegen Revers herausgenommen und sie in die Ehewohnung gebracht. Dadurch hat er zu erkennen gegeben, daß er die Ehe fortsetzen wollte. Wenn der Kläger nach Mißlingen dieser Versuche und nach seinen vergeblichen Bemühungen, ein gedeihliches Zusammenleben herbeizuführen, die Scheidung der Ehe anstrebt, so kann ihm das nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Nicht beigetreten werden kann der Revisionswerberin, daß ein Verschulden des Klägers auszusprechen sei. Nach § 61 Abs 2 EheG wäre der begehrte Schuldausspruch dann gerechtfertigt, wenn die Beklagte zur Zeit der Einbringung der Scheidungsklage oder später wegen Verschuldens des Klägers ihrerseits eine Scheidungsklage hätte einbringen können. Gegenstand eines Verschuldensantrages können dabei alle Umstände bilden, die einen Scheidungsgrund aus Verschulden darstellen (Schwind in Klang[2] I/1, 840 f). Allerdings kann der Schuldantrag als Rechtsmißbrauch sittlich nicht gerechtfertigt sein, wenn eine Gesamtwürdigung des Verlaufes der Ehe und des Verhaltens beider Ehegatten vor und nach der Zerrüttung der Ehe ergibt, daß eine einseitige Schuldfestsetzung gegen den Kläger der Billigkeit grob widerspricht. In der Regel wird sich der Schuldantrag des beklagten Ehegatten schon dann als Rechtsmißbrauch darstellen, wenn das Verschulden dieses Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe ebenso schwer oder schwerer wiegt als das des Klägers (Hoffmann - Stephan[2], 622; EvBl 1970/93).
Im vorliegenden Fall bildete das Verhalten des Klägers nicht die Ursache für die geistige Störung der Beklagten und des in der Folge aufgetretenen Alkohol- und Medikamentenmißbrauches. Wohl war das pedantische und nörglerische Verhalten des Klägers einem gedeihlichen Zusammenleben der Streitteile nicht förderlich. Das Verhalten des Klägers liegt in der Zeit der ersten Ehejahre. Die Zerrüttungsursache aber ging von der Beklagten aus. Durch ihr Verhalten wurde das eheliche Verhältnis untragbar. Es kann dem Kläger nicht als Verschulden angelastet werden, wenn er als Reaktion auf das Verhalten der Beklagten ein Zusammenleben mit seiner Frau letztlich ablehnte.
Zur Erbringung von Unterhaltsleistungen in Geld war der Kläger nicht verpflichtet, wenn die Beklagte eigenmächtig der Ehewohnung fernblieb und er zu ihrer Aufnahme und zur Erbringung des Naturalunterhaltes bereit war. Es war auch die Beklagte nicht einem Notstand ausgesetzt, da sie über Einkünfte aus ihrem Vermögen verfügt.
Aber auch eine zuletzt erfolgte Ablehnung der Aufnahme der Beklagten in die Ehewohnung war dem Kläger nach dem Verhalten der Beklagten - nämlich ihren ehewidrigen Beziehungen, dem Alkohol- und Medikamentenmißbrauch - im Hinblick auf das Vorhandensein der mj Kinder und ihrer gedeihlichen Erziehung nicht zumutbar, so daß schwere Eheverfehlungen des Klägers, die einen Verschuldensausspruch rechtfertigen, nicht gegeben sind.
Anmerkung
Z44066Schlagworte
Ehescheidung, Härteklausel nach § 54 EheG, Schuldantrag nach § 61 Abs 2, EheG, Härteklausel nach § 54 EheG, Rechtsmißbrauch, Schuldantrag nach § 61 Abs 2 EheG, Schuldantrag nach § 61 Abs 2 EheG als RechtsmißbrauchEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1971:0050OB00106.71.0505.000Dokumentnummer
JJT_19710505_OGH0002_0050OB00106_7100000_000